Ich war beim ersten Aufschlagen ziemlich verwirrt. Auf der ersten Seite begrüßten mich nämlich die Überschrift "Epilog" - und die Seitenzahl 439. Was...?! Als ich durchblätterte, stellte ich fest: tatsächlich, Seiten- und Kapitelzahlen laufen rückwärts.
Ein Fehldruck, oder Absicht?
Letzteres,
stellte ich schnell fest. So wie den Ermittlern bei der Jagd nach dem Augensammler die Zeit zwischen…mehrIch war beim ersten Aufschlagen ziemlich verwirrt. Auf der ersten Seite begrüßten mich nämlich die Überschrift "Epilog" - und die Seitenzahl 439. Was...?! Als ich durchblätterte, stellte ich fest: tatsächlich, Seiten- und Kapitelzahlen laufen rückwärts.
Ein Fehldruck, oder Absicht?
Letzteres, stellte ich schnell fest. So wie den Ermittlern bei der Jagd nach dem Augensammler die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt, so zerrinnen dem Leser die Seitenzahlen und erinnern ihn daran, dass das Ende naht... Und so wird das Ende zum Anfang und der Anfang zum Ende. Ein cleverer Schachzug!
Der Erzähler warnt den Leser direkt vor, dass ihm eine grausame Geschichte bevorsteht, und baut so die Erwartung auf Hochspannung auf - und diese Erwartung wird in meinen Augen nicht enttäuscht.
Der Schreibstil von Herrn Fitzek entwickelt eine ungeheure Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Dazu kommen originelle, unerwartete Wendungen und ein Killer, der gnadenlos mit seinen Opfern spielt, was zusammen eine brisante, packende Mischung ergibt. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, für so unwichtige Dinge wie Essen oder Schlafen...
An einer Stelle habe ich mir notiert: "Was ist das für eine Ansammlung an Anti-Helden?" Denn die Charaktere, sogar die guten, haben alle irgendwo ihren dunklen Seiten. Und das finde ich gut, denn es macht sie erst zu komplexen, interessanten Gestalten!
Mag ich Alexander Zorbach, den Protagonisten? Muss ich ihn mögen - will ich ihn überhaupt mögen? Er kann gelegentlich unsympathisch sein, getrieben, sperrig, schwierig, aber er hat (scheinbar?) das Herz auf dem rechten Fleck. Er findet sich in einer unglaublich schwierigen Situation wieder, in der er nicht nur die Anforderungen seines Berufes als Polizeireporter mit seinen väterlichen Verpflichtungen unter einen Hut bringen muss, sondern auch zum Spielball der Geschehnisse wird... Mehr will ich hier noch nicht verraten!
Durch die blinde Seherin Alina bekommt der Thriller ein übernatürliches Element, wobei sich der Leser über lange Strecken nicht sicher sein kann, was Trug ist und was Wahrheit - aber so oder so erhöht es meiner Meinung nach die Spannung und erlaubt dem Autor einen brillanten Schachzug.
Ich fand ihre Visionen sehr interessant geschrieben, denn Alina kann in ihnen nur Dinge und Personen sehen, an die sie sich aus einer Zeit erinnern kann, als sie noch nicht blind war - und sie ist im Alter von drei Jahren erblindet, weswegen alle Menschen in ihren Visionen die Gesichter ihrer Eltern tragen. Was besonders verstörend ist, wenn es sich um Visionen von Gewalt und Tod handelt!
Selbstgefällige Profiler, verzweifelte Väter, gewaltbereite Polizsten... Man weiß nie, welchem Charakter man trauen kann oder was man als Leser glauben darf. Ich habe so ziemlich jeden verdächtigt, eine Theorie nach der anderen aufgestellt und wieder verworfen!
Obwohl sich im Endeffekt eine meiner ersten Theorien als die (zumindest größtenteils) korrekte herausstellte, tat das der Spannung keinen Abbruch - denn der Autor führte mich immer wieder komplett aufs Glatteis, so dass ich vollkommen sicher war, mit dieser Theorie falsch zu liegen. Fast kam ich mir vor, als habe der Autor mit voller Absicht die Wahrheit vor meiner Nase baumeln lassen wie eine Karotte, nur um sie mir dann wieder wegzunehmen!
Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen: der Autor findet zu jeder Situation das passende Bild, die passende Formulierung, um eine beklemmende Atmosphäre aufzubauen.
Fazit:
Perpetuum morbile nennt der Autor diese Art von düsterer und dabei merkwürdig zeitloser Geschichte. Sie hat mich schnell in ihren Bann gezogen, mit unerwarteten Wendungen überrascht und immer wieder daran zweifeln lassen, welchem Charakter ich noch trauen kann. Ich fand das unheimlich spannend und gut geschrieben, und der Autor hat es wirklich geschafft, mich auf die völlig falsche Fährte zu locken!