Bergführer machten hundert Jahre lang den Menschen Gipfel und Grate zugänglich, die sie allein nicht erreicht hätten. Das Jahrhundert des klassischen Alpinismus ist vorüber. Mit ihm geht eine ganze Kultur des Gehens und eine Haltung zur Landschaft unter. An die Stelle der Bergführerschaft ist heute das Rundum-Entertainment am Berg getreten. Die Helden des alltäglichen Alpinismus treten hinter den Stars des Extremen und des ultimativen Outdoorkicks in den Schatten der Geschichte zurück. Ersteren wird in der biografischen Erzählung "Der Berggeher" ein Denkmal gesetzt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2011Halt dich fest, lieber Bruder
Wieland Elfferding, Publizist und Lehrer, hat früher im Hamburger Argument-Verlag veröffentlicht, der sich als Haus linker Wissenschaft und Wissenschaftskritik versteht. Elfferdings neues Buch ist im österreichischen Jagd- und Fischerei-Verlag erschienen. Elfferding schreibt über Bergführer, die jahrzehntelang Menschen auf Berge führten, bis das sogenannte führerlose Gehen den Alpinismus veränderte. Das ist jedoch, anders als der Autor anklingen lässt, keine moderne Erscheinung. Schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts gelangen eigenständigen Bergsteigern Erfolge. Und ein Standardwerk zum Thema "Führerloses Bergsteigen" erschien bereits in den Zwanzigern. Was Elfferding als zeitgenössische Tendenz hinstellt, gibt es also seit hundert Jahren. Dies ist wichtig zu wissen, weil der Autor sein Buch anlegt, als würde er damit das Ende einer Epoche gerade noch einmal beschreiben. Das aber ist nicht richtig. Nach wie vor gibt es in den Bergen beide Spielarten des Alpinimus: Touren mit Bergführern und Menschen, die allein unterwegs sind. Und warum auch nicht. Doch das ist es nicht allein, was an Elfferdings Text nicht stimmig ist. Auch der Ton wirkt unpassend. Mal versucht er sich in Stifterscher Manier, schreibt dräuend, auf dem Bergrücken kenne "der Geher jeden Meterbreit", sei ihn "vielmal hinauf- und heruntergestiegen, er weiß um die Kluft, die sich mittendrin plötzlich auftut". Und immer wieder das Kafka abgeschaute "der Geher". Es soll wohl eine Art von neutralem Beschreiben darstellen, wie Kafkas Blick auf "den Reisenden", bekommt aber einen polemischen Unterton. Elfferding versteigt sich stilistisch in gestelzte Distanz, wenn er schreibt: "Mitunter muss die heimwärtige Route mit Bedacht gewählt werden." Er schüttet Häme über die anderen aus, die Nordwandgesichter, Turnschuhtouristen und - natürlich - die Handybesitzer. Während mit dem "sehr gut trainierten und für diese heikle Bergfahrt bestens geeigneten Gast" wohl niemand anders als der Autor selbst gemeint sein kann. In der "Hohen Schule des Gehens" erklärt Elfferding, ganz praktisch anstatt philosophisch, "den Fuß ein wenig schräg aufgesetzt", gehe es sich leichter und ohne im Spann zu verkrampfen. So gar nicht mag der Autor die Grünen, immer wieder teilt er aus, und dieses politische Draufhauen passt nicht zu einem Text, der sich sonst literarisch gibt. Er verurteilt den "grünen Grundsatz, dass die Erde allen gehöre", ereifert sich über "grün Gesinnte aus der Stadt" und "grüne Phrasen über Gletscherschmelze". Der Denkfehler des Buches ist aber: Bis heute gehen Menschen gerne in die Berge. Und auch ohne Bergführer nicht zwangsläufig als Anhänger des "Rundum-Entertainments". Weder der Autor noch sein "Geher" haben die "Augenblicke der äußersten Anstrengung und die des Innehaltens und Verweilens" für sich gepachtet. Die Zeit werde wieder kommen, so Elfferding, wenn die Menschen nicht mehr nur nach der Zahl der Schichten ihrer Outdoor-Kleidung fragen, sondern nach den Tiefenschichten der Berglandschaft. Diese Zeit war nie zu Ende.
bär
"Der Berggeher. Aus einem Bergführerleben" von Wieland Elfferding. Österreichischer Jagd- und Fischerei-Verlag, Wien 2011. 102 Seiten. Gebunden, 19 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wieland Elfferding, Publizist und Lehrer, hat früher im Hamburger Argument-Verlag veröffentlicht, der sich als Haus linker Wissenschaft und Wissenschaftskritik versteht. Elfferdings neues Buch ist im österreichischen Jagd- und Fischerei-Verlag erschienen. Elfferding schreibt über Bergführer, die jahrzehntelang Menschen auf Berge führten, bis das sogenannte führerlose Gehen den Alpinismus veränderte. Das ist jedoch, anders als der Autor anklingen lässt, keine moderne Erscheinung. Schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts gelangen eigenständigen Bergsteigern Erfolge. Und ein Standardwerk zum Thema "Führerloses Bergsteigen" erschien bereits in den Zwanzigern. Was Elfferding als zeitgenössische Tendenz hinstellt, gibt es also seit hundert Jahren. Dies ist wichtig zu wissen, weil der Autor sein Buch anlegt, als würde er damit das Ende einer Epoche gerade noch einmal beschreiben. Das aber ist nicht richtig. Nach wie vor gibt es in den Bergen beide Spielarten des Alpinimus: Touren mit Bergführern und Menschen, die allein unterwegs sind. Und warum auch nicht. Doch das ist es nicht allein, was an Elfferdings Text nicht stimmig ist. Auch der Ton wirkt unpassend. Mal versucht er sich in Stifterscher Manier, schreibt dräuend, auf dem Bergrücken kenne "der Geher jeden Meterbreit", sei ihn "vielmal hinauf- und heruntergestiegen, er weiß um die Kluft, die sich mittendrin plötzlich auftut". Und immer wieder das Kafka abgeschaute "der Geher". Es soll wohl eine Art von neutralem Beschreiben darstellen, wie Kafkas Blick auf "den Reisenden", bekommt aber einen polemischen Unterton. Elfferding versteigt sich stilistisch in gestelzte Distanz, wenn er schreibt: "Mitunter muss die heimwärtige Route mit Bedacht gewählt werden." Er schüttet Häme über die anderen aus, die Nordwandgesichter, Turnschuhtouristen und - natürlich - die Handybesitzer. Während mit dem "sehr gut trainierten und für diese heikle Bergfahrt bestens geeigneten Gast" wohl niemand anders als der Autor selbst gemeint sein kann. In der "Hohen Schule des Gehens" erklärt Elfferding, ganz praktisch anstatt philosophisch, "den Fuß ein wenig schräg aufgesetzt", gehe es sich leichter und ohne im Spann zu verkrampfen. So gar nicht mag der Autor die Grünen, immer wieder teilt er aus, und dieses politische Draufhauen passt nicht zu einem Text, der sich sonst literarisch gibt. Er verurteilt den "grünen Grundsatz, dass die Erde allen gehöre", ereifert sich über "grün Gesinnte aus der Stadt" und "grüne Phrasen über Gletscherschmelze". Der Denkfehler des Buches ist aber: Bis heute gehen Menschen gerne in die Berge. Und auch ohne Bergführer nicht zwangsläufig als Anhänger des "Rundum-Entertainments". Weder der Autor noch sein "Geher" haben die "Augenblicke der äußersten Anstrengung und die des Innehaltens und Verweilens" für sich gepachtet. Die Zeit werde wieder kommen, so Elfferding, wenn die Menschen nicht mehr nur nach der Zahl der Schichten ihrer Outdoor-Kleidung fragen, sondern nach den Tiefenschichten der Berglandschaft. Diese Zeit war nie zu Ende.
bär
"Der Berggeher. Aus einem Bergführerleben" von Wieland Elfferding. Österreichischer Jagd- und Fischerei-Verlag, Wien 2011. 102 Seiten. Gebunden, 19 Euro.
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