Die Quandts zählen zu den mächtigsten Unternehmerdynastien Deutschlands. Doch ihr Aufstieg ist umstritten. Wie eng war die Familie in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt? Beruht ihr heutiges Vermögen auf den Profiten aus Zwangsarbeit, Arisierungen und Rüstungsaufträgen des Dritten Reiches? Oder wurden die Grundlagen bereits früher gelegt? Joachim Scholtyseck beantwortet diese Fragen anhand zahlreicher neuer Quellen erstmals umfassend und auf verlässlicher Grundlage. Dabei spannt er einen Bogen von den Anfängen als Tuchfabrikanten im Kaiserreich bis 1954, dem Todesjahr des Patriarchen Günther Quandt, der die Familie in die deutsche Wirtschaftselite führte.
2007 machte die Fernsehdokumentation "Das Schweigen der Quandts" Furore. Sie prangerte den Umgang der Familie mit ihrer Vergangenheit an und warf ihr vor, die wahre Herkunft ihres Vermögens zu verschleiern. Daraufhin haben die Quandts das Familienarchiv für Joachim Scholtyseck geöffnet. Auf dieser Grundlage und nach umfassenden Recherchen in über 40 deutschen und ausländischen Archiven legt der Bonner Historiker nun seine lange erwarteten Ergebnisse vor. Vom Vorstoß Günther Quandts in die deutsche Wirtschaftselite über seine Rolle und die seiner Söhne, Herbert und Harald, im Dritten Reich bis hin zu den Entnazifizierungsverfahren nach 1945 und dem Neubeginn im "Wirtschaftswunder" der frühen Bundesrepublik fragt dieses Buch wie es sich wirklich verhielt mit dem Aufstieg der Quandts. Ein Lehrstück über Verstrickung, Verantwortung und Handlungsspielräume eines Unternehmers in einer verbrecherischen Diktatur.
2007 machte die Fernsehdokumentation "Das Schweigen der Quandts" Furore. Sie prangerte den Umgang der Familie mit ihrer Vergangenheit an und warf ihr vor, die wahre Herkunft ihres Vermögens zu verschleiern. Daraufhin haben die Quandts das Familienarchiv für Joachim Scholtyseck geöffnet. Auf dieser Grundlage und nach umfassenden Recherchen in über 40 deutschen und ausländischen Archiven legt der Bonner Historiker nun seine lange erwarteten Ergebnisse vor. Vom Vorstoß Günther Quandts in die deutsche Wirtschaftselite über seine Rolle und die seiner Söhne, Herbert und Harald, im Dritten Reich bis hin zu den Entnazifizierungsverfahren nach 1945 und dem Neubeginn im "Wirtschaftswunder" der frühen Bundesrepublik fragt dieses Buch wie es sich wirklich verhielt mit dem Aufstieg der Quandts. Ein Lehrstück über Verstrickung, Verantwortung und Handlungsspielräume eines Unternehmers in einer verbrecherischen Diktatur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2011Der Schatten des großen Unbekannten
Familie Quandt hat einen steilen Aufstieg hinter sich. Ein neues Buch beleuchtet die Verstrickung in der Nazi-Zeit
Von Jürgen Jeske
Noch immer sind die Quandts eine der reichsten Industriellenfamilien in Deutschland mit Beteiligungen wie an dem Autohersteller BMW oder dem Chemiekonzern Altana. Doch auf sie fällt der Schatten jenes Mannes, der ähnlich wie Friedrich Flick als ideenreicher Unternehmer und geschickter Finanzinvestor eine der größten deutschen Industriegruppen schuf und damit die Grundlage des heutigen Reichtums der Quandts legte. Die "Frankfurter Zeitung" schrieb 1931 über diesen Günther Quandt, er sei ein äußerst gelehriger Instrumentator aller die Herrschaft verschaffenden Möglichkeiten der Aktie. Das lehrte ihn früh zu schweigen, so dass er bald als "der große Unbekannte" galt. In dem Buch "Männer, Mächte, Monopole" von Kurt Pritzkoleit heißt es: "Quandt hat die Begabung, sein Wirken dem Außenstehenden zu entziehen, zu einer Kunstfertigkeit entwickelt, wie sie sich selten findet." Auch die Nachfahren haben es überwiegend so gehalten und ihr Tun, den Familienbesitz und seine Historie so weit als möglich dem Blick der Öffentlichkeit entzogen.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit Mitte der achtziger Jahre haben zahlreiche große Unternehmen ihre Vergangenheit durch renommierte Historiker aufarbeiten lassen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Quandts ins Blickfeld gerieten. Aufgeschreckt durch einen überaus polemischen (wenn auch preisgekrönten) Fernsehbeitrag hat sich daher die junge Generation der Quandts entschlossen, das Schweigen zu brechen. Sie hat das Familienarchiv geöffnet und eine Studie finanziert über den Aufstieg der Familiengruppe und die Rolle des 1954 verstorbenen Großvaters, vor allem in der Nazizeit. Autor des fundierten, umfangreichen, aber gut lesbaren Buchs ist der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck, der schon über Robert Bosch und den liberalen Widerstand gegen Hitler geschrieben hat und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Zeitgeschichte ist.
Die Erkenntnisse der Studie sind in ihren Grundzügen nicht wirklich überraschend und bekräftigen nur, was auch schon bei anderen Unternehmen zutage gefördert wurde. Die Familie Quandt wurde jedoch mit unangenehmen und schmerzlichen Wahrheiten konfrontiert. Darüber hinaus ist das Buch zugleich ein weiteres Lehrstück über unternehmerisches Verhalten und unternehmerische Verantwortung. Eine Frage, die sich immer wieder stellt, wie die heutigen Diskussionen über Unternehmerethik und Verhaltenskodizes zeigen. Scholtyseck: "Der ehrbare Kaufmann weiß in normalen Zeiten, was sich gehört. In einer Diktatur verkümmern hingegen die ethischen Maßstäbe, die zur Wahrnehmung der Freiheit gehören. Während in einem Rechtsstaat das Instrumentarium zur Verfügung steht und auch genutzt wird, um unternehmerisches Fehlverhalten zu ahnden, werden in einer Diktatur diese staatlichen Machtmittel nach Gutdünken im Sinne des Regimes eingesetzt. Das erleichtert politischen Opportunismus und einen grenzenlosen Moralverlust."
In der Debatte über Unternehmen in der Nazizeit wird aufgrund dieses Moralverlusts oft behauptet, die heutige Wirtschaftskraft von Unternehmen und der Reichtum ihrer Eigentümer resultiere allein aus den Profiten jener Jahre. Das greift zu kurz und lässt außer Acht, dass Gewinnen jener Zeit häufig auch Verluste durch Kriegszerstörungen, Enteignungen und die meist notwendige Neuausrichtung nach dem Krieg gegenüberstehen.
Auch bei den Quandts beginnt der Erfolg und die Vermögensmehrung lange vorher im 19. Jahrhundert, als Emil Quandt, der Vater Günther Quandts, in die Uniformtuch-Fabrik Gebrüder Draeger im märkischen Pritzwalk eintrat und nach etlichen Jahren Mitinhaber wurde. Er schuf das Fundament, auf dem der Sohn aufbaute. Günther Quandt wollte dann höher hinaus und brachte durch Expansion, Kooperation und nach 1914 durch die Einbindung in das System der Kriegswirtschaft im Kaiserreich die Textilfabriken voran. Danach in den Inflations- und Krisenjahren der Weimarer Republik, als die Spekulation ins Kraut schoss und die Flucht in Sachwerte begann, brach sein Instinkt für Geschäfte und Finanzideen durch. Er blieb zwar Tuchfabrikant, spekulierte aber gleichzeitig an der Börse und begann, Finanzinvestitionen zu tätigen. So beteiligte er sich an dem expandierenden Kali- und Chemiekonzern Wintershall, eine Beteiligung, die bis in die 1960er Jahre von den Quandts gehalten wurde und reichen Ertrag abwarf.
Der eigentliche Grundstein für den Aufstieg der Quandts zu Großindustriellen war 1922 der schrittweise Einstieg bei der traditionsreichen Accumulatoren-Fabrik (AFA), die schon damals Weltmarktführer für Akkus und Batterien war. Daraus wurde später der Varta-Konzern. Der nächste große Coup war Ende der 1920er Jahre der Einstieg bei dem großen Rüstungskonzern Berlin-Karlsruher Industriewerke AG. Der Konzern befand sich durch die Verbote des Versailler Friedensvertrags in einer Krise, und Quandt sah die Chancen, die in einer Sanierung lagen. Mit diesem Konglomerat gehörten die Quandts also schon vor der Machtergreifung Hitlers zu den reichen Industriellenfamilien in Deutschland.
In der Nazizeit setzte sich dieser unternehmerische Aufstieg ungebremst fort. Dazu trugen schon der Konjunkturaufschwung und die beginnende Massenmotorisierung bei. Aber mehr noch bot die bald einsetzende Aufrüstung unternehmerische Möglichkeiten, die Günther Quandt wie auch andere Unternehmer konsequent nutzte. Scholtyseck: "(Er) band sich dadurch notwendigerweise an den Nationalsozialismus - ein Arrangement, das mit einer immer tieferen Verstrickung in die Logik des Unrechts verbunden war: der Familienpatriarch war Teil des NS-Regimes."
Gleichwohl war Quandt, wie Scholtyseck meint, kein überzeugter Nazi, obwohl er schon 1933 in die NSDAP eintrat und bald auch in einige andere NS-Organisationen. Später wurde er auch wie andere Unternehmer "Wehrwirtschaftsführer". Doch die von Quandt nach dem Krieg behauptete "Regimeferne" gehört, wie es in dem Buch zu Recht heißt, zu den Entschuldigungsfabeln. Dagegen spricht auch nicht, dass Quandt 1933 von Nazis wegen Korruptionsvorwürfen wochenlang inhaftiert wurde. Es war die Intrige eines übereifrigen Nazis, der in der AFA die Macht übernehmen wollte, ein Coup, der missglückte, weil der Staat Quandt brauchte. Ebenso waren die Konflikte Quandts mit Joseph Goebbels rein privater Natur. Hitlers Propagandaminister hatte Quandts geschiedene zweite Frau Magda geheiratet, die das Sorgerecht für den Sohn Harald beanspruchte und überdies überzeugte Nationalsozialistin geworden war.
Als Unternehmer nutzte Quandt alle Möglichkeiten, die das Regime bot. Er griff ohne Bedenken zu bei "Arisierungen". Er erwarb die Kontrolle über Unternehmen im eroberten Ausland. Und in allen Betrieben beschäftigte Quandt während des Kriegs Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, nach Schätzungen über 50000 Menschen. Rüstungsbetriebe wie die der Quandts standen damals unter besonderem Produktionsdruck, und Arbeitskräfte waren knapp. Der britische Historiker Adam Tooze hat in seinem brillanten Buch "Ökonomie der Zerstörung" geschrieben, dass die deutschen Unternehmen Zwangsarbeiter nicht geholt hätten, um Gewinne zu machen, sondern weil sie die einzig verfügbaren Arbeitskräfte waren. Doch festzuhalten bleibt, sie ermöglichten bei Quandt, Flick, Krupp und anderen erst die enorme Rüstungsproduktion, die zugleich eigenen unternehmerischen Interessen diente.
Auch der Zusammenbruch des Hitler-Reichs 1945 hat den Aufstieg der Quandts nur kurz unterbrochen - trotz Zerstörungen, Demontagen und Enteignungen. Wesentliche Vermögenswerte und wertvolle Rohstoffvorräte waren erhalten geblieben. Die hohe Verschuldung verminderte sich durch die Währungsreform. Quandt wurde nach einer Internierung durch die Besatzungsmächte in einem deutschen Entnazifizierungsverfahren nur als "Mitläufer" eingestuft und konnte sich bald wieder um die Zukunft seiner Unternehmen kümmern. Nach Günther Quandts Tod 1954 führten die beiden Söhne Harald und Herbert unterstützt durch eine geschickte Erbfolgeregelung die Unternehmen erfolgreich fort. Harald, der in der Familie Goebbels aufgewachsen war, Soldat wurde und in Kriegsgefangenschaft geriet, hatte seine unternehmerische Tätigkeit erst nach dem Krieg aufnehmen können. Herbert war dagegen bereits seit Kriegsbeginn in die Führung einbezogen worden. Harald kam 1967 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, Herbert Quandt starb 1982. Dass die Quandts heute mit Günthers Enkeln wie Stefan Quandt in der vierten Generation ein großes Familienvermögen gehalten haben und mehren spricht für die unternehmerischen Leistungen der Familie.
Gleichwohl bleiben die Schatten der Vergangenheit. Scholtyseck: "Überblickt man Günther Quandts Schaffensphase vom Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik, ist es frappierend zu beobachten, wie mühelos er sich mit seiner schnellen Auffassungsgabe mit den jeweiligen politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen zu arrangieren wusste Der Vorrang des Denkens in Kategorien der Besitzmehrung war so dominant, dass für grundsätzliche Fragen nach Recht und Moral kein Raum blieb." Das traf zu einem Teil auch auf Herbert Quandt zu, der Mitverantwortung getragen hatte, bei der Entnazifizierung aber als "entlastet" eingestuft wurde.
Günther Quandt hat sich nach dem Krieg wie viele belastete Deutsche als Opfer und nicht als Schuldiger gesehen. Seine Erinnerungen sind Rechtfertigungen, die weder von Selbstkritik noch von Bedauern, noch von kritischer Selbstreflexion zeugen. Stefan Quandt hat dazu in einem Interview über seinen Großvater gesagt, sein unternehmerischer Gestaltungswille habe leider an moralischen Grenzen nicht haltgemacht. Daraus könne man lernen, dass unternehmerisches Handeln nicht ohne ein stabiles Wertgerüst bleiben darf. Das ist letztlich auch die Botschaft der Quandt-Biographie.
Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts, C. H. Beck, 2011
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Familie Quandt hat einen steilen Aufstieg hinter sich. Ein neues Buch beleuchtet die Verstrickung in der Nazi-Zeit
Von Jürgen Jeske
Noch immer sind die Quandts eine der reichsten Industriellenfamilien in Deutschland mit Beteiligungen wie an dem Autohersteller BMW oder dem Chemiekonzern Altana. Doch auf sie fällt der Schatten jenes Mannes, der ähnlich wie Friedrich Flick als ideenreicher Unternehmer und geschickter Finanzinvestor eine der größten deutschen Industriegruppen schuf und damit die Grundlage des heutigen Reichtums der Quandts legte. Die "Frankfurter Zeitung" schrieb 1931 über diesen Günther Quandt, er sei ein äußerst gelehriger Instrumentator aller die Herrschaft verschaffenden Möglichkeiten der Aktie. Das lehrte ihn früh zu schweigen, so dass er bald als "der große Unbekannte" galt. In dem Buch "Männer, Mächte, Monopole" von Kurt Pritzkoleit heißt es: "Quandt hat die Begabung, sein Wirken dem Außenstehenden zu entziehen, zu einer Kunstfertigkeit entwickelt, wie sie sich selten findet." Auch die Nachfahren haben es überwiegend so gehalten und ihr Tun, den Familienbesitz und seine Historie so weit als möglich dem Blick der Öffentlichkeit entzogen.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit Mitte der achtziger Jahre haben zahlreiche große Unternehmen ihre Vergangenheit durch renommierte Historiker aufarbeiten lassen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Quandts ins Blickfeld gerieten. Aufgeschreckt durch einen überaus polemischen (wenn auch preisgekrönten) Fernsehbeitrag hat sich daher die junge Generation der Quandts entschlossen, das Schweigen zu brechen. Sie hat das Familienarchiv geöffnet und eine Studie finanziert über den Aufstieg der Familiengruppe und die Rolle des 1954 verstorbenen Großvaters, vor allem in der Nazizeit. Autor des fundierten, umfangreichen, aber gut lesbaren Buchs ist der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck, der schon über Robert Bosch und den liberalen Widerstand gegen Hitler geschrieben hat und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Zeitgeschichte ist.
Die Erkenntnisse der Studie sind in ihren Grundzügen nicht wirklich überraschend und bekräftigen nur, was auch schon bei anderen Unternehmen zutage gefördert wurde. Die Familie Quandt wurde jedoch mit unangenehmen und schmerzlichen Wahrheiten konfrontiert. Darüber hinaus ist das Buch zugleich ein weiteres Lehrstück über unternehmerisches Verhalten und unternehmerische Verantwortung. Eine Frage, die sich immer wieder stellt, wie die heutigen Diskussionen über Unternehmerethik und Verhaltenskodizes zeigen. Scholtyseck: "Der ehrbare Kaufmann weiß in normalen Zeiten, was sich gehört. In einer Diktatur verkümmern hingegen die ethischen Maßstäbe, die zur Wahrnehmung der Freiheit gehören. Während in einem Rechtsstaat das Instrumentarium zur Verfügung steht und auch genutzt wird, um unternehmerisches Fehlverhalten zu ahnden, werden in einer Diktatur diese staatlichen Machtmittel nach Gutdünken im Sinne des Regimes eingesetzt. Das erleichtert politischen Opportunismus und einen grenzenlosen Moralverlust."
In der Debatte über Unternehmen in der Nazizeit wird aufgrund dieses Moralverlusts oft behauptet, die heutige Wirtschaftskraft von Unternehmen und der Reichtum ihrer Eigentümer resultiere allein aus den Profiten jener Jahre. Das greift zu kurz und lässt außer Acht, dass Gewinnen jener Zeit häufig auch Verluste durch Kriegszerstörungen, Enteignungen und die meist notwendige Neuausrichtung nach dem Krieg gegenüberstehen.
Auch bei den Quandts beginnt der Erfolg und die Vermögensmehrung lange vorher im 19. Jahrhundert, als Emil Quandt, der Vater Günther Quandts, in die Uniformtuch-Fabrik Gebrüder Draeger im märkischen Pritzwalk eintrat und nach etlichen Jahren Mitinhaber wurde. Er schuf das Fundament, auf dem der Sohn aufbaute. Günther Quandt wollte dann höher hinaus und brachte durch Expansion, Kooperation und nach 1914 durch die Einbindung in das System der Kriegswirtschaft im Kaiserreich die Textilfabriken voran. Danach in den Inflations- und Krisenjahren der Weimarer Republik, als die Spekulation ins Kraut schoss und die Flucht in Sachwerte begann, brach sein Instinkt für Geschäfte und Finanzideen durch. Er blieb zwar Tuchfabrikant, spekulierte aber gleichzeitig an der Börse und begann, Finanzinvestitionen zu tätigen. So beteiligte er sich an dem expandierenden Kali- und Chemiekonzern Wintershall, eine Beteiligung, die bis in die 1960er Jahre von den Quandts gehalten wurde und reichen Ertrag abwarf.
Der eigentliche Grundstein für den Aufstieg der Quandts zu Großindustriellen war 1922 der schrittweise Einstieg bei der traditionsreichen Accumulatoren-Fabrik (AFA), die schon damals Weltmarktführer für Akkus und Batterien war. Daraus wurde später der Varta-Konzern. Der nächste große Coup war Ende der 1920er Jahre der Einstieg bei dem großen Rüstungskonzern Berlin-Karlsruher Industriewerke AG. Der Konzern befand sich durch die Verbote des Versailler Friedensvertrags in einer Krise, und Quandt sah die Chancen, die in einer Sanierung lagen. Mit diesem Konglomerat gehörten die Quandts also schon vor der Machtergreifung Hitlers zu den reichen Industriellenfamilien in Deutschland.
In der Nazizeit setzte sich dieser unternehmerische Aufstieg ungebremst fort. Dazu trugen schon der Konjunkturaufschwung und die beginnende Massenmotorisierung bei. Aber mehr noch bot die bald einsetzende Aufrüstung unternehmerische Möglichkeiten, die Günther Quandt wie auch andere Unternehmer konsequent nutzte. Scholtyseck: "(Er) band sich dadurch notwendigerweise an den Nationalsozialismus - ein Arrangement, das mit einer immer tieferen Verstrickung in die Logik des Unrechts verbunden war: der Familienpatriarch war Teil des NS-Regimes."
Gleichwohl war Quandt, wie Scholtyseck meint, kein überzeugter Nazi, obwohl er schon 1933 in die NSDAP eintrat und bald auch in einige andere NS-Organisationen. Später wurde er auch wie andere Unternehmer "Wehrwirtschaftsführer". Doch die von Quandt nach dem Krieg behauptete "Regimeferne" gehört, wie es in dem Buch zu Recht heißt, zu den Entschuldigungsfabeln. Dagegen spricht auch nicht, dass Quandt 1933 von Nazis wegen Korruptionsvorwürfen wochenlang inhaftiert wurde. Es war die Intrige eines übereifrigen Nazis, der in der AFA die Macht übernehmen wollte, ein Coup, der missglückte, weil der Staat Quandt brauchte. Ebenso waren die Konflikte Quandts mit Joseph Goebbels rein privater Natur. Hitlers Propagandaminister hatte Quandts geschiedene zweite Frau Magda geheiratet, die das Sorgerecht für den Sohn Harald beanspruchte und überdies überzeugte Nationalsozialistin geworden war.
Als Unternehmer nutzte Quandt alle Möglichkeiten, die das Regime bot. Er griff ohne Bedenken zu bei "Arisierungen". Er erwarb die Kontrolle über Unternehmen im eroberten Ausland. Und in allen Betrieben beschäftigte Quandt während des Kriegs Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, nach Schätzungen über 50000 Menschen. Rüstungsbetriebe wie die der Quandts standen damals unter besonderem Produktionsdruck, und Arbeitskräfte waren knapp. Der britische Historiker Adam Tooze hat in seinem brillanten Buch "Ökonomie der Zerstörung" geschrieben, dass die deutschen Unternehmen Zwangsarbeiter nicht geholt hätten, um Gewinne zu machen, sondern weil sie die einzig verfügbaren Arbeitskräfte waren. Doch festzuhalten bleibt, sie ermöglichten bei Quandt, Flick, Krupp und anderen erst die enorme Rüstungsproduktion, die zugleich eigenen unternehmerischen Interessen diente.
Auch der Zusammenbruch des Hitler-Reichs 1945 hat den Aufstieg der Quandts nur kurz unterbrochen - trotz Zerstörungen, Demontagen und Enteignungen. Wesentliche Vermögenswerte und wertvolle Rohstoffvorräte waren erhalten geblieben. Die hohe Verschuldung verminderte sich durch die Währungsreform. Quandt wurde nach einer Internierung durch die Besatzungsmächte in einem deutschen Entnazifizierungsverfahren nur als "Mitläufer" eingestuft und konnte sich bald wieder um die Zukunft seiner Unternehmen kümmern. Nach Günther Quandts Tod 1954 führten die beiden Söhne Harald und Herbert unterstützt durch eine geschickte Erbfolgeregelung die Unternehmen erfolgreich fort. Harald, der in der Familie Goebbels aufgewachsen war, Soldat wurde und in Kriegsgefangenschaft geriet, hatte seine unternehmerische Tätigkeit erst nach dem Krieg aufnehmen können. Herbert war dagegen bereits seit Kriegsbeginn in die Führung einbezogen worden. Harald kam 1967 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, Herbert Quandt starb 1982. Dass die Quandts heute mit Günthers Enkeln wie Stefan Quandt in der vierten Generation ein großes Familienvermögen gehalten haben und mehren spricht für die unternehmerischen Leistungen der Familie.
Gleichwohl bleiben die Schatten der Vergangenheit. Scholtyseck: "Überblickt man Günther Quandts Schaffensphase vom Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik, ist es frappierend zu beobachten, wie mühelos er sich mit seiner schnellen Auffassungsgabe mit den jeweiligen politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen zu arrangieren wusste Der Vorrang des Denkens in Kategorien der Besitzmehrung war so dominant, dass für grundsätzliche Fragen nach Recht und Moral kein Raum blieb." Das traf zu einem Teil auch auf Herbert Quandt zu, der Mitverantwortung getragen hatte, bei der Entnazifizierung aber als "entlastet" eingestuft wurde.
Günther Quandt hat sich nach dem Krieg wie viele belastete Deutsche als Opfer und nicht als Schuldiger gesehen. Seine Erinnerungen sind Rechtfertigungen, die weder von Selbstkritik noch von Bedauern, noch von kritischer Selbstreflexion zeugen. Stefan Quandt hat dazu in einem Interview über seinen Großvater gesagt, sein unternehmerischer Gestaltungswille habe leider an moralischen Grenzen nicht haltgemacht. Daraus könne man lernen, dass unternehmerisches Handeln nicht ohne ein stabiles Wertgerüst bleiben darf. Das ist letztlich auch die Botschaft der Quandt-Biographie.
Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts, C. H. Beck, 2011
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ein solches Buch hätte man sich ein paar Jahrzehnte früher gewünscht. Der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck untersucht in seiner Studie die NS-Verstrickung der Familie Quandt, die erst durch die kritische Fernsehdokumentation "Das Schweigen der Quandts" dazu gebracht wurde, die eigene Familiengeschichte kritisch zu beleuchten. Die TV-Doku beruhte auf der von Rüdiger Jungbluth verfassten Familienbiografie "Die Quandts", und der nun rezensierende Jungbluth zollt Scholtyseck große Anerkennung. Zwar sei seine Arbeit von den Quandts bezahlt, aber nicht beeinflusst, erkennt Jungbluth, die Studie ist gründlich und detailreich und lässt keinen Zweifel daran, wie eng das Rüstungskonglomerat des Unternehmers Günther Quandt mit der Kriegs- und Vernichtungspolitik der Nazis verbunden war, wie skrupellos der Patriarch auf seinen Vorteil setzte und wie zynisch sein . Genau beziffern könne Scholtyseck nicht, inwieweit das heutige Vermögen der BMW-Besitzer zum Beispiel auf der Ausbeutung der 50.000 Zwangsarbeiter, bemerkt Jungbluth, sieht aber keinen Zweifel daran gelassen, dass der immense Besitz sich den Profiten aus der Rüstungsproduktion verdankt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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