Was passiert: Ein Philosoph scheitert bei dem Versuch, seine Theorie von Erleben mit seinem Erleben in Einklang zu bringen. Ein Mann scheitert bei dem Versuch, eine Frau zu lieben. Einem Menschen gelingt es, in eine Kneipe zu gehen und sich ein Fußballspiel anzusehen. Worum es geht: Es geht um den Geschmack von Kaffee am frühen Morgen und um das Problem des Bewusstseins. Es geht um einen deutschen Studenten in New York, um einen Mann und eine Frau. Es geht um ein Kind, das nicht zur Welt kommt. Es geht um Liebe und ihr Verschwinden. Es geht um Wichtiges und Unwichtiges und um die Frage, wie man das eine vom anderen unterscheidet. Es geht um Philosophie. Und um Fußball. Worum es eigentlich geht: »Vielleicht werden sie eines Tages herausfinden, was es bedeutet, ich zu sein. Dann werden sie sagen: Wir wissen, was Bewusstsein ist. Sie werden endlich die Kontrolle bekommen über das Ich. Dann werde ich hingehen zu ihnen und sagen: Ich darf nicht aufhören, sie zu lieben, niemals. Können Sie da was machen?« »Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin« ist ein Roman über Glück.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Heinz Helles Debütroman "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin" sticht angenehm aus der Flut der aktuellen Befindlichkeitsliteratur heraus, versichert Rezensent Juan S. Guse. Denn der Kritiker liest hier ein Meisterwerk an feinsinniger Wahrnehmung und detaillierter Beobachtung, das die Grenzen des Bewusstseins auslotet. Dabei stehe die Handlung - ein deutscher Philosophiestudent flaniert durch New York, erlebt Partys und Gespräche mit Freunden - im Hintergrund, berichtet Guse, der vielmehr bewundert, wie der Erzähler in der Kunst der bisweilen nahezu naturwissenschaftlichen Selbstbeobachtung brilliert und seine Erzählweise zutreffend als "analytisches Tourette-Syndrom" umschreibt. Philosophie, Pathos und Banales vermischen sich auf eindrucksvolle Weise zu einem wunderbar mutigen Roman, urteilt der Rezensent, der deshalb gern die ein oder andere "biedere" Passage verzeiht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014Bitte nicht rauchen
Keine Angst vor Pathos: Heinz Helles Held sucht in New York das Glück.
Man nähert sich misstrauisch. Wieder ein kurzer, in Kapitel fragmentierter Roman, erzählt aus der Ich-Perspektive, bestehend aus einer Aneinanderreihung von Befindlichkeitsbeschreibungen und Gedankengängen. Man kennt sie, die Deskriptionen von belanglosem Kram, die solche Texte mit sich bringen - sie sind das immer nachwachsende Unkraut an Gegenwartsliteratur, die versucht, zugleich nüchtern und unmittelbar zu sein.
Anders jedoch Heinz Helles Debütroman "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin". Hier ist der Beschreibungsfuror geerdet, mehr noch: logisch im Text verankert. Der Roman gleicht der geistigen Inventur eines Erzählers, der zum Beobachtungsapparat werden muss, um nicht den Verstand zu verlieren. "Ich denke, dass ich diesen Moment als das erleben möchte, was er ist, und dazu gehört, dass man nicht irgendwelche komischen Dinge denkt, sondern wach ist und ehrlich und berührt, irgendwie, es bedeutet, dass man spürt, was passiert, hier und jetzt, dass man spürt, was das, was passiert, bedeutet."
Der namenlose Erzähler aus Deutschland studiert in New York Philosophie und versucht sich auf einen Vortrag vorzubereiten. Darin beschäftigt er sich mit dem "physikalisch unerklärbaren Bestandteil von Bewusstsein", also der Frage, "wieso wir etwas erleben, wieso unser Körper mit seinem hochkomplexen Rezeptions- und Prozessierungsapparat zusätzlich zu all der Rezeption und Prozessierung etwas erzeugt wie ein ah, so ist es also, ich zu sein und hier und jetzt zu sein und genau das zu tun oder eben nicht". Der Plot spielt eine untergeordnete Rolle. Mal flaniert der Erzähler durch New York, mal geht er auf Partys oder spricht mit Kollegen bei einem Bier. Auch als seine Freundin zu Besuch kommt, ändert sich nur scheinbar etwas. Er bleibt Beobachter.
"Ich habe ein analytisches Tourette-Syndrom", sagt er an einer Stelle und beschreibt damit zugleich die Ästhetik des Romans. Stilistisch äußert sich das am deutlichsten durch das Vokabular des Erzählers, das dem eines extraterrestrischen Gastes gleicht. Auch die Kapitelüberschriften sind Bestandsaufnahmen ("Ich überlege, mit dem Rauchen aufzuhören"). Es ist ein zwischen Naturwissenschaft und einer Art aseptischen Animalismus schwankender Blick auf die Menschen und vor allem auf sich selbst.
Davon handelt der Roman: Selbstbeobachtung. Wir beobachten einen jungen Mann beim Versuch, sich beim Beobachten mittels derselben Differenzierung zu beobachten; eine Unmöglichkeit, wie wir nicht erst seit Heinz von Foerster wissen. Denn immer wieder wird dem Erzähler dabei die Aussichtsplattform, von der aus er auf sich blickt, unter den Füßen weggezogen. "Die Wörter in meinem Kopf existieren nicht, sage ich mir mit Wörtern in meinem Kopf."
Misstrauisch könnte man sicherlich darüber werden, wie unmittelbar die der Philosophie entlehnten Themen verhandelt werden; gibt es doch nichts Traurigeres als Romane, die als das Abendkleid für einen geisteswissenschaftlichen Komplex herhalten müssen, um ihn stupide in Figurenkonstellationen, Plot und Motivik zu übersetzen. Bei Helles Roman ist das zu keinem Zeitpunkt der Fall; obgleich er Philosophie studiert hat. Im Gegenteil: Der Text scheitert bewusst an dieser Übersetzung ins Erzählende, stellt dies aus.
Was die meiste Zeit ganz hervorragend funktioniert, gebiert bisweilen auch biedere Stellen, die versuchen, abgeklärt zu wirken, und dabei unbeholfene Komik entwickeln. Ähnliches gilt für die Verschneidung von Sexualtrieb und Vernunft. Andererseits ist es die Gleichzeitigkeit von Banalem und erkenntnistheoretischen Bruchstücken, die den Roman so beißend macht.
Das liegt auch an Heinz Helles Mut zum Pathos, über den es sich bekanntermaßen leicht lustig machen lässt. Der Text schert sich darum nicht, hält nie damit zurück, dass es um Konzepte geht mit Begrifflichkeiten schwer wie Gestein: Liebe und Glück. "Ich liege wach und frage mich, wieso ich nicht glücklich bin über die vielen freundlichen Menschen in meinem Leben." Bei Heinz Helle verbergen die philosophischen und erzählerischen Schichten diese Fragen nicht, sondern vergrößern sie stattdessen bis zur Unkenntlichkeit wie die Linsen eines falsch justierten Teleskops. Und das ist waghalsig, mehr davon.
JUAN S. GUSE.
Heinz Helle: "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 159 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine Angst vor Pathos: Heinz Helles Held sucht in New York das Glück.
Man nähert sich misstrauisch. Wieder ein kurzer, in Kapitel fragmentierter Roman, erzählt aus der Ich-Perspektive, bestehend aus einer Aneinanderreihung von Befindlichkeitsbeschreibungen und Gedankengängen. Man kennt sie, die Deskriptionen von belanglosem Kram, die solche Texte mit sich bringen - sie sind das immer nachwachsende Unkraut an Gegenwartsliteratur, die versucht, zugleich nüchtern und unmittelbar zu sein.
Anders jedoch Heinz Helles Debütroman "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin". Hier ist der Beschreibungsfuror geerdet, mehr noch: logisch im Text verankert. Der Roman gleicht der geistigen Inventur eines Erzählers, der zum Beobachtungsapparat werden muss, um nicht den Verstand zu verlieren. "Ich denke, dass ich diesen Moment als das erleben möchte, was er ist, und dazu gehört, dass man nicht irgendwelche komischen Dinge denkt, sondern wach ist und ehrlich und berührt, irgendwie, es bedeutet, dass man spürt, was passiert, hier und jetzt, dass man spürt, was das, was passiert, bedeutet."
Der namenlose Erzähler aus Deutschland studiert in New York Philosophie und versucht sich auf einen Vortrag vorzubereiten. Darin beschäftigt er sich mit dem "physikalisch unerklärbaren Bestandteil von Bewusstsein", also der Frage, "wieso wir etwas erleben, wieso unser Körper mit seinem hochkomplexen Rezeptions- und Prozessierungsapparat zusätzlich zu all der Rezeption und Prozessierung etwas erzeugt wie ein ah, so ist es also, ich zu sein und hier und jetzt zu sein und genau das zu tun oder eben nicht". Der Plot spielt eine untergeordnete Rolle. Mal flaniert der Erzähler durch New York, mal geht er auf Partys oder spricht mit Kollegen bei einem Bier. Auch als seine Freundin zu Besuch kommt, ändert sich nur scheinbar etwas. Er bleibt Beobachter.
"Ich habe ein analytisches Tourette-Syndrom", sagt er an einer Stelle und beschreibt damit zugleich die Ästhetik des Romans. Stilistisch äußert sich das am deutlichsten durch das Vokabular des Erzählers, das dem eines extraterrestrischen Gastes gleicht. Auch die Kapitelüberschriften sind Bestandsaufnahmen ("Ich überlege, mit dem Rauchen aufzuhören"). Es ist ein zwischen Naturwissenschaft und einer Art aseptischen Animalismus schwankender Blick auf die Menschen und vor allem auf sich selbst.
Davon handelt der Roman: Selbstbeobachtung. Wir beobachten einen jungen Mann beim Versuch, sich beim Beobachten mittels derselben Differenzierung zu beobachten; eine Unmöglichkeit, wie wir nicht erst seit Heinz von Foerster wissen. Denn immer wieder wird dem Erzähler dabei die Aussichtsplattform, von der aus er auf sich blickt, unter den Füßen weggezogen. "Die Wörter in meinem Kopf existieren nicht, sage ich mir mit Wörtern in meinem Kopf."
Misstrauisch könnte man sicherlich darüber werden, wie unmittelbar die der Philosophie entlehnten Themen verhandelt werden; gibt es doch nichts Traurigeres als Romane, die als das Abendkleid für einen geisteswissenschaftlichen Komplex herhalten müssen, um ihn stupide in Figurenkonstellationen, Plot und Motivik zu übersetzen. Bei Helles Roman ist das zu keinem Zeitpunkt der Fall; obgleich er Philosophie studiert hat. Im Gegenteil: Der Text scheitert bewusst an dieser Übersetzung ins Erzählende, stellt dies aus.
Was die meiste Zeit ganz hervorragend funktioniert, gebiert bisweilen auch biedere Stellen, die versuchen, abgeklärt zu wirken, und dabei unbeholfene Komik entwickeln. Ähnliches gilt für die Verschneidung von Sexualtrieb und Vernunft. Andererseits ist es die Gleichzeitigkeit von Banalem und erkenntnistheoretischen Bruchstücken, die den Roman so beißend macht.
Das liegt auch an Heinz Helles Mut zum Pathos, über den es sich bekanntermaßen leicht lustig machen lässt. Der Text schert sich darum nicht, hält nie damit zurück, dass es um Konzepte geht mit Begrifflichkeiten schwer wie Gestein: Liebe und Glück. "Ich liege wach und frage mich, wieso ich nicht glücklich bin über die vielen freundlichen Menschen in meinem Leben." Bei Heinz Helle verbergen die philosophischen und erzählerischen Schichten diese Fragen nicht, sondern vergrößern sie stattdessen bis zur Unkenntlichkeit wie die Linsen eines falsch justierten Teleskops. Und das ist waghalsig, mehr davon.
JUAN S. GUSE.
Heinz Helle: "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 159 S., geb., 18,95 [Euro].
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»Helles Roman ist ein ungebändigter Gedankenstrom, eine Aneinanderreihung von wissenschaftlichen und philosophischen Beobachtungen.« Anne-Sophie Balzer Der Tagesspiegel 20140506