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Die ersten Christen waren eine kleine Schar von Gläubigen, die in einer Randprovinz des Römischen Reiches lebten. Wie aber konnte es geschehen, daß dieser unbedeutende Kult binnen dreier Jahrhunderte zur beherrschenden Religion des Mittelmeerraums avancierte? - Der Soziologe Rodney Stark beantwortet diese Frage, indem er sowohl das moderne Instrumentarium der Sozialwissenschaften einsetzt als auch die Ergebnisse neuester Untersuchungen zum Aufstieg religiöser Sekten im 20. Jahrhundert berücksichtigt. - Stark räumt auf mit liebgewordenen Ansichten wie denen, die Christen seien vorwiegend…mehr

Produktbeschreibung
Die ersten Christen waren eine kleine Schar von Gläubigen, die in einer Randprovinz des Römischen Reiches lebten. Wie aber konnte es geschehen, daß dieser unbedeutende Kult binnen dreier Jahrhunderte zur beherrschenden Religion des Mittelmeerraums avancierte? - Der Soziologe Rodney Stark beantwortet diese Frage, indem er sowohl das moderne Instrumentarium der Sozialwissenschaften einsetzt als auch die Ergebnisse neuester Untersuchungen zum Aufstieg religiöser Sekten im 20. Jahrhundert berücksichtigt. - Stark räumt auf mit liebgewordenen Ansichten wie denen, die Christen seien vorwiegend Unterprivilegierte gewesen und hätten sich mittels Massenbekehrungen ausgebreitet. An die Stelle des Charismas der Lehre Christi setzt er quantitative Analysen und erklärt schlüssig, warum das Christentum Erfolg haben mußte. Dabei spielten Juden und Frauen eine besondere Rolle. Für die mehrheitlich in der Diaspora lebenden Juden bot das Christentum eine attraktive Alternative zur jüdisc hen Orthodoxie einerseits und zur hellenistischen Kultur andererseits. Die Frauen wiederum erlebten durch das Christentum eine gesellschaftliche Aufwertung, insbesondere durch die Stärkung der Ehe und des Verbots von Scheidung, Abtreibung und Kindsmord. Stark zieht Parallelen zu modernen religiösen Bewegungen, denn damals wie heute rekrutierte sich eine große Zahl von Konvertiten aus der gutausgebildeten und wohlhabenden oberen Mittelschicht. So bietet das Buch die langerwartete Synthese zwischen den theologischen Erklärungsansätzen einerseits und denen der Sozialwissenschaftler und Historiker andererseits. Überzeugend gelingt es dem Autor, beide Ansätze zu integrieren und damit den Aufstieg des Christentums endlich plausibel zu machen.
Autorenporträt
Rodney Stark ist Professor für Soziologie und Vergleichende Religions-wissenschaft an der Universität Washington. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der christlichen Religion.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Wer konnte dazu schon nein sagen
Seelenfriede im Sonderangebot: Rodney Starks Heilsökonomie / Von Friedrich Wilhelm Graf

Seitdem Edward Gibbon 1776 "The Decline and Fall of the Roman Empire" beschrieb, streiten Theologen und Historiker über das Verhältnis von Antike und Christentum. Gibbon hatte den Triumph der Christen über die antike Vielgötterei teils theologisch, als Erfüllung von Gottes Heilsplan, teils historisch, durch profane Ursachen, gedeutet. Ausschließlichkeitsanspruch, strenge Moral und Auferstehungsglaube hätten die Kirche attraktiv gemacht. Indem sie die Grenzen von Stand, Geschlecht und ethnischer Herkunft überbrückte, konnte sie im Chaos von Roms Untergang zum Staat im Staate werden. Trotz dieses Lobpreises der Kirche setzte das heilige Officium Gibbons berühmtes Buch 1783 auf den Index. Die Frommen sollten vor relativierender Geschichtsforschung geschützt werden.

Roms Sorgen waren unbegründet. Selbst kirchenkritisch-liberale Historiker feierten im neunzehnten Jahrhundert die Überlegenheit des christlichen Monotheismus über die bunte Vielfalt der heidnischen Götterwelt. Ihre Geschichtsentwürfe waren implizite Theologien, in denen in neuen Begriffen das alte Dogma gelehrt wurde, ohne christliche Moral sei keine stabile politische Ordnung zu wahren. Auch teilten sie den Glauben der Theologen, daß nur der eine, christliche Gott politische Einheit stiften könne. So waren Debatten über den Aufstieg des Christentums zugleich politische Diskurse über die moralischen Grundlagen der modernen Kultur.

Wie konnte aus einer winzigen jüdischen Protestbewegung in einer Randprovinz des Römischen Reiches die herrschende Religion der abendländischen Kultur werden? Rodney Stark will die alte Frage durch eine rein formale Sozialtheorie neu beantworten. Religion deutet er nach dem Modell des freien Marktes. Alle Sinnaktivitäten in einer Gesellschaft bilden deren religiöse Ökonomie. Sie folgt denselben Gesetzen wie andere Märkte. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Nur überzeugende Produktlinien sichern den Erfolg beim Konsumenten. Daß die christliche Kirche zur führenden Religionsfirma des Westens wurde, erklärt Stark mit den Regulierungsmechanismen des pluralistischen religiösen Marktes im Römischen Reich und den Bedürfnissen der Konsumenten. Er analysiert die konkurrierenden Religionsofferten, also Kulte, Rituale und Dogmen. Sein eigenes religiöses Portfolio enthält auch den Glauben an die Überlegenheit der Soziologie über Theologie und Geschichtswissenschaft. Dieser Glaube immunisiert ihn gegen methodischen Zweifel.

Historiker haben nur fragmentarische Quellen. "Sozialwissenschaftliche Arithmetik von Konversionschancen" soll ihre "Wissenslücken" füllen. In allen Kulturen und geschichtlichen Zeiten sollen Religionsmärkte nach denselben Mechanismen funktionieren: "Niemand kann ernsthaft geltend machen, daß die elementaren sozialen und psychischen Prozesse bei den alten Römern anders verliefen als beim modernen Menschen." Angesichts des modernen Historismus oder der Epistemologie der Annales-Historiker stellt dieses Credo vom ewiggleichen Menschen und von geschichtstranszendenten Gesellschaftsstrukturen nur ein soziologisches Dogma dar.

Der Sozialdemokrat Karl Kautsky und der liberale Theologe Ernst Troeltsch hatten um 1900 das Urchristentum als Religion besitzloser Proletarier gedeutet. Theodor Mommsen und Adolf von Harnack betonten dagegen die große Rolle wohlhabender Bildungseliten. Stark stimmt ihnen zu. Denn bei den Mormonen und den Neureligionen unseres Jahrhunderts seien ebenfalls gebildete Sinnsucher die wichtigsten Trägerschichten gewesen. "Wenn die frühe Kirche den Kultbewegungen glich, über die wir gute Daten haben, dann war sie keine proletarische, sondern eine auf die privilegierten Schichten gestützte Bewegung." Woher er um die strukturelle Gleichartigkeit von altkirchlichem Christuskult und New Yorker New-Age-Szene weiß, verrät der Soziologe nicht. Die Rolle blinder Dogmatiker hat er für Theologen reserviert. Aber seine Begriffe bleiben ohne historische Anschauung leer. Nirgends kann Stark Einsichten mitteilen, die über die klassischen Werke Theodor Mommsens, Adolf von Harnacks und Hans Lietzmanns oder die neueren Deutungen von Henry Chadwick und Peter Brown hinausführen.

Höchst originell ist aber sein Versuch, die Bekehrung zum Christentum in ökonomischen Modellen als rational choice zu deuten. Für viele soziale Gruppen war die Annahme des Christusglaubens ein gutes Geschäft. Das galt insbesondere für gebildete Diasporajuden, die im Christentum die Gegensätze zwischen jüdischer Herkunft und hellenischer Umwelt überbrückt fanden. Glücklich verknüpft Stark die religiöse Ökonomie mit den Geschlechterverhältnissen. Ihre Missionserfolge verdankte die alte Kirche primär den Frauen. Der neue Glaube brachte ihnen eigene Rechte. In christlichen Gemeinden konnten Frauen Führungspositionen übernehmen. Indem die Kirchenlehrer Inzest, Polygamie, Ehebruch und Scheidung verdammten, schränkten sie die sexuelle Freizügigkeit der Männer ein und stärkten die Frau in der Familie. Christlichen Frauen bot die Ehe mehr Würde und soziale Sicherheit. Den neuen Glauben anzunehmen war für sie deshalb ein einträgliches Geschäft. Frauen konvertierten viel schneller zum Christentum als Männer.

Im Römischen Reich war es üblich, weibliche Neugeborene auszusetzen. Selbst große Familien zogen häufig nur eine Tochter auf. Dies führte zu einem Überschuß an Männern. Bei den Christen war es umgekehrt. Ihnen waren Abtreibung und Kindsmord verboten. In ihren Gemeinden gab es mehr Frauen als Männer. Angesichts des generellen Frauenmangels nahmen viele heidnische Männer eine Christin zur Frau. In diesen Mischehen sorgten die Frauen für eine christliche Kindererziehung. Bald überzeugten sie ihre heidnischen Männer davon, sich ebenfalls taufen zu lassen. Die kirchliche Sexualethik diente der Stärkung der Familie. Coitus interruptus und Masturbation waren verpönt. Deshalb zeugten Christen sehr viel mehr Kinder als die übrige Bevölkerung. In einer Gesellschaft, die aufgrund vielfältiger Katastrophen einen dramatischen Rückgang der Bevölkerung erlebte, waren sie die einzige Gruppe mit steigenden Reproduktionsraten.

Attraktiv wirkten die Christen vor allem durch ihre Einstellungen zu Krankheit und Tod. Das Leben war von vielen Epidemien geprägt. Heidnische Priester flohen dann aus den Städten. Kranke blieben ohne Hilfe und Tote ohne Bestattung. Die Christen aber entwickelten Strukturen diakonischer Fürsorge. Von der Hoffnung auf das ewige Leben getragen, pflegten sie ohne Angst vor Ansteckung Kranke und Sterbende. In ihren Begräbnisgottesdiensten bezeugten sie eine Würde des Menschen, die alles irdische Leid transzendiert. Aufgrund der in ihren Gemeinden praktizierten Nächstenliebe hatten Christen bald eine höhere Lebenserwartung. Konversion brachte einen Gewinn an Lebenszeit.

Überzeugend wendet Stark das Konzept der religiösen Ökonomie auch auf den theologischen Ideenmarkt an. Einerseits seien theologische Ideen durch gesellschaftliche Strukturen geprägt. Andererseits könnten sie soziale Tatsachen schaffen, indem sie das Verhalten von Individuen und die Aktivität der kirchlichen Organisation steuerten. Auch der Soziologe kann die "überlegene Lehre" der Christen deshalb zum "wichtigsten Faktor" ihres "Sieges" erklären. Die Christen hätten mit ihrem eigenen Gott, der die Menschen liebt und deshalb Liebe unter den Menschen fordert, auf den Religionsmärkten der Antike das für Intellektuelle attraktivste Produkt besessen. Auch das Pantheon läßt sich ökonomisch deuten. Ihr harter Konkurrenzkampf machte die vielen Götter narzißtisch, launisch und bestechlich. In ihrer Eifersucht konnten sie weder feste Bindungen noch moralische Identität stiften. Wer vielen Göttern opfern darf, verehrt keinen Gott ernsthaft. Religionsfirmen, die auf Exklusivität verzichten, können keine verbindliche Sozialmoral erzeugen. Nur Monopolansprüche garantieren eine starke corporate identity.

Verkehr mit den vielen Willkürgöttern war für die Menschen ein schlechter Tausch. Man opferte viel und bekam wenig. Bei den Christen konnte man bessere Geschäfte machen. Sie institutionalisierten eine grundlegend neue Tauschlogik: Weil Gott die Menschen liebt, sollen die Menschen einander lieben. Um der Gottebenbildlichkeit des einzelnen willen sollten Christen die Liebe zu Gott in neuen Tugenden wie Erbarmen und Mitleid konkretisieren. Nächstenliebe sollte über Familie, Stamm und ethnische Gemeinschaft hinaus, also universell gelten. Indem im Gottesbild Hochschätzung des Individuums und universalistische Gemeinschaftsethik verschmolzen wurden, revolutionierten die Christen die alten Weltdeutungen. Ihr Monotheismus bedeutete eine Rationalisierung und Intellektualisierung des Religiösen. Mit den vielen Göttern verschwanden die Dämen und damit auch die Angst.

Seit Gibbons Tagen geht es um die Gegenwart, wenn von Antike und Christentum gehandelt wird. Bei Religionsökonomen ist dies nicht anders. Im methodischen Zugriff folgt Stark liberalen Marktmodellen. Indem er die Markterfolge des Christentums auf dessen gemeinschaftsstiftende Kraft zurückführt, verkündet er aber die Botschaft der Kommunitaristen. Im Untergang Roms modelliert Stark die Integrationskrisen der amerikanischen Gesellschaft. In der religionsarithmetischen Berechnung des Siegs der Christen präsentiert er seine Lösung. Allein ein starker Monotheismus könne pluralistische Beliebigkeit in universalistischer Ordnung begrenzen. Nur religiöse Gemeinschaften könnten bergende Sozialstrukturen schaffen. Im Börsenjargon teilt der Soziologe alte Einsichten der Theologen und Religionshistoriker mit. Bei Gibbon, Mommsen und Harnack las man es sprachlich schöner.

Zu Recht preist Stark am Christentum, es habe Barbarei durch Bildung überwunden. Auch nach 2000 Jahren Christentumsgeschichte bieten manche Verlage aber barbarisch lektorierte Bücher an. In der "Neuen Wissenschaftlichen Bibliothek" werden dem Leser schlechtes Deutsch, zahlreiche Druckfehler und vertauschte Seiten zugemutet. Der Übersetzer läßt Diasporajuden "auf griechisch schreiben und sprechen". Fachtermini der Theologen und Althistoriker sind ihm fremd. Neutestamentler nennt er Neutestament-Historiker, Patristiker Frühkirchenhistoriker und das Urchristentum die Frühkirche. "Judaism" übersetzt er mit Judaismus, auch wenn jüdischer Glaube oder Judentum gemeint sind. Solcher Verfall der Buchkultur stimmt depressiv. Zum Glück kann der Konsument in einer globalen Verlagökonomie frei wählen. Gebildete sollten die deutsche Fassung auf den Index des Konsumverzichts setzen und zum amerikanischen Original greifen.

Rodney Stark: "Der Aufstieg des Christentums". Neue Erkenntnisse aus soziologischer Sicht. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Ferdinand Müller. Verlag Beltz Athenäum, Weinheim 1997. 250 S., geb., 68,- DM.

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