Der neue Roman vom wichtigsten Autor Ägyptens
Ende der 1940er Jahre herrschen im Automobilclub von Kairo unter den surrenden Ventilatoren Extravaganz und Dekadenz: Paschas, Monarchen und Diplomaten gehen ein und aus. Auch der König zählt zu den Stammgästen, er kommt regelmäßig zum Pokerspielen und sucht die schönsten Frauen für die Nacht. Den Reichen zu Diensten steht eine Armada von schlechtbezahlten, schikanierten Dienern, Kellnern und Köchen - bis sie den Aufstand proben... In seinem Roman 'Der Automibilclub von Kairo' erzählt Alaa al-Aswani von Herrschaft und Diktatur und lässt einen Mikrokosmos lebendig werden, der für die Zerrissenheit eines ganzen Landes, seiner Heimat Ägypten, steht.
Sprachgewaltig, nuanciert und verblüffend nah an unserer Gegenwart.
Ende der 1940er Jahre herrschen im Automobilclub von Kairo unter den surrenden Ventilatoren Extravaganz und Dekadenz: Paschas, Monarchen und Diplomaten gehen ein und aus. Auch der König zählt zu den Stammgästen, er kommt regelmäßig zum Pokerspielen und sucht die schönsten Frauen für die Nacht. Den Reichen zu Diensten steht eine Armada von schlechtbezahlten, schikanierten Dienern, Kellnern und Köchen - bis sie den Aufstand proben... In seinem Roman 'Der Automibilclub von Kairo' erzählt Alaa al-Aswani von Herrschaft und Diktatur und lässt einen Mikrokosmos lebendig werden, der für die Zerrissenheit eines ganzen Landes, seiner Heimat Ägypten, steht.
Sprachgewaltig, nuanciert und verblüffend nah an unserer Gegenwart.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Auch wenn Angela Schader nicht alle politischen Äußerungen Alaa al-Aswanis unterschreiben würde, lässt sie keinen Zweifel daran, dass der Autor mit seinen Interventionen für die ägyptische Öffentlichkeit von enormer Bedeutung ist. Mit seinem Roman aus dem Kairo der vierziger und fünfziger Jahre geht es ihr ähnlich: Manches findet sie unglaubwürdig oder sogar krude, und auch die pralle Erzählweise ist nicht unbedingt ihre Sache. Aber wenn al-Aswani vom Aufstand der Bediensteten im Palast erzählt, die sich gegen die reine Willkür aufzulehnen versuchen, dann weiß Schader, wie wichtig dieser Roman für das heutige Ägypten ist. Und ihren Respekt gewinnt der Autor dadurch, dass er die Repressionsmaschinerie so perfekt schnurren lässt, dass er dem Leser beinahe "der Schneid abgekauft wird, sich mit den Widerständlern zu solidarisieren".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2015Seifenopern aus dem alten Kairo
Sozialistischer Realismus mit postkolonialem Bewusstsein: Alaa al-Aswanis Roman "Der Automobilclub von Kairo" taucht in das Ägypten der vierziger Jahre ab. Aber wozu?
Als Ende 2013 der neue Roman von Alaa al-Aswani in Kairo erschien, war die Verwunderung der ägyptischen Kritiker groß. Ägypten hatte die turbulentesten drei Jahre seiner jüngeren Geschichte hinter sich, und der Autor, den man wie keinen anderen als Vordenker, ja literarischen Vorbereiter der Revolution bezeichnen könnte, legt einen historischen Roman über das Ende der ägyptischen Monarchie vor.
Für viele Ägypter war al-Aswani zu diesem Zeitpunkt bereits entzaubert. Als es 2012 um die Stichwahl für den ersten nachrevolutionären Präsidenten ging, plädierte der Autor dafür, dem Kandidaten der Muslimbrüder, Muhammad Mursi, eine Chance zu geben. Der sei immer noch besser als Ahmad Schafiq, der Kandidat der alten Garde. Die später erfolgte Wandlung zum Unterstützer von Sisi, dem General der Konterrevolution, war symptomatisch für die Verwirrung, die sich der ägyptischen Intellektuellen im Lauf der Umwälzungen bemächtigt hatte. Es wäre jedoch unfair, dies Autoren wie al-Aswani zum Vorwurf zu machen. Er hat nur wie ein Seismograph die Meinungswechselbäder der Ägypter selbst aufgezeichnet. Als Romancier einen Schritt zurück in die Vergangenheit zu tun scheint vor diesem Hintergrund ein Akt literarischer Klugheit.
Das neue Buch spielt also Ende der vierziger Jahre, kurz vor der Revolution der Freien Offiziere um Gamal Abdel Nasser von 1952. Die Parallelen zur Zeit vor 2011 sind offensichtlich: Der Willkürherrschaft einer kleinen, korrupten und dekadenten Elite, die mit dem Westen (im Roman vertreten durch die Engländer) im Bunde ist, stehen die Armut und Rechtlosigkeit der einfachen Leute gegenüber. Der Ort, an dem die diversen Schichten der ägyptischen Gesellschaft aufeinandertreffen und ihre Konflikte wie unter einem Brennglas austragen, ist der Automobilclub.
"Sollten Ägypter Mitglied werden dürfen?" Der Direktor gibt Antwort: "Das Auto ist eine Erfindung des westlichen Mannes, und so kann er allein Beschlüsse darüber fassen. Von einem Ägypter erwarte ich nicht mehr, als dass er sein Auto kauft und sich hineinsetzt." Der Club - "eine exakte Kopie des berühmten Carlton-Clubs in London" - ist im Roman (und war in Wirklichkeit) das bevorzugte Spielcasino des Königs Faruk, der von der CIA heimlich als "fat fucker" bezeichnet wurde. Das ist er auch im Roman: frauen- und fresssüchtig, dekadent bis zur Ekelhaftigkeit.
Sein allmächtiger Kammerdiener, Kô genannt, beaufsichtigt die Angestellten des Clubs und unterjocht sie erbarmungslos. Doch auf den Straßen, angeführt von der Wafd-Partei und einigen Kommunisten, formiert sich Widerstand gegen die englandhörige Monarchie. Als dann nach langen Diskussionen selbst die von der Untertanenmentalität zutiefst geprägten Angestellten des Automobilclubs von Kô verlangen, auf die Prügelstrafe zu verzichten, kommt es zum Showdown. "Wer bist denn du, dass du dem Kô vorschreiben könntest, was er tun darf und was nicht?" - "Ich bin ein Mensch!"
Al-Aswani schreibt mit postkolonialem Bewusstsein eine Art sozialistischen Realismus, der sich einer an die Telenovela erinnernden Erzähltechnik bedient. Jedes Kapitel ist aus der Sicht bestimmter Personen erzählt und endet mit einem Cliffhanger. Der Roman ist nicht nur schreibtechnisch vom Fernsehen inspiriert, er übt sich auch stilistisch in telephiler Komplexitätsreduktion. Die simple Erzählweise, die einfache Sprache und die erlebte Rede als einziges Mittel zur Schilderung der Personen nehmen Rücksicht auf das ägyptische Publikum, welches - jenseits einer kleinen Schicht Intellektueller - das Lesen mit Autoren wie al-Aswani überhaupt erst wieder entdeckt hat.
Wie ein schwerer, allzu langer Güterzug braucht das Buch eine ganze Weile, bis es mit seiner grob geschnitzten Erzählfracht an Fahrt gewinnt. Überraschenderweise fesselt es allmählich aber auch den skeptischen, anfangs zum Überblättern neigenden Leser, vor allem dank der eigenwilligen Charaktere und der zahlreichen, die Intimitäten der ägyptischen Gesellschaft ausleuchtenden Binnengeschichten.
Da mutiert der begriffsstutzige Machmud, von einer älteren Engländerin verführt, allmählich zu einem Callboy, der unter den Witwen der Kairoer High Society herumgereicht wird. Da versucht der englische Direktor des Automobilclubs seine Tochter zu einem Stelldichein mit dem König zu bewegen, um sich so dessen Gunst zu erwerben. Da wird die bildungsbeflissene, aber aus einem armen Elternhaus stammende Saliha an einen reichen Geschäftsmann verheiratet, der zum Geschlechtsverkehr gar nicht in der Lage ist, aber in die Scheidung partout nicht einwilligen möchte. Und da ist ihr Bruder, der Student Kamil, die Lichtgestalt des Romans, der am Ende - natürlich! - verhaftet und gefoltert wird.
Da "Der Automobilclub von Kairo" in den vierziger Jahren spielt und damit den erzählerischen Kosmos von Nagib Machfus tangiert, beschwört er den für al-Aswani ungünstigen Vergleich mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers herauf. Vor allem ein Roman von Machfus, "Das junge Kairo" ( F.A.Z. vom 9. Dezember 2011), schildert auf ähnliche Weise dieselbe Epoche, braucht aber nur zweihundertfünfzig Seiten dafür. Die eigentliche Absicht von al-Aswanis neuem Roman ist freilich nicht primär die Schilderung der vierziger Jahre, sondern verbirgt sich in dem, was die Ägypter aus dem Vergleich jener Zeit mit der Gegenwart lernen können: dass die in der Monarchie entstandenen unterdrückerischen Strukturen bis heute ununterbrochen fortwirken.
STEFAN WEIDNER.
Alaa al-Aswani: "Der Automobilclub von Kairo". Roman.
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015. 656 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sozialistischer Realismus mit postkolonialem Bewusstsein: Alaa al-Aswanis Roman "Der Automobilclub von Kairo" taucht in das Ägypten der vierziger Jahre ab. Aber wozu?
Als Ende 2013 der neue Roman von Alaa al-Aswani in Kairo erschien, war die Verwunderung der ägyptischen Kritiker groß. Ägypten hatte die turbulentesten drei Jahre seiner jüngeren Geschichte hinter sich, und der Autor, den man wie keinen anderen als Vordenker, ja literarischen Vorbereiter der Revolution bezeichnen könnte, legt einen historischen Roman über das Ende der ägyptischen Monarchie vor.
Für viele Ägypter war al-Aswani zu diesem Zeitpunkt bereits entzaubert. Als es 2012 um die Stichwahl für den ersten nachrevolutionären Präsidenten ging, plädierte der Autor dafür, dem Kandidaten der Muslimbrüder, Muhammad Mursi, eine Chance zu geben. Der sei immer noch besser als Ahmad Schafiq, der Kandidat der alten Garde. Die später erfolgte Wandlung zum Unterstützer von Sisi, dem General der Konterrevolution, war symptomatisch für die Verwirrung, die sich der ägyptischen Intellektuellen im Lauf der Umwälzungen bemächtigt hatte. Es wäre jedoch unfair, dies Autoren wie al-Aswani zum Vorwurf zu machen. Er hat nur wie ein Seismograph die Meinungswechselbäder der Ägypter selbst aufgezeichnet. Als Romancier einen Schritt zurück in die Vergangenheit zu tun scheint vor diesem Hintergrund ein Akt literarischer Klugheit.
Das neue Buch spielt also Ende der vierziger Jahre, kurz vor der Revolution der Freien Offiziere um Gamal Abdel Nasser von 1952. Die Parallelen zur Zeit vor 2011 sind offensichtlich: Der Willkürherrschaft einer kleinen, korrupten und dekadenten Elite, die mit dem Westen (im Roman vertreten durch die Engländer) im Bunde ist, stehen die Armut und Rechtlosigkeit der einfachen Leute gegenüber. Der Ort, an dem die diversen Schichten der ägyptischen Gesellschaft aufeinandertreffen und ihre Konflikte wie unter einem Brennglas austragen, ist der Automobilclub.
"Sollten Ägypter Mitglied werden dürfen?" Der Direktor gibt Antwort: "Das Auto ist eine Erfindung des westlichen Mannes, und so kann er allein Beschlüsse darüber fassen. Von einem Ägypter erwarte ich nicht mehr, als dass er sein Auto kauft und sich hineinsetzt." Der Club - "eine exakte Kopie des berühmten Carlton-Clubs in London" - ist im Roman (und war in Wirklichkeit) das bevorzugte Spielcasino des Königs Faruk, der von der CIA heimlich als "fat fucker" bezeichnet wurde. Das ist er auch im Roman: frauen- und fresssüchtig, dekadent bis zur Ekelhaftigkeit.
Sein allmächtiger Kammerdiener, Kô genannt, beaufsichtigt die Angestellten des Clubs und unterjocht sie erbarmungslos. Doch auf den Straßen, angeführt von der Wafd-Partei und einigen Kommunisten, formiert sich Widerstand gegen die englandhörige Monarchie. Als dann nach langen Diskussionen selbst die von der Untertanenmentalität zutiefst geprägten Angestellten des Automobilclubs von Kô verlangen, auf die Prügelstrafe zu verzichten, kommt es zum Showdown. "Wer bist denn du, dass du dem Kô vorschreiben könntest, was er tun darf und was nicht?" - "Ich bin ein Mensch!"
Al-Aswani schreibt mit postkolonialem Bewusstsein eine Art sozialistischen Realismus, der sich einer an die Telenovela erinnernden Erzähltechnik bedient. Jedes Kapitel ist aus der Sicht bestimmter Personen erzählt und endet mit einem Cliffhanger. Der Roman ist nicht nur schreibtechnisch vom Fernsehen inspiriert, er übt sich auch stilistisch in telephiler Komplexitätsreduktion. Die simple Erzählweise, die einfache Sprache und die erlebte Rede als einziges Mittel zur Schilderung der Personen nehmen Rücksicht auf das ägyptische Publikum, welches - jenseits einer kleinen Schicht Intellektueller - das Lesen mit Autoren wie al-Aswani überhaupt erst wieder entdeckt hat.
Wie ein schwerer, allzu langer Güterzug braucht das Buch eine ganze Weile, bis es mit seiner grob geschnitzten Erzählfracht an Fahrt gewinnt. Überraschenderweise fesselt es allmählich aber auch den skeptischen, anfangs zum Überblättern neigenden Leser, vor allem dank der eigenwilligen Charaktere und der zahlreichen, die Intimitäten der ägyptischen Gesellschaft ausleuchtenden Binnengeschichten.
Da mutiert der begriffsstutzige Machmud, von einer älteren Engländerin verführt, allmählich zu einem Callboy, der unter den Witwen der Kairoer High Society herumgereicht wird. Da versucht der englische Direktor des Automobilclubs seine Tochter zu einem Stelldichein mit dem König zu bewegen, um sich so dessen Gunst zu erwerben. Da wird die bildungsbeflissene, aber aus einem armen Elternhaus stammende Saliha an einen reichen Geschäftsmann verheiratet, der zum Geschlechtsverkehr gar nicht in der Lage ist, aber in die Scheidung partout nicht einwilligen möchte. Und da ist ihr Bruder, der Student Kamil, die Lichtgestalt des Romans, der am Ende - natürlich! - verhaftet und gefoltert wird.
Da "Der Automobilclub von Kairo" in den vierziger Jahren spielt und damit den erzählerischen Kosmos von Nagib Machfus tangiert, beschwört er den für al-Aswani ungünstigen Vergleich mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers herauf. Vor allem ein Roman von Machfus, "Das junge Kairo" ( F.A.Z. vom 9. Dezember 2011), schildert auf ähnliche Weise dieselbe Epoche, braucht aber nur zweihundertfünfzig Seiten dafür. Die eigentliche Absicht von al-Aswanis neuem Roman ist freilich nicht primär die Schilderung der vierziger Jahre, sondern verbirgt sich in dem, was die Ägypter aus dem Vergleich jener Zeit mit der Gegenwart lernen können: dass die in der Monarchie entstandenen unterdrückerischen Strukturen bis heute ununterbrochen fortwirken.
STEFAN WEIDNER.
Alaa al-Aswani: "Der Automobilclub von Kairo". Roman.
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015. 656 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
[...] hat Al Aswani auch mit dem Automobilclub wieder eine großartige Bühne geschaffen [...] Als Literat ist er von eminenter Bedeutung. Susanne Schanda NZZ am Sonntag 20151025