António Lobo Antunes (Jg. 1942) ist neben José Saramago (1922-2010) die wohl wichtigste und bekannteste Stimme der portugiesischen Gegenwartsliteratur. Nun wird der ewige Nobelpreiskandidat siebzig Jahre und der Luchterhand Literaturverlag, wo seine Roman in deutscher Sprache erscheinen, legt
pünktlich zu diesem Jubiläum seinen Roman „Der Archipel der Schlaflosigkeit“ vor.
Wie in seinen…mehrAntónio Lobo Antunes (Jg. 1942) ist neben José Saramago (1922-2010) die wohl wichtigste und bekannteste Stimme der portugiesischen Gegenwartsliteratur. Nun wird der ewige Nobelpreiskandidat siebzig Jahre und der Luchterhand Literaturverlag, wo seine Roman in deutscher Sprache erscheinen, legt pünktlich zu diesem Jubiläum seinen Roman „Der Archipel der Schlaflosigkeit“ vor.
Wie in seinen bisherigen Romanen reflektiert der Autor auch hier die Geschichte und Gesellschaft Portugals im 20. Jahrhundert, dieses Mal eingebettet in eine Familiengeschichte. Antunes entführt den Leser auf ein Landgut in Trafaria, südlich von Lissabon, wo drei Generation einer portugiesischen Familie schon über ein Jahrhundert leben. An ihrem Beispiel erzählt er den Niedergang der alten, autoritären Gesellschaft.
Der Roman beginnt mit der Beerdigung des Großvaters, der als Patriarch das Landgut bis ins hohe Greisenalter geführt hat und das mit rücksichtsloser Härte und gefühlloser Gier, besonders gegen die eigenen Familienmitglieder. In Rückblenden schildert Antunes, wie der überlebensgroße Großvater die Familie regelrecht verachtet und knechtet hat. Mit harter Hand hat sich der gefürchtete Despot genommen, was ihm in den Sinn kam, verging sich an dem Küchenpersonal und beschimpfte den hilflosen Sohn als Idiot und Schwächling.
Trotz der tyrannischen Herrschaft ging die Wirtschaftskraft zurück und das Gut zerfiel langsam. Während der Nelkenrevolution von 1974 wurde es gestürmt und zerstört. Die verarmten Nachkommen vegetieren nur noch in den Trümmern der einstigen Größe. Alle politischen und gesellschaftlichen Veränderungen ihres Landes gehen an ihnen spurlos vorüber. In dem Landgut scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.
„Der Archipel der Schlaflosigkeit“ ist ein meisterhafter Roman, der die Vergangenheit so schildert als wäre sie die Gegenwart. Das zeitliche Nacheinander wird aufgehoben durch die Synchronität aller Ereignisse. Wie alle seine Werke zeichnet sich Antunes neuer Roman auch durch immense Sprachgewalt aus, die den Leser in den Bann zieht. Die Lektüre ist allerdings nicht einfach, denn der unkonventionelle Schreibstil, der typische Lobo-Antunes-Stil mit zahllosen Einschüben und Unterbrechungen der Handlungen, ist mitunter schwer zugänglich. Ein komplexer Stil, scheinbar ohne Anfang und Ende, wie in seinen bisherigen Romanen.
Manfred Orlick