"Construction of Logic" (Text in German)
This book presents for the first time Georg Misch's lectures on logic and epistemology, delivered between 1927/28 and 1933/34 in Göttingen.
On the basisof Dilthey's philosophy of life and the latestlinguistic , anthropological and psychological discoveries of the period , as well as in response to the positions of Heidegger and Husserl, Misch attempts to offer an extension of and at the same time a new foundation for tradional logic.
As a hermeneutic logic which is not restricted to discursive cogitation, this extends to all types of thinking, including religiousthought or creative thinking.The author tries to derive logical phenomena from everyday lifeand ordinary language, in order to make evident the original unity of life and thought.
This book presents for the first time Georg Misch's lectures on logic and epistemology, delivered between 1927/28 and 1933/34 in Göttingen.
On the basisof Dilthey's philosophy of life and the latestlinguistic , anthropological and psychological discoveries of the period , as well as in response to the positions of Heidegger and Husserl, Misch attempts to offer an extension of and at the same time a new foundation for tradional logic.
As a hermeneutic logic which is not restricted to discursive cogitation, this extends to all types of thinking, including religiousthought or creative thinking.The author tries to derive logical phenomena from everyday lifeand ordinary language, in order to make evident the original unity of life and thought.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.1995Bewußtseinsblitz aus der Leiblichkeit
Georg Mischs hermeneutische Logik am Leitfaden des Lebens
In seinem Vortrag zum ersten Todestag Georg Mischs, 1966 vor der Göttinger Akademie der Wissenschaften gehalten, stellte der Philosoph Josef König programmatisch fest: "Georg Misch war Philosoph und wollte es sein." Doch bis heute gilt Misch vor allem als der Historiker der Autobiographie; seine wichtigsten philosophischen Publikationen, etwa "Lebensphilosophie und Phänomenologie", erst 1929 und dann noch einmal 1947 in dritter Auflage erschienen, blieben ohne nennenswerte Wirkung.
Mit der jetzt von Gudrun Kühne-Bertram und Frithjof Rodi mit größter Sorgfalt besorgten und vorzüglich annotierten Edition des zweiten Teils der "Göttinger Vorlesungen über Logik", die Misch unter dem Titel "Einleitung in die Theorie des Wissens" zwischen 1919 und 1935 insgesamt viermal vortrug, dürfte auch der Philosoph Misch heute wieder mehr ins Blickfeld rücken. Denn der umfangreiche Text zeigt ihn sowohl als einen der besten Kenner der geisteswissenschaftlichen Bewußtseinslage der zwanziger Jahre als auch als einen originellen Moderator im Streit der philosophischen Schulen seiner Zeit.
Misch zählte zwar nicht zu den führenden Philosophen seiner Zeit. Doch liegt das nicht etwa an einem Mangel an Tiefsinn oder intellektueller Schärfe. Es waren vielmehr überragende Gestalten wie Dilthey, Husserl, Scheler oder Heidegger, welche die Sicht auf die Leistung des Göttinger Hermeneuten verstellten. Wie die Vorlesung belegt, verfügte Misch indes über eine genaue Kenntnis dieser Philosophen, und er trägt in seinem Manuskript profunde Kritik an ihren Werken vor. Kaum weniger beschlagen war Misch auf dem Gebiet der zeitgenössischen kulturwissenschaftlichen Diskussion im Umfeld des Neukantianismus und des auf Nietzsche zurückgreifenden Vitalismus.
Die "Logik" des Hermeneutikers Misch hat wenig zu tun mit der sich gleichzeitig entwickelnden formalen, analytischen oder gar der mathematischen Logik. Namen wie Russell oder Whitehead, Frege oder Brouwer, Tarski oder Gödel wird man hier vergeblich suchen. Misch versucht vielmehr, das Moment des Logischen im Gesamtzusammenhang des menschlichen Daseins zu entfalten. Nicht die Klarheit logischer Ableitungen ist sein Gegenstand, sondern deren Situierung und Relativierung aus dem Blickwinkel der menschlichen Lebenspraxis.
Den entscheidenden Ansatzpunkt für diese hermeneutische Neubestimmung des Logischen findet Misch sowohl in Diltheys Metaphysikkritik wie in Heideggers "Sein und Zeit". Mit Heidegger versteht er die klassischen Bestimmungen der Ontologie als Kondensate eines vorgängigen Auslegungszusammenhangs des Daseins in die Welt; die Rede in Aussagesätzen als Kernbestand der Logik wird für Misch damit zu einem Sonderfall menschlicher Weltauslegung durch Sprache. Mit Dilthey radikalisiert er Kants Metaphysikkritik zu einer strikt phänomenologisch ausgerichteten Hermeneutik der Weltauslegung, die sowohl gegen den Positivismus wie gegen den Idealismus Stellung nimmt und den anthropologischen Entwurf-Charakter der Logik hervorhebt.
Das bezeichnet zugleich den wichtigsten Unterschied zum zeitgenössischen Neukantianismus. Heinrich Rickert beispielsweise hatte 1920 in seiner Invektive gegen die Lebensphilosophie namentlich den Irrationalismus der Nietzsche-Epigonen angegriffen. Misch dagegen bekennt sich an vielen Stellen seiner Logik geradezu als Schüler Nietzsches, insbesondere wenn er die Logik vom Formalismus der Urteilstheorie abkoppelt und gleichsam von unten her, am "Leitfaden des Leibes", wie Nietzsche es ausdrückte, und von der schöpferischen Welt-Auslegung her aufzubauen sucht.
Damit rückt die historisch-anthropologische und die biologisch-empirische Untersuchung der leiblich-geistigen Bezüge des Menschen zu seiner jeweiligen Um-und Mitwelt in den Mittelpunkt der hermeneutischen Logik. Misch greift denn auch bereitwillig auf die Gestaltpsychologie, den Vitalismus in der Nachfolge Bergsons und vor allem auf die Anthropologie seines Göttinger Kollegen und Freundes Helmuth Plessner zurück.
Man wird diese Hinwendung zu einer biologistisch geprägten Anthropologie durchaus als eine Vorstufe zu jener evolutionären Wendung von Erkenntnistheorie und Logik bezeichnen können, die Konrad Lorenz schließlich 1941 in seiner evolutionstheoretischen Kant-Lektüre vollzogen hat. Dafür spricht auch, daß Misch mit Lorenz das epistemische Dilemma des Biologismus teilt, nämlich die Entstehung des menschlichen Bewußtseins und damit der Logik letztlich nur durch einen geheimnisvollen Akt der "Fulguration", durch einen "Bewußtseinsblitz", erklären zu können. In Mischs Vorlesung tritt dieser prometheische Ursprungsblitz, der die Geburt des Logischen bewirken soll, in den namengebenden Akten des "evozierenden Sprechens" auf, durch das laut Misch "Ausdruck und Gegenstand in ein Verhältnis der Immanenz" gesetzt werden. Damit ist für Misch die Anwendbarkeit der Logik auf die Tatsachen der Welt garantiert.
Im Gegensatz zu Martin Heideggers "Sein und Zeit" besitzt diese Immanenz der Erkenntnis für Misch keinen fundamentalontologischen Status, sondern muß als hermeneutisches Prozeßgeschehen begriffen werden. Im "evozierenden Sprechen" nämlich wird der Gegenstand "in der Welt" für die Sprachgemeinschaft allererst "erzeugt": Sprachliche Explikation und Kreation der Objektwelt fallen, heißt es in der "Logik", in eins.
Der hermeneutische Zugriff markiert auch die Hauptdifferenz zur analytischen Sprachphilosophie. Die "Evokation" zielt nämlich gerade nicht auf den propositionalen Gehalt von Sätzen. Misch versucht vielmehr, mit ihr jene "hermeneutischen Gestaltungen" des Sprechens in den Blick zu bekommen, welche die Verbundenheit des sprachlichen Ausdrucks mit dem "Leben des Gegenstandes" zum Ausdruck bringen, die eine "Objektsprache" allererst ermöglichen.
Mit der hermeneutisch-zirkulären Verschränkung des "Sprachlebens" und des Lebens der "Objekte" in der Welt ist laut Misch eine hermeneutisch unhintergehbare Grenze der sprachlogischen Interpretation erreicht. Wie sein Lehrer Wilhelm Dilthey sieht Misch am Horizont der wissenschaftlichen Analyse stets die Vermittlung von "Leben mit Leben" als Bedingung allen Erkennens.
Es wäre sicherlich reizvoll, die lebensphilosophisch-hermeneutische Grenzbestimmung des Logischen etwa mit den gleichfalls lebensphilosophisch motivierten Reflexionen Wittgensteins zu vergleichen. Der österreichische Sprachphilosoph wird in der Vorlesung mit keinem Wort erwähnt. Misch hätte ihn während seines eigenen Exils in Cambridge von 1939 bis 1945 treffen können. Doch ist nicht anzunehmen, daß es damals zu einem philosophischen Austausch zwischen beiden kam. Die Veröffentlichung der "Logik" bietet eine gute Möglichkeit, das damals ausgebliebene und bis heute schwierige Gespräch zwischen Hermeneutik und sprachanalytischer Philosophie neu zu beleben. MATTHIAS KROSS
Georg Misch: "Der Aufbau der Logik auf dem Boden der Philosophie des Lebens". Göttinger Vorlesungen über Logik und Einleitung in die Theorie des Wissens. Herausgegeben von Gudrun Kühne-Bertram und Frithjof Rodi. Verlag Karl Alber, Freiburg / München 1994. 592 S., geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Georg Mischs hermeneutische Logik am Leitfaden des Lebens
In seinem Vortrag zum ersten Todestag Georg Mischs, 1966 vor der Göttinger Akademie der Wissenschaften gehalten, stellte der Philosoph Josef König programmatisch fest: "Georg Misch war Philosoph und wollte es sein." Doch bis heute gilt Misch vor allem als der Historiker der Autobiographie; seine wichtigsten philosophischen Publikationen, etwa "Lebensphilosophie und Phänomenologie", erst 1929 und dann noch einmal 1947 in dritter Auflage erschienen, blieben ohne nennenswerte Wirkung.
Mit der jetzt von Gudrun Kühne-Bertram und Frithjof Rodi mit größter Sorgfalt besorgten und vorzüglich annotierten Edition des zweiten Teils der "Göttinger Vorlesungen über Logik", die Misch unter dem Titel "Einleitung in die Theorie des Wissens" zwischen 1919 und 1935 insgesamt viermal vortrug, dürfte auch der Philosoph Misch heute wieder mehr ins Blickfeld rücken. Denn der umfangreiche Text zeigt ihn sowohl als einen der besten Kenner der geisteswissenschaftlichen Bewußtseinslage der zwanziger Jahre als auch als einen originellen Moderator im Streit der philosophischen Schulen seiner Zeit.
Misch zählte zwar nicht zu den führenden Philosophen seiner Zeit. Doch liegt das nicht etwa an einem Mangel an Tiefsinn oder intellektueller Schärfe. Es waren vielmehr überragende Gestalten wie Dilthey, Husserl, Scheler oder Heidegger, welche die Sicht auf die Leistung des Göttinger Hermeneuten verstellten. Wie die Vorlesung belegt, verfügte Misch indes über eine genaue Kenntnis dieser Philosophen, und er trägt in seinem Manuskript profunde Kritik an ihren Werken vor. Kaum weniger beschlagen war Misch auf dem Gebiet der zeitgenössischen kulturwissenschaftlichen Diskussion im Umfeld des Neukantianismus und des auf Nietzsche zurückgreifenden Vitalismus.
Die "Logik" des Hermeneutikers Misch hat wenig zu tun mit der sich gleichzeitig entwickelnden formalen, analytischen oder gar der mathematischen Logik. Namen wie Russell oder Whitehead, Frege oder Brouwer, Tarski oder Gödel wird man hier vergeblich suchen. Misch versucht vielmehr, das Moment des Logischen im Gesamtzusammenhang des menschlichen Daseins zu entfalten. Nicht die Klarheit logischer Ableitungen ist sein Gegenstand, sondern deren Situierung und Relativierung aus dem Blickwinkel der menschlichen Lebenspraxis.
Den entscheidenden Ansatzpunkt für diese hermeneutische Neubestimmung des Logischen findet Misch sowohl in Diltheys Metaphysikkritik wie in Heideggers "Sein und Zeit". Mit Heidegger versteht er die klassischen Bestimmungen der Ontologie als Kondensate eines vorgängigen Auslegungszusammenhangs des Daseins in die Welt; die Rede in Aussagesätzen als Kernbestand der Logik wird für Misch damit zu einem Sonderfall menschlicher Weltauslegung durch Sprache. Mit Dilthey radikalisiert er Kants Metaphysikkritik zu einer strikt phänomenologisch ausgerichteten Hermeneutik der Weltauslegung, die sowohl gegen den Positivismus wie gegen den Idealismus Stellung nimmt und den anthropologischen Entwurf-Charakter der Logik hervorhebt.
Das bezeichnet zugleich den wichtigsten Unterschied zum zeitgenössischen Neukantianismus. Heinrich Rickert beispielsweise hatte 1920 in seiner Invektive gegen die Lebensphilosophie namentlich den Irrationalismus der Nietzsche-Epigonen angegriffen. Misch dagegen bekennt sich an vielen Stellen seiner Logik geradezu als Schüler Nietzsches, insbesondere wenn er die Logik vom Formalismus der Urteilstheorie abkoppelt und gleichsam von unten her, am "Leitfaden des Leibes", wie Nietzsche es ausdrückte, und von der schöpferischen Welt-Auslegung her aufzubauen sucht.
Damit rückt die historisch-anthropologische und die biologisch-empirische Untersuchung der leiblich-geistigen Bezüge des Menschen zu seiner jeweiligen Um-und Mitwelt in den Mittelpunkt der hermeneutischen Logik. Misch greift denn auch bereitwillig auf die Gestaltpsychologie, den Vitalismus in der Nachfolge Bergsons und vor allem auf die Anthropologie seines Göttinger Kollegen und Freundes Helmuth Plessner zurück.
Man wird diese Hinwendung zu einer biologistisch geprägten Anthropologie durchaus als eine Vorstufe zu jener evolutionären Wendung von Erkenntnistheorie und Logik bezeichnen können, die Konrad Lorenz schließlich 1941 in seiner evolutionstheoretischen Kant-Lektüre vollzogen hat. Dafür spricht auch, daß Misch mit Lorenz das epistemische Dilemma des Biologismus teilt, nämlich die Entstehung des menschlichen Bewußtseins und damit der Logik letztlich nur durch einen geheimnisvollen Akt der "Fulguration", durch einen "Bewußtseinsblitz", erklären zu können. In Mischs Vorlesung tritt dieser prometheische Ursprungsblitz, der die Geburt des Logischen bewirken soll, in den namengebenden Akten des "evozierenden Sprechens" auf, durch das laut Misch "Ausdruck und Gegenstand in ein Verhältnis der Immanenz" gesetzt werden. Damit ist für Misch die Anwendbarkeit der Logik auf die Tatsachen der Welt garantiert.
Im Gegensatz zu Martin Heideggers "Sein und Zeit" besitzt diese Immanenz der Erkenntnis für Misch keinen fundamentalontologischen Status, sondern muß als hermeneutisches Prozeßgeschehen begriffen werden. Im "evozierenden Sprechen" nämlich wird der Gegenstand "in der Welt" für die Sprachgemeinschaft allererst "erzeugt": Sprachliche Explikation und Kreation der Objektwelt fallen, heißt es in der "Logik", in eins.
Der hermeneutische Zugriff markiert auch die Hauptdifferenz zur analytischen Sprachphilosophie. Die "Evokation" zielt nämlich gerade nicht auf den propositionalen Gehalt von Sätzen. Misch versucht vielmehr, mit ihr jene "hermeneutischen Gestaltungen" des Sprechens in den Blick zu bekommen, welche die Verbundenheit des sprachlichen Ausdrucks mit dem "Leben des Gegenstandes" zum Ausdruck bringen, die eine "Objektsprache" allererst ermöglichen.
Mit der hermeneutisch-zirkulären Verschränkung des "Sprachlebens" und des Lebens der "Objekte" in der Welt ist laut Misch eine hermeneutisch unhintergehbare Grenze der sprachlogischen Interpretation erreicht. Wie sein Lehrer Wilhelm Dilthey sieht Misch am Horizont der wissenschaftlichen Analyse stets die Vermittlung von "Leben mit Leben" als Bedingung allen Erkennens.
Es wäre sicherlich reizvoll, die lebensphilosophisch-hermeneutische Grenzbestimmung des Logischen etwa mit den gleichfalls lebensphilosophisch motivierten Reflexionen Wittgensteins zu vergleichen. Der österreichische Sprachphilosoph wird in der Vorlesung mit keinem Wort erwähnt. Misch hätte ihn während seines eigenen Exils in Cambridge von 1939 bis 1945 treffen können. Doch ist nicht anzunehmen, daß es damals zu einem philosophischen Austausch zwischen beiden kam. Die Veröffentlichung der "Logik" bietet eine gute Möglichkeit, das damals ausgebliebene und bis heute schwierige Gespräch zwischen Hermeneutik und sprachanalytischer Philosophie neu zu beleben. MATTHIAS KROSS
Georg Misch: "Der Aufbau der Logik auf dem Boden der Philosophie des Lebens". Göttinger Vorlesungen über Logik und Einleitung in die Theorie des Wissens. Herausgegeben von Gudrun Kühne-Bertram und Frithjof Rodi. Verlag Karl Alber, Freiburg / München 1994. 592 S., geb., 148,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main