Sommer 1936. Beginn eines mörderischen Bruderkriegs. In einem Gefängnis in Galicien zeichnet einer der republikanischen Gefangenen mit einem großen Zimmermannsbleistift den "Portikus der Seligkeit" der gegenüberliegenden Kathedrale. Den Propheten und Heiligen gibt er die Gesichter seiner Mithäftlinge, die so wenig wie er wissen, was mit ihnen geschehen wird.
Gebannt beobachtet ihn dabei der Gendarm Herbal, getreuer Falangist und Mörder aus Überzeugung. Jahrzehnte später wird Herbal, inzwischen Faktotum in einem ländlichen Erosclub, von den Erinnerungen heimgesucht und zugleich eigentümlich getröstet. Stockend, wie träumerisch erzählt er dem schwarzen Barmädchen Maria da Visitacao von den nächtlichen Erschießungen, von den kleinen und großen Gesten der Solidarität unter den Gefangenen, die ihn so verwirrt haben, von ihrer Erfindungsgabe beim Überleben in der Hoffnungslosigkeit.
Und er erzählt von Daniel Da Barca, dem Arzt und Rupublikaner, der ihm ein Dorn im Auge gewesen ist, seit er die schöne Maria Mallo aus einer mächtigen, konservativen Familie für sich gewonnen hatte. Herbal kann nicht verstehen, wie alle Willkür der neuen Machthaber diesen Mann nicht zu brechen vermag. In einer Mischung aus Haß und Faszination setzt er sich auf seine Fährte, folgt ihm auf seiner Gefangenenodyssee quer durch das Spanien des Bürgerkriegs. Und so wird der wortkarge Gendarm Herbal zum Chronisten Da Barcas und seiner allen Widerständen trotzenden Liebe zu Maria Mallo.
Gebannt beobachtet ihn dabei der Gendarm Herbal, getreuer Falangist und Mörder aus Überzeugung. Jahrzehnte später wird Herbal, inzwischen Faktotum in einem ländlichen Erosclub, von den Erinnerungen heimgesucht und zugleich eigentümlich getröstet. Stockend, wie träumerisch erzählt er dem schwarzen Barmädchen Maria da Visitacao von den nächtlichen Erschießungen, von den kleinen und großen Gesten der Solidarität unter den Gefangenen, die ihn so verwirrt haben, von ihrer Erfindungsgabe beim Überleben in der Hoffnungslosigkeit.
Und er erzählt von Daniel Da Barca, dem Arzt und Rupublikaner, der ihm ein Dorn im Auge gewesen ist, seit er die schöne Maria Mallo aus einer mächtigen, konservativen Familie für sich gewonnen hatte. Herbal kann nicht verstehen, wie alle Willkür der neuen Machthaber diesen Mann nicht zu brechen vermag. In einer Mischung aus Haß und Faszination setzt er sich auf seine Fährte, folgt ihm auf seiner Gefangenenodyssee quer durch das Spanien des Bürgerkriegs. Und so wird der wortkarge Gendarm Herbal zum Chronisten Da Barcas und seiner allen Widerständen trotzenden Liebe zu Maria Mallo.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.02.2000Maler und Henker
Manuel Rivas’ Roman
„Der Bleistift des Zimmermanns”
In Galicien Schriftsteller zu sein, sei nichts Besonderes, meinte kürzlich ein spanischer Filmemacher. Geschichten gehörten dort zu den natürlichen Rohstoffen. Ob Rosalía de Castro mit ihren melancholischen Versen oder Álvaro Conquiero mit seinen phantastisch komischen Erzählungen: Galiciens Dichter schöpfen aus einem reichen Schatz an Mythen und Märchen. Kelten, Pilger und Seefahrer hinterließen literarische Spuren in der nordwestlichen Provinz der iberischen Halbinsel.
Auch der Romancier Manuel Rivas knüpft an diese Tradition an. In seinem vor zwei Jahren bei uns erschienenem Buch „In wilder Gesellschaft” zeigte er sich als Meister lyrischer Short Cuts. Eigenwillig setzte er Mythos und Moderne gegeneinander. Nicht zufällig erinnert seine Prosa an die Musik von Carlos Nuñez, dem so genannten „Jimmy Hendrix des Dudelsacks”. Rivas, der 1957 geborene Sohn einer Milchfrau und eines Emigranten hat noch die Zeit erlebt, in der Geschichten am Kaminfeuer erzählt wurden, aber damals begann das Fernsehen bereits die amerikanische Wegwerfkultur in die Stuben zu tragen.
Wie in der mehrfach ausgezeichneten und erfolgreich verfilmten Erzählung „La lengua de las mariposas” (Die Zunge der Schmetterlinge) beschäftigt sich Rivas auch in seinem neuen Roman „Der Bleistift des Zimmermanns” nicht mehr mit der galicischen Fabelwelt. Ein weiteres Mal wendet er sich dem Spanischen Bürgerkrieg zu. Dabei hilft ihm der im Titel genannte Bleistift. Er führt ihn zurück in die Anfänge des Bürgerkriegs, als die paseos – die „Spaziergänge” wie die Franquisten zynisch ihr nächtliches Morden nannten – zum Alltag gehörten. Für die vielen namenlosen Opfer jener Tage steht im Roman von Manuel Rivas die Figur des „roten Ideenmalers”. Dessen Bleistift symbolisiert nicht nur das republikanische Spanien, sondern er verbindet und versöhnt den ermordeten „Ideenmaler” über den Tod hinaus mit seinem Henker, dem stumpfen Gefängniswärter Herbal. In einem Night-Club beendet dieser Herbal sein Jahrzehnte langes Schweigen und berichtet einer farbigen Prostituierten lakonisch von den paseos, dem Gefängnis und den Häftlingen, die er zu beaufsichtigen hatte. Dabei verrät er nur wenig über sich selbst. Eigentlicher Protagonist, ist der von Herbal beneidete, republikanische Arzt und Freidenker Daniel da Barca.
Diese aus der Perspektive eines tumben Angehörigen der Guardia Civil gesehene und beleuchtete Geschichte handelt vor allem vom (Über-)Leben eines Intellektuellen in einem faschistischen Gefängnis. Bücher, Zeichnungen, Theorien und Märchen helfen den Gefangenen, eine hoffnungslose Situation zu ertragen. Manches erinnert an Jorge Semprun, manches an das Erinnerungsbuch „Goethe in Dachau” des Niederländers Nico Rost. Rivas gelingt es, Besiegte und Sieger dieses Bruderkrieges einfühlsam darzustellen. In poetischen Bildern zeigt er, wie Liebe und Phantasie selbst in den dunkelsten Zeiten fortdauern. Ob es die zum Trocknen ausgebreitete Wäsche ist, mit der die Waschfrauen den Partisanen geheime Botschaften signalisieren oder die Romanze wider die Zeit zwischen da Barca und der schönen, reichen Marisa: Manuel Rivas’ galicischer Blick richtet sich immer auf die ungewöhnliche, auf die – wie es im Roman heißt – „intelligente” Seite der Wirklichkeit. Sein Roman bewegt sich bewusst am Rande Europas, fernab von den Metropolen und ihren vereinsamten Bewohnern. Von Fischern und Hafenarbeitern, von Emigranten und Bauern habe er das Erzählen gelernt, sagt Rivas. Für ihn sind es die kleinen Dinge, aus denen die großen Geschichten gemacht sind.
Leider zeigt die deutsche Übersetzung nicht den vom Verlag gepriesenen „unbefangen leichten Strich” des Autors. Während bei Claassen der deutsche Erstling des Spaniers Miguel Barroso aus der englischen Fassung ins Deutsche übertragen wurde, griff man bei Suhrkamp korrekt zu Rivas’ galicischem Original. Ist das der Grund, warum Elke Wehr mit Formulierungen wie „Varietäten der Kamelie” oder „eine eingewurzelte Gewohnheit” aufwartet? Sie leistet sich sogar das Folgende: „Diese schöne alte Frau nach dem Ruf des Türklopfers, die aussah, als habe der Meißel der Zeit sie sich zu einer Laune erwählt. . .” Die (wenigen) Anmerkungen und Erklärungen mit denen die spanische Übersetzerin den Text versehen hat, wären auch Rivas deutschen Lesern hilfreich, wurden aber leider nicht übernommen. Dennoch: Man sollte den „Bleistift des Zimmermanns” lesen – am besten, bevor die Bilder, die bei der Lektüre entstehen, durch die des Regisseurs Gutiérrez Aragón verdrängt werden können.
EVITA BAUER
MANUEL RIVAS. Der Bleistift des Zimmermanns. Aus dem Galicischen von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 186 Seiten, 36 Mark
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Manuel Rivas’ Roman
„Der Bleistift des Zimmermanns”
In Galicien Schriftsteller zu sein, sei nichts Besonderes, meinte kürzlich ein spanischer Filmemacher. Geschichten gehörten dort zu den natürlichen Rohstoffen. Ob Rosalía de Castro mit ihren melancholischen Versen oder Álvaro Conquiero mit seinen phantastisch komischen Erzählungen: Galiciens Dichter schöpfen aus einem reichen Schatz an Mythen und Märchen. Kelten, Pilger und Seefahrer hinterließen literarische Spuren in der nordwestlichen Provinz der iberischen Halbinsel.
Auch der Romancier Manuel Rivas knüpft an diese Tradition an. In seinem vor zwei Jahren bei uns erschienenem Buch „In wilder Gesellschaft” zeigte er sich als Meister lyrischer Short Cuts. Eigenwillig setzte er Mythos und Moderne gegeneinander. Nicht zufällig erinnert seine Prosa an die Musik von Carlos Nuñez, dem so genannten „Jimmy Hendrix des Dudelsacks”. Rivas, der 1957 geborene Sohn einer Milchfrau und eines Emigranten hat noch die Zeit erlebt, in der Geschichten am Kaminfeuer erzählt wurden, aber damals begann das Fernsehen bereits die amerikanische Wegwerfkultur in die Stuben zu tragen.
Wie in der mehrfach ausgezeichneten und erfolgreich verfilmten Erzählung „La lengua de las mariposas” (Die Zunge der Schmetterlinge) beschäftigt sich Rivas auch in seinem neuen Roman „Der Bleistift des Zimmermanns” nicht mehr mit der galicischen Fabelwelt. Ein weiteres Mal wendet er sich dem Spanischen Bürgerkrieg zu. Dabei hilft ihm der im Titel genannte Bleistift. Er führt ihn zurück in die Anfänge des Bürgerkriegs, als die paseos – die „Spaziergänge” wie die Franquisten zynisch ihr nächtliches Morden nannten – zum Alltag gehörten. Für die vielen namenlosen Opfer jener Tage steht im Roman von Manuel Rivas die Figur des „roten Ideenmalers”. Dessen Bleistift symbolisiert nicht nur das republikanische Spanien, sondern er verbindet und versöhnt den ermordeten „Ideenmaler” über den Tod hinaus mit seinem Henker, dem stumpfen Gefängniswärter Herbal. In einem Night-Club beendet dieser Herbal sein Jahrzehnte langes Schweigen und berichtet einer farbigen Prostituierten lakonisch von den paseos, dem Gefängnis und den Häftlingen, die er zu beaufsichtigen hatte. Dabei verrät er nur wenig über sich selbst. Eigentlicher Protagonist, ist der von Herbal beneidete, republikanische Arzt und Freidenker Daniel da Barca.
Diese aus der Perspektive eines tumben Angehörigen der Guardia Civil gesehene und beleuchtete Geschichte handelt vor allem vom (Über-)Leben eines Intellektuellen in einem faschistischen Gefängnis. Bücher, Zeichnungen, Theorien und Märchen helfen den Gefangenen, eine hoffnungslose Situation zu ertragen. Manches erinnert an Jorge Semprun, manches an das Erinnerungsbuch „Goethe in Dachau” des Niederländers Nico Rost. Rivas gelingt es, Besiegte und Sieger dieses Bruderkrieges einfühlsam darzustellen. In poetischen Bildern zeigt er, wie Liebe und Phantasie selbst in den dunkelsten Zeiten fortdauern. Ob es die zum Trocknen ausgebreitete Wäsche ist, mit der die Waschfrauen den Partisanen geheime Botschaften signalisieren oder die Romanze wider die Zeit zwischen da Barca und der schönen, reichen Marisa: Manuel Rivas’ galicischer Blick richtet sich immer auf die ungewöhnliche, auf die – wie es im Roman heißt – „intelligente” Seite der Wirklichkeit. Sein Roman bewegt sich bewusst am Rande Europas, fernab von den Metropolen und ihren vereinsamten Bewohnern. Von Fischern und Hafenarbeitern, von Emigranten und Bauern habe er das Erzählen gelernt, sagt Rivas. Für ihn sind es die kleinen Dinge, aus denen die großen Geschichten gemacht sind.
Leider zeigt die deutsche Übersetzung nicht den vom Verlag gepriesenen „unbefangen leichten Strich” des Autors. Während bei Claassen der deutsche Erstling des Spaniers Miguel Barroso aus der englischen Fassung ins Deutsche übertragen wurde, griff man bei Suhrkamp korrekt zu Rivas’ galicischem Original. Ist das der Grund, warum Elke Wehr mit Formulierungen wie „Varietäten der Kamelie” oder „eine eingewurzelte Gewohnheit” aufwartet? Sie leistet sich sogar das Folgende: „Diese schöne alte Frau nach dem Ruf des Türklopfers, die aussah, als habe der Meißel der Zeit sie sich zu einer Laune erwählt. . .” Die (wenigen) Anmerkungen und Erklärungen mit denen die spanische Übersetzerin den Text versehen hat, wären auch Rivas deutschen Lesern hilfreich, wurden aber leider nicht übernommen. Dennoch: Man sollte den „Bleistift des Zimmermanns” lesen – am besten, bevor die Bilder, die bei der Lektüre entstehen, durch die des Regisseurs Gutiérrez Aragón verdrängt werden können.
EVITA BAUER
MANUEL RIVAS. Der Bleistift des Zimmermanns. Aus dem Galicischen von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 186 Seiten, 36 Mark
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2000Die Geschichte des Bleistifts
Glatt und lieb: Manuel Rivas poetisiert den Spanischen Bürgerkrieg
Daß die Spanier zu spät damit begonnen hätten, ihren Bürgerkrieg literarisch zu verarbeiten, läßt sich wohl nicht behaupten. Allerdings entstanden manche Bücher im Exil wie die des in Mexiko gestorbenen Max Aub, und andere, wie die "Rostigen Lanzen" (1983) des Faulkner-Schülers Juan Benet, verzichteten durch ihren formalen Anspruch von vornherein auf ein großes Publikum. In den letzten Jahren haben sich die Enkel des Themas bemächtigt, von Rafael Chirbes über Antonio Soler bis zu Manuel Rivas, Schriftsteller also, die den Spanischen Bürgerkrieg aus den Schilderungen ihrer Eltern und Großeltern kennen.
Der zeitliche Abstand hat den Zugang gewiß erleichtert. Es sind keine Schlachten mehr zu schlagen, weder ideologisch noch ästhetisch. Unbelastet von avancierter Erzähltheorie, aber mit Ehrfurcht vor dem dokumentarischen Material, das ihnen die Recherche oder der Zufall in die Hände gespielt hat, fügen die Mittvierziger dem riesigen Bestand an mündlichen und schriftlichen Zeugnissen zum Bürgerkrieg weitere Episoden hinzu.
Als vor zwei Jahren der auf galicisch geschriebene Roman "Der Bleistift des Zimmermanns" von Manuel Rivas in spanischer Übersetzung erschien, bekamen die Käufer als Dreingabe einen roten Schreinerbleistift. Nicht daß es dem Werbeeinfall an Witz gefehlt hätte; aber vielleicht ist manchem Leser nach Lektüre des Buches das klobige Ding wieder in die Hände gefallen, und er könnte sich gefragt haben, was der Zirkus sollte. Einen echten Schreinerbleistift vor Augen, denkt man noch einmal über den erfundenen dieses Romans nach und gerät ins Grübeln. Fraglos ist er ein Dingsymbol, aber doch eines von ausgesuchter Harmlosigkeit. Und während der Autor wohl beabsichtigt hat, uns durch den Bleistift und seine Besitzer die Fährnisse des Krieges vor Augen zu führen, steht eher zu befürchten, daß er die kollektive spanische Katastrophe der Jahre 1936 bis 1939 auf das Format seines hölzernen Titelhelden heruntergeschrieben hat.
Dieser Verdacht beschädigt leider alles, was an diesem Buch originell und gelungen ist, und das ist nicht wenig. Manuel Rivas, geboren 1957, gehört zu der großen Gruppe spanischer Autoren, die über den Journalismus zur Literatur kam. Seine Bücher sind kurz, seine Sätze wohlkalkuliert und von einigem poetischen Glanz. Die Kunst der Verknappung, die er bei Zeitungsmeldungen, dann bei Reportagen trainiert hat, kommt seinen ausgedachten Geschichten zugute. Auch "Der Bleistift des Zimmermanns", von Elke Wehr mit gewohnter Stilsicherheit übersetzt, enthält verblüffende Szenen zuhauf und eine Lakonie, die den Figuren durch Verschweigen mehr hinzufügt, als wortreiche Charakterisierung es könnte.
Es macht allerdings wenig Spaß zu beobachten, wie Rivas' Gaben sich im Lauf der Lektüre unglücklich verwandeln: Aus Poesie wird Poetisierungswillen. Und an allem ist der elende Bleistift schuld. Ein Maler hat ihn einst besessen, wie Rivas in feinportionierten Rückblenden erzählt, ein Maler, der mit seinen republikanischen Freunden beim Ausbruch des Bürgerkriegs im Gefängnis landet. Es ist die Zeit der Denunziation, der "Säuberungen" und hastig durchgeführten Erschießungen. Auch der subversive Maler, "der die Ideen malt", soll von der Falange gefoltert und erschossen werden. Ein gewisser Herbal jedoch hat sich einen Rest Anständigkeit bewahrt: Er erschießt den Abgeurteilten und nimmt damit seinen Kumpanen den grausamen Spaß. Den Bleistift, den der Maler hinterm Ohr trug, behält er.
Die Rolle des Nachgeborenen erlaubt Rivas einen elegischen Ton, der seltsam anmutet, denn man spürt, die Einfühlung ist erarbeitet. Herbal, der Mitmacher, hockt gealtert in einem Straßenbordell, wo er einer jungen Prostituierten die Brocken seiner Geschichte hinwirft, kein Stoff zur Vergangenheitsbewältigung, sondern zu verhangener Brüterei über die Wege des Schicksals. Auch von einem anderen politischen Gefangenen wird berichtet, und dies ist nun, läßt man den Bleistift beiseite, die Hauptfigur des schmalen Romans: Doktor Da Barca, Arzt, Intellektueller und Widerstandskämpfer, von Herbal bespitzelt und überwacht. Je stärker sich Rivas dieser Figur zuwendet, desto heller erstrahlt sie im Heldenglanz, ein Messias der Zweiten Spanischen Republik. Nachdem Da Barca wie durch ein Wunder mehrere Exekutionskommandos überlebt hat, wird er ins Exil abgeschoben. Und immer wieder hat Herbal, der Mann mit dem Schreinerbleistift, seine Hand im Spiel.
Es hätte sich plausibel machen lassen, daß ein Mörder in Zeiten des Krieges seine Tat bedauert und Reue übt; oder zumindest, daß einer durch klammheimliche Hilfeleistungen sein Gewissen beruhigt, wie es auch vom Wachpersonal der Konzentrationslager überliefert ist: Die kleine Insubordination macht den Kadavergehorsam im Großen erträglich. Aber Rivas interessiert sich nicht für die Psychologie seiner Figuren. Er öffnet den Roman für die Fabelwesen der keltischen Erzähltradition, er verschränkt eine historisch genau situierte Handlung mit Folklore, Phantastik und Allegorie. Das dürfte der Punkt sein, an dem der Leser unwillig zu schnaufen beginnt. Denn er soll allen Ernstes hinnehmen, daß der Geist des erschossenen Malers auf Herbals Ohr sitzt und ihm gute Taten einflüstert, wenn er schlechte erwägt; daß er ihm das Malen beibringt; daß er ihm einen Weg aus dem Dunkel dieses schrecklichen Krieges weist.
Doch dieser Kunstgriff ist zuviel. Er zieht der Geschichte die Zähne, der großen wie auch der ganz speziellen, die Rivas hier mit sinnlichem Detail erzählt. Er ist nicht nur zu glatt, zu simpel und um ein Vielfaches zu lieb; er wird auf jene, die bei Romanen aus der Welt der Unterdrückung und des Totalitarismus an einen gewissen Nuancierungsgrad gewöhnt sind, frivol wirken. Und das dürfte dieser begabte Schriftsteller am allerwenigsten beabsichtigt haben.
PAUL INGENDAAY
Manuel Rivas: "Der Bleistift des Zimmermanns". Roman. Aus dem Galicischen übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 170 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Glatt und lieb: Manuel Rivas poetisiert den Spanischen Bürgerkrieg
Daß die Spanier zu spät damit begonnen hätten, ihren Bürgerkrieg literarisch zu verarbeiten, läßt sich wohl nicht behaupten. Allerdings entstanden manche Bücher im Exil wie die des in Mexiko gestorbenen Max Aub, und andere, wie die "Rostigen Lanzen" (1983) des Faulkner-Schülers Juan Benet, verzichteten durch ihren formalen Anspruch von vornherein auf ein großes Publikum. In den letzten Jahren haben sich die Enkel des Themas bemächtigt, von Rafael Chirbes über Antonio Soler bis zu Manuel Rivas, Schriftsteller also, die den Spanischen Bürgerkrieg aus den Schilderungen ihrer Eltern und Großeltern kennen.
Der zeitliche Abstand hat den Zugang gewiß erleichtert. Es sind keine Schlachten mehr zu schlagen, weder ideologisch noch ästhetisch. Unbelastet von avancierter Erzähltheorie, aber mit Ehrfurcht vor dem dokumentarischen Material, das ihnen die Recherche oder der Zufall in die Hände gespielt hat, fügen die Mittvierziger dem riesigen Bestand an mündlichen und schriftlichen Zeugnissen zum Bürgerkrieg weitere Episoden hinzu.
Als vor zwei Jahren der auf galicisch geschriebene Roman "Der Bleistift des Zimmermanns" von Manuel Rivas in spanischer Übersetzung erschien, bekamen die Käufer als Dreingabe einen roten Schreinerbleistift. Nicht daß es dem Werbeeinfall an Witz gefehlt hätte; aber vielleicht ist manchem Leser nach Lektüre des Buches das klobige Ding wieder in die Hände gefallen, und er könnte sich gefragt haben, was der Zirkus sollte. Einen echten Schreinerbleistift vor Augen, denkt man noch einmal über den erfundenen dieses Romans nach und gerät ins Grübeln. Fraglos ist er ein Dingsymbol, aber doch eines von ausgesuchter Harmlosigkeit. Und während der Autor wohl beabsichtigt hat, uns durch den Bleistift und seine Besitzer die Fährnisse des Krieges vor Augen zu führen, steht eher zu befürchten, daß er die kollektive spanische Katastrophe der Jahre 1936 bis 1939 auf das Format seines hölzernen Titelhelden heruntergeschrieben hat.
Dieser Verdacht beschädigt leider alles, was an diesem Buch originell und gelungen ist, und das ist nicht wenig. Manuel Rivas, geboren 1957, gehört zu der großen Gruppe spanischer Autoren, die über den Journalismus zur Literatur kam. Seine Bücher sind kurz, seine Sätze wohlkalkuliert und von einigem poetischen Glanz. Die Kunst der Verknappung, die er bei Zeitungsmeldungen, dann bei Reportagen trainiert hat, kommt seinen ausgedachten Geschichten zugute. Auch "Der Bleistift des Zimmermanns", von Elke Wehr mit gewohnter Stilsicherheit übersetzt, enthält verblüffende Szenen zuhauf und eine Lakonie, die den Figuren durch Verschweigen mehr hinzufügt, als wortreiche Charakterisierung es könnte.
Es macht allerdings wenig Spaß zu beobachten, wie Rivas' Gaben sich im Lauf der Lektüre unglücklich verwandeln: Aus Poesie wird Poetisierungswillen. Und an allem ist der elende Bleistift schuld. Ein Maler hat ihn einst besessen, wie Rivas in feinportionierten Rückblenden erzählt, ein Maler, der mit seinen republikanischen Freunden beim Ausbruch des Bürgerkriegs im Gefängnis landet. Es ist die Zeit der Denunziation, der "Säuberungen" und hastig durchgeführten Erschießungen. Auch der subversive Maler, "der die Ideen malt", soll von der Falange gefoltert und erschossen werden. Ein gewisser Herbal jedoch hat sich einen Rest Anständigkeit bewahrt: Er erschießt den Abgeurteilten und nimmt damit seinen Kumpanen den grausamen Spaß. Den Bleistift, den der Maler hinterm Ohr trug, behält er.
Die Rolle des Nachgeborenen erlaubt Rivas einen elegischen Ton, der seltsam anmutet, denn man spürt, die Einfühlung ist erarbeitet. Herbal, der Mitmacher, hockt gealtert in einem Straßenbordell, wo er einer jungen Prostituierten die Brocken seiner Geschichte hinwirft, kein Stoff zur Vergangenheitsbewältigung, sondern zu verhangener Brüterei über die Wege des Schicksals. Auch von einem anderen politischen Gefangenen wird berichtet, und dies ist nun, läßt man den Bleistift beiseite, die Hauptfigur des schmalen Romans: Doktor Da Barca, Arzt, Intellektueller und Widerstandskämpfer, von Herbal bespitzelt und überwacht. Je stärker sich Rivas dieser Figur zuwendet, desto heller erstrahlt sie im Heldenglanz, ein Messias der Zweiten Spanischen Republik. Nachdem Da Barca wie durch ein Wunder mehrere Exekutionskommandos überlebt hat, wird er ins Exil abgeschoben. Und immer wieder hat Herbal, der Mann mit dem Schreinerbleistift, seine Hand im Spiel.
Es hätte sich plausibel machen lassen, daß ein Mörder in Zeiten des Krieges seine Tat bedauert und Reue übt; oder zumindest, daß einer durch klammheimliche Hilfeleistungen sein Gewissen beruhigt, wie es auch vom Wachpersonal der Konzentrationslager überliefert ist: Die kleine Insubordination macht den Kadavergehorsam im Großen erträglich. Aber Rivas interessiert sich nicht für die Psychologie seiner Figuren. Er öffnet den Roman für die Fabelwesen der keltischen Erzähltradition, er verschränkt eine historisch genau situierte Handlung mit Folklore, Phantastik und Allegorie. Das dürfte der Punkt sein, an dem der Leser unwillig zu schnaufen beginnt. Denn er soll allen Ernstes hinnehmen, daß der Geist des erschossenen Malers auf Herbals Ohr sitzt und ihm gute Taten einflüstert, wenn er schlechte erwägt; daß er ihm das Malen beibringt; daß er ihm einen Weg aus dem Dunkel dieses schrecklichen Krieges weist.
Doch dieser Kunstgriff ist zuviel. Er zieht der Geschichte die Zähne, der großen wie auch der ganz speziellen, die Rivas hier mit sinnlichem Detail erzählt. Er ist nicht nur zu glatt, zu simpel und um ein Vielfaches zu lieb; er wird auf jene, die bei Romanen aus der Welt der Unterdrückung und des Totalitarismus an einen gewissen Nuancierungsgrad gewöhnt sind, frivol wirken. Und das dürfte dieser begabte Schriftsteller am allerwenigsten beabsichtigt haben.
PAUL INGENDAAY
Manuel Rivas: "Der Bleistift des Zimmermanns". Roman. Aus dem Galicischen übersetzt von Elke Wehr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 170 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main