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Judith Kuckart erzählt in ihrem Roman den Sommer einer unmöglichen Liebe. Dabei gelingt ihr das Kunststück, eine Sprache zu finden, die direkt und diskret ein Höchstmaß an erotischer Spannung erzeugt. Der Bibliothekar ist die ergreifendste Geschichte einer erotischen Obsession seit -Der letzte Tango von Paris-.

Produktbeschreibung
Judith Kuckart erzählt in ihrem Roman den Sommer einer unmöglichen Liebe. Dabei gelingt ihr das Kunststück, eine Sprache zu finden, die direkt und diskret ein Höchstmaß an erotischer Spannung erzeugt. Der Bibliothekar ist die ergreifendste Geschichte einer erotischen Obsession seit -Der letzte Tango von Paris-.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.1998

Hirn, Herz oder Hose
Gut gemeint: Judith Kuckart verkuppelt einen Bibliothekar

Das Berufsbild ist beklagenswert: "Bibliothekare waren gefährdete Wesen. Sie tranken viel Kaffee, aber dünn, sie quälten ihre Mütter, weil sie die richtige Frau nicht fanden, sie suchten in Büchern die Seiten mit den versauten Stellen und machten Eselsohren hinein. Bibliothekare waren Träumer mit trockener Haut und von aussterbender Art. Sie horteten in Zellen mit Fernheizung nicht eßbare Vorräte, Holz mit Leim und Erdöl versetzt. Sie aßen in der Kantine und sonntags bei der Mutter. Bibliothekare waren gefährdet und gefährlich zugleich, waren trockene Wesen."

Gefährlich jedoch sind sie vor allem in Romanen, wenn sie zu deren Helden auserkoren werden, wie das in Judith Kuckarts Buch "Der Bibliothekar" geschieht. Darin verfällt der Berliner "Oberbibliothekarsrat" Hans-Ullrich Kolbe in seinem vierundfünfzigsten Lebensjahr einer halb so alten Peep-Show-Akrobatin und Sex-Arbeiterin in so bedingungsloser Liebe, daß das ganz einfach nicht gutgehen kann. Erschwerende Umstände treten hinzu. Kolbe, dem die junge Jelena "geschieht", ist Pastorensohn, was offenbar ein lebenslanges Handicap darstellt; in der Sakristei des Herrn Papa hat er in zartem Alter bereits ein Kondom gefunden, ein "Ding aus Mehl und Nebel". Außerdem ist er SPD-Mitglied, nicht unbegütert und "eine Franse im Zeitgeschehen". Jelena hingegen ist "anders als andere Frauen", hat Spaß an der Sache, heißt eigentlich Elisabeth Schnee, was gewiß ein beziehungsreiches Symbol der Kälte wie der Reinheit sein dürfte, und trägt einen Skorpion auf der linken Hand eintätowiert, denn - wiederum Symbol - "Skorpionweibchen verspeisen bekanntermaßen das Männchen nach erfolgreicher Paarung", wie die Verlagswerbung erläutert.

Stereotype Berufs- und Charakterbilder, also Figuren, die unverändert das bleiben, was sie nach dem Willen ihrer Schöpfer sein sollen, denen ihr bißchen Wesen von vornherein auf den Leib geschrieben ist, sind ein untrügliches Kennzeichen von Trivialliteratur, und Judith Kuckarts Roman gibt schon nach den ersten Seiten zu erkennen, daß er diesem Genre angehört. Das wäre nicht weiter schlimm, denn dafür gibt es einen großen Abnehmerkreis. Nur will dieses Buch partout keine Trivialliteratur sein. Die Verfasserin verfügt, das muß zu ihrem Lob gesagt werden, über genügend Talent, mehr als Dutzendware zu geben. Das scheint hin und wieder durch, zum Beispiel bei der mißlingenden "Hochzeitsreise" des ungleichen Paares nach Venedig. Nur kann das beste Talent zum Widersacher guter Literatur werden, wenn man unbedingt gute Literatur schreiben möchte, aber nichts als Wirklichkeit aus zweiter Hand zur Verfügung hat.

Über das wahrhaft alberne Berufsbild von Bibliothekaren soll kein weiteres Wort verloren werden. Allerdings wird dieser Hans-Ullrich seiner Jelena zuliebe das Lesen wie die Beschäftigung mit Büchern aufgeben und sich ebenfalls einen Skorpion eintätowieren lassen. Nur bringt ihn das, wie voraussehbar, der Angebeteten durchaus nicht näher; Marionetten tanzen hier nach dem unbedingten Willen der Autorin, einen provokativen Roman zu schreiben.

Das Resultat ist "Literarisierung" des Trivialen durch "name dropping" (Arno Schmidt, Carlo Schmid, Thomas Mann, Paul Tillich, Celan), durch kennerhaftes Zitieren der Bachkantaten 5 und 34, durch die beiläufige Erwähnung der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung", mit der sich der Held über die brennende Frage berät, "ob man aus der bibliophilen Gesellschaft nicht austreten solle", oder durch Hinweise auf das Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Im übrigen wird dem Milieu entsprechend reichlich pornographisiert, aber die Vielseitigkeit der Tätigkeiten - "ein ständig wiederholter Geschlechtsakt war öde" - verhält sich umgekehrt proportional zur Sinnlichkeit der Darstellung.

Häufiges Triebmittel des Stils bildet das aus rhetorischer Tradition vertraute Zeugma: "ein halbes Jahr später fiel die Mauer und ich Karl in die Arme", "seine Stimme war heiser und sie achtundzwanzig". Oder die Kombination von Unvereinbarem wie "Hoffnung, Pfefferminze und Tabac" oder "Hirn, Herz oder Hose". Bunte Tupfer soll die Metaphorik aufsetzen: die Socken sind "kinderhellblau", die Zähne "eine Herde Schafe in einer blaßrosa Höhle", die Muskulatur ist "tannenbaumförmig", die Stirn "wie die Ostsee bei Sturm". Manche mögen das für Ironie halten. Aber wie aufregend auch immer eine neue, überraschende Metapher sein kann - dies alles hier ist angestrengt, verkrampft, bemüht, wie wenn "der sonnige Spätnachmittag im August aufkochte zu Kunst".

Bevor der Bibliothekar sich und Jelena in die Katastrophe führt, meditiert er über Bücher, "die wie das Leben sein wollten", und befindet: "Geschichten, die man verstand, waren nur schlecht erzählt." Ob er damit der Autorin aus dem Herzen spricht, muß dahingestellt bleiben, zu vermuten ist es leider schon. Doch ist nicht jede unverständliche Geschichte deshalb auch schon gut erzählt. Judith Kuckart hat sich mit der Unverständlichkeit Mühe gegeben, indem sie in Andeutungen eine Vor- und eine Nachgeschichte in ihren Roman hineinkonstruiert. Hans-Ullrich Kolbe hat nämlich schon mehrere Ehen hinter sich und einige eheliche wie uneheliche Kinder auf beiden Seiten der Mauer - der "Mordfall Schnee" ereignet sich im Jahre 1982. Kind und Kegel sollen dann so etwas wie den antiken Chor abgeben, der Jahre später, nach dem Fall des Schutzwalls, die sexuellen und emotionalen Abenteuer ihres Erzeugers interesselos rekonstruieren und erörtern wird, sogar unter Mitwirkung eines Kriminalkommissars von fast derrickscher Bonhomie. Aber auch der Bezug auf das große Zeitgeschehen bleibt beliebig, nichts geht daraus hervor, und so breitet sich die Interesselosigkeit der Sprößlinge wie ein Schleier über das ganze Buch und hüllt auch die Leser ein.

Im Grunde ist man am Ende soweit wie am Anfang, keine Erfahrung war zu machen, kein Gefühl, kein Stück wirklichen Lebens kennenzulernen. Bücher, die bloß "wie das Leben sein wollen", mögen tatsächlich nicht viel taugen, wenn sie nur das wollen. Vielleicht jedoch taugen, so altmodisch es klingen mag, gerade diejenigen Bücher um so mehr, die sich mit dem Versuch bescheiden, wirkliches Leben zu verstehen, fremdes Leben zwar, aber mit dem fremden auch ein Stück des eigenen. GERHARD SCHULZ

Judith Kuckart: "Der Bibliothekar". Roman. Gatza bei Eichborn, Frankfurt am Main 1998. 255 S., geb., 39,80 DM.

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