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»Ulinka Rublack erzählt filmreif. Beim Lesen meint man, die Stimmen der Hauptfiguren sprechen zu hören.« Elisabeth von Thadden, Die Zeit
Deutschland, 1615. Die Mutter des berühmten Astronomen Johannes Kepler wird als Hexe angeklagt. Vor der faszinierenden Kulisse einer Welt im Wandel zwischen Magie und moderner Wissenschaft beschreibt Rublack gleichermaßen fesselnd und bewegend, wie der Vorwurf der Hexerei Familien entzweit.
»Rublack zeichnet in prägnanten Exkursen das Sittenbild einer Gesellschaft, die an der Schwelle zu einer vernunftgeleiteten, aufgeklärten Epoche steht.« Anja Leuschner, ZEIT Wissen
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Produktbeschreibung
»Ulinka Rublack erzählt filmreif. Beim Lesen meint man, die Stimmen der Hauptfiguren sprechen zu hören.«
Elisabeth von Thadden, Die Zeit

Deutschland, 1615. Die Mutter des berühmten Astronomen Johannes Kepler wird als Hexe angeklagt. Vor der faszinierenden Kulisse einer Welt im Wandel zwischen Magie und moderner Wissenschaft beschreibt Rublack gleichermaßen fesselnd und bewegend, wie der Vorwurf der Hexerei Familien entzweit.

»Rublack zeichnet in prägnanten Exkursen das Sittenbild einer Gesellschaft, die an der Schwelle zu einer vernunftgeleiteten, aufgeklärten Epoche steht.«
Anja Leuschner, ZEIT Wissen

Autorenporträt
Ulinka Rublack, geboren 1967 in Tübingen, lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit in Cambridge. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Genderstudien, Materialitätsgeschichte und Fragen der kulturellen Identität. 2019 wurde sie mit dem Preis des Historischen Kollegs ausgezeichnet.
Rezensionen
»Rublack schildert [...] nicht nur dieses bewegende historische Familiendrama, sondern zeichnet in prägnanten Exkursen das Sittenbild einer Gesellschaft, die an der Schwelle zu einer vernunftgeleiteten, aufgeklärten Epoche steht« Anja Leuschner, Zeit Wissen, Januar/Februar 2019 Anja Leuschner Zeit Wissen 20190201

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018

Kräuterzauber gegen Planetenmusik

Von Wissenschaft und Teufelswesen: Ulinka Rublack zeigt den Astronomen Johannes Kepler als Verteidiger seiner Mutter in einem Hexenprozess.

Von Helmut Mayer

Ende Mai 1618 beendet Johannes Kepler in Linz die Arbeit am Manuskript eines Werks, das er als seine größte Leistung ansieht, die fünf Bücher der "Weltharmonik". Das fünfte Buch handelt von den Umlaufzeiten und variierenden Winkelgeschwindigkeiten der Planeten, die Kepler auf harmonische, also ganzzahlige Verhältnisse führen. Die "stille Musica" der Planeten, die er schon zwanzig Jahre zuvor im "Weltgeheimnis" (Mysterium cosmographicum) beschworen hatte, ließ sich nun detailliert beschreiben.

Im dritten Kapitel aber steht die bis heute am weitaus häufigsten angeführte Passage der "Weltharmonik", die Feststellung der Proportionalität der Kuben der großen Halbachsen und der Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten. Mathematisch gesehen, gelangt man von ihr im Handumdrehen zu einer Vorform des Newtonschen Gravitationsgesetzes - wenn man nur einmal eine fernwirkende Zentralkraft in Betracht gezogen hat, welche die Planetenmassen beschleunigt.

Nimmt man diese "Goldene Regel Keplers", die später als "Drittes Keplersches Gesetz" geläufig wurde, zum Leitfaden, wird man gleich auf die Modernität ihres Urhebers geführt: Kopernikaner von früh an, einer peniblen Empirie astronomischer Daten verpflichtet, die ihn - im Gegensatz zum Zeitgenossen Galilei - zur Aufgabe des Dogmas von der Kreisförmigkeit der Himmelsbewegungen führt, auf dem Weg zur Beschreibung eines von ihm räumlich entschieden erweiterten Weltsystems.

Doch gleichzeitig sind die Himmelskörper bei Kepler beseelt, können nur deshalb auf die harmonischen Konstellationen reagieren, ist die Suche nach der Harmonik selbst in tiefen Traditionen verankert, welche die neue Wissenschaft abstoßen wird, genauso wie das mit ihr verknüpfte innige Schöpferlob und Keplers Verteidigung einer methodisch solide und vorsichtig verfahrenden Astrologie.

Dieses Ineinander von voraus- und zurückweisenden Momenten, die sich nicht einfach als progressiv versus retardierend verbuchen lassen, die zudem eingefasst sind von einer ebenso oft anrührenden wie elegant-witzigen Selbstdarstellung Keplers in seinen Werken und Briefen, hat die Literatur zu Kepler nachhaltig beschäftigt. Die in Cambridge lehrende Frühneuzeithistorikerin Ulinka Rublack hat nun einen ungewöhnlichen Weg gewählt, Kepler in seiner Zeit vor Augen zu führen.

Im Zentrum steht bei ihr der Hexenprozess gegen Keplers Mutter Katharina, der in die Zeit der Veröffentlichung der "Weltharmonik" fällt: Er begann 1615 mit einer ersten Anklage im württembergischen Leonberg, und erst sechs Jahre später gelang es Kepler, der die Verteidigung der Mutter übernommen hatte, mit Not einen Freispruch zu erreichen.

Dieser Prozess, dessen Akten sich erhalten haben, ist den Biographen Keplers nicht entgangen. Noch im jüngsten und überaus lesenswerten Buch über Kepler von Thomas Posch (F.A.Z. vom 30. Juni 2017) findet man ihn bündig erzählt. Aber bei Ulinka Rublack wird er zum Ausgangspunkt, den Gesichtskreis der Darstellung erst einmal zu erweitern, auf die zeitgenössischen Hexenverfolgungen und das Leben in württembergischen Städtchen in der zweiten Hälfte des sechzehnten und den ersten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts, um vor diesem Hintergrund dann eine detaillierte Nachzeichnung des Prozesses gegen Keplers Mutter, 1615 bereits achtundsechzig Jahre alt und seit mehr als zwei Jahrzehnten verwitwet, zu geben.

Rublacks Interesse gilt zu gleichen Teilen dem Astronomen wie dessen Mutter. Selbst wenn sich Kepler dabei in einem neuen Licht zeigen soll, wie die Autorin gleich eingangs festhält, nämlich nicht als "Meister des rationalen Denkens, der das Universum mechanisierte", denn "unsere saubere Trennung zwischen rational und irrational, Religion und Zauberei verschleiert, welche Bedeutung das Wissen über Mensch und Natur für ihn und viele seiner Zeitgenossen hatte". Für Zeitgenossen, zu denen nicht zuletzt die aus einfachen Verhältnissen stammende Mutter des hochgebildeten, von humanistischer Kultur durchtränkten Sohns gehörte, dem landesfürstliche Stipendien und familiäre Unterstützung den steilen Karriereweg zum kaiserlichen Astronomen eröffnet hatten.

Das ist zwar einerseits zu hoch gegriffen: Man musste nicht auf Rublacks Buch warten, um deutlich vor Augen zu haben, dass Kepler kein kühler Mechaniker à la Laplace (und nicht einmal Newton) war. Aber gleichzeitig ist zu konzedieren, dass man sich in Rublacks Darstellung tatsächlich gut die Vorstellung abgewöhnen kann, es ließen sich die vernünftigen oder in Richtung moderner Wissenschaft weisenden Elemente einfach von vermeintlichen oder tatsächlichen Gegenmomenten abtrennen. Selbst die Verfolgung von Hexen und Hexern war ja keine so umstandslos auf die fatalen dunklen Mächte reduzierende Angelegenheit: Ein Prozess wie der gegen Katharina Kepler zeigt, wie sich ein durchaus rationales juristisches Verfahren - überwacht von Experten des Staatsrats am Hof in Stuttgart und der Universität Tübingen - verknüpfte mit einer Reihe von Vorstellungen, die wir für glücklicherweise überwunden halten.

Lutherische Theologen - Württemberg war seit 1534 lutherisch - bezogen eine klare Position: Hexen konnten keinen realen Schaden stiften, das konnte nur der Teufel durch geschickte Machinationen. Es blieb da eigentlich bei geständigen Angeklagten nur die böse Absicht bestehen bei gleichzeitiger Selbsttäuschung über die Möglichkeit ihrer direkten Umsetzung. Doch die theologische Doktrin setzte sich im weltlichen Verfahren nicht einfach durch. Katharina Kepler, die in keinem Moment gestand, wurden zuerst von einer Nachbarin, später von anderen Mitbürgern eine Reihe von Schadenszaubern vorgeworfen, dazu noch Verführung zur Hexerei.

Der Prozess fällt in Jahrzehnte verstärkter Verfolgungen, selbst wenn Württemberg kein Zentrum ist. Als wichtiger stellen sich aber die unmittelbaren Umstände um 1615 heraus: einschneidende Winter, Teuerungen, ein Stadtvogt - noch dazu mit den Klägern gegen Katharina Kepler gut bekannt -, der auf die verunsichernden Entwicklungen mit einer höheren Rate von Hexenprozessen reagiert. Katharina Kepler verliert den von ihr angestrengten Verleumdungsprozess gegen die Klägerin, ein angebotenes Silbergefäß nimmt der Vogt als Schuldeingeständnis, das von langen Unterbrechungen durchzogene Verfahren, in dem im Laufe der Ermittlungen schließlich die Aussagen von vierundzwanzig Zeugen protokolliert werden, nimmt seinen Lauf.

Im Sommer 1620 wird die Lage Katharinas durch ihre Verhaftung so gefährlich, dass Kepler, der zu Beginn noch aus der Ferne seinen Namen in Stellung brachte und Beziehungen mobilisierte, vor Ort die Verteidigung organisiert. Für ihn verdankt sich die Anklage, wie er drei Jahre zuvor in einem Brief an den Württembergischen Herzog Johann Friedrich schrieb, Katharinas sozialer Situation, einem tatendurstigen Vogt und leicht abrufbaren Ängsten vor alten Frauen. Doch jetzt müssen die aufgelaufenen belastenden Aussagen mit juristischem Beistand direkt auseinandergenommen werden - und Kepler tut das in einer umfassenden Verteidigungsschrift mit Verve. Widersprüche werden aufgespießt, natürliche Erklärungen für vermeintlich angezauberte Krankheiten ausgeführt, die Glaubwürdigkeit der Zeugen wird in Zweifel gezogen, der Lebenswandel der Klägerin noch einmal in denkbar schlechtes Licht gerückt.

Die verdächtige Kräuterbrauerei der Mutter - von Rublack zum Anlass einer Darstellung der quer durch die sozialen Schichten reichenden zeitgenössischen Befassung mit Heilkräutermixturen genommen - sei dagegen nicht nur eine fromme, sondern auch heilkundlich solide Praxis, aus Katharinas Bitte an den Totengräber um den Schädel ihres Vaters habe der christliche Wunsch nach einem Memento mori gesprochen, und der Silberbecher für den Vogt sollte bloß die zivile Verleumdungsklage beschleunigen, also die ordentliche gerichtliche Anhörung erreichen.

Im Sommer 1621, nachdem eine Tübinger Juristenkommission über die harsche Antwort eines herzoglichen Hofadvokaten auf Keplers Verteidigungsschrift und dessen neuerliche Replik befunden hat, ist der Freispruch schließlich fast erreicht. Die Androhung der tatsächlich nicht bewilligten Folter muss Katharina Kepler noch überstehen, dann ist der Prozess nach sechs Jahren geschlossen.

Kepler hat später in Passagen seines früh begonnenen, aber erst postum gedruckten literarisch-wissenschaftlichen Capriccios "Der Traum, oder: Mond-Astronomie" den Verdacht geäußert, dass er selbst den Anlass zur Anklage seiner Mutter gab: durch die Figur der mit Kräutern hantierenden Hexe, die in der verwinkelten Rahmenhandlung dieses in Abschriften kursierenden Texts auftrat und deren Sohn offenkundig ein paar Signalemente von Kepler erhielt. Diese Spur aufzunehmen gibt Ulinka Rublack zuletzt Gelegenheit, auch die Lebensgeschichte von Kepler zu einem Ende zu bringen.

Ihr Buch ist keine geradlinige Hinführung zu Kepler, aber gerade darin liegt sein Reiz. Die im engeren Sinn wissenschaftshistorische Kepler-Literatur, in die die Autorin sich eingearbeitet hat, wird in ihm verknüpft mit breiter angelegten Studien zu Realitäten und Vorstellungswelten der Epoche, deren Einsichten wiederum die ins Detail gehende Nachzeichnung des Prozesses grundieren. Das ergibt zwar kein neues, aber ein sehr lebendiges Bild von Kepler. Es erinnert daran, dass man eine Auswahl aus seinen Briefen gerne wieder einmal in einer erschwinglichen Edition zugänglich gemacht sähe.

Ulinka Rublack: "Der Astronom und die Hexe". Johannes Kepler und seine Zeit.

Aus dem Englischen von Hainer Kober. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018.

409 S., Abb., geb., 26,- [Euro].

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