Zu gerne besucht Anton seinen Großvater jede Woche im Altenheim. Aber dabei muss er immer an dem "Drachen" vorbei, einem mürrischen alten Mann, der nur schimpft oder abwesend in die Ferne schaut. Anton hat Angst vor ihm.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2011Im Garten sollte doch noch Platz für einen Stall sein
Wenn der Ohrensessel zur Falle wird: Jonas Lauströer und Géraldine Elscher machen ein Altenheim zum Jungbrunnen - beinahe.
Wer scheut sich nicht, greise Angehörige in einem Altersheim zu besuchen? Man mag diese Stätten noch so oft mit klangvollen Titeln wie "Seniorenresidenz" oder "betreute Wohnstätte" verharmlosen - ein Schritt über die Schwelle, sei es einer mit Mehrbettzimmern geschlagenen kommunalen Einrichtung oder die einer glänzend ausgestatteten privaten Senioren-Apartment-Anlage, und es schlägt einem die Atmosphäre eines Reservats entgegen, dessen Bewohner mehr oder weniger laut mit ihrem Schicksal, abseits zu stehen, hadern.
Nur Kinder - deshalb werden sie so gern und häufig dorthin mitgenommen - reagieren unbefangen auf diese Situation, scheinen die Lähmung und schleichende Entwürdigung des Abgeschobenseins nicht wahrzunehmen. Oder sie sprechen, wie in Géraldine Elschers kleiner Erzählung, diesen Zustand offen aus: Warum der alte Herr Grimm so versteinert dasitze und vor sich hin schaue, fragt Anton, ein etwa siebenjähriger Junge seinen Großvater, als er ihn im Altenheim besucht. Dieser, trotz Rollstuhl lebhaft und mit seiner Situation halbwegs, wenn auch nicht immer, versöhnt, erzählt seinem Enkel, dass der alte Mann früher Schäfer gewesen sei, seinen Ruhestand nicht verkrafte und sich gegen jeden Kontakt sperre. "Jetzt fällt es ihm schwer, hier zu leben, eingesperrt im Heim, mitten in der großen alten Herde ... genauso wie ich."
Der neugierig mitfühlende Kleine bringt daraufhin beim nächsten Besuch sein Lieblingsspielzeug mit, ein fast lebensgroßes Schaf aus Plüsch namens Olaf. Der verbitterte Schäfer schaut auf: "Schöne Wolle. Reicht aber noch nicht für die Schur. Und wo sind die anderen?" Zum ersten Mal, seit er im Heim wohnt, hat Herr Grimm gesprochen. Seine Frage bringt Anton auf die Idee, tatsächlich eine kleine Herde lebender Schafe herbeizuschaffen. Er bittet die Direktorin des Altersheims, diese ist einverstanden, und einige Wochen später tummeln sich drei springlebendige Schafe im umgebauten Garten des Heims. Herr Grimm betreut sie, alle anderen Bewohner beteiligen sich an der Pflege der Tiere, sind fortan lebhafter und zufriedener als zuvor.
Kitsch? Unrealistisches, als kindgerecht missverstandenes Fabulieren? Allenfalls der Schluss, in dem Anton verkündet, er wolle auch einmal Schäfer werden, könnte in diese Kategorie gerechnet werden. Alles übrige aber, so versichert die Autorin, beruht auf Tatsachen. So kann man diese Geschichte guten Gewissens Kindern zu lesen geben. Und mit Freude - denn dank der brillanten Illustrationen von Jonas Lauströer handelt es sich nicht nur um eine, sondern um viele Erzählungen.
Souverän zwischen Skizze und vollendetem Bild balancierend, stellt der Illustrator Charaktere und Posen vor: den verschmitzten kleinen Jungen, in dessen Gesichtern tausend Stimmungen aufblitzen, seinen Großvater, dessen Falten und Runzeln der Phantasie zahllose Anregungen zum Nachdenken über das vorangegangene Leben darbieten, Herrn Grimms schutzsuchendes trotziges Kauern in einem großen roten Ohrensessel, die Wandlung, wenn er, plötzlich frei und ungebeugt, sich zwischen den Tieren im Garten bewegt. Letztere anzuschauen ist eine Wonne. Bezaubernd, wenn Lauströer sie in eleganten Bögen über die Brüstung des Geländewagens springen lässt; geheimnisvoll, wenn sie geduldig die Schur über sich ergehen lassen; hintersinnig, wenn plötzlich ihre unergründlichen Köpfe und Mienen auf den Körpern der alten Leute sitzen. Dass man über diesen individuell gezeichneten Menschen und Tieren den Schematismus der Manga-Comics vergisst, ist nicht der geringste Gewinn dieses sorgfältig gestalteten Buchs.
DIETER BARTETZKO.
Géraldine Elscher, Jonas Lauströer: "Der alte Schäfer".
Minedition, Bargteheide 2011. 32 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn der Ohrensessel zur Falle wird: Jonas Lauströer und Géraldine Elscher machen ein Altenheim zum Jungbrunnen - beinahe.
Wer scheut sich nicht, greise Angehörige in einem Altersheim zu besuchen? Man mag diese Stätten noch so oft mit klangvollen Titeln wie "Seniorenresidenz" oder "betreute Wohnstätte" verharmlosen - ein Schritt über die Schwelle, sei es einer mit Mehrbettzimmern geschlagenen kommunalen Einrichtung oder die einer glänzend ausgestatteten privaten Senioren-Apartment-Anlage, und es schlägt einem die Atmosphäre eines Reservats entgegen, dessen Bewohner mehr oder weniger laut mit ihrem Schicksal, abseits zu stehen, hadern.
Nur Kinder - deshalb werden sie so gern und häufig dorthin mitgenommen - reagieren unbefangen auf diese Situation, scheinen die Lähmung und schleichende Entwürdigung des Abgeschobenseins nicht wahrzunehmen. Oder sie sprechen, wie in Géraldine Elschers kleiner Erzählung, diesen Zustand offen aus: Warum der alte Herr Grimm so versteinert dasitze und vor sich hin schaue, fragt Anton, ein etwa siebenjähriger Junge seinen Großvater, als er ihn im Altenheim besucht. Dieser, trotz Rollstuhl lebhaft und mit seiner Situation halbwegs, wenn auch nicht immer, versöhnt, erzählt seinem Enkel, dass der alte Mann früher Schäfer gewesen sei, seinen Ruhestand nicht verkrafte und sich gegen jeden Kontakt sperre. "Jetzt fällt es ihm schwer, hier zu leben, eingesperrt im Heim, mitten in der großen alten Herde ... genauso wie ich."
Der neugierig mitfühlende Kleine bringt daraufhin beim nächsten Besuch sein Lieblingsspielzeug mit, ein fast lebensgroßes Schaf aus Plüsch namens Olaf. Der verbitterte Schäfer schaut auf: "Schöne Wolle. Reicht aber noch nicht für die Schur. Und wo sind die anderen?" Zum ersten Mal, seit er im Heim wohnt, hat Herr Grimm gesprochen. Seine Frage bringt Anton auf die Idee, tatsächlich eine kleine Herde lebender Schafe herbeizuschaffen. Er bittet die Direktorin des Altersheims, diese ist einverstanden, und einige Wochen später tummeln sich drei springlebendige Schafe im umgebauten Garten des Heims. Herr Grimm betreut sie, alle anderen Bewohner beteiligen sich an der Pflege der Tiere, sind fortan lebhafter und zufriedener als zuvor.
Kitsch? Unrealistisches, als kindgerecht missverstandenes Fabulieren? Allenfalls der Schluss, in dem Anton verkündet, er wolle auch einmal Schäfer werden, könnte in diese Kategorie gerechnet werden. Alles übrige aber, so versichert die Autorin, beruht auf Tatsachen. So kann man diese Geschichte guten Gewissens Kindern zu lesen geben. Und mit Freude - denn dank der brillanten Illustrationen von Jonas Lauströer handelt es sich nicht nur um eine, sondern um viele Erzählungen.
Souverän zwischen Skizze und vollendetem Bild balancierend, stellt der Illustrator Charaktere und Posen vor: den verschmitzten kleinen Jungen, in dessen Gesichtern tausend Stimmungen aufblitzen, seinen Großvater, dessen Falten und Runzeln der Phantasie zahllose Anregungen zum Nachdenken über das vorangegangene Leben darbieten, Herrn Grimms schutzsuchendes trotziges Kauern in einem großen roten Ohrensessel, die Wandlung, wenn er, plötzlich frei und ungebeugt, sich zwischen den Tieren im Garten bewegt. Letztere anzuschauen ist eine Wonne. Bezaubernd, wenn Lauströer sie in eleganten Bögen über die Brüstung des Geländewagens springen lässt; geheimnisvoll, wenn sie geduldig die Schur über sich ergehen lassen; hintersinnig, wenn plötzlich ihre unergründlichen Köpfe und Mienen auf den Körpern der alten Leute sitzen. Dass man über diesen individuell gezeichneten Menschen und Tieren den Schematismus der Manga-Comics vergisst, ist nicht der geringste Gewinn dieses sorgfältig gestalteten Buchs.
DIETER BARTETZKO.
Géraldine Elscher, Jonas Lauströer: "Der alte Schäfer".
Minedition, Bargteheide 2011. 32 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Geraldine Elschers Kinderbuch "Der alte Schäfer" hat Rezensent Dieter Bartetzko als eine ganz wunderbare, warmherzige Geschichte gelesen, die, so beteuert die Autorin, auch noch auf Tatsachen beruhe. Als der siebenjährige Anton seinen Großvater im Altenheim besucht, entdeckt er dort einen alten Schäfer, der wort- und bewegungslos sein Dasein fristet. Kurzerhand schafft der kleine Junge, nach Absprache mit der Direktorin, drei Schafe herbei, die nicht nur den alten Schäfer zu neuem Leben erwecken, sondern auch den übrigen Bewohnern viel Freude bereiten. Ganz verzaubert ist der Rezensent auch von den Zeichnungen und Bildern Jonas Lauströers. Geradezu "brillant" entwerfe der Illustrator individuelle Charaktere und Posen bei Mensch und Tier. Für den Kritiker ist dieses Buch eine wahre "Wonne".
© Perlentaucher Medien GmbH
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