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ALS DER ISLAM ISLAMISTISCH WURDE - GUDRUN KRÄMERS PORTRAIT EINES EXTREMISTEN
Der Gründer der Muslimbruderschaft Hasan al-Banna (1906 - 1949) zählt zu den bedeutendsten Vordenkern und Aktivisten des Islamismus. In seinem Kampf gegen Kolonialismus, christliche Mission und Verwestlichung verknüpfte er nicht nur islamische Tradtitionen mit europäischen Ideen der Selbsthilfe und Selbstermächtigung. Er übersetzte die Idee einer islamischen Reform und Erneuerung in organisiertes, praktisches Handeln. In ihrer glänzend geschriebenen Biographie führt Gudrun Krämer eine islamische Moderne vor Augen,…mehr

Produktbeschreibung
ALS DER ISLAM ISLAMISTISCH WURDE - GUDRUN KRÄMERS PORTRAIT EINES EXTREMISTEN

Der Gründer der Muslimbruderschaft Hasan al-Banna (1906 - 1949) zählt zu den bedeutendsten Vordenkern und Aktivisten des Islamismus. In seinem Kampf gegen Kolonialismus, christliche Mission und Verwestlichung verknüpfte er nicht nur islamische Tradtitionen mit europäischen Ideen der Selbsthilfe und Selbstermächtigung. Er übersetzte die Idee einer islamischen Reform und Erneuerung in organisiertes, praktisches Handeln. In ihrer glänzend geschriebenen Biographie führt Gudrun Krämer eine islamische Moderne vor Augen, die bislang weithin verkannt wurde.
Die Muslimbrüder gehören seit ihrer Gründung im Jahr 1928 zu den einflussreichsten islamischen Bewegungen der Gegenwart, auf die sich islamische Aktivisten von der palästinensischen Hamas bis zur türkischen AKP beziehen. Auf der Grundlage vielfältiger, bislang kaum ausgeschöpfter arabischer Quellen zeigt Gudrun Krämer, wie Hasan al-Banna auseinem sufisch inspirierten Bildungs- und Wohltätigkeitsverein eine Massenorganisation mit Hunderttausenden von Anhängern schuf, die unter Berufung auf die Religion Politik machte. Neben einem eigenen Zweig der Muslimschwestern entstand im Schatten des Zweiten Weltkriegs auch ein Geheimapparat. Ende 1948 wurde die Muslimbruderschaft verboten, wenig später fiel al-Banna einem Attentat zum Opfer. Noch heute dient er nicht-jihadistischen Islamisten als Referenz. Gudrun Krämer erhellt die ideengeschichtlichen Grundlagen, das soziale Umfeld und den politischen Kontext der Bewegung, porträtiert Mitstreiter und Gegner und erschließt anhand der Biographie Hasan al-Bannas eindrucksvoll ein Schlüsselkapitel in der Geschichte des modernen Islam.

Ein einzigartiger Schlüssel zum Verständnis des Islamismus Was der radikale Islam von westlicher Politik und christlicher Mission gelernt hat Gudrun Krämer ist eine glänzende Stilistin und führende Vertreterin ihres Faches
Autorenporträt
Gudrun Krämer war bis zu ihrem Ruhestand Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Direktorin der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies. Sie ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Wissenschaftsrats und Mitherausgeberin der Encyclopaedia of Islam Three. 2010 wurde sie mit dem Gerda Henkel Preis ausgezeichnet. Bei C.H.Beck erschienen von ihr u.a. die Standardwerke "Geschichte Palästinas" (2015) und "Geschichte des Islam" (Neuausgabe in Vorbereitung).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gudrun Krämer schließt mit ihrer Biografie über Hasan al-Banna eine Lücke, findet Rezensentin Ivesa Lübben, die auch selbst zum Islamismus geforscht hat. Denn auf den Begründer der Muslimbruderschaft berufen sich auch heute noch fast alle islamistischen Bewegungen, weiß Lübben, und findet sehr aufschlussreich, wie die renommierte Islamwissenschaftlerin dessen Werdegang und die Entstehung seiner Ideologie nachzeichnet - so wollte al-Banna etwa nicht wie die Salafisten das Leben der Propheten imitieren, sondern die alten Konzepte der Moderne anpassen, liest Lübben. Wie die Autorin auf Basis einer "akribisch" ausgewerteten Quellenlage den Aufbau dieses "Ideengebäudes" als Haus beschreibt, das allen Gesellschaftsschichten offenstand, immer größer wurde und schließlich auch zusammenstürzte, findet die Kritikerin spannend - nur über das Verhältnis der Muslimbruderschaft zu den Freien Offizieren während der Nachkriegszeit und der "politischeren" Phase der Bruderschaft hätte sie gerne noch etwas mehr erfahren. Trotzdem eine "exzellente" Biografie und das "wichtigste Referenzwerk" zum Thema nicht nur im deutschsprachigen Raum, schließt Lübben.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2022

Im Kampf für eine islamisierte Moderne
Gudrun Krämer legt eine exzellente Biographie des Begründers der Muslimbruderschaft vor

Mit ihrem Buch über Hasan al-Banna, den "Architekten des Islamismus", schließt Gudrun Krämer, eine der renommiertesten Islamwissenschaftlerinnen Deutschlands, eine Lücke. Auch wenn es heute ein weites Spektrum islamistischer Bewegungen von liberalen Reformislamisten bis hin zu erzkonservativen, gewaltbereiten Gruppierungen gibt, so führen die meisten auf Hasan al-Banna und die Muslimbruderschaft zurück - ob sie sich nun auf ihn berufen oder von ihm absetzen.

Lange Zeit war es fast unmöglich, Quellenmaterial zur Gründungsgeschichte der Bewegung zu finden. In Ägypten sind die Muslimbrüder - auf Arabisch kurz "Ikhwan" (Brüder) genannt - seit 1954 verboten (mit einer kurzen Aufhebung dieses Verbots von 2011 bis 2013). Die ägyptischen Archive sind der Öffentlichkeit verschlossen. Erst ab den späten Neunzigerjahren erschienen vermehrt Autobiographien von Muslimbrüdern und -schwestern sowie Dokumentensammlungen wie Hasan al-Bannas Sendschreiben. Umfassendes Quellenmaterial bietet auch das vom Auslandsbüro der Muslimbruderschaft gehostete digitale Archiv "Ikhwanwiki" mit inzwischen weit über 200 000 Einträgen. Gudrun Krämer hat den gesamten Fundus akribisch ausgewertet und den Werdegang des 1908 geborenen al-Bannas sowie die Herausbildung des Ideengebäudes und den Aufbau der Organisation rekonstruiert.

Geboren wurde al-Banna in Mahmudiya, einer damals noch ländlich geprägten Kleinstadt im Nildelta. Sein Vater, der einer Bauernfamilie entstammte, war Uhrmacher und islamischer Laiengelehrter. Hasan al-Banna ging auf die dörfliche Koranschule, setzte seine Studien im Lehrerseminar der Kreisstadt Damanhur fort, um dann - gefolgt von seiner ganzen Familie - sein Studium an dem prestigeträchtigen Lehrerbildungsinstitut Dar al-Ulum in der ägyptischen Hauptstadt Kairo fortzusetzen. Schon als Kind beteiligte er sich an antikolonialen Aktionen.

Es gab bereits vor al-Banna eine Reihe islamischer Reformer, an die al-Banna anknüpfen konnte. Dabei transformierte er einen intellektuellen Islamismus in eine populäre politische Ideologie und schuf mit der Muslimbruderschaft eine Organisation, die zu ihrem sozialen Träger werden sollte. Krämer vergleicht die Entwicklung der Organisation mit dem Bau eines Hauses, das geplant, gebaut, über die Jahre immer wieder umgebaut und erweitert wird. Anders als die von den nationalen Eliten dominierten ägyptischen Parteien und Vereinigungen stand dieses Haus allen Schichten der Gesellschaft offen. Gerade in ihren Anfangsjahren rekrutierten die Muslimbrüder ihre Mitglieder unter Handwerkern und kleinen Angestellten, Arbeitern und Studenten mit ländlichem Hintergrund, die bis dato keine Stimme in der ägyptischen Öffentlichkeit hatten.

Al-Banna war ein Sohn seiner Zeit, der den Islam modernisieren und die Moderne islamisieren wollte. Auch wenn viele seiner Positionen wie das Männlichkeitsideal, die untergeordnete Rolle der Frau, die viktorianische Prüderie, die Forderung nach Einführung der Scharia und der Rekurs auf die Altvorderen - den salaf al-saleh, woraus sich der Begriff des Salafismus ableitet - ein reaktionäres Weltbild suggerieren, so ging es ihm nicht wie heutigen Salafisten um die blinde Imitation der Lebensweise des Propheten. Er wollte den Islam mit der Moderne seiner Zeit kompatibel machen.

Al-Banna vollzog, wie Krämer schreibt, "einen Doppelsprung zurück zum Geist früherer Muslime und von dort in die Gegenwart, um diesen Geist im Lichte aktueller Realitäten und Aspirationen neu zu beleben", Er war vielen Errungenschaften der westlichen Moderne, wie etwa der Reformpädagogik und wissenschaftlich-technischen Leistungen, aber auch Theater und Film durchaus zugeneigt, vorausgesetzt bloß, dass sie dem Aufbau einer islamischen Gesellschaft dienlich seien.

Der Schlussteil des Buches behandelt die Neustrukturierung der Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ägypten erlebt eine Phase erhöhter antikolonialistischer Agitation, Demonstrationen und Streiks gehören zum Alltag, die Mitgliederzahl der Muslimbrüder ist in den Kriegsjahren enorm gewachsen. Die Organisation der Muslimbrüder ist "Ein Haus mit vielen Wohnungen" - so der Titel des vorletzten Kapitels - geworden. Aber das Zusammenleben in diesem Haus ist nicht immer harmonisch. Es kommt zu Spannungen zwischen den Abteilungen, erste Führungsschwächen stellen sich ein. Ägypten erlebt eine Welle von Attentaten. Diese richten sich gegen Politiker, denen Kollaboration mit der Kolonialmacht zur Last gelegt wird, und gegen britische Soldaten und jüdische Einrichtungen, denen Unterstützung der zionistischen Bewegung im benachbarten Palästina unterstellt wird.

In die Gewalttaten sind unterschiedliche politische Kräfte aus dem nationalistischen und dem liberalen Lager, aber auch der Muslimbruderschaft involviert. Der Mord an Ministerpräsident Nuqrashi kurz nachdem dieser die Muslimbruderschaft verboten hatte, besiegelt den "Einsturz" des Hauses. Am 12. Februar 1949 fällt al-Banna einem Mordanschlag zum Opfer.

Die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die "Phase des Primats der Politik", wie Gudrun Krämer festhält. Das politische Feld, in dem sich die Muslimbrüder nun immer mehr bewegen, wird durch andere Diskurse strukturiert, hier herrschen andere Spielregeln und Handlungslogiken. Das äußert sich in der Pressearbeit der Muslimbrüder, in der islamische Topoi zunehmend von politischen Themen verdrängt werden. Versuchte al-Banna in der Aufbauphase noch, moderne Konzepte islamisch zu untermauern, so werden jetzt islamische Begriffe säkularisiert, etwa wenn er in einem Brief an das Gründungskomitee der Arabischen Liga schreibt, dass zwar kein Muslim die Institution des Kalifats ablehnen könnte, aber dass ein modernes Kalifat ja auch die Form einer Liga islamischer Staaten annehmen könne.

Auch die Spaltungsversuche der ägyptischen Nationalbewegung und die Konkurrenz zur Wafd-Partei folgen rein machtpolitischen Taktiken und klassenpolitischen Überzeugungen, und das gilt zunehmend auch für interne Ausdifferenzierungen, wie etwa unterschiedliche Haltungen zu den Streikbewegungen der Nachkriegszeit zeigen. Besonders interessant, aber von Gudrun Krämer nur gestreift, ist die Interaktion zwischen Muslimbrüdern und den Freien Offizieren. Drei Jahre nach al-Bannas Tod unterstützten die Muslimbrüder den Putsch Abdel Nassers und mobilisierten ihre Mitglieder zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Zum Zerwürfnis kam es, als die Muslimbrüder die Hegemonie des Militärs infrage stellten. Es wäre wünschenswert gewesen, diesen politischen Handlungslogiken mehr Platz in der Darstellung einzuräumen. Denn hier liegen die Wurzeln vieler taktischer Fehler, die nach dem Sturz des Mubarak-Regimes zur Isolation der Muslimbrüder und schließlich 2013 zum Sturz von Muhammad Mursi, des Muslimbruders und ersten gewählten Präsidenten Ägyptens, führten.

Ungeachtet dieser Anmerkung hat Gudrun Krämer das wichtigste Referenzwerk über Hasan al-Banna und die Genese der Muslimbruderschaft nicht nur im deutschsprachigen Raum vorgelegt. IVESA LUEBBEN

Gudrun Krämer: "Der Architekt des Islamismus". Hasan al-Banna und die Muslimbrüder. Eine Biographie.

C. H. Beck Verlag, München 2022. 528 S., Abb., geb., 34,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Das wichtigste Referenzwerk über Hasan al-Banna und die Genese der Muslimbruderschaft nicht nur im deutschsprachigen Raum"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ivesa Luebben

"Das kühle und sachliche, von der Gerda Henkel Stiftung geförderte Buch von Gudrun Krämer markiert einen kleinen Meilenstein des Verstehens. Es führt souverän in die radikalen islamischen Vorstellungswelten seit dem 19. Jahrhundert ein und stellt angesichts der spärlichen und propagandistisch entstellten Quellenlage eine historiografische Großleistung dar."
ZEIT, Thomas E. Schmidt

"Ihr ist ein Standardwerk zum Thema Islamismus gelungen"
Deutschlandfunk, Jan Kuhlmann

"Bietet eine wichtige Orientierung."
Neues Deutschland, Sabien Kebir

"Eine umfassende Biografie ... führt ein in die ideengeschichtlichen Grundlagen, das soziale Umfeld und den politischen Kontext der Muslimbruderschaft bis zur Ermordung al-Bannas und porträtiert ihre Mitstreiter wie auch einige ihrer Gegner."
taz, Till Schmidt

"Mit Krämers Biographie liegt eine bestens recherchierte sowie quellengesättigte Sozialgeschichte des modernen Ägyptens vor, die wie kein anderes Werk die Dialektik eines antimodernen Modernismus vor dem Hintergrund kolonialer Herrschaft bis ins letzte Detail nachzeichnet."
Blätter für deutsche und internationale Politik Micha Brumlik

"Eine beeindruckende Leistung"
Humanistischer Pressedienst, Armin Pfahl-Traughber
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