Jesus gilt im Islam als einer der bedeutendsten Propheten. Im Koran wird er als Zeichen Gottes genannt. Und doch ist sein Stellenwert im Islam ein anderer als im Christentum. In ihrem einzigartigen Buch unternehmen Mouhanad Khorchide und Klaus von Stosch den bislang ersten Versuch, den koranischen Jesus von islamischer und christlicher Seite zu erschließen. Ihr Buch eröffnet überraschende Perspektiven.Sie zeigen, dass ein gemeinsamer Blick auf Jesus von islamischer und christlicher Seite nicht nur möglich ist, sondern unser Verständnis von Jesus und seiner Botschaft erweitert. Das Buch verfolgt drei Ziele. Es zeichnet erstens den Streit um Jesus im Koran historisch nach und überlegt, wie seine präzise Aufarbeitung zu einem produktiven Miteinander von Christen und Muslimen heute beitragen kann. Es will zweitens zeigen, welche große hermeneutische Bedeutung die Auseinandersetzung mit der Christologie für ein adäquates Verstehen des Korans hat. Und es will drittens Perspektiven aufzeigen, wie Christen ihren Glauben an Jesus als den Christus durch eine Auseinandersetzung mit dem Koran vertiefen und reinigen können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2018Alle mal tief durchatmen
Khorchide und von Stosch untersuchen Jesus im Koran
Zwei Männer proben die Revolution. Nicht die Weltrevolution, aber immerhin einen Umsturz im Verhältnis von Christentum und Islam. Der eine ist Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, der andere Klaus von Stosch, Professor für systematische katholische Theologie an der Universität Paderborn. Sie haben gemeinsam ein Buch über Jesus im Koran geschrieben. Revolutionär ist dabei zum Ersten der Akt des gemeinsamen Schreibens.
Es hat nicht jeder seinen Text geschrieben: schiedlich-friedliche Perspektiven, die ein Lob der Pluralität nahelegen. Vielmehr haben sie einen Text gemeinsam verantwortet: Ein Christ und ein Muslim einigen sich, was sie über Jesus in der Grundschrift des Islams denken. Das hat es, wenn der Rezensent richtig sieht, bislang noch nicht gegeben.
Was finden die beiden Autoren im Koran? Eine ungeheure Hochschätzung der Person Jesu: Jesus, von dessen Außergewöhnlichkeit die jungfräuliche Geburt durch Maria zeuge; Jesus, der größte vorkoranische Prophet, der den Titel trägt, der auch Mohammed ziert; Jesus, der Freund Gottes, der durch eine einzigartige Nähe zu Gott ausgezeichnet ist; Jesus, das Zeichen Gottes; Jesus, der von Gott nicht im Tod belassen, sondern in den Himmel aufgenommen wurde - eine Art Bestätigung seiner Auferstehung; Jesus, der das gemeinsame Mahl mit seinen Jüngern als Testament hinterlässt.
Fundamentale Unterschiede bleiben natürlich, und die beiden Autoren legen sie auf den Tisch. Jesus mag im Koran über alles hinausragen, was die Religionsgeschichte vor Mohammed kannte, aber eines ist er dort nicht: der Sohn Gottes, der göttliche Christus. Das wäre die Erzhäresie im Koran, das wäre Polytheismus, eine in der muslimischen Tradition todeswürdige Position. Präzise und scharf zieht der Koran die Grenze zwischen christlicher und islamischer Theologie. Und genau hier liegt eine Stärke des Buches: Es hält diese Ambivalenzen aus, sowohl das hohe Lob der Gemeinsamkeiten als auch die schroffen Grenzen der Differenzen.
Im Hintergrund stehen komplexe historische und theologische Überlegungen. Vor allem geht es um eine Frage: Auf welches Christentum traf Mohammed um 600 in Arabien? Khorchide und von Stosch sehen hier ein "miaphysitisches" Christentum dominieren, welches die Göttlichkeit Jesu betonte und seine Menschlichkeit relativierte. Mit einem (zu stark) göttlich gedeuteten Jesus stand für Mohammed ein christlicher Polytheismus im Raum. Damit öffnen die Autoren die Büchse der Pandora für den christlich-islamischen Dialog: In welchem Ausmaß treffen eigentlich die Ablehnungen christlicher Positionen im Koran die heutigen evangelischen, römischen oder orthodoxen Traditionen, die beanspruchen, Menschlichkeit und Göttlichkeit Jesu zusammenzuhalten?
Aber es gibt noch eine zweite Revolution in diesem Gemeinschaftstext, und an der arbeitet vor allen Dingen Klaus von Stosch: Wenn der Koran eine überzogene Vergöttlichung Jesu korrigiert, wenn er überhaupt so verständnisvoll von Jesus spricht, hat er damit auch eine Offenbarungsqualität für Christen? Von Stosch sagt vorsichtig ja und benennt zugleich klare Grenzen, etwa beim Leiden Jesu, mit dem der Koran Probleme hat.
Mit dieser Wertschätzung des Korans spielt er einen heiklen Ball in das Feld der Theologie. Das klingt nach einem Bruch mit der Tradition. Aber er kann sich auf eine katholische Theologie berufen, die glaubt, dass sich Gottes Nähe in jedem Menschen, also auch in Mohammed, zeigen kann, und er könnte auf das Zweite Vatikanische Konzil verweisen, welches "nichts von alledem ablehnt", was dem Islam "wahr und heilig" ist.
Aber auch viele Muslime müssten wohl tief durchatmen, dies wäre vielleicht eine dritte Revolution. Wie weit ist die theologische Auffassung angemessen, die sich durch die islamische Theologie zieht: Christen hätten die Offenbarung veruntreut? Historisch-kritisch ist dies ohnehin nicht mit unseren Kenntnissen über die Entstehung der christlichen Bibel kompatibel. Khorchide und von Stosch thematisieren Folgen für den Islam nur in Andeutungen, das ist auch nicht das Thema ihres Buches. Gleichwohl stellt sich eine Frage: Müssen Muslime das Neue Testament lesen, um den Koran besser zu verstehen? Insbesondere, da der Koran an vielen Stellen dessen Kenntnis voraussetzt?
Nur ein Manko hat dieses Buch: Es wendet sich an "Christen", die ihren Glauben "durch eine Auseinandersetzung mit dem Koran vertiefen und reinigen" wollen. Aber es traktiert gutwillige Leser und Leserinnen immer wieder und oft ohne Not mit schwer verständlichen Begriffen aus der Theologie. Doch wer durchhält, wird mit anregenden Thesen reich belohnt.
HELMUT ZANDER
Mouhanad Khorchide
und Klaus von Stosch:
"Der andere Prophet".
Jesus im Koran.
Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2018. 320 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Khorchide und von Stosch untersuchen Jesus im Koran
Zwei Männer proben die Revolution. Nicht die Weltrevolution, aber immerhin einen Umsturz im Verhältnis von Christentum und Islam. Der eine ist Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, der andere Klaus von Stosch, Professor für systematische katholische Theologie an der Universität Paderborn. Sie haben gemeinsam ein Buch über Jesus im Koran geschrieben. Revolutionär ist dabei zum Ersten der Akt des gemeinsamen Schreibens.
Es hat nicht jeder seinen Text geschrieben: schiedlich-friedliche Perspektiven, die ein Lob der Pluralität nahelegen. Vielmehr haben sie einen Text gemeinsam verantwortet: Ein Christ und ein Muslim einigen sich, was sie über Jesus in der Grundschrift des Islams denken. Das hat es, wenn der Rezensent richtig sieht, bislang noch nicht gegeben.
Was finden die beiden Autoren im Koran? Eine ungeheure Hochschätzung der Person Jesu: Jesus, von dessen Außergewöhnlichkeit die jungfräuliche Geburt durch Maria zeuge; Jesus, der größte vorkoranische Prophet, der den Titel trägt, der auch Mohammed ziert; Jesus, der Freund Gottes, der durch eine einzigartige Nähe zu Gott ausgezeichnet ist; Jesus, das Zeichen Gottes; Jesus, der von Gott nicht im Tod belassen, sondern in den Himmel aufgenommen wurde - eine Art Bestätigung seiner Auferstehung; Jesus, der das gemeinsame Mahl mit seinen Jüngern als Testament hinterlässt.
Fundamentale Unterschiede bleiben natürlich, und die beiden Autoren legen sie auf den Tisch. Jesus mag im Koran über alles hinausragen, was die Religionsgeschichte vor Mohammed kannte, aber eines ist er dort nicht: der Sohn Gottes, der göttliche Christus. Das wäre die Erzhäresie im Koran, das wäre Polytheismus, eine in der muslimischen Tradition todeswürdige Position. Präzise und scharf zieht der Koran die Grenze zwischen christlicher und islamischer Theologie. Und genau hier liegt eine Stärke des Buches: Es hält diese Ambivalenzen aus, sowohl das hohe Lob der Gemeinsamkeiten als auch die schroffen Grenzen der Differenzen.
Im Hintergrund stehen komplexe historische und theologische Überlegungen. Vor allem geht es um eine Frage: Auf welches Christentum traf Mohammed um 600 in Arabien? Khorchide und von Stosch sehen hier ein "miaphysitisches" Christentum dominieren, welches die Göttlichkeit Jesu betonte und seine Menschlichkeit relativierte. Mit einem (zu stark) göttlich gedeuteten Jesus stand für Mohammed ein christlicher Polytheismus im Raum. Damit öffnen die Autoren die Büchse der Pandora für den christlich-islamischen Dialog: In welchem Ausmaß treffen eigentlich die Ablehnungen christlicher Positionen im Koran die heutigen evangelischen, römischen oder orthodoxen Traditionen, die beanspruchen, Menschlichkeit und Göttlichkeit Jesu zusammenzuhalten?
Aber es gibt noch eine zweite Revolution in diesem Gemeinschaftstext, und an der arbeitet vor allen Dingen Klaus von Stosch: Wenn der Koran eine überzogene Vergöttlichung Jesu korrigiert, wenn er überhaupt so verständnisvoll von Jesus spricht, hat er damit auch eine Offenbarungsqualität für Christen? Von Stosch sagt vorsichtig ja und benennt zugleich klare Grenzen, etwa beim Leiden Jesu, mit dem der Koran Probleme hat.
Mit dieser Wertschätzung des Korans spielt er einen heiklen Ball in das Feld der Theologie. Das klingt nach einem Bruch mit der Tradition. Aber er kann sich auf eine katholische Theologie berufen, die glaubt, dass sich Gottes Nähe in jedem Menschen, also auch in Mohammed, zeigen kann, und er könnte auf das Zweite Vatikanische Konzil verweisen, welches "nichts von alledem ablehnt", was dem Islam "wahr und heilig" ist.
Aber auch viele Muslime müssten wohl tief durchatmen, dies wäre vielleicht eine dritte Revolution. Wie weit ist die theologische Auffassung angemessen, die sich durch die islamische Theologie zieht: Christen hätten die Offenbarung veruntreut? Historisch-kritisch ist dies ohnehin nicht mit unseren Kenntnissen über die Entstehung der christlichen Bibel kompatibel. Khorchide und von Stosch thematisieren Folgen für den Islam nur in Andeutungen, das ist auch nicht das Thema ihres Buches. Gleichwohl stellt sich eine Frage: Müssen Muslime das Neue Testament lesen, um den Koran besser zu verstehen? Insbesondere, da der Koran an vielen Stellen dessen Kenntnis voraussetzt?
Nur ein Manko hat dieses Buch: Es wendet sich an "Christen", die ihren Glauben "durch eine Auseinandersetzung mit dem Koran vertiefen und reinigen" wollen. Aber es traktiert gutwillige Leser und Leserinnen immer wieder und oft ohne Not mit schwer verständlichen Begriffen aus der Theologie. Doch wer durchhält, wird mit anregenden Thesen reich belohnt.
HELMUT ZANDER
Mouhanad Khorchide
und Klaus von Stosch:
"Der andere Prophet".
Jesus im Koran.
Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2018. 320 S., geb., 28,- [Euro].
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