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Der "ägyptische Heinrich", das ist der Schweizer Heinrich Bluntschli. Sein Ururenkel erzählt die Geschichte seines Vorfahren.Dabei fördert die Ahnunforschung allerhand Menschliches, das heißt Merkwürdiges und Abgründiges, Ägyptische uns Schweizerisches zu Tage. Belebend, fesselnd und komisch erzählt er, was Heinrich und den Seinen vor etwa anderthalb Jahrhunderten rund um den Zürichsee sowie gleichsam im Schatten der Pyramiden widerfahren ist.

Produktbeschreibung
Der "ägyptische Heinrich", das ist der Schweizer Heinrich Bluntschli. Sein Ururenkel erzählt die Geschichte seines Vorfahren.Dabei fördert die Ahnunforschung allerhand Menschliches, das heißt Merkwürdiges und Abgründiges, Ägyptische uns Schweizerisches zu Tage. Belebend, fesselnd und komisch erzählt er, was Heinrich und den Seinen vor etwa anderthalb Jahrhunderten rund um den Zürichsee sowie gleichsam im Schatten der Pyramiden widerfahren ist.
Autorenporträt
Markus Werner, geboren 1944 in der Schweiz, lebte in Schaffhausen. Studium der Germanistik, Philosophie und Psychologie in Zürich; unterrichtete bis 1990 am Gymnasium Schaffhausen, seither freier Autor. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Joseph-Breitbach-Preis (2000) und dem Johann-Peter-Hebel-Preis (2002). 2006 erhielt Markus Werner den Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen. Markus Werner verstarb 2016.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.1999

Kolossaler Nagel
Markus Werner sucht unter Sandpyramiden

Bluntschli - dieser lustige Schweizer Name hat in der Literatur einen guten Klang. Denn so heißt jener Hauptmann in George Bernard Shaws "Helden", der statt einer Waffe nur einen Riegel Schokolade in seiner Pistolentasche trägt, was fürs Überleben weitaus wichtiger ist. Auch jener Heinrich Bluntschli, mit dem uns Markus Werner in seinem neuen Roman bekannt macht, ist Schweizer und kein Held. Zwar nimmt er am Sonderbundkrieg 1847 teil, aber der war, gemessen an anderen Schlachten jener Zeit, eine mehr folkloristische Veranstaltung.

Jedenfalls beschreibt Markus Werner sie so, mit ausgiebigen und schon dadurch ironisch wirkenden Zitaten der Tagesbefehle und hurrapatriotischen Kommentare. Ein wenig erhoben durch die allgemeine Begeisterung muss sich dieser Heinrich gefühlt haben - gerade vor dem Hintergrund seines so wenig glanzvollen eigenen Lebens. Der Pfarrerssohn aus Urdorf im Limmattal hatte bereits das Gymnasium und eine Lehre abgebrochen und sich recht unwillig zum Textilkaufmann ausbilden lassen. Was er dann anpackt, scheitert umgehend: ein Leder-, ein Seidenhandel und schließlich auch seine Ehe.

Bluntschli macht Bankrott, verlässt fluchtartig die Schweiz und schifft sich in den Orient ein. Dort wird er zum "ägyptischen Heinrich". In der neuen Heimat schließt sich eine Pleite mit einer Baumwollfirma an, aber unter den Fittichen des Staates - in Gestalt erst des einheimischen Herrschers Ismail Pascha, dann der Kolonialmacht England - reüssiert er: Er bekommt die Aufsicht über die Suezkanal-Post, über ein Salzbergwerk und schließlich ein Büro im Amt für öffentliche Arbeiten.

Ein halbes Jahrhundert hat dieser Schweizer in Ägypten gelebt, in Kairo und Ismailia, Suez und Alexandria. Er hat sich eine neue Frau genommen und Kinder gezeugt und, wie Markus Werner in für ihn ungewöhnlicher Wortwahl sagt, "seinen Mann gestanden", um dies sogleich zu präzisieren: "in höherem und entscheidenderem Sinn, indem er sich von keinem Fehlschlag niederzwingen, von keinem Sturz zerschmettern ließ".

Also doch ein Held? Natürlich, denn für Markus Werners Figuren, alle Wahlverwandte und Anempfundene, ist Überstehen alles, Siegen aber jenseits der Vorstellungskraft und des Wünschbaren. "In der Welt habt ihr Angst", heißt das Bibelwort, nach dem Heinrich einmal, in notgedrungener Amtsanmaßung, eine Predigt hält. Es könnte sein Motto sein, wenn es nicht ein treffenderes gäbe, einen Ausspruch des Jugendlichen, als sein Vater ihm die Chance einer guten Ausbildung eröffnet: "Ich möchte lieber nicht." Dieser Ausspruch hätte auch vom Autor kommen können, der sich, als "zitternder Fremdling im Heute", verschreckt und abgestoßen durch das Tempo und die zupackende Roheit unserer Zeit, nicht ungern ins neunzehnte Jahrhundert tragen lässt, zu seinem Wahl-, seinem tatsächlichen Verwandten.

Denn dieser Heinrich Bluntschli ist Markus Werners wirklicher Ururgroßvater, präsent durch ein erhaltenes Ölgemälde und eine Familienüberlieferung, die dem Flüchtling und Bankrotteur eine märchenhafte orientalische Karriere andichtet. "Maßgeblich" sei er am Bau des Suezkanals beteiligt gewesen, hat Werner von seiner Großmutter gehört, und schon als Kind über dieses Wort "maßgeblich" gegrübelt. Dass daraus ein "gar nicht" wird - der ägyptische Heinrich ist lediglich bei der Eröffnungsfeier für einen Teil der Festivitäten, unter anderem die Toilettenhäuschen, zuständig gewesen -, ist das Ergebnis einer geduldigen Suche des Nachkommen.

Markus Werner hat in Bibliotheken und Archiven der Schweiz und Ägypten nach Spuren Heinrich Bluntschlis geforscht; in ersteren fand er wenig, in letzteren noch weniger, dafür aber Anlässe genug, die ägyptische Bürokratie in ihrer Pracht und Lächerlichkeit vorzuführen. Werners Ziel ist nicht die Dekonstruktion eines Mythos, sondern die Konstruktion einer literarischen Figur. Das "Material" für den Roman ist nur ein Sprungbrett.

So gelungen die Erschaffung des "ägyptischen Heinrich" aus dem biographischen Nahezu-Nichts ausgefallen ist, beeindruckender und für den Leser beglückender ist die literarische Gestaltung der Annäherung. Werner wechselt zwischen der damaligen und der heutigen Welt, zwischen der Biographie des Ahnen und der Rekonstruktion des Nachkommen, lässt sie einander beleuchten, verfremden und ineinandergleiten und bedient sich dabei der gewagtesten Verfahren sicher und unauffällig.

Die Vergegenwärtigung des Alter Ego - denn das ist dieser wieder- und neubelebte Ururgroßvater - vollzieht sich mit Leichtigkeit. Immer wieder blickt der Erzähler "durch Heinrichs Augen", lässt ihn ins Bild treten wie eine Kunstfigur in einem Woody-Allen-Film, lässt ihn erzählen, wie es war oder gewesen sein könnte, und lässt es gar zu einer Begegnung in seinem Geburtshaus kommen.

Die stilistische Feinarbeit darf nicht vergessen werden. Kaum ein Satz, der nicht mehr enthielte, als er aussagte, kaum einer, der nicht anders ausgeht, als man erwartet hat. Da gibt es subtil angelegte Motive, die beide Zeitebenen verbinden und eine delikate Nutzung des rhetorischen Arsenals: Hier steht der Tod allegorisch hinter der Hecke, dort erhält eine Redewendung durch ihr Wörtlichnehmen neuen Reiz. Auch die Anleihen in fremden Registern, der Gebrauch historisch gewordener oder bürokratischer Formulierungen, der je nach Situation angebracht erscheint, geschieht auf fast unmerkliche Weise. Natürlich mag in all dieser unspektakulären Virtuosität der Autor auf den Topos der Unsagbarkeit nicht verzichten: "Auch uns verschlägt die Welt die Sprache, die wir so dringend bräuchten, um sie beschreibend entwirren zu können."

Markus Werner ist ein Autor, der in einem Satz von "Wunder" und von "Pfusch" schreiben kann, der beim Abstieg in die Cheops-Pyramide über die Jahrtausende und Millionen Tonnen Stein erschauert, dann im leeren Sarkophag "Kaugummis und eine zerknüllte Tampaxschachtel" entdeckt und nach der Betrachtung des mumifizierten Pharao Thutmosis II. im Nationalmuseum das Fazit zieht: "Das Kolossale werde ich vergessen, die Nägel bleiben." In diesem Sinne ist dieser kleine Roman kein Koloss, sondern ein Nagel.

MARTIN EBEL

Markus Werner: "Der ägyptische Heinrich". Roman. Residenz Verlag, Salzburg. 208 S., geb., 38,- DM.

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