Gut und Böse"Ich zeigte, wie der Teufel in unseren Schöpfungen - das ist der Anteil des "Geistes der stets verneint" und ohne den wir wie Affen wären - am Werk ist, aber auch in der Entschaffung, der zunehmenden Herrschaft der Zwangsläufigkeiten nur unserer kraftlosen Freiheiten wegen."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.1999Doktor Woody Faustus
Denis de Rougemont über den großen Anteil des Teufels
Zu Beginn des fünften Jahrhunderts trat in der jungen Christenheit eine nach dem britischen Mönch Pelagius benannte Häresie hervor, die die Erbsünde leugnete, die natürlichen Kräfte des Menschen zur Erlangung der Seligkeit für ausreichend und die göttliche Gnade in letzter Konsequenz für entbehrlich hielt. Die Zurückweisung des "Pelagianismus" durch Augustin und seine Verdammung durch das Konzil von Ephesos im Jahr 431 hat im christlichen Denken ein theologisches Perpetuum mobile installiert. Seit der Reformation und der Aufklärung bis zur Modernismuskrise zu Beginn unseres Jahrhunderts, bis zu den pantheistischen Lehren Teilhard de Chardins oder der Theologie Paul Tillichs pendelt es unentschieden zwischen dem weltbejahenden Glauben an eine unbegrenzte Verbesserungsfähigkeit des Menschen und der skeptischen Befürchtung, das Böse möchte eine letzte und nichthintergehbare Instanz sein, von der wir uns aus eigener Kraft nicht erlösen können. Geheimes Thema dieser unterschwelligen Debatte ist die Frage, ob es den Teufel gibt.
Aus nahe liegenden historischen Gründen ist diese Frage zuletzt in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts von Europäern in "God's own country", im amerikanischen Exil nämlich, bejaht worden. Thomas Mann hat den Teufel als den eigentlichen Helden seines großen Deutschland-Romans "Doktor Faustus" zu einer veritablen literarischen Figur gemacht. Dass die vollends aufgeklärte Erde im Zeichen triumphalen Unheils strahle, behauptet jene berühmt-diabolische Sentenz, die Horkheimer und Adorno 1944 im ersten Kapitel der "Dialektik der Aufklärung" über dem Eingang zu ihrer theoretischen Höllenfahrt befestigt haben. In denselben Jahren schrieb in New York der junge Genfer Philosoph Denis de Rougemont an seinem Essay "Der Anteil des Teufels", einem Buch, das nicht nur aufgrund der katholischen Härte seiner Gedankenführung unvergleichlich ist, sondern auch durch den stilistischen Glanz, den die französischsprachige Tradition - in Gegensatz zur deutschen - der Gattung des Essays erlaubt und ermöglicht.
Daß es sich jetzt wieder eines Interesses auch in Deutschland erfreuen kann, scheint vorrangig keine spezifisch literarischen Gründe zu haben. Seit einiger Zeit erscheinen Bücher, die bereits in ihrem Titel - spielerisch, aber ernst zu nehmend - eine der wesentlichen Errungenschaften der Säkularisierung zurücknehmen, jene Abstraktionsbewegung nämlich, die Gott, Teufel und andere mythische Personen des christlichen Glaubens während der letzten Jahrhunderte schrittweise in abstrakte Konzepte verflüchtigt hat. So erschien 1995 Jack Miles' auch in Deutschland sehr bekannt gewordenes Buch "God. A biography", gefolgt 1996 von Peter Standfords "The devil. A biography", und Adolf Holl legte 1997 unter dem Titel "Die linke Hand Gottes" seine schöne "Biographie des Heiligen Geistes" vor. Zweitausend Jahre nach der Fleischwerdung des Transzendenten scheint sich seine Buchwerdung zu ereignen: ein Symptom millennarischer Erregung, das - nebenbei bemerkt - die Belletristik schon seit einiger Zeit ergriffen hat. Ian McEvans merkwürdiger und denkwürdiger Roman-Traktat "Black dogs" (1992) sei als nur ein Beispiel der literarischen Sehnsucht nach religiöser Entsublimierung erwähnt.
Über Denis de Rougemonts Buch "Der Anteil des Teufels" kann man sich als moderner Mensch schrecklich ärgern; ohne Zweifel ist de Rougemont ein konventioneller, auch reaktionärer Katholik gewesen, und seine Passagen über das Wesen der Frau, aber auch die Jeremiaden über die mit der weiblichen Verderbtheit und Verführbarkeit im Bunde stehende Konsumgesellschaft, über die Moderne überhaupt, sind lieblos und gedankenlos zusammengeschusterte Ladenhüter aus den Arsenalen des unsterblichen Kulturpessimismus. Es wäre demgegenüber daran zu erinnern, daß Rimbauds seltsam-prophetische Maxime "Il faut être absolument moderne" von 1873 auf der letzten Seite eines Prosagedichts mit dem Titel "Une saison en enfer" steht. Denn sogar wenn die Moderne wirklich die Hölle wäre: Sie bliebe unser Schicksal.
Bemerkenswert dagegen ist de Rougemonts Traktat überall da, wo sein Verfasser die theologischen Forderungen und Unterscheidungen nicht in der Manier des kulturpessimistischen Mahners und Warners der Moderne entgegenhält, sondern daran erinnert, wie viele von ihnen geradewegs in deren zentrale Selbstverständigungsmetaphern eingewandert sind. Man spürt in jenen Passagen seines Texts, dass de Rougemont nicht nur leidenschaftlicher Katholik gewesen ist, sondern auch ein führender Exponent jener Europa-Idee, zu der einem heute meist nur die Stichworte "Butterberg", "Edith Cresson" und "Korruption" einfallen, während sie seit Novalis in Wirklichkeit vor allem die Züge einer romantisch-christlichen Utopie getragen hat. "Das Denken des Okzidents und sein Wortschatz", schreibt de Rougemont, "sind aus den großen theologischen Debatten der ersten Kirche geboren. Unsere Musik, unsere Bildhauerei, unsere Malerei sind im Chor der Kirchen geboren, während unsere Poetik in der Atmosphäre der manichäischen Sekten entstand. Sogar die großen modernen Philosophien: Descartes und Kant, Hegel, Auguste Comte und Marx, sind ursprünglich theologische Stellungnahmen gewesen. Die Theologie ignorieren heißt mit der fruchtbarsten Tradition der abendländischen Kultur brechen. Das heißt also, sich dazu zu verurteilen, ohne es zu wissen, die seit mehr als 1500 Jahren durch die Kirchenväter und die großen Häretiker in Form gebrachten geistigen Entdeckungen noch einmal zu machen."
Walter Benjamin hat das Verhältnis der Theologie zur modernen Geschichtsphilosophie im Denkbild eines Schachautomaten gefasst, dessen angeblich völlig mechanisches Innere in Wirklichkeit einen schachkundigen Zwerg verbirgt. "Gewinnen soll immer die Puppe, die man ,Historischen Materialismus' nennt. Sie kann es ohne weiteres mit jedem aufnehmen, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, die heute bekanntlich klein und hässlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen." Im Sinne dieses Denkbilds hat Denis de Rougemont den mittelalterlichen Teufel als das bucklicht Männlein im intellektuellen Drama der Moderne dingfest gemacht.
Unerkennbarkeit gehört traditionell zu seinen bezeichnendsten Wesenszügen. In der Neuzeit zumal kann er sich am wirksamsten in seinem eigenen Bild verstecken. Der verführerisch grinsende Gehörnte ist als ironisch verwendete Pathosformel in der Kunst, in der Werbung, in der Popmusik allgegenwärtig. "Die schönste List des Teufels ist, dass er uns überzeugt, er existiere nicht", schrieb der Satanist Baudelaire und fasste damit die klassischen theologischen Bestimmungen des Bösen zusammen: Verstellung, Weltläufigkeit, Verführung und die Fähigkeit, in der Fülle der Erscheinungen gleichsam unterzugehen, sich auf der Oberfläche der Welt zu verstecken.
Zu den eindrucksvollsten Passagen in "Der Anteil des Teufels" gehört deshalb das Kapitel "Legion". Der biblische Topos, daß es nicht nur viele Teufel in derselben Person gibt, sondern daß der Teufel "ebenso viele Aspekte annehmen kann, als es Individuen auf der Welt gibt, auch wenn er nur einer ist", wird zu einer überraschend modernen Theorie aller pathologischen Risiken moderner Individuation. In ihren Wendungen und Absurditäten, Komödien und Tragödien "spielt der Teufel mit dem Schrecken, den uns der Gedanke verursacht, uns für unser Leben verantwortlich zu bekennen". Woody Doktor Faustus Allen.
Der katholische Philosoph bestreitet freilich, dass es dem modernen Bewusstsein im Zweifelsfall und unter dem Druck übermächtiger politischer Instanzen möglich ist, sich einer Selbstermächtigung zum Bösen zu entschlagen, ohne auf wie auch immer sublimierte Restbestände der christlichen Kategorien Sünde und Gnade zurückzugreifen. Und auch die fast unzähligen Wahlmöglichkeiten, die dem von Ulrich Beck so emphatisch besungenen "eigenen Leben" in der Moderne zur Verfügung stehen, kann ein konsequent katholisches Denken wie das Denis de Rougemonts einleuchtend als Wiederaufführungen der biblischen Geschichte vom Sündenfall deuten, jener Geschichte von der notwendig falschen Wahl, deren Konsequenzen getragen werden müssen und angesichts deren die Menschen angewiesen sind auf eine Rettung, die in der ursprünglichen Wahl nicht angelegt war.
Denis de Rougemenonts Buch ist für einen nichtkatholischen Leser auch deshalb interessant, weil es einem bewusstmacht, dass die "weltlichen" Bilder der Erlösung - die kommunikative Vernunft, der gesunde Menschenverstand, die Zivilgesellschaft, der psychoanalytische Heilungsprozess - ihre Kraft aus der Erinnerung an jenen übervernünftigen Rettungsakt schöpfen, der als "Gnade" einmal eine allgemein geteilte intersubjektive Wirklichkeit war. "Die bannende Kraft des Heiligen wird zur bindenden Kraft kritisierbarer Geltungsansprüche zugleich sublimiert und veralltäglicht" (Jürgen Habermas). Sublimation und Veralltäglichung - damit sind freilich auch die unverzichtbaren Mittel weltlichen Abwehrzaubers benannt, die aus dem sehr wörtlich katholisch gemeinten Teufel in de Rougemonts Buch ein zugängliches und weiterführendes Denkbild und seinen brillanten Traktat zu einem auch nur erträglichen Buch machen.
Denn auf manchen dieser Seiten kann man den Skandal, den ernst gemeintes christliches Denken dem modernen Bewusstsein bedeutet, als eine fast körperliche Qual verspüren. Der Teufel ist schon im neunzehnten Jahrhundert unwiderruflich eine Metapher - und wir alle Pelagianer geworden. Il faut être absolument moderne. Helfen können wir Modernen uns andererseits freilich auch nicht: Der Teufel bleibt faszinierend, auch nach der pelagianischen Sublimationskur, die wir ihm haben angedeihen lassen. In seinem Nachwort von 1982 erzählt Denis de Rougemont von einem telepathisch-metaphysischen Gesellschaftsspiel in der surrealistischen Tradition, das er eines Abends im Kreis seiner Mitarbeiter im "Centre européen de la culture" gespielt hat. Jeder Teilnehmer schreibt eine Frage und eine Antwort auf ein Blatt, danach werden alle gemischt und in neuer Reihenfolge vorgelesen. "Einer von uns hatte geschrieben: ,Was geschähe, wenn der Teufel dieses Zimmer beträte?' Der Partner las seine Antwort vor: ,Alle Lichter würden ausgehen.' Und alle Lichter gingen aus."
STEPHAN WACKWITZ.
Denis de Rougemont: "Der Anteil des Teufels". Aus dem Französischen übersetzt von Josef Ziwutschka und Elena Kapralik. Matthes & Seitz Verlag, München 1999. 200 S., geb., 46,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Denis de Rougemont über den großen Anteil des Teufels
Zu Beginn des fünften Jahrhunderts trat in der jungen Christenheit eine nach dem britischen Mönch Pelagius benannte Häresie hervor, die die Erbsünde leugnete, die natürlichen Kräfte des Menschen zur Erlangung der Seligkeit für ausreichend und die göttliche Gnade in letzter Konsequenz für entbehrlich hielt. Die Zurückweisung des "Pelagianismus" durch Augustin und seine Verdammung durch das Konzil von Ephesos im Jahr 431 hat im christlichen Denken ein theologisches Perpetuum mobile installiert. Seit der Reformation und der Aufklärung bis zur Modernismuskrise zu Beginn unseres Jahrhunderts, bis zu den pantheistischen Lehren Teilhard de Chardins oder der Theologie Paul Tillichs pendelt es unentschieden zwischen dem weltbejahenden Glauben an eine unbegrenzte Verbesserungsfähigkeit des Menschen und der skeptischen Befürchtung, das Böse möchte eine letzte und nichthintergehbare Instanz sein, von der wir uns aus eigener Kraft nicht erlösen können. Geheimes Thema dieser unterschwelligen Debatte ist die Frage, ob es den Teufel gibt.
Aus nahe liegenden historischen Gründen ist diese Frage zuletzt in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts von Europäern in "God's own country", im amerikanischen Exil nämlich, bejaht worden. Thomas Mann hat den Teufel als den eigentlichen Helden seines großen Deutschland-Romans "Doktor Faustus" zu einer veritablen literarischen Figur gemacht. Dass die vollends aufgeklärte Erde im Zeichen triumphalen Unheils strahle, behauptet jene berühmt-diabolische Sentenz, die Horkheimer und Adorno 1944 im ersten Kapitel der "Dialektik der Aufklärung" über dem Eingang zu ihrer theoretischen Höllenfahrt befestigt haben. In denselben Jahren schrieb in New York der junge Genfer Philosoph Denis de Rougemont an seinem Essay "Der Anteil des Teufels", einem Buch, das nicht nur aufgrund der katholischen Härte seiner Gedankenführung unvergleichlich ist, sondern auch durch den stilistischen Glanz, den die französischsprachige Tradition - in Gegensatz zur deutschen - der Gattung des Essays erlaubt und ermöglicht.
Daß es sich jetzt wieder eines Interesses auch in Deutschland erfreuen kann, scheint vorrangig keine spezifisch literarischen Gründe zu haben. Seit einiger Zeit erscheinen Bücher, die bereits in ihrem Titel - spielerisch, aber ernst zu nehmend - eine der wesentlichen Errungenschaften der Säkularisierung zurücknehmen, jene Abstraktionsbewegung nämlich, die Gott, Teufel und andere mythische Personen des christlichen Glaubens während der letzten Jahrhunderte schrittweise in abstrakte Konzepte verflüchtigt hat. So erschien 1995 Jack Miles' auch in Deutschland sehr bekannt gewordenes Buch "God. A biography", gefolgt 1996 von Peter Standfords "The devil. A biography", und Adolf Holl legte 1997 unter dem Titel "Die linke Hand Gottes" seine schöne "Biographie des Heiligen Geistes" vor. Zweitausend Jahre nach der Fleischwerdung des Transzendenten scheint sich seine Buchwerdung zu ereignen: ein Symptom millennarischer Erregung, das - nebenbei bemerkt - die Belletristik schon seit einiger Zeit ergriffen hat. Ian McEvans merkwürdiger und denkwürdiger Roman-Traktat "Black dogs" (1992) sei als nur ein Beispiel der literarischen Sehnsucht nach religiöser Entsublimierung erwähnt.
Über Denis de Rougemonts Buch "Der Anteil des Teufels" kann man sich als moderner Mensch schrecklich ärgern; ohne Zweifel ist de Rougemont ein konventioneller, auch reaktionärer Katholik gewesen, und seine Passagen über das Wesen der Frau, aber auch die Jeremiaden über die mit der weiblichen Verderbtheit und Verführbarkeit im Bunde stehende Konsumgesellschaft, über die Moderne überhaupt, sind lieblos und gedankenlos zusammengeschusterte Ladenhüter aus den Arsenalen des unsterblichen Kulturpessimismus. Es wäre demgegenüber daran zu erinnern, daß Rimbauds seltsam-prophetische Maxime "Il faut être absolument moderne" von 1873 auf der letzten Seite eines Prosagedichts mit dem Titel "Une saison en enfer" steht. Denn sogar wenn die Moderne wirklich die Hölle wäre: Sie bliebe unser Schicksal.
Bemerkenswert dagegen ist de Rougemonts Traktat überall da, wo sein Verfasser die theologischen Forderungen und Unterscheidungen nicht in der Manier des kulturpessimistischen Mahners und Warners der Moderne entgegenhält, sondern daran erinnert, wie viele von ihnen geradewegs in deren zentrale Selbstverständigungsmetaphern eingewandert sind. Man spürt in jenen Passagen seines Texts, dass de Rougemont nicht nur leidenschaftlicher Katholik gewesen ist, sondern auch ein führender Exponent jener Europa-Idee, zu der einem heute meist nur die Stichworte "Butterberg", "Edith Cresson" und "Korruption" einfallen, während sie seit Novalis in Wirklichkeit vor allem die Züge einer romantisch-christlichen Utopie getragen hat. "Das Denken des Okzidents und sein Wortschatz", schreibt de Rougemont, "sind aus den großen theologischen Debatten der ersten Kirche geboren. Unsere Musik, unsere Bildhauerei, unsere Malerei sind im Chor der Kirchen geboren, während unsere Poetik in der Atmosphäre der manichäischen Sekten entstand. Sogar die großen modernen Philosophien: Descartes und Kant, Hegel, Auguste Comte und Marx, sind ursprünglich theologische Stellungnahmen gewesen. Die Theologie ignorieren heißt mit der fruchtbarsten Tradition der abendländischen Kultur brechen. Das heißt also, sich dazu zu verurteilen, ohne es zu wissen, die seit mehr als 1500 Jahren durch die Kirchenväter und die großen Häretiker in Form gebrachten geistigen Entdeckungen noch einmal zu machen."
Walter Benjamin hat das Verhältnis der Theologie zur modernen Geschichtsphilosophie im Denkbild eines Schachautomaten gefasst, dessen angeblich völlig mechanisches Innere in Wirklichkeit einen schachkundigen Zwerg verbirgt. "Gewinnen soll immer die Puppe, die man ,Historischen Materialismus' nennt. Sie kann es ohne weiteres mit jedem aufnehmen, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, die heute bekanntlich klein und hässlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen." Im Sinne dieses Denkbilds hat Denis de Rougemont den mittelalterlichen Teufel als das bucklicht Männlein im intellektuellen Drama der Moderne dingfest gemacht.
Unerkennbarkeit gehört traditionell zu seinen bezeichnendsten Wesenszügen. In der Neuzeit zumal kann er sich am wirksamsten in seinem eigenen Bild verstecken. Der verführerisch grinsende Gehörnte ist als ironisch verwendete Pathosformel in der Kunst, in der Werbung, in der Popmusik allgegenwärtig. "Die schönste List des Teufels ist, dass er uns überzeugt, er existiere nicht", schrieb der Satanist Baudelaire und fasste damit die klassischen theologischen Bestimmungen des Bösen zusammen: Verstellung, Weltläufigkeit, Verführung und die Fähigkeit, in der Fülle der Erscheinungen gleichsam unterzugehen, sich auf der Oberfläche der Welt zu verstecken.
Zu den eindrucksvollsten Passagen in "Der Anteil des Teufels" gehört deshalb das Kapitel "Legion". Der biblische Topos, daß es nicht nur viele Teufel in derselben Person gibt, sondern daß der Teufel "ebenso viele Aspekte annehmen kann, als es Individuen auf der Welt gibt, auch wenn er nur einer ist", wird zu einer überraschend modernen Theorie aller pathologischen Risiken moderner Individuation. In ihren Wendungen und Absurditäten, Komödien und Tragödien "spielt der Teufel mit dem Schrecken, den uns der Gedanke verursacht, uns für unser Leben verantwortlich zu bekennen". Woody Doktor Faustus Allen.
Der katholische Philosoph bestreitet freilich, dass es dem modernen Bewusstsein im Zweifelsfall und unter dem Druck übermächtiger politischer Instanzen möglich ist, sich einer Selbstermächtigung zum Bösen zu entschlagen, ohne auf wie auch immer sublimierte Restbestände der christlichen Kategorien Sünde und Gnade zurückzugreifen. Und auch die fast unzähligen Wahlmöglichkeiten, die dem von Ulrich Beck so emphatisch besungenen "eigenen Leben" in der Moderne zur Verfügung stehen, kann ein konsequent katholisches Denken wie das Denis de Rougemonts einleuchtend als Wiederaufführungen der biblischen Geschichte vom Sündenfall deuten, jener Geschichte von der notwendig falschen Wahl, deren Konsequenzen getragen werden müssen und angesichts deren die Menschen angewiesen sind auf eine Rettung, die in der ursprünglichen Wahl nicht angelegt war.
Denis de Rougemenonts Buch ist für einen nichtkatholischen Leser auch deshalb interessant, weil es einem bewusstmacht, dass die "weltlichen" Bilder der Erlösung - die kommunikative Vernunft, der gesunde Menschenverstand, die Zivilgesellschaft, der psychoanalytische Heilungsprozess - ihre Kraft aus der Erinnerung an jenen übervernünftigen Rettungsakt schöpfen, der als "Gnade" einmal eine allgemein geteilte intersubjektive Wirklichkeit war. "Die bannende Kraft des Heiligen wird zur bindenden Kraft kritisierbarer Geltungsansprüche zugleich sublimiert und veralltäglicht" (Jürgen Habermas). Sublimation und Veralltäglichung - damit sind freilich auch die unverzichtbaren Mittel weltlichen Abwehrzaubers benannt, die aus dem sehr wörtlich katholisch gemeinten Teufel in de Rougemonts Buch ein zugängliches und weiterführendes Denkbild und seinen brillanten Traktat zu einem auch nur erträglichen Buch machen.
Denn auf manchen dieser Seiten kann man den Skandal, den ernst gemeintes christliches Denken dem modernen Bewusstsein bedeutet, als eine fast körperliche Qual verspüren. Der Teufel ist schon im neunzehnten Jahrhundert unwiderruflich eine Metapher - und wir alle Pelagianer geworden. Il faut être absolument moderne. Helfen können wir Modernen uns andererseits freilich auch nicht: Der Teufel bleibt faszinierend, auch nach der pelagianischen Sublimationskur, die wir ihm haben angedeihen lassen. In seinem Nachwort von 1982 erzählt Denis de Rougemont von einem telepathisch-metaphysischen Gesellschaftsspiel in der surrealistischen Tradition, das er eines Abends im Kreis seiner Mitarbeiter im "Centre européen de la culture" gespielt hat. Jeder Teilnehmer schreibt eine Frage und eine Antwort auf ein Blatt, danach werden alle gemischt und in neuer Reihenfolge vorgelesen. "Einer von uns hatte geschrieben: ,Was geschähe, wenn der Teufel dieses Zimmer beträte?' Der Partner las seine Antwort vor: ,Alle Lichter würden ausgehen.' Und alle Lichter gingen aus."
STEPHAN WACKWITZ.
Denis de Rougemont: "Der Anteil des Teufels". Aus dem Französischen übersetzt von Josef Ziwutschka und Elena Kapralik. Matthes & Seitz Verlag, München 1999. 200 S., geb., 46,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main