Das Spekulantenepos der ZwischenkriegszeitKeiner wurde so schnell reich wie er: Als blutjunger Bankchef und Börsenguru wird der Wiener Finanzjongleur Sigmund Bosel Anfang der 1920er-Jahre zum "Trillionär" hochgejubelt. Hin- und hergerissen zwischen zwei Frauen lebt der spendable Plutokrat, wie es ihm gefällt. Doch reich zu sein, ist Bosel nicht genug. Der schillernde Millionensassa will die alteingesessene Hochfinanz an die Wand spielen. Dabei verstrickt er sich in grenzwertige Spekulationsdeals. Bosels Verlust-geschäfte werden ein riesiger Skandal. Der jüdische Glücksritter wird im damaligen anti-semitischen Klima zum alleinigen Sündenbock gestempelt. Hinter den Kulissen bleibt er aber ein mächtiger Strippenzieher. Kurz vor dem "Anschluss" 1938 fährt Bosel noch einmal von Paris zurück nach Wien. Aus dem Wirtschaftskrimi rund um den schillernden Finanzabenteurer wird eine mörderische Holocaust-Tragödie ...Georg Ransmayr begibt sich auf die Spuren des legendären Inflationskönigs.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2016Und der Haifisch, der hat Pläne
Er kam von ganz unten und wurde zum großen Wiener Finanzjongleur der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Georg Ransmayr recherchiert die Lebensgeschichte des Sigmund Bosel.
Den Schluss der Artikelserie "Wie wird man reich?", in der die Wiener Boulevardzeitung "Die Stunde" die Gelddynastien Revue passieren ließ, bildeten im Sommer 1923 huldvolle Porträts zweier Inflationsnabobs: Camillo Castiglioni und Sigmund Bosel. Mit einem unerhörten Satz - "Jedes Blutbad war ein Jugendbronnen neuer großer Finanzleute" - wurden sie in eine Traditionslinie der Rothschilds und Bleichröders gestellt.
Angewidert nahm Karl Kraus Mitte Oktober 1923 unter dem Titel "Metaphysik der Haifische" die neureichen Inflationsgewinnler in der "Fackel" aufs Korn, mehr noch aber "die Bereitschaft des öffentlichen Wortes, dem Aussatz der Menschheit alle Ehre zu geben". Er empörte sich über die Verklärung von Valutenschiebern, die "in Verbindung mit dem größten Unglück der Menschheit das meiste Geld" gemacht hatten, zu geradezu faustischen Titanen und erinnerte daran, dass "in Verfallszeiten nicht die Würde von oben, sondern der Dreck von unten kommt". Castiglioni, der in Kraus' Schlüsseldrama "Die Unüberwindlichen" noch als "Camillioni" auftritt, während der Volkswitz längst bei "Castimilliardi" und "Castibillioni" hielt, war bereits 2012 und erneut 2015 Gegenstand von Biographien. Dem "Trillionär" Bosel - so die "B. Z. am Mittag" vom 24. Januar 1923 - hat der Journalist Georg Ransmayr nun eine auf umfassenden Archivrecherchen und Befragungen von Zeitzeugen basierende Darstellung gewidmet.
Das Leben des schmächtigen, öffentlichkeitsscheuen Sigmund Bosel erscheint über weite Strecken wie eine Mischung aus Groschen- und Kriminalroman. Er kommt von ganz unten. Fünfzehnjährig beginnt er 1908 seine Berufslaufbahn als Kommis-Lehrling eines Wiener Textilwarengeschäfts, im Frühjahr 1914 macht er sich selbständig, und während des Ersten Weltkriegs erwirbt er sich mit der Belieferung von Auffanglagern für Kriegsflüchtlinge und Zwangsevakuierten nicht nur den Ruf eines Tausendsassas, der einfach alles beschaffen kann, sondern auch seine ersten Millionen. Als ehrenamtlicher Leiter des Polizeiwohlfahrtsbetriebs versorgt das Organisationsgenie die Wiener Exekutive zu Diskontpreisen mit Bekleidung und - während die übrige Bevölkerung hungert - mit Lebensmitteln, und das gleich waggonweise und vom Schwarzmarkt obendrein.
Als Gegenleistung für seine gemeinnützigen Verdienste bedingt sich der statushungrige Emporkömmling "Würde von oben" aus: den Titel eines "Kaiserlichen Rats". Auf Betreiben des Polizeipräsidenten und gewichtiger Fürsprecher aus dem linken wie dem rechten politischen Lager wird Bosel 1921 mit dem republikanischen Ersatz eines "Kommerzialrats" bedacht. Zum Präsidenten kürt er sich im Frühjahr 1923 selbst: durch den Erwerb der Aktienmehrheit der prestigeträchtigen Unionbank, der ihn zum Nachbarn der Rothschilds macht.
Nicht zuletzt dem Drang, sich Respektabilität zu verschaffen, ist auch Bosels Milliardenspende für die chronisch unterfinanzierte Wiener Universität geschuldet. Es ist nicht der einzige Einbruch in die Domäne der guten und besten Gesellschaft, den diese zähneknirschend verwinden muss: 1922 lässt Bosel in der Prominenten-Sektion des Wiener Zentralfriedhofs ein prunkvolles Mausoleum errichten, und zwar zwischen zwei Grüften der Eisen- und Kohlebarone Gutmann - eine unmissverständliche Demonstration seiner gesellschaftlichen Aspirationen.
Der begnadete Netzwerker versteht es, sich Krethi und Plethi, gleich welcher politischen Couleur, mit Gefälligkeiten gewogen zu halten. Nicht bloß sorgt er mit Zuwendungen an die Presse für gute Publicity, er hält sich ganze Zeitungen, ist unter anderem auch Financier des Kronos-Verlags, in dem die "Stunde" erscheint. Einflussreiche Fürsprecher halten ihre Hand schützend über ihn, erbitterte Widersacher im Bankenverband lauern darauf, dem geschäftlichen Außenseiter mit seinen fünf Jahren Volks-, drei Jahren Bürger- und seinem einen Jahr Handelsschule ein Bein stellen zu können, den Nazis ist er als Inbegriff des "jüdischen Börsenjobbers" verteufeltes Feindbild.
Zum Jahreswechsel 1923/1924 ist der dreißigjährige Finanzjongleur Herr über einen Konzern von Weltrang mit Beteiligungen an mehr als 200 Aktiengesellschaften im In- und Ausland. Die Gemischtwaren-Großhandlung aus Kriegszeiten hat 1919 einem achtbaren Handelshaus mit dem vielsagenden Namen "Omnia" Platz gemacht. "Ex nihilo omnia", das ist für den Zeitgenossen Anton Kuh der "Leitspruch der gesamten Inflations-Wirtschaft". Doch im Frühjahr 1924 verlässt den Hasardeur das Glück. Die Währungsstabilisierung und eine fehlgeschlagene großangelegte Spekulation gegen den französischen Franc setzen seinem unaufhaltsam scheinenden Aufstieg ein Ende. Im Sommer 1924 kämpft er gegen die Pleite.
Die Handelsgesellschaft "Omnia" wird im März 1925 liquidiert, Ende 1926 tritt Bosel als Präsident der Unionbank zurück. Bei der staatlichen Postsparkasse stehen 3,6 Millionen Dollar an Verbindlichkeiten zu Buche, die 1933 von einem Schiedsgericht erheblich reduziert werden und die Bosel, der Ende Juli vor einem Wiener Bezirksgericht ein Armutsgelübde ablegt, so lange nicht zurückzahlen muss, wie er mittellos ist. Dass im Ausland da und dort ein Notgroschen auf diskreten Konten gebunkert ist, versteht sich.
Auch bei privaten Gläubigern steht Bosel mit über einer Million Schilling in der Kreide. Anfang 1936 muss er seine Teppiche verpfänden, um, ganz Ehrenmann, die ungeduldigsten Gläubiger vorübergehend zufriedenzustellen. Zum Katz-und-Maus-Spiel mit der Postsparkasse glaubt er sich berechtigt, weil er sich hier als Bauernopfer politischer Ränke sieht. Der ehemals große Player ist zum Spielball geworden.
1936 macht die Justiz gegen Bosel unter dem Vorwurf mobil, er habe seine wahren Vermögensverhältnisse verschleiert, um sich der Zahlungsverpflichtung zu entziehen. Das Ständestaat-Regime, durch den Zusammenbruch der "Phönix" kompromittiert - das drittgrößte Versicherungsunternehmen des Kontinents war über Jahre ein Selbstbedienungsladen für große Teile der Politprominenz -, unternimmt einen Gegenstoß, um bei der Bevölkerung wieder an Kredit zu gewinnen. Bei Hausdurchsuchungen wird die geheime Buchhaltung Bosels entdeckt, Wertsachen, Bilder, Schmuck, Teppiche werden beschlagnahmt und versteigert. Bosel geht für achtzehn Monate ins Gefängnis.
Auf seinem letzten Abschnitt kippt Bosels Lebensweg in die Tragödie. Um den Schadenersatz-Deal mit der Postsparkasse vollständig zu erfüllen und die gegen ihn laufenden Exekutionsverfahren aufzuhalten, kehrt der verarmte Krösus kurz vor dem "Anschluss" von Paris nach Wien zurück. Um dem Gesichtsverlust und der Schmach zu entgehen, die ein Privatkonkurs für den Selfmademan bedeutet hätte, setzt er sein Leben aufs Spiel.
Er wird am 11. März 1938 von Polizisten mit Hakenkreuz-Armbinden aus dem Nachtexpress nach Budapest geholt und als "Schutzhäftling" festgenommen. Am 5. Februar 1942 wird Sigmund Bosel, an Tuberkulose erkrankt und nunmehr ein Pflegefall, in einem jüdischen Altersheim von SS-Hauptsturmführer Alois Brunner persönlich "kommissioniert", also zur Deportation freigegeben, tags darauf mit tausend anderen Juden in einen Zug nach Riga verladen und bei einem nächtlichen Halt in Polen von Brunner ermordet.
Instabile Finanzmärkte, überhitzte Börsen, Währungsspekulationen, Verfilzung von Hochfinanz und Politik, verschleierte Vermögen, geschönte Bankbilanzen, Notverstaatlichungen, deren Kosten den Steuerzahlern aufgebürdet werden, Akkumulation als absolutes Credo: Georg Ransmayr zieht mit Sigmund Bosel durchaus keine verstaubte Figur aus der historischen Mottenkiste, die ohne aktuelle Bezüge wäre. Das Umfeld, in dem der Glücksritter den Traum vom schnellen Geld verwirklichen konnte, meint man zu kennen - nicht das geringste Verdienst dieser Biographie, deren Meriten auch eine bisweilen allzu flotte und griffige Schreibweise nicht schmälert.
WALTER SCHÜBLER.
Georg Ransmayr: "Der arme Trillionär". Aufstieg und Untergang des Inflationskönigs Sigmund Bosel.
Styria premium Verlag, Wien, Graz, Klagenfurt 2016. 319 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Er kam von ganz unten und wurde zum großen Wiener Finanzjongleur der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg: Georg Ransmayr recherchiert die Lebensgeschichte des Sigmund Bosel.
Den Schluss der Artikelserie "Wie wird man reich?", in der die Wiener Boulevardzeitung "Die Stunde" die Gelddynastien Revue passieren ließ, bildeten im Sommer 1923 huldvolle Porträts zweier Inflationsnabobs: Camillo Castiglioni und Sigmund Bosel. Mit einem unerhörten Satz - "Jedes Blutbad war ein Jugendbronnen neuer großer Finanzleute" - wurden sie in eine Traditionslinie der Rothschilds und Bleichröders gestellt.
Angewidert nahm Karl Kraus Mitte Oktober 1923 unter dem Titel "Metaphysik der Haifische" die neureichen Inflationsgewinnler in der "Fackel" aufs Korn, mehr noch aber "die Bereitschaft des öffentlichen Wortes, dem Aussatz der Menschheit alle Ehre zu geben". Er empörte sich über die Verklärung von Valutenschiebern, die "in Verbindung mit dem größten Unglück der Menschheit das meiste Geld" gemacht hatten, zu geradezu faustischen Titanen und erinnerte daran, dass "in Verfallszeiten nicht die Würde von oben, sondern der Dreck von unten kommt". Castiglioni, der in Kraus' Schlüsseldrama "Die Unüberwindlichen" noch als "Camillioni" auftritt, während der Volkswitz längst bei "Castimilliardi" und "Castibillioni" hielt, war bereits 2012 und erneut 2015 Gegenstand von Biographien. Dem "Trillionär" Bosel - so die "B. Z. am Mittag" vom 24. Januar 1923 - hat der Journalist Georg Ransmayr nun eine auf umfassenden Archivrecherchen und Befragungen von Zeitzeugen basierende Darstellung gewidmet.
Das Leben des schmächtigen, öffentlichkeitsscheuen Sigmund Bosel erscheint über weite Strecken wie eine Mischung aus Groschen- und Kriminalroman. Er kommt von ganz unten. Fünfzehnjährig beginnt er 1908 seine Berufslaufbahn als Kommis-Lehrling eines Wiener Textilwarengeschäfts, im Frühjahr 1914 macht er sich selbständig, und während des Ersten Weltkriegs erwirbt er sich mit der Belieferung von Auffanglagern für Kriegsflüchtlinge und Zwangsevakuierten nicht nur den Ruf eines Tausendsassas, der einfach alles beschaffen kann, sondern auch seine ersten Millionen. Als ehrenamtlicher Leiter des Polizeiwohlfahrtsbetriebs versorgt das Organisationsgenie die Wiener Exekutive zu Diskontpreisen mit Bekleidung und - während die übrige Bevölkerung hungert - mit Lebensmitteln, und das gleich waggonweise und vom Schwarzmarkt obendrein.
Als Gegenleistung für seine gemeinnützigen Verdienste bedingt sich der statushungrige Emporkömmling "Würde von oben" aus: den Titel eines "Kaiserlichen Rats". Auf Betreiben des Polizeipräsidenten und gewichtiger Fürsprecher aus dem linken wie dem rechten politischen Lager wird Bosel 1921 mit dem republikanischen Ersatz eines "Kommerzialrats" bedacht. Zum Präsidenten kürt er sich im Frühjahr 1923 selbst: durch den Erwerb der Aktienmehrheit der prestigeträchtigen Unionbank, der ihn zum Nachbarn der Rothschilds macht.
Nicht zuletzt dem Drang, sich Respektabilität zu verschaffen, ist auch Bosels Milliardenspende für die chronisch unterfinanzierte Wiener Universität geschuldet. Es ist nicht der einzige Einbruch in die Domäne der guten und besten Gesellschaft, den diese zähneknirschend verwinden muss: 1922 lässt Bosel in der Prominenten-Sektion des Wiener Zentralfriedhofs ein prunkvolles Mausoleum errichten, und zwar zwischen zwei Grüften der Eisen- und Kohlebarone Gutmann - eine unmissverständliche Demonstration seiner gesellschaftlichen Aspirationen.
Der begnadete Netzwerker versteht es, sich Krethi und Plethi, gleich welcher politischen Couleur, mit Gefälligkeiten gewogen zu halten. Nicht bloß sorgt er mit Zuwendungen an die Presse für gute Publicity, er hält sich ganze Zeitungen, ist unter anderem auch Financier des Kronos-Verlags, in dem die "Stunde" erscheint. Einflussreiche Fürsprecher halten ihre Hand schützend über ihn, erbitterte Widersacher im Bankenverband lauern darauf, dem geschäftlichen Außenseiter mit seinen fünf Jahren Volks-, drei Jahren Bürger- und seinem einen Jahr Handelsschule ein Bein stellen zu können, den Nazis ist er als Inbegriff des "jüdischen Börsenjobbers" verteufeltes Feindbild.
Zum Jahreswechsel 1923/1924 ist der dreißigjährige Finanzjongleur Herr über einen Konzern von Weltrang mit Beteiligungen an mehr als 200 Aktiengesellschaften im In- und Ausland. Die Gemischtwaren-Großhandlung aus Kriegszeiten hat 1919 einem achtbaren Handelshaus mit dem vielsagenden Namen "Omnia" Platz gemacht. "Ex nihilo omnia", das ist für den Zeitgenossen Anton Kuh der "Leitspruch der gesamten Inflations-Wirtschaft". Doch im Frühjahr 1924 verlässt den Hasardeur das Glück. Die Währungsstabilisierung und eine fehlgeschlagene großangelegte Spekulation gegen den französischen Franc setzen seinem unaufhaltsam scheinenden Aufstieg ein Ende. Im Sommer 1924 kämpft er gegen die Pleite.
Die Handelsgesellschaft "Omnia" wird im März 1925 liquidiert, Ende 1926 tritt Bosel als Präsident der Unionbank zurück. Bei der staatlichen Postsparkasse stehen 3,6 Millionen Dollar an Verbindlichkeiten zu Buche, die 1933 von einem Schiedsgericht erheblich reduziert werden und die Bosel, der Ende Juli vor einem Wiener Bezirksgericht ein Armutsgelübde ablegt, so lange nicht zurückzahlen muss, wie er mittellos ist. Dass im Ausland da und dort ein Notgroschen auf diskreten Konten gebunkert ist, versteht sich.
Auch bei privaten Gläubigern steht Bosel mit über einer Million Schilling in der Kreide. Anfang 1936 muss er seine Teppiche verpfänden, um, ganz Ehrenmann, die ungeduldigsten Gläubiger vorübergehend zufriedenzustellen. Zum Katz-und-Maus-Spiel mit der Postsparkasse glaubt er sich berechtigt, weil er sich hier als Bauernopfer politischer Ränke sieht. Der ehemals große Player ist zum Spielball geworden.
1936 macht die Justiz gegen Bosel unter dem Vorwurf mobil, er habe seine wahren Vermögensverhältnisse verschleiert, um sich der Zahlungsverpflichtung zu entziehen. Das Ständestaat-Regime, durch den Zusammenbruch der "Phönix" kompromittiert - das drittgrößte Versicherungsunternehmen des Kontinents war über Jahre ein Selbstbedienungsladen für große Teile der Politprominenz -, unternimmt einen Gegenstoß, um bei der Bevölkerung wieder an Kredit zu gewinnen. Bei Hausdurchsuchungen wird die geheime Buchhaltung Bosels entdeckt, Wertsachen, Bilder, Schmuck, Teppiche werden beschlagnahmt und versteigert. Bosel geht für achtzehn Monate ins Gefängnis.
Auf seinem letzten Abschnitt kippt Bosels Lebensweg in die Tragödie. Um den Schadenersatz-Deal mit der Postsparkasse vollständig zu erfüllen und die gegen ihn laufenden Exekutionsverfahren aufzuhalten, kehrt der verarmte Krösus kurz vor dem "Anschluss" von Paris nach Wien zurück. Um dem Gesichtsverlust und der Schmach zu entgehen, die ein Privatkonkurs für den Selfmademan bedeutet hätte, setzt er sein Leben aufs Spiel.
Er wird am 11. März 1938 von Polizisten mit Hakenkreuz-Armbinden aus dem Nachtexpress nach Budapest geholt und als "Schutzhäftling" festgenommen. Am 5. Februar 1942 wird Sigmund Bosel, an Tuberkulose erkrankt und nunmehr ein Pflegefall, in einem jüdischen Altersheim von SS-Hauptsturmführer Alois Brunner persönlich "kommissioniert", also zur Deportation freigegeben, tags darauf mit tausend anderen Juden in einen Zug nach Riga verladen und bei einem nächtlichen Halt in Polen von Brunner ermordet.
Instabile Finanzmärkte, überhitzte Börsen, Währungsspekulationen, Verfilzung von Hochfinanz und Politik, verschleierte Vermögen, geschönte Bankbilanzen, Notverstaatlichungen, deren Kosten den Steuerzahlern aufgebürdet werden, Akkumulation als absolutes Credo: Georg Ransmayr zieht mit Sigmund Bosel durchaus keine verstaubte Figur aus der historischen Mottenkiste, die ohne aktuelle Bezüge wäre. Das Umfeld, in dem der Glücksritter den Traum vom schnellen Geld verwirklichen konnte, meint man zu kennen - nicht das geringste Verdienst dieser Biographie, deren Meriten auch eine bisweilen allzu flotte und griffige Schreibweise nicht schmälert.
WALTER SCHÜBLER.
Georg Ransmayr: "Der arme Trillionär". Aufstieg und Untergang des Inflationskönigs Sigmund Bosel.
Styria premium Verlag, Wien, Graz, Klagenfurt 2016. 319 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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