Dass jemand von seinen eigenen Freunden ausgestopft werden muss, ist eine wahrlich absurde Situation.So geschehen mit Angelo Soliman, der als Kindersklave um etwa 1720 nach Wien kam, dort an verschiedenen Fürstenhöfen eine vielfältige Bildung genoss und in späteren Jahren einer der brillantesten Geister seiner Epoche war. Er bewegte sich in den Kreisen der Freimaurer, pflegte auch gute Beziehungen zu Kaiser Joseph II, zu Fürsten und zu namhaften Wissenschaftlern seiner Zeit. Angelo Soliman war aber ob seiner Hautfarbe auch eine Jahrmarktsattraktion, eine lebende Figurine der Fremdheit - und daher wurde nach seinem Tod seine Haut auf eine Statue aus Holz gespannt und als namenloses Exemplar seiner "Rasse" im Hof-Naturalien-Cabinet (dem Vorgänger des Natur-Historischen Museums in Wien) ausgestellt, bis sie in einem Feuer bei den Kämpfen des Jahres 1848 vernichtet wurde."Der ausgestopfte Barbar" ist aber mehr als nur die Geschichte des Angelo Soliman.Der ungarische Schriftsteller Gergely Péterfy lässt Gräfin Sophie Török, der Witwe des herausragenden Literaten und epochalen Spracherneuerers Ferenz Kazinczy und Freund Solimans die Geschichte dieser beiden bemerkenswerten Männer erzählen. Kazinczy wurde der Teilnahme an einer Verschwörung beschuldigt und war 2387 Tage eingekerkert, darunter sogar in der Festung Kufstein. Wie sein Freund Soliman bemühte er sich bis an sein Lebensende vergeblich, die Welt durch die Vermittlung von Einsichten und Wissen ein wenig besser zu machen.So ist dieses grandiose Buch auch zu lesen als eine Parabel auf die menschliche Bosheit und Dummheit, die die Ideale des Geistes und der Schönheit vernichten. Dass bei allen geschilderten Skurrilitäten immer wieder Humor durchblitzt, macht diesen Roman noch faszinierender.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2016Der schwarze Freund
In seinem Roman „Der ausgestopfte Barbar“ hält
Gergely Péterfy den Ungarn der Gegenwart den Spiegel vor
VON WILHELM DROSTE
In Ungarn war dieses Buch gleich bei Erscheinen 2014 ein durchschlagender Erfolg. Es wurde nicht nur von einer Fraktion dieses arg gebeutelten und ideologisch gespaltenen Volkes begeistert gelesen, sondern allseitig, von leidenschaftlichen Nationalisten wie von überzeugten Kosmopoliten, in Stadt und Land, von Jung und Alt. 2015 erhielt es den begehrten, weil mit redlichem Geld verbundenen Aegon-Preis als das beste ungarische Buch des Jahres.
Für diesen Erfolg gibt es viele Gründe: „Der ausgestopfte Barbar“ Angelo Soliman (um 1721 - 1796), der als Kind in Afrika geraubt und als Sklave immer wieder neu verkauft wurde, um schließlich am Ende seines Lebens zu einer geachteten Gestalt unter den aufgeklärten Geistern Wiens zu werden, bevor er nach seinem Tod halb nackt und ausgestopft in einem Wiener Museum als Anschauungsobjekt des Menschen schwarzer Rasse zu dienen hatte, ist nicht der einzige Held des Romans. Sein ungarischer Freund Ferenc Kazinczy steht ihm mindestens gleichgewichtig zur Seite; die merkwürdige Beziehung dieser merkwürdigen Männer macht die unterhaltsame und gelegentlich auch amüsante Dramatik dieser Prosa aus.
Ferenc (Franz) Kazinczy (1759 - 1831) ist in Ungarn jedem Schulkind bekannt. Er gilt als entscheidender Bahnbrecher der Erneuerung der ungarischen Sprache. Er machte das Ungarische, das seine Stärken in einer sinnlich-leidenschaftlichen Nähe zur Natur und zur Fasslichkeit der Dinge hatte, zu einer abstraktionsfähigen Sprache, bereit, das aufgeklärte europäische Denken im Zeitalter der Französischen Revolution in sich aufzunehmen.
Realisiert hat er diese Sprachreform vor allem in einer Vielzahl von Übersetzungen, vor allem aus dem Griechischen, Lateinischen, Englischen und Französischen. Seine Favoriten aber kamen aus der deutschen Literatur, er übertrug Lessing, Wieland, Goethe und Klopstock. Er reformierte die Grammatik, doch vor allem vermehrte er den Wortschatz. Kazinczy erfand Silben, die aus sinnlichen Wörtern Begriffe werden ließen, aus Verben Substantive. Während Luther bei seiner Modernisierung des Deutschen dem Volk aufs Maul schaute, machte Kazinczy eher das Gegenteil. Aus wilden Mäulern kreierte er gebildete Münder, aus einem Knäuel von Gefühlen ordnungsbereite Gedanken.
Von seinen eigenen poetischen Arbeiten geht kaum noch Nachwirkung aus, eher schon von seinen Übersetzungen, vor allem aber von seiner Rolle als couragierter Freidenker. Ihm wurde vorgeworfen, als Jakobiner an einer großen Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, um den Staat nach französischem Muster zu revolutionieren. Das brachte ihm sieben Jahre bitterste habsburgische Gefangenschaft ein. Bis heute gilt er als ein Märtyrer der ungarischen Emanzipation, das sichert ihm einen Ehrenplatz im nationalen Pantheon.
Wie sein schwarzhäutiger Freund im Geiste war auch Kazinczy Freimaurer, ein großes Licht der Aufklärung im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Er ist ein früher Vertreter des quälenden Widerspruchs, gerade die deutsche Literatur zu lieben, sie als Vorbild für Ungarn zu favorisieren, um dann ausgerechnet in Gefängnissen auf deutschsprachigem Boden brutal erniedrigt und beleidigt zu werden. Diesen Stoff nutzt der ungarische Erzähler Gergely Péterfy, der 1966 in Budapest ge-boren wurde, für das große Gebäude seines Romans. Gründliche Quellenarbeit ist in das Prosabauwerk eingeflossen, mehr noch aber die Lust an der Fiktion.
Unübersehbar webt er den historischen Figuren höchstaktuelle Züge der ungarischen Gegenwart ein: das ratlose Schwanken der Intelligenz angesichts einer Welt, die nicht (mehr) auf sie hört, den leicht entzündbaren Sprengstoff in den deklassierten Massen, die sich zu Schlägern und fanatischen Hooligans entwickeln, wenn sie glauben, endlich die Sündenböcke für ihr Elend gefunden zu haben. Und nicht zuletzt den brutalen Umgang mit dem exotisch Fremden. Man feiert sich als aufgeklärt und christlich, schreckt aber vor keiner Barbarei zurück. Es fehlt all überall an Sprache. Statt Verständigung feiert sich in allen Gruppen der Gesellschaft der Unverstand. Hier sind wir mitten in der aktuellen ungarischen Krise und zugleich im Mittelpunkt des Romans.
Darin liegt die Stärke des Buches, aber auch seine Gefahr. Der Autor überträgt gelegentlich allzu lässig das Heute ins Gestern und das Gestern ins Heute. Und er weiß zu viel und will uns zu viel wissen lassen. Sein Übersetzer György Buda meistert dieses Problem, indem er mit seiner schönen, altmodisch vor sich hin rauschenden Sprache den Stoff deutlicher in der Vergangenheit verankert als das ungarische Original selbst. Das bekommt dem Buch, weil es auf angenehme Weise seine problematischen, zu didaktischen Züge mildert.
Dem Roman ist Erfolg im deutschen Sprachraum zu wünschen, denn es bleiben mehr als genug Universalien zu entdecken. Vielleicht ist der Abstand zu Ungarn für die Lektüre sogar förderlich, weil die Figuren so aus ihrer stickig engen ungarischen Gefangenschaft herausgeraten.
Ohnehin handelt es sich ja auch zu weiten Teilen um eine Wiener Geschichte. Die Kaiserstadt hat Angelo Soliman zunächst gehuldigt und dann wie ein Tier ausgestopft. Ein schauerliches Stück im Drama der Dialektik der Aufklärung. Mehr noch: 2006 gab die österreichische Post eine Briefmarke zu 55 Cent heraus, da sieht man den schönen Schwarzen, goldgelb, also durchaus habsburgisch eingerahmt und philatelistisch erneut zum unproblematischen Besitz des Alpenvolkes erklärt. Die Österreicher lassen nicht locker.
Gergely Péterfy: Der ausgestopfte Barbar. Aus dem Ungarischen von György Buda. Roman. Nischen Verlag, Wien 2016. 556 Seiten, 28 Euro.
Ferenc Kazinczy, die zweite
Hauptfigur, gilt als Märtyrer
der ungarischen Emanzipation
Das Ende des Angelo Soliman
ist ein schauerliches Drama
über die Dialektik der Aufklärung
Angelo Soliman (1721 - 1796) war Freimaurer und Freigeist. Foto: Hulton Archive / Getty Images
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In seinem Roman „Der ausgestopfte Barbar“ hält
Gergely Péterfy den Ungarn der Gegenwart den Spiegel vor
VON WILHELM DROSTE
In Ungarn war dieses Buch gleich bei Erscheinen 2014 ein durchschlagender Erfolg. Es wurde nicht nur von einer Fraktion dieses arg gebeutelten und ideologisch gespaltenen Volkes begeistert gelesen, sondern allseitig, von leidenschaftlichen Nationalisten wie von überzeugten Kosmopoliten, in Stadt und Land, von Jung und Alt. 2015 erhielt es den begehrten, weil mit redlichem Geld verbundenen Aegon-Preis als das beste ungarische Buch des Jahres.
Für diesen Erfolg gibt es viele Gründe: „Der ausgestopfte Barbar“ Angelo Soliman (um 1721 - 1796), der als Kind in Afrika geraubt und als Sklave immer wieder neu verkauft wurde, um schließlich am Ende seines Lebens zu einer geachteten Gestalt unter den aufgeklärten Geistern Wiens zu werden, bevor er nach seinem Tod halb nackt und ausgestopft in einem Wiener Museum als Anschauungsobjekt des Menschen schwarzer Rasse zu dienen hatte, ist nicht der einzige Held des Romans. Sein ungarischer Freund Ferenc Kazinczy steht ihm mindestens gleichgewichtig zur Seite; die merkwürdige Beziehung dieser merkwürdigen Männer macht die unterhaltsame und gelegentlich auch amüsante Dramatik dieser Prosa aus.
Ferenc (Franz) Kazinczy (1759 - 1831) ist in Ungarn jedem Schulkind bekannt. Er gilt als entscheidender Bahnbrecher der Erneuerung der ungarischen Sprache. Er machte das Ungarische, das seine Stärken in einer sinnlich-leidenschaftlichen Nähe zur Natur und zur Fasslichkeit der Dinge hatte, zu einer abstraktionsfähigen Sprache, bereit, das aufgeklärte europäische Denken im Zeitalter der Französischen Revolution in sich aufzunehmen.
Realisiert hat er diese Sprachreform vor allem in einer Vielzahl von Übersetzungen, vor allem aus dem Griechischen, Lateinischen, Englischen und Französischen. Seine Favoriten aber kamen aus der deutschen Literatur, er übertrug Lessing, Wieland, Goethe und Klopstock. Er reformierte die Grammatik, doch vor allem vermehrte er den Wortschatz. Kazinczy erfand Silben, die aus sinnlichen Wörtern Begriffe werden ließen, aus Verben Substantive. Während Luther bei seiner Modernisierung des Deutschen dem Volk aufs Maul schaute, machte Kazinczy eher das Gegenteil. Aus wilden Mäulern kreierte er gebildete Münder, aus einem Knäuel von Gefühlen ordnungsbereite Gedanken.
Von seinen eigenen poetischen Arbeiten geht kaum noch Nachwirkung aus, eher schon von seinen Übersetzungen, vor allem aber von seiner Rolle als couragierter Freidenker. Ihm wurde vorgeworfen, als Jakobiner an einer großen Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, um den Staat nach französischem Muster zu revolutionieren. Das brachte ihm sieben Jahre bitterste habsburgische Gefangenschaft ein. Bis heute gilt er als ein Märtyrer der ungarischen Emanzipation, das sichert ihm einen Ehrenplatz im nationalen Pantheon.
Wie sein schwarzhäutiger Freund im Geiste war auch Kazinczy Freimaurer, ein großes Licht der Aufklärung im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Er ist ein früher Vertreter des quälenden Widerspruchs, gerade die deutsche Literatur zu lieben, sie als Vorbild für Ungarn zu favorisieren, um dann ausgerechnet in Gefängnissen auf deutschsprachigem Boden brutal erniedrigt und beleidigt zu werden. Diesen Stoff nutzt der ungarische Erzähler Gergely Péterfy, der 1966 in Budapest ge-boren wurde, für das große Gebäude seines Romans. Gründliche Quellenarbeit ist in das Prosabauwerk eingeflossen, mehr noch aber die Lust an der Fiktion.
Unübersehbar webt er den historischen Figuren höchstaktuelle Züge der ungarischen Gegenwart ein: das ratlose Schwanken der Intelligenz angesichts einer Welt, die nicht (mehr) auf sie hört, den leicht entzündbaren Sprengstoff in den deklassierten Massen, die sich zu Schlägern und fanatischen Hooligans entwickeln, wenn sie glauben, endlich die Sündenböcke für ihr Elend gefunden zu haben. Und nicht zuletzt den brutalen Umgang mit dem exotisch Fremden. Man feiert sich als aufgeklärt und christlich, schreckt aber vor keiner Barbarei zurück. Es fehlt all überall an Sprache. Statt Verständigung feiert sich in allen Gruppen der Gesellschaft der Unverstand. Hier sind wir mitten in der aktuellen ungarischen Krise und zugleich im Mittelpunkt des Romans.
Darin liegt die Stärke des Buches, aber auch seine Gefahr. Der Autor überträgt gelegentlich allzu lässig das Heute ins Gestern und das Gestern ins Heute. Und er weiß zu viel und will uns zu viel wissen lassen. Sein Übersetzer György Buda meistert dieses Problem, indem er mit seiner schönen, altmodisch vor sich hin rauschenden Sprache den Stoff deutlicher in der Vergangenheit verankert als das ungarische Original selbst. Das bekommt dem Buch, weil es auf angenehme Weise seine problematischen, zu didaktischen Züge mildert.
Dem Roman ist Erfolg im deutschen Sprachraum zu wünschen, denn es bleiben mehr als genug Universalien zu entdecken. Vielleicht ist der Abstand zu Ungarn für die Lektüre sogar förderlich, weil die Figuren so aus ihrer stickig engen ungarischen Gefangenschaft herausgeraten.
Ohnehin handelt es sich ja auch zu weiten Teilen um eine Wiener Geschichte. Die Kaiserstadt hat Angelo Soliman zunächst gehuldigt und dann wie ein Tier ausgestopft. Ein schauerliches Stück im Drama der Dialektik der Aufklärung. Mehr noch: 2006 gab die österreichische Post eine Briefmarke zu 55 Cent heraus, da sieht man den schönen Schwarzen, goldgelb, also durchaus habsburgisch eingerahmt und philatelistisch erneut zum unproblematischen Besitz des Alpenvolkes erklärt. Die Österreicher lassen nicht locker.
Gergely Péterfy: Der ausgestopfte Barbar. Aus dem Ungarischen von György Buda. Roman. Nischen Verlag, Wien 2016. 556 Seiten, 28 Euro.
Ferenc Kazinczy, die zweite
Hauptfigur, gilt als Märtyrer
der ungarischen Emanzipation
Das Ende des Angelo Soliman
ist ein schauerliches Drama
über die Dialektik der Aufklärung
Angelo Soliman (1721 - 1796) war Freimaurer und Freigeist. Foto: Hulton Archive / Getty Images
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