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Nach dem Mauerfall reist Jutta Ditfurth in die DDR und sieht sich mit den Widersprüchen ihrer adligen Herkunft konfrontiert. Sie folgt den Spuren ihres schillernden Urgroßonkels Börries Freiherr von Münchhausen, einem Balladendichter, der ein Freund der Juden zu sein schien - doch dann findet sie einen Brief ...
Hinter dem Mythos des 20. Juli 1944 verbirgt sich der besondere Antisemitismus des deutschen Adels im 19. und 20. Jahrhundert. Juden galten in adligen Kreisen oft als "Fremdrassige", die die adlige "Blutreinheit" bedrohten. Auf den Schlössern und Rittergütern hatten Juden bis 1945
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Produktbeschreibung
Nach dem Mauerfall reist Jutta Ditfurth in die DDR und sieht sich mit den Widersprüchen ihrer adligen Herkunft konfrontiert. Sie folgt den Spuren ihres schillernden Urgroßonkels Börries Freiherr von Münchhausen, einem Balladendichter, der ein Freund der Juden zu sein schien - doch dann findet sie einen Brief ...

Hinter dem Mythos des 20. Juli 1944 verbirgt sich der besondere Antisemitismus des deutschen Adels im 19. und 20. Jahrhundert. Juden galten in adligen Kreisen oft als "Fremdrassige", die die adlige "Blutreinheit" bedrohten. Auf den Schlössern und Rittergütern hatten Juden bis 1945 nichts verloren. Sie trugen vermeintlich Schuld an Revolutionen, an Kriegsniederlagen, am Sturz der Monarchie und an der Errichtung der Weimarer Republik. Der Hass auf die Juden wurde schließlich "von allen moralischen Skrupeln befreit". Jutta Ditfurth erzählt die bewegte Geschichte von Börries Freiherr von Münchhausen. Sein engster Freund war um 1900 der Künstler Ephraim Moses Lilien - bis Münchhausen zum glühenden Antisemiten wurde.
Autorenporträt
Ditfurth, Jutta
Jutta Ditfurth ist Soziologin, Publizistin und politische Aktivistin. Sie arbeitete u. a. als Forscherin und Reporterin in England, den USA und auf anderen Kontinenten. In den achtziger Jahren war sie Bundesvorsitzende der Grünen, trat 1991 aus und gründete im selben Jahr die Ökologische Linke mit. Seit 2016 vertritt sie die Wählervereinigung ÖkoLinX-ARL erneut im Frankfurter Römer. Sie veröffentlichte 16 Bücher, darunter die Bestseller Feuer in die Herzen. Gegen die Entwertung des Menschen (1997), Ulrike Meinhof. Die Biografie (2007) und Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen (2011). Bei Hoffmann und Campe ist Der Baron, die Juden und die Nazis. Adliger Antisemitismus (2015) erschienen . www.jutta-ditfurth.de
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2014

Eine Versammlung von Judenhassern

Die Stadtverordnete Jutta Ditfurth rechnet in einem Buch mit ihren Vorfahren ab. Einer von ihnen, Börries von Münchhausen, wurde vom Judenfreund zum Antisemiten.

Von Hans Riebsamen

Das "von" hat Jutta Ditfurth schon vor vielen Jahren abgelegt. Die Blutsbande zu ihren unzähligen Verwandten und Anverwandten nicht nur aus der Familie der Ditfurths, sondern auch aus den Adelsgeschlechtern der Münchhausens, der Beusts, der Blombergs, der Breitenbuchs oder der Gabelentz' hat die frühere Bundesvorsitzende der Grünen und heutige Stadtverordnete von Ökolinx dadurch freilich nicht auflösen können.

Stolz ist Ditfurth auf ihre Herkunft nicht. Im Gegenteil: "Meine Familie ist eine Versammlung abgrundtiefer Judenhasser gewesen", hat sie am Montagabend bei der Vorstellung ihres neuen Buches im Fritz-Bauer-Institut in der Westend-Universität gesagt. Im Kleinstaat Sachsen-Altenburg, wo Jutta Ditfurths Ururgroßvater, Hermann von Beust, Kammerherr bei Hofe war, durften sich Juden noch im 19. Jahrhundert nicht niederlassen und für eine Durchreise nicht länger als einen Tag brauchen. Andernfalls, so hat die Autorin den Familienunterlagen entnommen, wurden sie hinausgeprügelt.

Seine Herkunft vermag niemand auszulöschen, auch Jutta Ditfurth nicht, wiewohl sie sich von ihrer Klasse gelöst hat und als eine linke Ikone zum schwarzen Schaf ihrer Familie geworden ist. Doch man kann, wie sie dies jetzt in ihrem Buch "Der Baron, die Juden und die Nazis" getan hat, seine Familiengeschichte zumindest aufarbeiten. Recht eigentlich ist "Reise in eine Familiengeschichte", wie das auf vielen Recherchen in Archiven des Staates und denen der verwandtschaftlich verbundenen Häuser beruhende Werk im Untertitel heißt, aber eine Abrechnung mit der Familie. Zu ihrer Spurensuche wurde Jutta Ditfurth durch eine Reise angeregt, die sie nach dem Fall der Mauer mit ihrer Mutter unternahm und die sie in die neuen Länder an Stätten der Jugend von Heilwig von Ditfurth wie etwa nach Langenorla führte, wo einst ein Schloss der Beusts stand.

Der Befund, zu dem Jutta Ditfurth gelangt ist, klingt deprimierend. Nicht nur seien ihre Familie und ihre ausgedehnte Verwandtschaft seit den Zeiten der Romantik dezidiert judenfeindlich und scharf antisozialdemokratisch eingestellt gewesen. Viele ihrer Vorfahren hätten sich zudem im Kaiserreich und im Ersten Weltkrieg als aggressive Nationalisten gebärdet und sich in der Weimarer Republik den Deutschnationalen angeschlossen. Und manch einer ist offenbar im "Dritten Reich" willig zu den Nazis übergelaufen. Der NS-Rassenwahn ist denn auch in den Augen Jutta Ditfurths eine Art Fortsetzung der Idee der Blutreinheit, die nicht nur in ihrer Familie, sondern im gesamten Adel über Generationen hochgehalten wurde.

Aber Börries von Münchhausen, so hat es oft in ihrer Verwandtschaft geheißen, sei doch ein Judenfreund gewesen. In der Tat hat der 1874 geborene Urgroßonkel von Jutta Ditfurth Sympathien für die jüdische Kultur und das jüdische Volk gezeigt. Ein jüdischer Mitschüler schreibt über Münchhausen, dieser sei im allgemeinen Antisemitismus eine Ausnahme gewesen und entschieden gegen antijüdische Pöbeleien aufgetreten. Der junge Adelige, der Jura studiert hat und sich der Literatur widmet, wird für ein paar Jahre gar Anhänger des Zionismus. Er schreibt jüdische Balladen, die er in einem Buch mit dem Titel "Juda" veröffentlicht, das von seinem jüdischen Freund Ephraim Moses Lilien schön illustriert wird. Es wird in jüdischen Häusern ein Lieblingsbuch und fehlt auf keinem Barmitzwa-Tisch.

Münchhausens Boheme-Zeit in Berlin geht 1902 zu Ende, mit der Heirat von Anna von Breitenbuch, einer vermögenden Adelstochter aus dem Altenburgischen. Er wird dort Schlossherr und Großgrundbesitzer, seine Balladen trägt er nun in den dortigen Adelsfamilien vor, später im ganzen Land. Wie die meisten seiner Standesgenossen zieht er begeistert in den Ersten Weltkrieg und findet dort eine neue Bühne. Münchhausen wird von Front zu Front geschickt, um die Soldaten mit seinen Balladen aufzumuntern. Er schließt sich den Alldeutschen an, die von riesigen Gebietserweiterungen träumen und von der Übernahme der französischen Kolonien. Schließlich landet er als Propagandist beim Auswärtigen Amt.

Mit der deutschen Niederlage verliert Münchhausen seine Bühne, er sucht sein Heil bei den Deutschnationalen, agitiert aggressiv gegen die in seinen Augen entartete moderne Dichtung und wird Anhänger der Rassenlehre. "Wenn Adel einen Sinn und einen Wert haben soll, so kann es nur dies sein: Menschenzüchtung", schreibt er 1924 im Deutschen Adelsblatt. Ein schwedischer Fischer oder ein brandenburgischer Bauer stünden ohne Frage rassisch weit höher als ein Edelmann, dessen Mutter jüdischen, italienischen oder sonst wie undeutschen Blutes sei. Die besten deutschen Dichter will Münchhausen in dem von ihm gegründeten Wartburgkreis sammeln, nur zwölf sind jeweils von ihm auserwählt, allesamt völkische Blut-und-Boden-Dichter.

Von seiner einstigen Judenfreundschaft ist nichts mehr geblieben, Münchhausen zeigt sich jetzt als rabiater Antisemit, weshalb er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auch schnell Freunde unter den braunen Gesellen findet. Als er anlässlich der Buchwoche in Weimar 1936 mit Goebbels Kaffee trinkt, notiert er als Urteil seiner Frau in sein Tagebuch: "Noch nie einen so anmutigen Mann kennengelernt."

Weil Münchhausen es mittlerweile abscheulich findet, dass Juden deutsche Namen tragen, schlägt er dem Innenministerium vor, ihnen diese Namen wegzunehmen. Der Vorschlag wird tatsächlich im Ministerium besprochen, am Ende wird eine andere Lösung verabredet: Jüdischen Männern wird im Pass der Vorname "Israel" beigegeben, Frauen der Vorname "Sara". Weil er zu alt ist, muss Münchhausen nicht mehr in den Krieg, doch er ist deprimiert wegen der Entwicklung der militärischen Lage. Am 16. April 1945, als die Alliierten schon nahe herangerückt sind, tötet sich Börries Freiherr von Münchhausen mit Schlaftabletten. Er ist nicht der Einzige in Jutta Ditfurths Verwandtschaft gewesen, der Antisemit und Nazi gewesen ist. Nun rechnet die Nachfahrin mit ihm und vielen anderen ab.

Jutta Ditfurth: "Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte", Verlag Hoffmann und Campe, 21,99 Euro

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"Dieses Buch ist hochaktuell. " Anja Röhl neues deutschland, 19.10.2013