Das Inselreich Myrrha im Jahr 1732. König Alphanios ist das Opfer intriganter Minister und Finanzleute. Die Regierungsgeschäfte sind unentwirrbar verfahren, und die Großreiche Venedig und Konstantinopel bemühen sich eifrig, das Königreich zu annektieren. Dazu umwerben sie die Thronfolgerin, die kluge und selbständige Prinzessin Danae, den Liebling des Volkes. Die entzieht sich jedoch dem höfischen Zeremoniell und versucht allen Intrigen zu begegnen, um Ihrem Land zu helfen...Niebelschütz greift mit diesem Roman auf die Gattung der galanten Dichtung des Rokoko zurück. Meisterhaft bedient er sich des Stils der Epoche und legt sein Epos ganz nebenbei noch nach den traditionellen Kompositiosprinzipien der klassischen Musik an.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Das gab es also auch, meint Rezensent Tobias Schwartz leicht ratlos nach Lektüre zweier Romane von Wolf von Niebelschütz: "Der blaue Kammerherr" und "Die Kinder der Finsternis". Niebelschütz gehört zur Altersgruppe von Stefan Heym, Max Frisch, Arno Schmidt und Alfred Andersch, so Schwartz, aber geschrieben hat er ganz anders. So ist "Der blaue Kammerherr" ein "galanter Roman", der im Stil des Rokoko verfasst ist. Ziemlich maniriert findet das unser Rezensent. Auch findet er, wenngleich in eleganter Sprache verfasst, "reaktionäre staatstheoretische Abwägungen". Alles in allem ist ihm nicht ganz klar, warum diese Romane noch einmal aufgelegt wurden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2011Die Einschiffung nach Myrrha
Wolf von Niebelschütz’ Romane „Der blaue Kammerherr“ und „Die Kinder der Finsternis“ sind wieder da
Zwei Romane, zusammen rund 2000 Seiten umfassend, mit vielversprechenden Titeln: „Der blaue Kammerherr“ und „Die Kinder der Finsternis“. Der Autor heißt Wolf von Niebelschütz. Diese Romane erschienen 1949 und 1959, und ihr Autor ist bereits über 50 Jahre nicht mehr unter den Lebenden. Speziell der „Blaue Kammerherr“ jedoch wird immer wieder neu veröffentlicht, lauthals gepriesen, dann wieder nahezu vergessen, in dieser Hinsicht zumindest (in anderen nicht) vergleichbar mit Albert Vigoleis Thelens wunderbarem Schelmenroman „Die Insel des Zweiten Gesichts“.
Ort des Romans ist die fiktive Ägäis-Insel Myrrha im Jahr 1732 – hier leben noch die alten Götter. Die myrrhesische Prinzessin Danae (Niebelschütz bedient sich hier als Grundlage eines Fragments von Hofmannsthal, das als Libretto für Richard Strauss gedacht war) soll verheiratet werden, und die Republik Venedig schickt ihren Abgesandten, einen gewissen Don Giovanni, der verhindern soll, dass diese Pläne ins politische Abseits rutschen. Auch der Feldherr Otello taucht auf, ebenso der Reichsgraf von Weißenstein, hinter dem sich Zeus selbst verbirgt. Im Gewande eines heroisch-galanten Romans entwirft Niebelschütz mit atemverschlagender literarischer Äquilibristik eine Welt der ingeniösen Mischung von antiker Mythologie, barocker Aufwands- und Spiegelungslust, mozartischer Atmosphäre und dem retrospektiven Geist Hofmannsthals. Das klingt konservativ, durchaus.
In einer Notiz formulierte es Niebelschütz einmal so: „Esprit conservateur. Über das Konservative. Idée pure der Musik. Quintessenz. Auch Hofmannsthal war in diesem Sinne ein konservativer Geist, Goethe, Mozart desgleichen. Ihre höchsten Meriten liegen darin, dass sie bewusst oder unbewusst aus tausend Vergangenheiten leben, die sich nur in ihnen zur Summe ansammelten.“
Wenn man bedenkt, dass Niebelschütz seinen „Blauen Kammerherrn“ bereits 1942 konzipierte, lange daran arbeitete, bevor er 1949 erschien, bekommt das ganze Romanunternehmen einen phosphoreszierenden Glanz. Der Autor, 1913 in Berlin geboren, hatte ein geisteswissenschaftliches Studium in Wien und München hinter sich, bevor er in den dreißiger Jahren Journalist wurde, zunächst in Magdeburg, dann in Düsseldorf. Den zweiten Weltkrieg lang war er Soldat. Nach dem Krieg ließ er sich als freier Schriftsteller in Hösel bei Düsseldorf nieder, wo er schon 1960 starb. Als er sich mit dem „Blauen Kammerherrn“ einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte, war Niebelschütz keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Die lange vorherrschende Meinung, die deutsche Nachkriegsliteratur habe sich auf kahlgeschlagener Ebene, beeinflusst vor allem durch Hemingway und Faulkner, unbelastet, unvorbereitet nach 1945 erhoben, ist zu den Akten gelegt worden. Die „junge Generation“ hatte zum großen Teil bereits vor 1945 publiziert: Eich, Huchel, Koeppen, Krolow und manch andere, es gab für sie Publikationsmöglichkeiten außerhalb der strikten NS-Presse, im „Inneren Reich“ oder in der „Dame“, deren Lyrikpreis 1942 Wolf von Niebelschütz erhielt. Seit 1938 veröffentlichte er Essays, Feuilletons, Gedichte und Erzählungen.
Die barocke Fülle des „Blauen Kammerherrn“ mit seinem fast unübersehbaren Personal ist nicht rasch zu durchleuchten. Niebelschütz hat sich nur an die Grundsituation des Hofmannsthal’ schen Szenariums gehalten, alles andere ist seine Erfindung. Der Roman ist ein mythisierendes Märchenspiel, inszeniert an einem Hofe, an dem der Geist des absolutistischen Frankreich herrscht, bis hin in die von Französismen durchsetzte Sprache, das Ganze ist überdies vielfältig mit Kunstform und Geschichte der Oper verbunden. Was Niebelschütz an Hofmannsthal bewunderte, versuchte er selbst: aus zwei auseinanderliegenden Epochen, Barock und Antike, eine graziöse, spielerische Einheit zu machen, so wie der Spätbarock selbst in Tiepolos Fresken und Händels Opern die antiken Helden im Zierhelm auftreten ließ.
Sämtliche Argumente der reichen Tradition des Konservatismus sind bei Niebelschütz versammelt: der Elitegedanke, die Massenverachtung, die Revolutionskritik. Kein Wunder, dass die auf Myrrha stattfindende Revolution ein Pöbelaufstand ist; „tutti quanti, massenhafte Menschheit“ triumphiert zeitweilig über geistige Aristokratie und tobt sich in viehischen Verbrechen an Unschuldigen aus, wobei deutlich wird, dass keiner der Revolutionäre merkt, für welche Ziele er missbraucht wird. Dass für Niebelschütz, für den das Abendland mit der Französischen Revolution aufgehört hatte zu existieren, hier sowohl diese Revolution wie auch die Gräuel des „Dritten Reiches“ und des Krieges gemeint sind (welche er miterlebt hat, verbleibt im biographischen Dunkel), ist evident.
Für Niebelschütz ist der Barock die letzte Epoche, in der eine allumfassende Kultur Ordnung stiften konnte. Das höfische Ritual am Hofe von Myrrha ist mit liebevoller Bewunderung geschrieben, aber auch mit einer das ganze Buch durchwaltenden Ironie, die, neben der sprachlichen Meisterschaft, das Werk auch für jene erträglich macht, die dem konservativen Gestus als politischer Haltung keine positiven Aspekte abgewinnen können. Im „Blauen Kammerherrn" ist im Gegensatz zum späteren düsteren Mittelalterroman „Die Kinder der Finsternis“ noch alles lichtdurchflutet, von höherem Humor ins mediterrane Licht einer Goldoni’schen Heiterkeit getaucht, die in der deutschen Literatur keine Nachfolge gefunden hat.
Am Schluss fahren die Götter aus dem Meer vor Myrrha vor den Augen Danaes in ihren Himmel empor: „Dort schwebte Bacchus, von Panthern gezogen, in seiner Reb-Laube knallten die Sect-Korken, Demeter üppig in Weizen-Garben, teilhaftig auch sie der unsterblichen Jugend, fast jünger noch sah sie aus als die Tochter, als Perspehoneia, die soeben etwas angeschmaucht vom Camin, dem gemütlich vor sich hin bullernden Vulcan-Berg enteilte (nicht ohne Valuta, ein Cometen-Schweif Diamanten fuhr mit ihr per aspera ad astra) . . .“
Die Zeit, in der Niebelschütz zum Autor wurde, hat es den Nachgeborenen leicht gemacht, die Aporien seiner Situation klar zu erkennen. Der junge Dichter, als Soldat an der Redaktion von Wehrmachtszeitungen beteiligt, wurde in Frankreich im Kulturprogramm der Besatzer eingesetzt und hielt Vorträge vor Studenten der Sorbonne, in denen er von Deutschland als dem Land der Mitte, dem deutschen Geist als dem Geist Goethes, der deutschen Musik als der Musik Mozarts sprach: „Unsre Mitte ist dort, wo es am stillsten ist. Wir sind keine laute Nation, nicht kalt und dunkel sieht es in uns aus, und Sie werden niemals verstehen, ehe Sie nicht zur der Erkenntnis der eigentümlichen Milde gelangt sind, die aus unserer Landschaft und aus so vielen Werken unserer Großen zu Ihnen spricht.“ Solche Worte beklemmen uns, bedenkend, dass zur gleichen Zeit, als sie gesprochen wurden, auf Pariser Bahnhöfen Transporte in die Vernichtungslager zusammengestellt wurden.
Niebelschütz hält mit verzweifelter Inständigkeit an der Fiktion fest, Geist und Kultur könnten unbeeinflusst von Krieg und Barbarei existieren. Der ideologiekritische Befund beim Blick auf diesen Autor scheint unumstößlich: Eskapismus reinsten Wassers, geplant und teilweise ausgeführt im blutigsten Schlachthaus des zwanzigsten Jahrhunderts. Es muss aber mehr sein, was Leser so verschiedener Couleur wie Walter Boehlich, Peter Wapnewski, Peter Härtling und Eckhard Henscheid immer wieder an diesem Roman angezogen hat. „Dammi il paradiso“ so endet er, aus einem Liebesgeflüster zwischen Danae und Giovanni zu einer Anrufung utopischen Charakters emporsteigend. Der Tagtraumcharakter dieser Utopie ist es, der nicht nur Rückkehr in Unwiderbringliches, sondern Gegenentwurf bedeutet, wie in Brentanos Vaduz, in Mörikes Orplid. Eines der besseren Luftschlösser, hätte Ernst Bloch dazu sagen können. Das Unterdrückte, Abgebrochene, Unabgegoltene einer historischen Epoche, die hier ins Überzeitliche, Zeitenthobene, wenn auch nicht völlig Zeitlose transformiert wird, macht den unwiderstehlichen Reiz dieser Wortmusik aus. Watteaus „Einschiffung nach Kythera“ ist das Bild, das hier assoziierend erscheinen mag (gemalt zu einer Zeit, als Teile Europas unter den Folgen des Spanischen Erbfolgekriegs ächzten).
Die Unvereinbarkeit dieses „paradiso“ mit Krieg und Terror, aber auch mit der Selbstzufriedenheit der Adenauer’ schen Restaurationszeit und des Erhard’ schen Wirtschaftswunders hat den „Blauen Kammerherrn“ aus der Nachkriegsliteratur ins Exterritoriale katapultiert. Dass er immer wieder neue Leser findet, zeigt eine untergründige Wirkung an, die über die Problematik der Entstehungskonstellation hinausgeht.
JENS MALTE FISCHER
WOLF VON NIEBELSCHÜTZ: Der blaue Kammerherr. Roman. Verlag Kein & Aber, Zürich 2010. 1252 S. 29,90 Euro.
WOLF VON NIEBELSCHÜTZ: Die Kinder der Finsternis. Roman. Verlag Kein & Aber, Zürich 2010. 704 S. 24,90 Euro.
„Dort schwebte Bacchus, von
Panthern gezogen, in seiner Reb-
Laube knallten die Sect-Korken“
Der Blick über die Schulter ins fremde Buch: Wolf von Niebelschütz (1913-1960, rechts) bei einer Lesung mit Eugen Roth (1895-1976) im Jahr 1942, in dem er mit der Arbeit am Roman „Der blaue Kammerherr“ begann. Foto: ullstein bild
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Wolf von Niebelschütz’ Romane „Der blaue Kammerherr“ und „Die Kinder der Finsternis“ sind wieder da
Zwei Romane, zusammen rund 2000 Seiten umfassend, mit vielversprechenden Titeln: „Der blaue Kammerherr“ und „Die Kinder der Finsternis“. Der Autor heißt Wolf von Niebelschütz. Diese Romane erschienen 1949 und 1959, und ihr Autor ist bereits über 50 Jahre nicht mehr unter den Lebenden. Speziell der „Blaue Kammerherr“ jedoch wird immer wieder neu veröffentlicht, lauthals gepriesen, dann wieder nahezu vergessen, in dieser Hinsicht zumindest (in anderen nicht) vergleichbar mit Albert Vigoleis Thelens wunderbarem Schelmenroman „Die Insel des Zweiten Gesichts“.
Ort des Romans ist die fiktive Ägäis-Insel Myrrha im Jahr 1732 – hier leben noch die alten Götter. Die myrrhesische Prinzessin Danae (Niebelschütz bedient sich hier als Grundlage eines Fragments von Hofmannsthal, das als Libretto für Richard Strauss gedacht war) soll verheiratet werden, und die Republik Venedig schickt ihren Abgesandten, einen gewissen Don Giovanni, der verhindern soll, dass diese Pläne ins politische Abseits rutschen. Auch der Feldherr Otello taucht auf, ebenso der Reichsgraf von Weißenstein, hinter dem sich Zeus selbst verbirgt. Im Gewande eines heroisch-galanten Romans entwirft Niebelschütz mit atemverschlagender literarischer Äquilibristik eine Welt der ingeniösen Mischung von antiker Mythologie, barocker Aufwands- und Spiegelungslust, mozartischer Atmosphäre und dem retrospektiven Geist Hofmannsthals. Das klingt konservativ, durchaus.
In einer Notiz formulierte es Niebelschütz einmal so: „Esprit conservateur. Über das Konservative. Idée pure der Musik. Quintessenz. Auch Hofmannsthal war in diesem Sinne ein konservativer Geist, Goethe, Mozart desgleichen. Ihre höchsten Meriten liegen darin, dass sie bewusst oder unbewusst aus tausend Vergangenheiten leben, die sich nur in ihnen zur Summe ansammelten.“
Wenn man bedenkt, dass Niebelschütz seinen „Blauen Kammerherrn“ bereits 1942 konzipierte, lange daran arbeitete, bevor er 1949 erschien, bekommt das ganze Romanunternehmen einen phosphoreszierenden Glanz. Der Autor, 1913 in Berlin geboren, hatte ein geisteswissenschaftliches Studium in Wien und München hinter sich, bevor er in den dreißiger Jahren Journalist wurde, zunächst in Magdeburg, dann in Düsseldorf. Den zweiten Weltkrieg lang war er Soldat. Nach dem Krieg ließ er sich als freier Schriftsteller in Hösel bei Düsseldorf nieder, wo er schon 1960 starb. Als er sich mit dem „Blauen Kammerherrn“ einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte, war Niebelschütz keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Die lange vorherrschende Meinung, die deutsche Nachkriegsliteratur habe sich auf kahlgeschlagener Ebene, beeinflusst vor allem durch Hemingway und Faulkner, unbelastet, unvorbereitet nach 1945 erhoben, ist zu den Akten gelegt worden. Die „junge Generation“ hatte zum großen Teil bereits vor 1945 publiziert: Eich, Huchel, Koeppen, Krolow und manch andere, es gab für sie Publikationsmöglichkeiten außerhalb der strikten NS-Presse, im „Inneren Reich“ oder in der „Dame“, deren Lyrikpreis 1942 Wolf von Niebelschütz erhielt. Seit 1938 veröffentlichte er Essays, Feuilletons, Gedichte und Erzählungen.
Die barocke Fülle des „Blauen Kammerherrn“ mit seinem fast unübersehbaren Personal ist nicht rasch zu durchleuchten. Niebelschütz hat sich nur an die Grundsituation des Hofmannsthal’ schen Szenariums gehalten, alles andere ist seine Erfindung. Der Roman ist ein mythisierendes Märchenspiel, inszeniert an einem Hofe, an dem der Geist des absolutistischen Frankreich herrscht, bis hin in die von Französismen durchsetzte Sprache, das Ganze ist überdies vielfältig mit Kunstform und Geschichte der Oper verbunden. Was Niebelschütz an Hofmannsthal bewunderte, versuchte er selbst: aus zwei auseinanderliegenden Epochen, Barock und Antike, eine graziöse, spielerische Einheit zu machen, so wie der Spätbarock selbst in Tiepolos Fresken und Händels Opern die antiken Helden im Zierhelm auftreten ließ.
Sämtliche Argumente der reichen Tradition des Konservatismus sind bei Niebelschütz versammelt: der Elitegedanke, die Massenverachtung, die Revolutionskritik. Kein Wunder, dass die auf Myrrha stattfindende Revolution ein Pöbelaufstand ist; „tutti quanti, massenhafte Menschheit“ triumphiert zeitweilig über geistige Aristokratie und tobt sich in viehischen Verbrechen an Unschuldigen aus, wobei deutlich wird, dass keiner der Revolutionäre merkt, für welche Ziele er missbraucht wird. Dass für Niebelschütz, für den das Abendland mit der Französischen Revolution aufgehört hatte zu existieren, hier sowohl diese Revolution wie auch die Gräuel des „Dritten Reiches“ und des Krieges gemeint sind (welche er miterlebt hat, verbleibt im biographischen Dunkel), ist evident.
Für Niebelschütz ist der Barock die letzte Epoche, in der eine allumfassende Kultur Ordnung stiften konnte. Das höfische Ritual am Hofe von Myrrha ist mit liebevoller Bewunderung geschrieben, aber auch mit einer das ganze Buch durchwaltenden Ironie, die, neben der sprachlichen Meisterschaft, das Werk auch für jene erträglich macht, die dem konservativen Gestus als politischer Haltung keine positiven Aspekte abgewinnen können. Im „Blauen Kammerherrn" ist im Gegensatz zum späteren düsteren Mittelalterroman „Die Kinder der Finsternis“ noch alles lichtdurchflutet, von höherem Humor ins mediterrane Licht einer Goldoni’schen Heiterkeit getaucht, die in der deutschen Literatur keine Nachfolge gefunden hat.
Am Schluss fahren die Götter aus dem Meer vor Myrrha vor den Augen Danaes in ihren Himmel empor: „Dort schwebte Bacchus, von Panthern gezogen, in seiner Reb-Laube knallten die Sect-Korken, Demeter üppig in Weizen-Garben, teilhaftig auch sie der unsterblichen Jugend, fast jünger noch sah sie aus als die Tochter, als Perspehoneia, die soeben etwas angeschmaucht vom Camin, dem gemütlich vor sich hin bullernden Vulcan-Berg enteilte (nicht ohne Valuta, ein Cometen-Schweif Diamanten fuhr mit ihr per aspera ad astra) . . .“
Die Zeit, in der Niebelschütz zum Autor wurde, hat es den Nachgeborenen leicht gemacht, die Aporien seiner Situation klar zu erkennen. Der junge Dichter, als Soldat an der Redaktion von Wehrmachtszeitungen beteiligt, wurde in Frankreich im Kulturprogramm der Besatzer eingesetzt und hielt Vorträge vor Studenten der Sorbonne, in denen er von Deutschland als dem Land der Mitte, dem deutschen Geist als dem Geist Goethes, der deutschen Musik als der Musik Mozarts sprach: „Unsre Mitte ist dort, wo es am stillsten ist. Wir sind keine laute Nation, nicht kalt und dunkel sieht es in uns aus, und Sie werden niemals verstehen, ehe Sie nicht zur der Erkenntnis der eigentümlichen Milde gelangt sind, die aus unserer Landschaft und aus so vielen Werken unserer Großen zu Ihnen spricht.“ Solche Worte beklemmen uns, bedenkend, dass zur gleichen Zeit, als sie gesprochen wurden, auf Pariser Bahnhöfen Transporte in die Vernichtungslager zusammengestellt wurden.
Niebelschütz hält mit verzweifelter Inständigkeit an der Fiktion fest, Geist und Kultur könnten unbeeinflusst von Krieg und Barbarei existieren. Der ideologiekritische Befund beim Blick auf diesen Autor scheint unumstößlich: Eskapismus reinsten Wassers, geplant und teilweise ausgeführt im blutigsten Schlachthaus des zwanzigsten Jahrhunderts. Es muss aber mehr sein, was Leser so verschiedener Couleur wie Walter Boehlich, Peter Wapnewski, Peter Härtling und Eckhard Henscheid immer wieder an diesem Roman angezogen hat. „Dammi il paradiso“ so endet er, aus einem Liebesgeflüster zwischen Danae und Giovanni zu einer Anrufung utopischen Charakters emporsteigend. Der Tagtraumcharakter dieser Utopie ist es, der nicht nur Rückkehr in Unwiderbringliches, sondern Gegenentwurf bedeutet, wie in Brentanos Vaduz, in Mörikes Orplid. Eines der besseren Luftschlösser, hätte Ernst Bloch dazu sagen können. Das Unterdrückte, Abgebrochene, Unabgegoltene einer historischen Epoche, die hier ins Überzeitliche, Zeitenthobene, wenn auch nicht völlig Zeitlose transformiert wird, macht den unwiderstehlichen Reiz dieser Wortmusik aus. Watteaus „Einschiffung nach Kythera“ ist das Bild, das hier assoziierend erscheinen mag (gemalt zu einer Zeit, als Teile Europas unter den Folgen des Spanischen Erbfolgekriegs ächzten).
Die Unvereinbarkeit dieses „paradiso“ mit Krieg und Terror, aber auch mit der Selbstzufriedenheit der Adenauer’ schen Restaurationszeit und des Erhard’ schen Wirtschaftswunders hat den „Blauen Kammerherrn“ aus der Nachkriegsliteratur ins Exterritoriale katapultiert. Dass er immer wieder neue Leser findet, zeigt eine untergründige Wirkung an, die über die Problematik der Entstehungskonstellation hinausgeht.
JENS MALTE FISCHER
WOLF VON NIEBELSCHÜTZ: Der blaue Kammerherr. Roman. Verlag Kein & Aber, Zürich 2010. 1252 S. 29,90 Euro.
WOLF VON NIEBELSCHÜTZ: Die Kinder der Finsternis. Roman. Verlag Kein & Aber, Zürich 2010. 704 S. 24,90 Euro.
„Dort schwebte Bacchus, von
Panthern gezogen, in seiner Reb-
Laube knallten die Sect-Korken“
Der Blick über die Schulter ins fremde Buch: Wolf von Niebelschütz (1913-1960, rechts) bei einer Lesung mit Eugen Roth (1895-1976) im Jahr 1942, in dem er mit der Arbeit am Roman „Der blaue Kammerherr“ begann. Foto: ullstein bild
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"Warum ist Niebelschütz nicht mindestens so ein Erfolg wie Eco? Manchmal möchte man die Menge packen, schütteln und anschreien: So nehmt doch das Original." (Gerd Haffmans)