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Aravind Adiga, Mohsin Hamid und Taiye Selasi stehen weltweit auf den Bestsellerlisten und zeugen von einem Bedürfnis nach Geschichten über das Leben zwischen den Kulturen. Oder Namen wie Salman Rushdie, Milan Kundera, Alexander Solschenyzin, Joseph Conrad und Wladimir Nabokov sie alle verbindet eine Existenz und ein Schreiben an fremdem Ort, mal als Zwischenstopp, mal für immer, mal von Geburt an. Für den aus China stammenden US-Autor Ha Jin sind ihre Werke eine "mentale Bibliothek", die er mit seinem eigenen Schaffen in einen faszinierenden Dialog setzt und dabei wichtige Fragen stellt: Wie…mehr

Produktbeschreibung
Aravind Adiga, Mohsin Hamid und Taiye Selasi stehen weltweit auf den Bestsellerlisten und zeugen von einem Bedürfnis nach Geschichten über das Leben zwischen den Kulturen. Oder Namen wie Salman Rushdie, Milan Kundera, Alexander Solschenyzin, Joseph Conrad und Wladimir Nabokov sie alle verbindet eine Existenz und ein Schreiben an fremdem Ort, mal als Zwischenstopp, mal für immer, mal von Geburt an. Für den aus China stammenden US-Autor Ha Jin sind ihre Werke eine "mentale Bibliothek", die er mit seinem eigenen Schaffen in einen faszinierenden Dialog setzt und dabei wichtige Fragen stellt: Wie verändert sich die Rolle des Autors, wenn er sein Land von außen betrachtet? Wie prägt Sprache den Menschen, kann er ihr trauen? Wie findet ein Autor seine eigene, universelle Sprache und damit Leser, die ihn verstehen?
Autorenporträt
Susanne Hornfeck, Dr. phil, ist Germanistin und Sinologin, Autorin und Übersetzerin. Fünf Jahre lebte und lehrte sie in Taipei. 2007 wurde sie mit dem renommierten C.H. Beck Übersetzerpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit Interesse hat Lothar Müller diesen Essayband des Autors Ha Jin gelesen, der 1985 von China in die USA ging, um dort zu promovieren, aber nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 nicht mehr zurückkehrte. Einige Gemeinplätze hat er schon in diesen Schriften über die Migration eines Autors gefunden, muss der Rezensent einräumen, aber dafür entschädigte ihn die Genauigkeit, mit der Ha Jin die Texte anderer ausgewanderter Autoren liest, wobei ihm Joseph Conrad und Vladimir Nabokov als Leitfiguren dienen, die weniger versuchten, die Kultur ihres Herkunftsland zu erklären und ihre somit verhaftet zu bleiben, als vielmehr in der neuen Kultur anzukommen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2014

Zu viel Aufrichtigkeit überhitzt das Hirn
Der zum amerikanischen Schriftsteller gewordene Ha Jin zeigt in grandiosen Essays, wie das Schreiben Exilanten hilft

Nutzen und Schönheit der Literatur, das hat der chinesischamerikanische Autor Ha Jin am eigenen Leib erlebt, liegen in ihrem geistigen Vermögen, das Leben zu beleuchten. Wie aber verdeutlicht sich ein ausgewanderter Autor das Dasein, wenn er nicht mehr mit einer Rückkehr in das Land seiner Herkunft rechnen darf und an einer fortwährenden, nach innen gerichteten Ankunft am neuen Ort arbeiten muss? Als der 1956 in China geborene Lyriker und Romancier Ha Jin 1985 zum Studieren in die Vereinigten Staaten ging, wusste er nicht, dass er damit auch das Land seines Exils gewählt hatte. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens kehrte er nicht mehr nach Hause zurück.

Heute zählt Ha Jin mit seinen Romanen zu den wichtigsten Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Er unterrichtet außerdem Englische Literatur an der Boston University. Früh begann er nach seiner Umsiedlung, Gedichte auf Englisch zu schreiben und die Frage nach der Heimat zu stellen. Heimat wozu?

In seinem endlich auf Deutsch vorliegenden, fein gestalteten Essayband "Der ausgewanderte Autor" betont Ha Jin, dass seine Betrachtungen nur persönlicher Natur sind. "Für jeden Einzelnen gelten eigene Lebensumstände", heißt es einmal umsichtig, "jeder Schriftsteller hat eine eigene Strategie, um zu überleben." Ha Jin ist vorsichtig mit kollektiven Aussagen, und das zeichnet ihn als unbestechlichen Denker aus. Künstlerisch tätig zu sein ist für ihn bereits eine individuelle Handlung, ein Loslösen von der Welt der Herkunft und eines nationalen Kollektivs.

In den Essays umkreist Ha Jin den ausgewanderten Autor mit einem wachen, nahezu ethnologischen Blick. Mehr und mehr wird der Exilant zum Immigranten, in der Regel sind die beiden deckungsgleich, aber stets auch Reisende, Wanderer im inneren und im äußeren Ausland. Unaufgeregt bezieht Ha Jin sich auf für ihn zentrale literarische Werke etwa von Vladimir Nabokov, Joseph Conrad, V. S. Naipaul oder Milan Kundera. Gedankliche Nähe verbindet ihn vor allem mit Naipauls Roman "An der Biegung des großen Flusses". Dieses Buch begleitete ihn besonders am Anfang seines Exils, in einer Zeit, in der er, "als einer der Glücklichen", Gedichte schrieb, um den zu Hause gebliebenen "Unglücklichen" seine Stimme zu leihen. Aber er erkannte bald, dass zu viel Aufrichtigkeit gefährlich sein kann - "sie überhitzt das Hirn".

Ihn beschäftigte die Frage, für wen er genau in seiner Lyrik spricht und ob die Daheimgebliebenen das überhaupt wollen. Von Naipauls Erzähler lernte Ha Jin, sich nicht mehr um die Vergangenheit zu grämen, und er erkannte, dass sie nur noch im Nachhall eigener Erinnerungen vorhanden ist. Das, was Heimat war, wird Teil des eigenen Selbst. Wie die meisten Exilanten weiß auch Ha Jin, dass es unmöglich ist, für andere Menschen zu sprechen, ganz besonders für jene, die man zurückgelassen hat und die man überhaupt nicht mehr kennt. "Da die meisten von uns nicht nach Hause zurückkehren", heißt es in dieser Konsequenz, "müssen wir uns unser eigenes Ithaka schaffen und versuchen, dorthin zu gelangen."

Mit seinen Essays gelingt ihm diese geistige Ankunft, die ein schreibender Mensch nur im Buch vollziehen kann - in einem Buch, das sein eigenes Land wird. Mit diesen Essays hat Ha Jin nicht nur für sich, sondern für die Schriftsteller transnationaler Identität weltweit etwas Wesentliches formuliert: Sie müssen und können nur für sich selbst sprechen, denken und schreiben, sie haben kein Land mehr, sie sind ihre eigene Epoche.

Was bereits Nabokov poetologisch beschäftigte, ist auch Ha Jins Thema: Der Verlust der alten Sprache schmerzt, bringt aber auch neue Kräfte mit sich. Die neue Sprache kann nur erweitert werden, wenn man ihre Norm kennt und sie dann, am besten tollkühn, bricht. Ein Außenseiter, glaubt man oft, könnte sich das nicht leisten. Das Dilemma eines ausgewanderten (oder eingewanderten) Autors liege darin, so glaubt der von Ha Jin zitierte Harvard-Professor für polnische Sprache und Literatur Stanislaw Baranczak, dass er nicht wie ein Muttersprachler die Sprache entstellen könne, weil man ihm das nicht als Fortschritt, sondern als Verballhornung auslegen würde. Aber auch das hat bereits Nabokov widerlegt, der im Roman "Pnin" mit betörendem Sprachwitz seinen verzweifelten Protagonisten ein ekstatisch "wildes Englisch" reden lässt, in dem allerlei Arten von fremdsprachigen Wörtern auftauchen. Pnins scheinbare Unwissenheit ist in Wahrheit Weisheit und Polyphonie in einem.

Ha Jins Buch ist derzeit das wichtigste Werk über Zwei- und Mehrsprachigkeit, aber auch über die mittlerweile Normalität gewordene Wirklichkeit des ausgewanderten und eingewanderten Autors. Den jüngeren, in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts geborenen Autoren ist in der Regel der "Akt des Verrats", wie ihn Ha Jin beschreibt, fast nicht mehr bekannt. Das Schreiben in einer anderen Sprache hatte für Joseph Conrad noch weitreichende Folgen. Seine Entscheidung, Englisch zu seiner Literatursprache zu machen, war ein äußerster Schritt in der eigenen Entwicklung, aber dies wurde ihm als bewusst gewählte Entfremdung ausgelegt, als Desertion. Er selbst muss sofort verstanden haben, dass er, nun einmal in England gestrandet, auf seinen polnischen Nachnamen Korzeniowski zu verzichten hatte. Er strich ihn einfach, weil er die Vorstellung nicht ertrug, den Namen verunstaltet zu wissen, und publizierte fortan unter seinen beiden Vornamen.

Was heute in Deutschland mit dem merkwürdigen Wort "Migrationsliteratur" bezeichnet wird, das zeigt Ha Jins geistiges Juwel, ist seit mehr als hundert Jahren so normal wie das Träumen. Menschen wie Conrad (sein berühmtestes Buch, "Herz der Finsternis", erschien 1902), Nabokov, Naipaul und nun auch Ha Jin weisen uns ins innere Leben ein, in die beständigen Wahrheiten der Literatur, die es nur in der Bewegung, im verwandelten, genau in Augenschein genommenen Leben gibt. Damit gehen nicht nur in vielen Fällen eine geradezu wundersame Imaginationskraft und Selbstermächtigung einher, es entsteht auch eine wahrhaftige Literatur, die Zeiten und Moden überdauern wird, weil sie ihnen nicht hinterherläuft, sondern ganz bei sich selbst bleibt, im Zentrum des eigenen Bewusstseins. Ha Jin nennt das: "Reisen, die Erleuchtung bringen". Das ist wohl auch das Unverlierbare, von dem Hilde Domin gesprochen hat und auf die sich Ha Jin bezieht, wenn er in ihrem Sinne ausführt, dass sich im Leben eines Menschen alles als verlierbar erweisen kann, aber nicht die Sprache. Sie ist "das letzte, unabnehmbare Zuhause".

MARICA BODROZIC

Ha Jin: "Der ausgewanderte Autor". Über die Suche nach der eigenen Sprache. Aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfleck. Arche Verlag, Hamburg 2014. 140 S., geb., 15,- [Euro].

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