Es war eine Dichterin, Sappho, die dem Eros das paradoxe Attribut »bittersüß« gab. Dies geschah in der Zeit, als die griechische Kultur die Schockwellen ihrer Alphabetisierung verarbeitete. Dichtung als eine Sache des Lesens und Schreibens entstand zeitgleich mit der Erfindung des Eros als Widerspruch in sich selbst.Anne Carson geht dieser Sache nach. Sie tut dies als Dichterin und Philologin, und sie webt so eine gelehrte und subtile Studie, die zugleich poetisches Traktat und selbst Liebesrede ist. Eine fein und lakonisch gefugte Vielfalt, in der sich älteste Fragen wiederholen, um sich mit modernen Antwortversuchen zu mischen, in denen auch die Erfahrungen der Psychoanalyse spürbar sind: Triangulierungen, das Sehnen nach dem, was andere ersehnen, Liebe und Hass, die sich sich im erotischen Verlangen treffen, mischen und verdrehen.Erstmals 1986 erschienen, löst dieses Buch über den »gliederlösenden Eros«, die Glieder eines traditionellen Korpus - der Liebesrede, -dichtung und -philosophie der Griechen - nicht um sie in neuer Gestalt erstarren zu lassen, sondern um durchscheinen und aufleuchten zu lassen, was dichterisches Denken heute sein kann.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ganz hingerissen ist Rezensent Samir Sellami, dass nach Anne Carsons Langgedicht "Rot" nun gleich drei weitere Bücher der kanadischen Lyrikerin in großartiger deutscher Übersetzung von Marie Luise Knott (Irdischer Durst), Christina Dongowski (Der bittersüße Eros) und Anja Utler (Dreizehn Blickwinkel auf Einige Worte, Carsons Berliner Rede zur Poesie) vorliegen. Vergnügt macht sich der Kritiker mit der studierten Altphilologin auf zu einer Reise durch die antike Literaturgeschichte, bewundert, wie Carson etwa dem antiken Eros jede Romantik und "Schrulligkeit" austreibt und stattdessen ganz auf Lebensnähe setzt. Gelehrt und detailversessen erscheinen ihm die Texte - und sind dank Carsons Witz, mitunter Albernheit doch immer unterhaltsam zu lesen, versichert Sellami. Bei aller Frische der Lyrik würde sich der Rezensent allerdings wünschen, dass Carson dem "alten europoäischen Geist noch einmal so richtig die Handgelenke bricht".
© Perlentaucher Medien GmbH
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