Ein Journalist fahndet nach einem serbischen Dichter, der während des bosnisch-serbischen Krieges unfreiwilliger Zeuge eines Massakers wurde. Doch schon seinen ersten Kontaktmann in Thessaloniki findet er nur noch tot vor. Er sucht den Dichter auf dem heiligen Berg Athos und gerät in den Klöstern dort in einen Strudel gespenstischer und bedrohlicher Ereignisse, die ihm immer neue Hindernisse in den Weg stellen. Es beginnt eine spannende und zugleich hochliterarisch erzählte Hetzjagd durch die Welt des Balkans, die erst in Istanbul endet.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2000Ein Wiener beim Komplott auf dem Balkan
Gerhard Roths Roman "Der Berg" · Von Karl-Markus Gauss
Viktor Gartner, ein Wiener Journalist in seinen desillusionierten vierziger Jahren, ist von seiner Frau geschieden, seinen Töchtern getrennt und von seinem Chefredakteur mit einem als Strafe gedachten Auftrag nach Griechenland geschickt worden. Anstatt für die Reportage über die Mönche des Berges Athos zu recherchieren, verfolgt er dort seine eigenen Absichten und verabredet sich in Thessaloniki mit einem serbischen Emigranten, der am Paläontologischen Institut arbeitet. Von diesem Dr. Bosic erwartet Gartner Hinweise auf den serbischen Lyriker Goran R., den er einmal flüchtig kennen gelernt hatte und der untergetaucht ist. Ein Mystiker, Trinker und Dichter, hatte Goran R. in einem surrealen Poem die Massaker von S. vorweggenommen, war dann aber im Tross des berüchtigten Generals M. Augenzeuge dieses Verbrechens geworden, dem angeblich 6000 bosnische Muslime zum Opfer fielen. Von verschiedenen Geheimdiensten und Organisationen gejagt, soll er jetzt vor dem Kriegsverbrechertribunal in den Den Haag aussagen und verbirgt sich vielleicht im Kloster Chilander auf Athos. Sicher ist das aber nicht, sicher ist nur, dass Dr. Bosic keine Aussage mehr machen wird, denn als Gartner ihn in seinem Institut besucht, ist dem Paläontologen die Kehle nach alter Sitte fachkundig durchgeschnitten.
Auf Seite 14 ist Dr. Bosic tot, und auf Seite 261 reicht es auch dem fortwährend in Sackgassen gelockten, von der Polizei, seinen eigenen Informanten und dubiosen Leuten malträtierten Gartner; da er sich auf seinen Irrgängen durch Thessaloniki, die griechischen Klöster, Istanbul und zahlreiche düstere Balkannächte auch keinen größeren Durchblick als der Leser verschaffen konnte, fragt er einen der zwielichtigen Mitspieler des Geschehens, die offenbar nur die Aufgabe haben, ihn auf falsche Fährten zu hetzen: "Wer hat den Mord in Thessaloniki auf dem Gewissen? Was hatte der Mönch Elias auf Ierssis mit der Sache zu tun? Woher hatte er ein Polaroidfoto von mir? Wer hatte die Hände im Spiel, als ich in Chilander verhaftet wurde? Wo sind meine fotografischen und schriftlichen Aufzeichnungen? Weshalb sind Sie aus Thessaloniki geflüchtet?" Ziemlich viele Fragen, und auf den dreißig Seiten, die folgen, wird Gartner keine Antworten finden. Die detektivische Struktur des Romans hat nur dafür zu sorgen, dass Gartner auf der Suche bleibt und der Autor seine Suche dokumentieren kann, aber sie führt nicht zur Klärung des Rätsels, das Gartner aufgegeben ist.
Da sich Roth konsequent auf die personale Perspektive der Hauptfigur beschränkt, sind deren Irritationen auch die der Leser. Das hat Folgen, zumal Gartner in seiner Gefühlsarmut wie eine Wahrnehmungsmaschine funktioniert, die unablässig prägnante und beliebige Details registriert und in Form eines fortlaufenden Protokolls auswirft: "Seit seiner Kindheit war ihm klar, dass ihn ein Universum der Gleichgültigkeit umgab, in dem alles nur vorläufig existierte. Ihm fielen die nebensächlichsten Details besonders dann auf, wenn eine Nachricht ihn niederschmetterte, er in Gefahr war oder wenn er vor einer schweren Entscheidung stand."
Diesem Wahrnehmungszwang Gartners verdankt Roths Roman einprägsame Passagen - ein Unfall an einer belebten Straße, ein Fischer bei der Arbeit an der Hafenmole, das Kommen und Gehen in einem Kaffeehaus, das alles vermag Roth atmosphärisch überzeugend zu schildern. Auch die Selbstbeobachtung, mit der sich Gartner gewohnheitsmäßig die Zeit vertreibt, führt mitunter zu feinen Zustandsbildern und schönen Sätzen: "Sie warf ihm einen Blick zu, den er trotz seines Ärgers als helles Rieseln auf seinem Rücken spürte." Die meisten der von Roth mit gleichmütiger Energie dargebotenen Details sind jedoch nicht nur "blind" im Sinne des Kriminalromans, der gattungsgemäß falsche Spuren legen und täuschende Zeichen setzen muss. Nein, diese Details sind blind in jeder Hinsicht, weil sie gar nichts zu bedeuten haben, außer dass da ein penibel aufnotierender Autor mit ihnen Seite um Seite zu füllen weiß. Man gewinnt den Eindruck, Roth arbeite ähnlich wie sein Protagonist, der mit Fotoapparat und Notizblock so nah beim Geschehen ist, dass er es gar nicht mehr wahrnimmt, sondern die Dinge schon fixiert, verzeichnet, wegschiebt, noch ehe er sie wirklich zur Kenntnis genommen hätte. Wie manche Touristen die Kamera zwischen sich und die fremde Umgebung halten, um sich auf diese erst gar nicht einlassen zu müssen, deckt Roth die in Serie beschriebenen Dinge rasant mit einem Sprach-Teppich zu, in dem jedes Motiv gleich bedeutend und gleich bedeutungslos erscheint.
Natürlich spielt Gerhard Roth in "Der Berg" auf Ereignisse an, die dem internationalen Fernsehpublikum aus dem bosnischen Krieg bekannt sind, auf das Massaker von Srebrenica, auf den Propagandisten der ethnischen Säuberung, den nationalen Mystiker, Lyriker und Psychiater Radovan Karadzic und auf den Exekutor der ethnischen Morde und Vertreibungen, den leutseligen General Mladic. Aber wie Roth Indizien aneinander reiht, nur um am Ende zu zeigen, dass sie sich doch zu keiner Kette fügen und sein Kriminalroman nur ein vorgetäuschter ist, so bleibt auch der politisch-geografische Bezug auf die Balkan-Kriege bloße Simulation. Obwohl Wissenswertes über orthodoxe Ikonenmalerei oder Märtyrerlegenden der serbischen Geschichte reichlich im Roman verstreut wird, könnte dieser auch in Dänemark oder im Baskenland spielen. Bosnien, der Berg Athos, Schlachtfelder und Klöster sind lediglich Kulissen, die Roth kunstfertig zusammenzimmert, damit die Orientierungslosigkeit seines Helden einen glaubhaften äußeren Rahmen findet. Um diese Orientierungslosigkeit ist es Roth wahrscheinlich gegangen, sie zu zeigen, in verschiedenen Situationen zu untersuchen und sprachlich stets aufs Neue zu fassen, lässt der Autor als Leiter einer Versuchsordnung seinen Protagonisten in lauter Fallen tappen, jedem falschen Hinweis nachgehen und von einer Welt umgeben sein, die voller aufdringlicher Zeichen ist. Ikonen, Ölbilder, Fotografien, die durch einen Fehler der Kamera (oder durch Sabotage?) grünlich oxydieren und auf denen sich Gesichter, Häuser, Landschaften unidentifizierbar überlagern - alle Abbildungen werden rätselhaft und bedeuten etwas, das Gartner nicht erkennen kann. Sogar die Schaben an der Wand fügen sich zu einer geheimnisvollen Konstellation, und selbst auf dem Klosterboden steht Gartner wie auf einem Rätsel, dessen Sinn sich ihm verschließt.
Bilder, die nicht zu entziffern sind, Spuren, die in die Irre führen, Notizbücher, deren Schrift sich im Wasser auflöst, Gewährsleute, die planvoll täuschen und betrügen, allenthaben Konspiration und Komplott. Am Ende fragt man sich, ob dieser Kriminalroman, der keiner sein will und von einem ungewissen Verbrechen auf einem virtuellen Balkan handelt, nicht vielleicht selbst eine Täuschung ist, mit der der Autor seinen Lesern oder sich selbst etwas vormachen wollte. Irgendwann kehrt Gartner nach Wien zurück und entledigt sich seines Auftrags, indem er in seiner Reisereportage Erinnerungen und Erfindungen, Fakten und Einfälle wüst vermischt und "mit höhnischem Gelächter alles strich, was die schöne Stimmung seiner Schilderungen beeinträchtigte".
Gerhard Roth: "Der Berg". Roman. S. Fischer-Verlag, Frankfurt/Main 2000. 312 S., geb., 39,80 DM.
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Gerhard Roths Roman "Der Berg" · Von Karl-Markus Gauss
Viktor Gartner, ein Wiener Journalist in seinen desillusionierten vierziger Jahren, ist von seiner Frau geschieden, seinen Töchtern getrennt und von seinem Chefredakteur mit einem als Strafe gedachten Auftrag nach Griechenland geschickt worden. Anstatt für die Reportage über die Mönche des Berges Athos zu recherchieren, verfolgt er dort seine eigenen Absichten und verabredet sich in Thessaloniki mit einem serbischen Emigranten, der am Paläontologischen Institut arbeitet. Von diesem Dr. Bosic erwartet Gartner Hinweise auf den serbischen Lyriker Goran R., den er einmal flüchtig kennen gelernt hatte und der untergetaucht ist. Ein Mystiker, Trinker und Dichter, hatte Goran R. in einem surrealen Poem die Massaker von S. vorweggenommen, war dann aber im Tross des berüchtigten Generals M. Augenzeuge dieses Verbrechens geworden, dem angeblich 6000 bosnische Muslime zum Opfer fielen. Von verschiedenen Geheimdiensten und Organisationen gejagt, soll er jetzt vor dem Kriegsverbrechertribunal in den Den Haag aussagen und verbirgt sich vielleicht im Kloster Chilander auf Athos. Sicher ist das aber nicht, sicher ist nur, dass Dr. Bosic keine Aussage mehr machen wird, denn als Gartner ihn in seinem Institut besucht, ist dem Paläontologen die Kehle nach alter Sitte fachkundig durchgeschnitten.
Auf Seite 14 ist Dr. Bosic tot, und auf Seite 261 reicht es auch dem fortwährend in Sackgassen gelockten, von der Polizei, seinen eigenen Informanten und dubiosen Leuten malträtierten Gartner; da er sich auf seinen Irrgängen durch Thessaloniki, die griechischen Klöster, Istanbul und zahlreiche düstere Balkannächte auch keinen größeren Durchblick als der Leser verschaffen konnte, fragt er einen der zwielichtigen Mitspieler des Geschehens, die offenbar nur die Aufgabe haben, ihn auf falsche Fährten zu hetzen: "Wer hat den Mord in Thessaloniki auf dem Gewissen? Was hatte der Mönch Elias auf Ierssis mit der Sache zu tun? Woher hatte er ein Polaroidfoto von mir? Wer hatte die Hände im Spiel, als ich in Chilander verhaftet wurde? Wo sind meine fotografischen und schriftlichen Aufzeichnungen? Weshalb sind Sie aus Thessaloniki geflüchtet?" Ziemlich viele Fragen, und auf den dreißig Seiten, die folgen, wird Gartner keine Antworten finden. Die detektivische Struktur des Romans hat nur dafür zu sorgen, dass Gartner auf der Suche bleibt und der Autor seine Suche dokumentieren kann, aber sie führt nicht zur Klärung des Rätsels, das Gartner aufgegeben ist.
Da sich Roth konsequent auf die personale Perspektive der Hauptfigur beschränkt, sind deren Irritationen auch die der Leser. Das hat Folgen, zumal Gartner in seiner Gefühlsarmut wie eine Wahrnehmungsmaschine funktioniert, die unablässig prägnante und beliebige Details registriert und in Form eines fortlaufenden Protokolls auswirft: "Seit seiner Kindheit war ihm klar, dass ihn ein Universum der Gleichgültigkeit umgab, in dem alles nur vorläufig existierte. Ihm fielen die nebensächlichsten Details besonders dann auf, wenn eine Nachricht ihn niederschmetterte, er in Gefahr war oder wenn er vor einer schweren Entscheidung stand."
Diesem Wahrnehmungszwang Gartners verdankt Roths Roman einprägsame Passagen - ein Unfall an einer belebten Straße, ein Fischer bei der Arbeit an der Hafenmole, das Kommen und Gehen in einem Kaffeehaus, das alles vermag Roth atmosphärisch überzeugend zu schildern. Auch die Selbstbeobachtung, mit der sich Gartner gewohnheitsmäßig die Zeit vertreibt, führt mitunter zu feinen Zustandsbildern und schönen Sätzen: "Sie warf ihm einen Blick zu, den er trotz seines Ärgers als helles Rieseln auf seinem Rücken spürte." Die meisten der von Roth mit gleichmütiger Energie dargebotenen Details sind jedoch nicht nur "blind" im Sinne des Kriminalromans, der gattungsgemäß falsche Spuren legen und täuschende Zeichen setzen muss. Nein, diese Details sind blind in jeder Hinsicht, weil sie gar nichts zu bedeuten haben, außer dass da ein penibel aufnotierender Autor mit ihnen Seite um Seite zu füllen weiß. Man gewinnt den Eindruck, Roth arbeite ähnlich wie sein Protagonist, der mit Fotoapparat und Notizblock so nah beim Geschehen ist, dass er es gar nicht mehr wahrnimmt, sondern die Dinge schon fixiert, verzeichnet, wegschiebt, noch ehe er sie wirklich zur Kenntnis genommen hätte. Wie manche Touristen die Kamera zwischen sich und die fremde Umgebung halten, um sich auf diese erst gar nicht einlassen zu müssen, deckt Roth die in Serie beschriebenen Dinge rasant mit einem Sprach-Teppich zu, in dem jedes Motiv gleich bedeutend und gleich bedeutungslos erscheint.
Natürlich spielt Gerhard Roth in "Der Berg" auf Ereignisse an, die dem internationalen Fernsehpublikum aus dem bosnischen Krieg bekannt sind, auf das Massaker von Srebrenica, auf den Propagandisten der ethnischen Säuberung, den nationalen Mystiker, Lyriker und Psychiater Radovan Karadzic und auf den Exekutor der ethnischen Morde und Vertreibungen, den leutseligen General Mladic. Aber wie Roth Indizien aneinander reiht, nur um am Ende zu zeigen, dass sie sich doch zu keiner Kette fügen und sein Kriminalroman nur ein vorgetäuschter ist, so bleibt auch der politisch-geografische Bezug auf die Balkan-Kriege bloße Simulation. Obwohl Wissenswertes über orthodoxe Ikonenmalerei oder Märtyrerlegenden der serbischen Geschichte reichlich im Roman verstreut wird, könnte dieser auch in Dänemark oder im Baskenland spielen. Bosnien, der Berg Athos, Schlachtfelder und Klöster sind lediglich Kulissen, die Roth kunstfertig zusammenzimmert, damit die Orientierungslosigkeit seines Helden einen glaubhaften äußeren Rahmen findet. Um diese Orientierungslosigkeit ist es Roth wahrscheinlich gegangen, sie zu zeigen, in verschiedenen Situationen zu untersuchen und sprachlich stets aufs Neue zu fassen, lässt der Autor als Leiter einer Versuchsordnung seinen Protagonisten in lauter Fallen tappen, jedem falschen Hinweis nachgehen und von einer Welt umgeben sein, die voller aufdringlicher Zeichen ist. Ikonen, Ölbilder, Fotografien, die durch einen Fehler der Kamera (oder durch Sabotage?) grünlich oxydieren und auf denen sich Gesichter, Häuser, Landschaften unidentifizierbar überlagern - alle Abbildungen werden rätselhaft und bedeuten etwas, das Gartner nicht erkennen kann. Sogar die Schaben an der Wand fügen sich zu einer geheimnisvollen Konstellation, und selbst auf dem Klosterboden steht Gartner wie auf einem Rätsel, dessen Sinn sich ihm verschließt.
Bilder, die nicht zu entziffern sind, Spuren, die in die Irre führen, Notizbücher, deren Schrift sich im Wasser auflöst, Gewährsleute, die planvoll täuschen und betrügen, allenthaben Konspiration und Komplott. Am Ende fragt man sich, ob dieser Kriminalroman, der keiner sein will und von einem ungewissen Verbrechen auf einem virtuellen Balkan handelt, nicht vielleicht selbst eine Täuschung ist, mit der der Autor seinen Lesern oder sich selbst etwas vormachen wollte. Irgendwann kehrt Gartner nach Wien zurück und entledigt sich seines Auftrags, indem er in seiner Reisereportage Erinnerungen und Erfindungen, Fakten und Einfälle wüst vermischt und "mit höhnischem Gelächter alles strich, was die schöne Stimmung seiner Schilderungen beeinträchtigte".
Gerhard Roth: "Der Berg". Roman. S. Fischer-Verlag, Frankfurt/Main 2000. 312 S., geb., 39,80 DM.
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