Da ist er, der Bär, der gerade noch nicht da war, und zieht aus seiner Tasche einen Zettel, auf dem steht: "Bist du ich?" Gute Frage, denkt er sich, finden wir es heraus! Sofort macht er sich auf und wandert in den wundersamen Wald. Dort trifft er das Bequeme Bergrind und den Saumseligen Salamander, die ihm versichern, er sei ein sehr netter Bär! Glücklich wandert er weiter. Bis zum Kompass-Baum. Von da aus geht es in acht Richtungen: Norden, Süden, Osten, Westen, Falsch, Richtig, Mittagessen und Frühstück. Welche sollte er einschlagen: Frühstück? Mittagessen? Und wäre nicht das Träge-Schildkröten-Taxi gekommen, würde der Bär immer noch überlegen. Wir aber wissen jetzt schon: Dieser Bär ist sehr nett, und er ist glücklich. Er könnte ein entfernter Verwandter von "Pu, der Bär" sein, so wie er auf die Welt schaut. Und weil jeder gerne wissen will, wer er ist, werden Kinder und Erwachsene diesen Bären und diese zauberhafte, philosophische Geschichte mit den unvergesslichen Bildern von Wolf Erlbruch lieben.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kindern und Erwachsenen kann Rezensentin Laura Weißmüller Oren Lavies bezauberndes Bilderbuch "Der Bär, der nicht da war" gleichermaßen empfehlen. Denn der in Tel Aviv geborene Lavie schreibe solch wundersame Sätze und spiele so eigenwillig mit Worten, dass seine Sprache nicht nur lange bei der Kritikerin nachhallen, sondern bald auch beginnen, ein Eigenleben zu führen. Sie lauscht hier den unterschiedlichen Formen der Stille des Waldes, die der bunte, leicht schielende Bär auf der Suche nach sich selbst entdeckt, und begegnet zahlreichen liebenswürdigen Figuren wie etwa dem "saumseligen Salamander". Neben der genialen Übersetzung Harry Rowohlts lobt die Rezensentin insbesondere die Bilder Wolf Erlbruchs, die derart dicht und "filigran" sind, dass sie Weißmüller wie gehaucht oder "geträumt" erscheinen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2015Harry Rowohlts letztes Übersetzerwort
Magisch illustriert von Wolf Erlbruch: Oren Lavies "Der Bär, der nicht da war"
Als Harry Rowohlt am 15. Juni 2015 starb, hinterließ er neben seinen Kolumnen, Briefen und Lesungsmitschnitten vor allem ein großes Übersetzungswerk, und nicht der kleinste Teil darin hatte Kinder- und Jugendbücher zum Gegenstand. Seine deutsche Fassung von A. A. Milnes "Pu der Bär"-Büchern ist ebenso berühmt wie die von Kenneth Grahames "Der Wind in den Weiden", und Shel Silversteins "Lafcadio" oder Andy Stantons "Mr Gum"-Reihe waren gleichfalls erfolgreich wie auch schon Alexander S. Neills "Die grüne Wolke", mit der Rowohlt 1971 seine Übersetzerkarriere begann. Dieses Buch illustrierte damals kein Geringerer als F. K. Waechter.
Rowohlt war fasziniert von guten Zeichnern, und so ließ er sich als bereits schwerkranker Mann nicht davon abhalten, noch ein Buch zu übersetzen, das von Wolf Erlbruch illustriert werden sollte. Der heute siebenundsechzigjährige Künstler ist der bekannteste lebende deutsche Illustrator, seine Kinderbücher wie "Der kleine Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hatte", oder "Ente, Tod und Tulpe" sind weltweite Erfolge des Veteranen. Der 1976 geborene israelische Sänger und Dramatiker Oren Lavie dagegen ist ein Buch-Debütant. Doch sein Text "Der Bär, der nicht da war" ist wie auf Erlbruch zugeschnitten: des an den "Maulwurf" erinnernden Titels wegen, und weil Bären im Bilderbuchwerk Erlbruchs zentral sind; man denke nur an "Die fürchterlichen fünf", "Das Bärenwunder", "Nachts" und "Olek schoss einen Bären".
Dass Orens Geschichte gegenüber all diesen Vorläufern abfällt, ist die schlechte Nachricht. Nach einem wunderbar dadaistischen Auftakt, der aus einem Juckreiz den Bären entstehen lässt, wird der Text immer mehr zur Pu-Paraphrase, die mit den aus Milnes Büchern nur zu gut vertrauten Paradoxa und Skurrilitäten arbeitet. Genau deshalb aber - dies die erste gute Nachricht - ist Harry Rowohlt der richtige Übersetzer, denn er sorgt für den tatsächlich genau angemessenen Ton. Und - zweite gute Nachricht - Wolf Erlbruch erweist sich als Illustrator auf der Höhe seines Könnens. Erstmals lässt er in einem Bilderbuch deutliche Computerbearbeitungsspuren - bewusst ausfransende Scans von Blüten, verschwimmende Farbflächen - stehen, wodurch aber die Gestalt des Bären in ihrem spontan gezeichneten Duktus umso brillanter hervortritt. Und mit dem Vorletzten Vorzeige-Pinguin gelingt Erlbruch in nur einem Bild eine veritable Vorzeigefigur.
Dank Rowohlts immer an der eigenen Vortragskunst geschultem Duktus ist "Der Bär, der nicht da war", aber vor allem ein wunderbares Vorlesebuch. Es ist zugleich das Vermächtnis eines Schriftstellers, dessen Übersetzungen zu den unverrückbaren Meilensteinen kindlicher Lektüren gehören - und das für mehrere Generationen.
ANDREAS PLATTHAUS
Oren Lavie: "Der Bär, der nicht da war". Illustriert von Wolf Erlbruch.
Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Kunstmann Verlag, München 2014. 48 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Magisch illustriert von Wolf Erlbruch: Oren Lavies "Der Bär, der nicht da war"
Als Harry Rowohlt am 15. Juni 2015 starb, hinterließ er neben seinen Kolumnen, Briefen und Lesungsmitschnitten vor allem ein großes Übersetzungswerk, und nicht der kleinste Teil darin hatte Kinder- und Jugendbücher zum Gegenstand. Seine deutsche Fassung von A. A. Milnes "Pu der Bär"-Büchern ist ebenso berühmt wie die von Kenneth Grahames "Der Wind in den Weiden", und Shel Silversteins "Lafcadio" oder Andy Stantons "Mr Gum"-Reihe waren gleichfalls erfolgreich wie auch schon Alexander S. Neills "Die grüne Wolke", mit der Rowohlt 1971 seine Übersetzerkarriere begann. Dieses Buch illustrierte damals kein Geringerer als F. K. Waechter.
Rowohlt war fasziniert von guten Zeichnern, und so ließ er sich als bereits schwerkranker Mann nicht davon abhalten, noch ein Buch zu übersetzen, das von Wolf Erlbruch illustriert werden sollte. Der heute siebenundsechzigjährige Künstler ist der bekannteste lebende deutsche Illustrator, seine Kinderbücher wie "Der kleine Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hatte", oder "Ente, Tod und Tulpe" sind weltweite Erfolge des Veteranen. Der 1976 geborene israelische Sänger und Dramatiker Oren Lavie dagegen ist ein Buch-Debütant. Doch sein Text "Der Bär, der nicht da war" ist wie auf Erlbruch zugeschnitten: des an den "Maulwurf" erinnernden Titels wegen, und weil Bären im Bilderbuchwerk Erlbruchs zentral sind; man denke nur an "Die fürchterlichen fünf", "Das Bärenwunder", "Nachts" und "Olek schoss einen Bären".
Dass Orens Geschichte gegenüber all diesen Vorläufern abfällt, ist die schlechte Nachricht. Nach einem wunderbar dadaistischen Auftakt, der aus einem Juckreiz den Bären entstehen lässt, wird der Text immer mehr zur Pu-Paraphrase, die mit den aus Milnes Büchern nur zu gut vertrauten Paradoxa und Skurrilitäten arbeitet. Genau deshalb aber - dies die erste gute Nachricht - ist Harry Rowohlt der richtige Übersetzer, denn er sorgt für den tatsächlich genau angemessenen Ton. Und - zweite gute Nachricht - Wolf Erlbruch erweist sich als Illustrator auf der Höhe seines Könnens. Erstmals lässt er in einem Bilderbuch deutliche Computerbearbeitungsspuren - bewusst ausfransende Scans von Blüten, verschwimmende Farbflächen - stehen, wodurch aber die Gestalt des Bären in ihrem spontan gezeichneten Duktus umso brillanter hervortritt. Und mit dem Vorletzten Vorzeige-Pinguin gelingt Erlbruch in nur einem Bild eine veritable Vorzeigefigur.
Dank Rowohlts immer an der eigenen Vortragskunst geschultem Duktus ist "Der Bär, der nicht da war", aber vor allem ein wunderbares Vorlesebuch. Es ist zugleich das Vermächtnis eines Schriftstellers, dessen Übersetzungen zu den unverrückbaren Meilensteinen kindlicher Lektüren gehören - und das für mehrere Generationen.
ANDREAS PLATTHAUS
Oren Lavie: "Der Bär, der nicht da war". Illustriert von Wolf Erlbruch.
Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Kunstmann Verlag, München 2014. 48 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 6 J.
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