Die bewegenden Aufzeichnungen einer Frau über ihr Leben während der Weltwirtschaftskrise in Amerika. Für die junge Kitty Robertson nimmt das Leben Anfang der dreißiger Jahre eine unerwartete Wende, als sie, ganz auf sich allein gestellt, die heruntergekommene Apfelfarm ihres verstorbenen Vaters in Neuengland übernimmt. Schulden, verrottete Landmaschinen, ein altes Haus - das ist ihr Startkapital. Jeder Tag ist ein Kampf, aber trotz allem läßt Kitty sich nicht entmutigen. Sie ist eine Frau, die ihr Schicksal couragiert in die Hand nimmt und die jeden Moment ihrer Unabhängigkeit genießt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.1998Schlafender Hund auf der Decke
Es ist Erntezeit: Adele Crockett Robertsons "Apfelgarten"
Eden liegt schon einige Zeit zurück, doch die Menschen können es nicht lassen, in Gemüsebeeten und zwischen Rosensträuchern nach dem Paradies zu graben. Wer zur Harke greift, dem wächst der Garten bereits im Kopf. In Adele Crockett Robertsons autobiographischem Bericht "Der Apfelgarten" sind es die Erinnerungen an die geglückte Kindheit, die sie zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten, 1932, die Entscheidung treffen lassen, nach dem Tode ihres Vaters auf die Farm mit der kleinen Obstplantage nördlich von Boston zurückzukehren. Sie will das Anwesen bewirtschaften - gegen den Widerstand ihrer Brüder, die das Unternehmen unter Schulden zugrunde gehen sehen.
Der geliebte Familiensitz, bei ihrer Ankunft völlig verlassen, ein 1790 erbautes, von einer Ulme und einer Linde überschattetes Gebäude, erhebt sich auf einer weitläufigen Landzunge, einst eine Gletschermoräne, die "wie ein schlafender Hund auf der grünen Decke der Marsch zusammengerollt lag". Das will die junge Frau bewahren. Den Strom der Zeit, kann sie ihn schon nicht aufhalten, will sie vorbeileiten an dem elterlichen Heim, dem letzten Bindeglied der über das Land zerstreuten Geschwister. So einfach stellt sie sich das vor: Die Plantage flottmachen. Große Ernten einfahren. Die Hypothek abzahlen. Und Weihnachten träfen sich dann alle wieder vor dem Kamin. Dafür gibt Adele Crockett, wie sie damals hieß, ihre Stelle an einem Museum in Connecticut auf, ohne zu zögern, als gäbe es um sie herum keine Arbeitslosigkeit. Letztlich wird die Einunddreißigjährige mit ihrem Plan scheitern. Doch von ihrem Willen, den Furien des Verschwindens zu trotzen, lebt eine genaue, ungebeugte Prosa.
Auf den ersten Seiten der Erzählung erinnert sich Adele Crockett Robertson, daß ihr Vater stets davon bedroht gewesen sei, blind zu werden. Deshalb habe er täglich sein "inneres Auge" geschult und diese Neigung an die Tochter vererbt: "Auch ich übte das Sehen, und als Belohnung konnte ich mir jederzeit Gesichter und sogar ganze Szenen aus längst vergangenen Jahren in Erinnerung rufen." Aus dieser Begabung wachsen sicher formulierte, unsentimentale Beobachtungen, die Pfirsichknospen sezieren und detailliert den mechanischen Tücken eines Spritzgerätes nachgehen. Sie führen den Leser in den Mikrokosmos der Farm. Die Außenwelt schrumpft zur bloßen Randbemerkung. Die Ereignisse auf der Plantage jedoch werden überlebensgroß. Die kleinen Verwerfungen des Alltags werden zu Erdbeben. Zurückgekommen an die Stätte ihrer Geburt, ist es, als wäre Adele Crockett wieder ein Kind, für das nur existiert, was ringsumher geschieht.
Doch das Welttheater im Puppenkistenformat kann nicht währen. Nach zwei Jahren ist die Privatvorstellung zu Ende. Zu sehr hing die Existenz Crocketts vom Erfolg einer einzigen Ernte ab, zu sehr die Ernte von den Launen des Wetters. Eine verirrte schwarze Wolke, die Hagel bringt, eine klirrende Kälteperiode, die Äpfel in den Kellern in ihren Kisten gefrieren läßt, schon fällt der Vorhang. Adele Crockett wollte das Vergangene fortsetzen, wie sie Erinnerungen vor ihr geistiges Auge zitieren konnte - mit bloßem Willen. Der trägt auch die Erzählung.
Eines Tages fährt in ihrem Hof der Wagen eines alten Ehepaars vor. Der Mann hatte als Junge noch vor dem amerikanischen Bürgerkrieg mit seinen Cousins auf der Farm gespielt, sein Urgroßvater ihm vom Bau des Hauses erzählt. Auf die Bitte Adele Crocketts hin erinnert auch er sich. In einem Brief schreibt er ihr von dem harten Winter 1850, als Granitsteine zum Bau eines nahe gelegenen Hauses über die gefrorene Bucht gebracht wurden. Im Frühjahr brach das Eis unter dem Kastenschlitten, eine Frau kam um. Adele Crockett kennt die Steine, die sie als Kind oft von einem Boot aus durch das klare Wasser seegrasüberwuchert gesehen hatte. Ein solcher Winter kehrt wieder. Zu Beginn des Jahres 1934 beendet eine Woche bis in die letzten Ritzen dringenden Frosts den Aufstand der Gärtnerin.
Die goldenen Äpfel des Lebens konnte Adele Crockett nicht pflücken. Als sie Jahre später auf Arbeitssuche war, notierte sie das kleinformatige Abenteuer in ihrer freien Zeit, führte die Niederschrift aber nicht ganz zu Ende. Als sie ihren Bericht fast zum Abschluß gebracht hatte, mag sie erkannt haben, wie vergeblich es sein kann, die verlorene Zeit zu beschwören. Es gab Besseres zu tun. Nach ihrem Tod im Jahre 1979 fand ihre einzige Tochter den Stapel Seiten unter den Unterlagen ihrer Mutter, las das Manuskript aber erst Jahre später. Was für eine Geschichte! Wäre all das nicht tatsächlich so geschehen, wären dem Buch nicht Fotografien der Farm, Mrs. Crockett Robertsons und ihrer Dogge Freya beigefügt, der Leser könnte meinen, die Erzählung wäre subtil erfunden. Einen Augenblick lang legt er zwar nachdenklich den Kopf zur Seite, wenn er nach der Lektüre, im Vorwort blätternd, liest, daß die Tochter Adele Crockett Robertsons "allen Mitarbeitern von Metropolitan Books" dankt, die "geholfen haben, den Apfelgarten lebendig zu machen". Doch ist das nur ein kurzer Anflug beckmesserischer Zweifel. Auch Mängel der Übersetzung, die englische Begriffe wie "Creeks" oder "Smoker" wörtlich übernimmt, wiegen wenig. Was zählt, sind die geernteten Früchte. HUBERTUS BREUER
Adele Crockett Robertson: "Der Apfelgarten. Erinnerungen einer Glücklichen". Mit einem Vorwort und einem Epilog von Betsy Robertson Cramer. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Matthias Müller. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 255 S., Abb., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist Erntezeit: Adele Crockett Robertsons "Apfelgarten"
Eden liegt schon einige Zeit zurück, doch die Menschen können es nicht lassen, in Gemüsebeeten und zwischen Rosensträuchern nach dem Paradies zu graben. Wer zur Harke greift, dem wächst der Garten bereits im Kopf. In Adele Crockett Robertsons autobiographischem Bericht "Der Apfelgarten" sind es die Erinnerungen an die geglückte Kindheit, die sie zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten, 1932, die Entscheidung treffen lassen, nach dem Tode ihres Vaters auf die Farm mit der kleinen Obstplantage nördlich von Boston zurückzukehren. Sie will das Anwesen bewirtschaften - gegen den Widerstand ihrer Brüder, die das Unternehmen unter Schulden zugrunde gehen sehen.
Der geliebte Familiensitz, bei ihrer Ankunft völlig verlassen, ein 1790 erbautes, von einer Ulme und einer Linde überschattetes Gebäude, erhebt sich auf einer weitläufigen Landzunge, einst eine Gletschermoräne, die "wie ein schlafender Hund auf der grünen Decke der Marsch zusammengerollt lag". Das will die junge Frau bewahren. Den Strom der Zeit, kann sie ihn schon nicht aufhalten, will sie vorbeileiten an dem elterlichen Heim, dem letzten Bindeglied der über das Land zerstreuten Geschwister. So einfach stellt sie sich das vor: Die Plantage flottmachen. Große Ernten einfahren. Die Hypothek abzahlen. Und Weihnachten träfen sich dann alle wieder vor dem Kamin. Dafür gibt Adele Crockett, wie sie damals hieß, ihre Stelle an einem Museum in Connecticut auf, ohne zu zögern, als gäbe es um sie herum keine Arbeitslosigkeit. Letztlich wird die Einunddreißigjährige mit ihrem Plan scheitern. Doch von ihrem Willen, den Furien des Verschwindens zu trotzen, lebt eine genaue, ungebeugte Prosa.
Auf den ersten Seiten der Erzählung erinnert sich Adele Crockett Robertson, daß ihr Vater stets davon bedroht gewesen sei, blind zu werden. Deshalb habe er täglich sein "inneres Auge" geschult und diese Neigung an die Tochter vererbt: "Auch ich übte das Sehen, und als Belohnung konnte ich mir jederzeit Gesichter und sogar ganze Szenen aus längst vergangenen Jahren in Erinnerung rufen." Aus dieser Begabung wachsen sicher formulierte, unsentimentale Beobachtungen, die Pfirsichknospen sezieren und detailliert den mechanischen Tücken eines Spritzgerätes nachgehen. Sie führen den Leser in den Mikrokosmos der Farm. Die Außenwelt schrumpft zur bloßen Randbemerkung. Die Ereignisse auf der Plantage jedoch werden überlebensgroß. Die kleinen Verwerfungen des Alltags werden zu Erdbeben. Zurückgekommen an die Stätte ihrer Geburt, ist es, als wäre Adele Crockett wieder ein Kind, für das nur existiert, was ringsumher geschieht.
Doch das Welttheater im Puppenkistenformat kann nicht währen. Nach zwei Jahren ist die Privatvorstellung zu Ende. Zu sehr hing die Existenz Crocketts vom Erfolg einer einzigen Ernte ab, zu sehr die Ernte von den Launen des Wetters. Eine verirrte schwarze Wolke, die Hagel bringt, eine klirrende Kälteperiode, die Äpfel in den Kellern in ihren Kisten gefrieren läßt, schon fällt der Vorhang. Adele Crockett wollte das Vergangene fortsetzen, wie sie Erinnerungen vor ihr geistiges Auge zitieren konnte - mit bloßem Willen. Der trägt auch die Erzählung.
Eines Tages fährt in ihrem Hof der Wagen eines alten Ehepaars vor. Der Mann hatte als Junge noch vor dem amerikanischen Bürgerkrieg mit seinen Cousins auf der Farm gespielt, sein Urgroßvater ihm vom Bau des Hauses erzählt. Auf die Bitte Adele Crocketts hin erinnert auch er sich. In einem Brief schreibt er ihr von dem harten Winter 1850, als Granitsteine zum Bau eines nahe gelegenen Hauses über die gefrorene Bucht gebracht wurden. Im Frühjahr brach das Eis unter dem Kastenschlitten, eine Frau kam um. Adele Crockett kennt die Steine, die sie als Kind oft von einem Boot aus durch das klare Wasser seegrasüberwuchert gesehen hatte. Ein solcher Winter kehrt wieder. Zu Beginn des Jahres 1934 beendet eine Woche bis in die letzten Ritzen dringenden Frosts den Aufstand der Gärtnerin.
Die goldenen Äpfel des Lebens konnte Adele Crockett nicht pflücken. Als sie Jahre später auf Arbeitssuche war, notierte sie das kleinformatige Abenteuer in ihrer freien Zeit, führte die Niederschrift aber nicht ganz zu Ende. Als sie ihren Bericht fast zum Abschluß gebracht hatte, mag sie erkannt haben, wie vergeblich es sein kann, die verlorene Zeit zu beschwören. Es gab Besseres zu tun. Nach ihrem Tod im Jahre 1979 fand ihre einzige Tochter den Stapel Seiten unter den Unterlagen ihrer Mutter, las das Manuskript aber erst Jahre später. Was für eine Geschichte! Wäre all das nicht tatsächlich so geschehen, wären dem Buch nicht Fotografien der Farm, Mrs. Crockett Robertsons und ihrer Dogge Freya beigefügt, der Leser könnte meinen, die Erzählung wäre subtil erfunden. Einen Augenblick lang legt er zwar nachdenklich den Kopf zur Seite, wenn er nach der Lektüre, im Vorwort blätternd, liest, daß die Tochter Adele Crockett Robertsons "allen Mitarbeitern von Metropolitan Books" dankt, die "geholfen haben, den Apfelgarten lebendig zu machen". Doch ist das nur ein kurzer Anflug beckmesserischer Zweifel. Auch Mängel der Übersetzung, die englische Begriffe wie "Creeks" oder "Smoker" wörtlich übernimmt, wiegen wenig. Was zählt, sind die geernteten Früchte. HUBERTUS BREUER
Adele Crockett Robertson: "Der Apfelgarten. Erinnerungen einer Glücklichen". Mit einem Vorwort und einem Epilog von Betsy Robertson Cramer. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Matthias Müller. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 255 S., Abb., geb., 36,- DM.
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«Der Apfelgarten» ist ein mutiges, poetisches Lebenszeugnis. John Updike