Let me entertain you
Der Earl of Rochester (1647 bis 1677) war einer jener Menschen, die sehnsuchtsvolle Phantasien von längst vergangenen Zeiten in uns wecken. Er war gerade 13 Jahre alt, als England 1660 den puritanischen Alptraum beendete und mit Charles II. zur Monarchie zurückkehrte. Da sein Vater den König ins Exil begleitet hatte, nahm Charles den kleinen John unter seine Fittiche, und das bedeutete: Party, bis der Arzt kommt. Nach den elf Jahren der Cromwell-Herrschaft gab es einen enormen Nachholbedarf an den schönen Dingen des Lebens. An dem liederlichsten Königshof, den England je zu finanzieren hatte, entfaltete Rochester sein Talent als charmanter Unhold und unermüdlicher Erzähler, und seine Balladen und Spottverse wurden schnell legendär. Wenn er rezitiert: "Gott segne den König, der gnädig ist, keiner glaubt ihm, was er verspricht, nie sagt er etwas Dämliches und Kluges tut er nicht.", applaudiert selbst der König.
Am besten stellen wir uns Rochester als einen nur selten nüchternen Gentleman vor, der frohgemut sämtliche Karrierechancen über Bord warf, das Theater über alles liebte und sich ständig verkleidete, in einem idyllischen Waldschlösschen seltsame Orgien feierte und Anfang Dreißig an der Syphilis starb. In bester Mantel-und-Degen-Manier entführte er zweimal (!) mit sechsspännigen Kutschen eine reiche Erbin, die ihn dann schließlich heiratete. Er hatte unzählige Affären mit Männern und Frauen und zeichnete sich durch eine hektische Energie und Spontanität aus, die sich durch mögliche Folgen nicht im geringsten beirren lässt. Am Ende seines Lebens erwischte ihn die Kirche dann doch, er bereute dramatisch seine Ausschweifungen und erlangte neuen Ruhm als verlorene Seele, die den Weg zurück gefunden hat.
Seine Gedichte und Briefe spiegeln die Widersprüchlichkeit seines Lebens: Er spottet über Treue und über Treulosigkeit, er feiert und verachtet die körperlichen Genüsse, besingt die Schönheit der Frauen und tritt sie in den Schmutz ("Du liebst ein Weib? Welch Eselei!") und schreibt mit der gleichen Selbstverständlichkeit aus der Sicht einer verliebten jungen Unschuld wie eines frustrierten alten Wüstlings. Die deutschen Leser können mit dieser Werkauswahl einen Mensch und Autoren kennen lernen, der in den angelsächsischen Ländern längst zu den Klassikern gehört.
Christine Wunnicke (Jg. 1966), Herausgeberin und Übersetzerin dieser Textauswahl, ist durch ihren dritten Roman "Die Kunst der Bestimmung" (Kindler 2002) als Kennerin des barocken England ausgewiesen. In ihrer Sprache ist Rochester auch für den deutschen Leser ein unverwechselbares Erlebnis. Die Übersetzung wurde durch den Deutschen Übersetzerfonds e.V. gefördert.
Der Earl of Rochester (1647 bis 1677) war einer jener Menschen, die sehnsuchtsvolle Phantasien von längst vergangenen Zeiten in uns wecken. Er war gerade 13 Jahre alt, als England 1660 den puritanischen Alptraum beendete und mit Charles II. zur Monarchie zurückkehrte. Da sein Vater den König ins Exil begleitet hatte, nahm Charles den kleinen John unter seine Fittiche, und das bedeutete: Party, bis der Arzt kommt. Nach den elf Jahren der Cromwell-Herrschaft gab es einen enormen Nachholbedarf an den schönen Dingen des Lebens. An dem liederlichsten Königshof, den England je zu finanzieren hatte, entfaltete Rochester sein Talent als charmanter Unhold und unermüdlicher Erzähler, und seine Balladen und Spottverse wurden schnell legendär. Wenn er rezitiert: "Gott segne den König, der gnädig ist, keiner glaubt ihm, was er verspricht, nie sagt er etwas Dämliches und Kluges tut er nicht.", applaudiert selbst der König.
Am besten stellen wir uns Rochester als einen nur selten nüchternen Gentleman vor, der frohgemut sämtliche Karrierechancen über Bord warf, das Theater über alles liebte und sich ständig verkleidete, in einem idyllischen Waldschlösschen seltsame Orgien feierte und Anfang Dreißig an der Syphilis starb. In bester Mantel-und-Degen-Manier entführte er zweimal (!) mit sechsspännigen Kutschen eine reiche Erbin, die ihn dann schließlich heiratete. Er hatte unzählige Affären mit Männern und Frauen und zeichnete sich durch eine hektische Energie und Spontanität aus, die sich durch mögliche Folgen nicht im geringsten beirren lässt. Am Ende seines Lebens erwischte ihn die Kirche dann doch, er bereute dramatisch seine Ausschweifungen und erlangte neuen Ruhm als verlorene Seele, die den Weg zurück gefunden hat.
Seine Gedichte und Briefe spiegeln die Widersprüchlichkeit seines Lebens: Er spottet über Treue und über Treulosigkeit, er feiert und verachtet die körperlichen Genüsse, besingt die Schönheit der Frauen und tritt sie in den Schmutz ("Du liebst ein Weib? Welch Eselei!") und schreibt mit der gleichen Selbstverständlichkeit aus der Sicht einer verliebten jungen Unschuld wie eines frustrierten alten Wüstlings. Die deutschen Leser können mit dieser Werkauswahl einen Mensch und Autoren kennen lernen, der in den angelsächsischen Ländern längst zu den Klassikern gehört.
Christine Wunnicke (Jg. 1966), Herausgeberin und Übersetzerin dieser Textauswahl, ist durch ihren dritten Roman "Die Kunst der Bestimmung" (Kindler 2002) als Kennerin des barocken England ausgewiesen. In ihrer Sprache ist Rochester auch für den deutschen Leser ein unverwechselbares Erlebnis. Die Übersetzung wurde durch den Deutschen Übersetzerfonds e.V. gefördert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2005Wüstling mit scharfer Feder
Zyniker von Königs Gnaden: Die Gedichte des Earl of Rochester
Er war schon zu Lebzeiten eine legendäre Figur: unbestritten der Erste unter dem mob of gentlemen who wrote with ease, der Clique (oder Rotte) feiner Herren am Hof von Charles II., die das Dichten nebenher mit aristokratischer Eleganz und Nonchalance betrieben - John Wilmot, Earl of Rochester; für seine Epoche der Inbegriff des adeligen Wüstlings, für die Nachwelt ein Mythos und einer der markantesten Dichter englischer Zunge. Seine Vita scheint auf ihre Weise das historische Wechselbad Englands zwischen Bürgerkrieg und Restauration nachzuvollziehen. Als Sohn einer strengen Puritanerin und eines royalistischen Abenteurers wurde er 1646 auf der Durchreise seines Vaters zu einem Pariser Duell gezeugt - nach dieser häuslichen Heldentat ließ sich der Ehemann daheim nicht mehr blicken. Die fromme Erziehung der Mutter kam offenbar nicht gegen die väterlichen Gene an. Beim Studium in Oxford wurde John Wilmot von einem seiner Dozenten in die Sünden dieser Welt eingeweiht, denen er zeitlebens verbunden blieb: Zechgelage mit Gleichgesinnten und venerische Ergötzungen.
Es war eine angemessene Vorbereitung auf die neue Zeit, als der "lustige Monarch", soeben aus dem französischen Exil zurückgekehrt, höchstpersönlich den Standard für die allgemeine Lockerung der Sitten nach dem strengen Cromwell-Regime setzte. Doch zunächst gab es für den jungen Tunichtgut ein Bildungserlebnis der besseren Art. Eine mehrjährige Kavalierstour durch Frankreich und Italien machte aus dem verlotterten Studenten einen umfassend kultivierten Weltmann. Nach seiner Rückkehr wurde das ebenso geistreiche wie unmoralische Milieu des neuen Hofes rasch sein ureigenes Element. Der König selbst fand seinen Witz und seine Gesellschaft unwiderstehlich und ließ sich von ihm die größten Unverschämtheiten ins Stammbuch schreiben; darunter jenes berühmte Epigramm, das dem Monarchen bescheinigte, noch nie etwas Dummes gesagt und etwas Gescheites getan zu haben. Charles erwiderte mit königlicher Zungenfertigkeit: "Meine Worte gehen auf mein Konto, meine Taten auf das meiner Minister." Ein längeres Gedicht befaßt sich in denkbar anstößigster Manier mit dem geringen politischen und dem gewaltigen erotischen Ehrgeiz des Herrschers: "Sein Szepter ist nicht länger als sein Schwanz. / Dieselbe Schlampe darf mit beidem spielen ..."
Rochesters Gedichte, meist erst postum gedruckt, variantenreich und manchmal mit nicht ganz eindeutiger Zuschreibung überliefert, feiern und schmähen die Frauen- und Männerliebe gleichermaßen; dabei scheren sie sich weder um Schicklichkeit noch um das, was uns Heutigen als sexualpolitisch korrekt gilt. "Du liebst ein Weib? Welch Eselei! / Passion der abgeschmackten Laffen! / Als ob das Glück gegründet sei / aufs dümmste Ding, das Gott geschaffen!" So beginnt eines seiner blasphemischen Liebeslieder, und es endet mit den Worten: "Gebt mir Gesundheit, Freude, Wein, / und um Gott Amor zu beschwören, / ruf ich den Pagen süß und fein, / der's besser kann als vierzig Gören."
Solche flotten Verse mögen einen kleinen Verlag für Homoerotika bewogen haben, die literarische Kostbarkeit einer zweisprachigen Rochester-Auswahl zu vertreiben, und für diese mutige Tat gebührt ihm Dank. Doch den weiblichen Teil der Schöpfung hat der Dichter weder im Leben noch im Werk je vernachlässigt. Die Liebe seines Lebens war Elizabeth Malet, die bildschöne Erbin eines großen Vermögens, die der junge Earl gleich zweimal entführte und für die er einige Zeit im Tower saß; zu ihr, der Mutter seiner Kinder, kehrte er immer wieder von seinen Eskapaden zurück. Eine weitere Leidenschaft galt dem Theater und den Schauspielerinnen. Die zunächst eher mittelmäßige Elizabeth Barry wurde dank seines ausdauernden Einsatzes zur größten Charakterdarstellerin der Epoche und zur kapriziösesten seiner Mätressen. In seinen Liedern wünscht er sich bald Ewigkeit in den Armen einer Geliebten, bald schwört er, seine Bettgenossinnen so lange zu wechseln, bis ihn die Würmer fressen. Sogar in der berüchtigten Sexualfarce "Sodom", deren pornographische Brillanz stark für Rochesters Autorschaft spricht, herrscht Ausgewogenheit zwischen dem wüsten homo- und heterosexuellen Treiben.
Rochesters misogyne Ausfälle sind satirisch motiviert: Seine längeren Verssatiren können sich nicht genug daran tun, höhnische und nicht selten degoutante Porträts von allerlei Liebesnarren aneinanderzureihen. Sexuelle und gesellschaftliche Absurdität erweisen sich als eng verwandt, ob nun der Schauplatz der modische St. James's Park ist oder das von der feinen Gesellschaft frequentierte "Kurbad" Tunbridge Wells. Indem er seiner Ära die Rolle des virtuosen Wüstlings oder rake vorlebt, steht Rochester nicht nur im Zentrum des permissiven Gemenges, sondern auch als skeptischer Beobachter gleichsam neben sich.
Leidenschaftlicher Liebhaber und Sexualzyniker, Genußmensch und von der schwarzen Galle Infizierter, Kriegsheld und Feigling, Ungläubiger und auf dem Totenbett Bekehrter - auch sein Leben scheint in lauter disparate Rollen zu zerfallen. Merkwürdig prominent ist in seiner "Liebesdichtung" das Thema der Impotenz. Aus der klassischen Literatur (Horaz, Ovid, Petron, Martial) ist das Versagen im vitalsten Moment als ironische Antiklimax des Liebesdramas bekannt - bei Rochester wird es zum Fluchtpunkt einer dionysischen Selbstdarstellung, die auf den Syphilitikertod im Alter von dreiunddreißig Jahren zusteuert. In seinem Gedicht "Der invalide Wüstling" sieht sich der Sprecher als Veteran des Liebeskrieges aus einer imaginierten Zukunft der Impotenz Rückblick auf seine Heldentaten bei Raufhändeln und Bordellorgien halten. Die eigene Gegenwart wird hier ihres illusorischen Charakters überführt, und der Autor erscheint als Subjekt und Objekt seiner Satire.
"Wir preisen laut Vernunft - vergebens: /
Das Menschsein ist die Krankheit unsres Lebens" heißt es am Ende der Chronik von Tunbridge Wells. In jener Blütezeit der englischen Satire an der Schwelle der Aufklärung ist die Kluft zwischen dem lauthasl verkündeten Vernunftprinzip und dem Realverhalten des angeblich mündigen Bürgers ein unerschöpfliches Thema und die Liebesposse seine beste Illustration. Rochesters Witz reflektiert den Schmerz eines epochalen Glaubensverlusts: Der Glaube an Gott, an das königliche Gottesgnadentum und an die Idealität der Liebe wird von diesem antimetaphysischen Erkenntnisschock gleichermaßen gebeutelt. Der Zyniker Rochester ist eine Maske des Kynikers, der in einem seiner berühmten Texte die tierische Existenz über die menschliche stellt. Das (leider nicht übersetzte) Gedicht "Upon Nothing" feiert als Unglaubensbekenntnis des Dichters das Nichts, dem sich sein Werk verwandt weiß, und geißelt zugleich die Herrschaft des Nichtigen in der eigenen Zeit.
Die erste deutsche Rochester-Ausgabe wurde von der Übersetzerin Christine Wunnicke kompetent und liebevoll gestaltet. Sie überträgt die Originale witzig und mit gebotener Deftigkeit, trifft den liedhaften Fluß der kürzeren Stücke ebenso geschickt wie den mehr als lockeren Gesprächston und die burlesken Stilfarben der Verssatiren. Gemessen an der Schwierigkeit, eine lange Folge englischer Verspaare im Zeilenstil in ein geschmeidiges Deutsch zu bringen, bedeutet es keine übersetzerische Havarie, daß gelegentlich ein Vers etwas lahmt; so etwas kann sogar in den Vorlagen passieren. Die Ergänzung der Gedichte durch eine Briefauswahl, ein Vorwort, nützliche Sacherklärungen und eine Bildergalerie der dramatis personae unterstreicht die Leserfreundlichkeit des Unternehmens. Darf man da noch mäkeln? Hinter vorgehaltener Hand: Die Einleitung sagt viel über das Leben, aber zuwenig über das Werk des Autors; und der Titel "Der beschädigte Wüstling" liest sich seltsam kurios. Dieser Wüstling ist kriegsversehrt - und nicht nur als Opfer des sattsam bekannten, alle Epochen übergreifenden Liebeskrieges.
John Wilmot, Earl of Rochester: "Der beschädigte Wüstling". Satiren, Lieder und Briefe. Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Christine Wunnicke. MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 2005. 192 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zyniker von Königs Gnaden: Die Gedichte des Earl of Rochester
Er war schon zu Lebzeiten eine legendäre Figur: unbestritten der Erste unter dem mob of gentlemen who wrote with ease, der Clique (oder Rotte) feiner Herren am Hof von Charles II., die das Dichten nebenher mit aristokratischer Eleganz und Nonchalance betrieben - John Wilmot, Earl of Rochester; für seine Epoche der Inbegriff des adeligen Wüstlings, für die Nachwelt ein Mythos und einer der markantesten Dichter englischer Zunge. Seine Vita scheint auf ihre Weise das historische Wechselbad Englands zwischen Bürgerkrieg und Restauration nachzuvollziehen. Als Sohn einer strengen Puritanerin und eines royalistischen Abenteurers wurde er 1646 auf der Durchreise seines Vaters zu einem Pariser Duell gezeugt - nach dieser häuslichen Heldentat ließ sich der Ehemann daheim nicht mehr blicken. Die fromme Erziehung der Mutter kam offenbar nicht gegen die väterlichen Gene an. Beim Studium in Oxford wurde John Wilmot von einem seiner Dozenten in die Sünden dieser Welt eingeweiht, denen er zeitlebens verbunden blieb: Zechgelage mit Gleichgesinnten und venerische Ergötzungen.
Es war eine angemessene Vorbereitung auf die neue Zeit, als der "lustige Monarch", soeben aus dem französischen Exil zurückgekehrt, höchstpersönlich den Standard für die allgemeine Lockerung der Sitten nach dem strengen Cromwell-Regime setzte. Doch zunächst gab es für den jungen Tunichtgut ein Bildungserlebnis der besseren Art. Eine mehrjährige Kavalierstour durch Frankreich und Italien machte aus dem verlotterten Studenten einen umfassend kultivierten Weltmann. Nach seiner Rückkehr wurde das ebenso geistreiche wie unmoralische Milieu des neuen Hofes rasch sein ureigenes Element. Der König selbst fand seinen Witz und seine Gesellschaft unwiderstehlich und ließ sich von ihm die größten Unverschämtheiten ins Stammbuch schreiben; darunter jenes berühmte Epigramm, das dem Monarchen bescheinigte, noch nie etwas Dummes gesagt und etwas Gescheites getan zu haben. Charles erwiderte mit königlicher Zungenfertigkeit: "Meine Worte gehen auf mein Konto, meine Taten auf das meiner Minister." Ein längeres Gedicht befaßt sich in denkbar anstößigster Manier mit dem geringen politischen und dem gewaltigen erotischen Ehrgeiz des Herrschers: "Sein Szepter ist nicht länger als sein Schwanz. / Dieselbe Schlampe darf mit beidem spielen ..."
Rochesters Gedichte, meist erst postum gedruckt, variantenreich und manchmal mit nicht ganz eindeutiger Zuschreibung überliefert, feiern und schmähen die Frauen- und Männerliebe gleichermaßen; dabei scheren sie sich weder um Schicklichkeit noch um das, was uns Heutigen als sexualpolitisch korrekt gilt. "Du liebst ein Weib? Welch Eselei! / Passion der abgeschmackten Laffen! / Als ob das Glück gegründet sei / aufs dümmste Ding, das Gott geschaffen!" So beginnt eines seiner blasphemischen Liebeslieder, und es endet mit den Worten: "Gebt mir Gesundheit, Freude, Wein, / und um Gott Amor zu beschwören, / ruf ich den Pagen süß und fein, / der's besser kann als vierzig Gören."
Solche flotten Verse mögen einen kleinen Verlag für Homoerotika bewogen haben, die literarische Kostbarkeit einer zweisprachigen Rochester-Auswahl zu vertreiben, und für diese mutige Tat gebührt ihm Dank. Doch den weiblichen Teil der Schöpfung hat der Dichter weder im Leben noch im Werk je vernachlässigt. Die Liebe seines Lebens war Elizabeth Malet, die bildschöne Erbin eines großen Vermögens, die der junge Earl gleich zweimal entführte und für die er einige Zeit im Tower saß; zu ihr, der Mutter seiner Kinder, kehrte er immer wieder von seinen Eskapaden zurück. Eine weitere Leidenschaft galt dem Theater und den Schauspielerinnen. Die zunächst eher mittelmäßige Elizabeth Barry wurde dank seines ausdauernden Einsatzes zur größten Charakterdarstellerin der Epoche und zur kapriziösesten seiner Mätressen. In seinen Liedern wünscht er sich bald Ewigkeit in den Armen einer Geliebten, bald schwört er, seine Bettgenossinnen so lange zu wechseln, bis ihn die Würmer fressen. Sogar in der berüchtigten Sexualfarce "Sodom", deren pornographische Brillanz stark für Rochesters Autorschaft spricht, herrscht Ausgewogenheit zwischen dem wüsten homo- und heterosexuellen Treiben.
Rochesters misogyne Ausfälle sind satirisch motiviert: Seine längeren Verssatiren können sich nicht genug daran tun, höhnische und nicht selten degoutante Porträts von allerlei Liebesnarren aneinanderzureihen. Sexuelle und gesellschaftliche Absurdität erweisen sich als eng verwandt, ob nun der Schauplatz der modische St. James's Park ist oder das von der feinen Gesellschaft frequentierte "Kurbad" Tunbridge Wells. Indem er seiner Ära die Rolle des virtuosen Wüstlings oder rake vorlebt, steht Rochester nicht nur im Zentrum des permissiven Gemenges, sondern auch als skeptischer Beobachter gleichsam neben sich.
Leidenschaftlicher Liebhaber und Sexualzyniker, Genußmensch und von der schwarzen Galle Infizierter, Kriegsheld und Feigling, Ungläubiger und auf dem Totenbett Bekehrter - auch sein Leben scheint in lauter disparate Rollen zu zerfallen. Merkwürdig prominent ist in seiner "Liebesdichtung" das Thema der Impotenz. Aus der klassischen Literatur (Horaz, Ovid, Petron, Martial) ist das Versagen im vitalsten Moment als ironische Antiklimax des Liebesdramas bekannt - bei Rochester wird es zum Fluchtpunkt einer dionysischen Selbstdarstellung, die auf den Syphilitikertod im Alter von dreiunddreißig Jahren zusteuert. In seinem Gedicht "Der invalide Wüstling" sieht sich der Sprecher als Veteran des Liebeskrieges aus einer imaginierten Zukunft der Impotenz Rückblick auf seine Heldentaten bei Raufhändeln und Bordellorgien halten. Die eigene Gegenwart wird hier ihres illusorischen Charakters überführt, und der Autor erscheint als Subjekt und Objekt seiner Satire.
"Wir preisen laut Vernunft - vergebens: /
Das Menschsein ist die Krankheit unsres Lebens" heißt es am Ende der Chronik von Tunbridge Wells. In jener Blütezeit der englischen Satire an der Schwelle der Aufklärung ist die Kluft zwischen dem lauthasl verkündeten Vernunftprinzip und dem Realverhalten des angeblich mündigen Bürgers ein unerschöpfliches Thema und die Liebesposse seine beste Illustration. Rochesters Witz reflektiert den Schmerz eines epochalen Glaubensverlusts: Der Glaube an Gott, an das königliche Gottesgnadentum und an die Idealität der Liebe wird von diesem antimetaphysischen Erkenntnisschock gleichermaßen gebeutelt. Der Zyniker Rochester ist eine Maske des Kynikers, der in einem seiner berühmten Texte die tierische Existenz über die menschliche stellt. Das (leider nicht übersetzte) Gedicht "Upon Nothing" feiert als Unglaubensbekenntnis des Dichters das Nichts, dem sich sein Werk verwandt weiß, und geißelt zugleich die Herrschaft des Nichtigen in der eigenen Zeit.
Die erste deutsche Rochester-Ausgabe wurde von der Übersetzerin Christine Wunnicke kompetent und liebevoll gestaltet. Sie überträgt die Originale witzig und mit gebotener Deftigkeit, trifft den liedhaften Fluß der kürzeren Stücke ebenso geschickt wie den mehr als lockeren Gesprächston und die burlesken Stilfarben der Verssatiren. Gemessen an der Schwierigkeit, eine lange Folge englischer Verspaare im Zeilenstil in ein geschmeidiges Deutsch zu bringen, bedeutet es keine übersetzerische Havarie, daß gelegentlich ein Vers etwas lahmt; so etwas kann sogar in den Vorlagen passieren. Die Ergänzung der Gedichte durch eine Briefauswahl, ein Vorwort, nützliche Sacherklärungen und eine Bildergalerie der dramatis personae unterstreicht die Leserfreundlichkeit des Unternehmens. Darf man da noch mäkeln? Hinter vorgehaltener Hand: Die Einleitung sagt viel über das Leben, aber zuwenig über das Werk des Autors; und der Titel "Der beschädigte Wüstling" liest sich seltsam kurios. Dieser Wüstling ist kriegsversehrt - und nicht nur als Opfer des sattsam bekannten, alle Epochen übergreifenden Liebeskrieges.
John Wilmot, Earl of Rochester: "Der beschädigte Wüstling". Satiren, Lieder und Briefe. Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Christine Wunnicke. MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 2005. 192 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit dieser zweisprachigen Ausgabe einer Auswahl aus den Gedichten, Satiren und Briefen von John Wilmot ist ein "Dichter zu entdecken", schwärmt ein vollkommen begeisterter Jens Bisky. Freunde "intelligenter Verse" werden sich wundern, wie ihnen dieser "Minnesänger des Lasters", der 1680 in London 33-jährig an der Syphilis starb, "bisher entgehen konnte", versichert der Rezensent, der meint, dass die Werke Wilmots nur aus seinem überaus ausschweifenden und lasterhaften Leben heraus verständlich werden. Bisky preist die Übersetzungen von Christine Wunnicke, in deren "schmiegsamem Deutsch" er den "derben Ton" des englischen Schriftstellers genauso gefunden hat wie den "schnöselhaften Witz" oder ein "liederliches Leiern". Außerdem habe die Übersetzerin ein "mitreißendes Vorwort" mitgeliefert, das dem hierzulande viel zu unbekannten Wilmot zu Ruhm verhelfen könnte, wie der Rezensent hofft. Diese Ausgabe "enthält das Nötigste" zu Wilmot, ohne dass sie mit allzu viel "gelehrtem Bombast" aufwartet, lobt der begeisterte Bisky weiter, der neben der durchaus konventionellen Form und dem deutlichen "Ausdruck" den "überraschenden Witz" dieser Verse schätzt und der hinter all der Liederlichkeit das "Wissen" des Lyrikers aus dem englischen Hochbarock um die unüberwindbare "Herrschaft des Nichts" herausgelesen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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