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Riga zu Beginn unseres Jahrhunderts: Eine junge Frau verläßt ihre bürgerliche Umgebung, bricht auf zu einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn in die Mandschurei und erlebt den Ausbruch des russisch-japanischen Krieges. Während der abenteuerlichen Fahrt findet sie durch ihre Leidenschaft, die Photographie, einen Weg, sich von den gesellschaftlichen Konventionen der Zeit zu befreien. Der erste Roman einer neuen deutschen Erzählerin, eine farbenprächtige und sinnliche, mit großem Spannungsbogen beschriebene Reise zu sich selbst.
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Produktbeschreibung
Riga zu Beginn unseres Jahrhunderts: Eine junge Frau verläßt ihre bürgerliche Umgebung, bricht auf zu einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn in die Mandschurei und erlebt den Ausbruch des russisch-japanischen Krieges. Während der abenteuerlichen Fahrt findet sie durch ihre Leidenschaft, die Photographie, einen Weg, sich von den gesellschaftlichen Konventionen der Zeit zu befreien. Der erste Roman einer neuen deutschen Erzählerin, eine farbenprächtige und sinnliche, mit großem Spannungsbogen beschriebene Reise zu sich selbst.

Wir befinden uns in Riga zu Beginn unseres Jahrhunderts: Es ist die Zeit großer Umbrüche. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, Sophie Berkholz, Ende Zwanzig, Lieblingstochter ihres Vaters, eines angesehenen Legationsrates. Die selbstbewußte Sophie, groß und schlank, gehörte zu den ersten Frauen, denen es gestattet wurde, ein Mathematikstudium zu absolvieren. Doch trotz hervorragender Ausbildung und ihrer beruflichen Tätigkeit als Dozentin für Mathematik am Rigaer Polytechnikum ist Sophie nicht glücklich: Sie bleibt den vorgegebenen Mustern ihrer Gesellschaftsschicht verhaftet. Auch die Ehe, die sie schließlich mit Albert eingeht, nimmt nach dem euphorischen Beginn schnell bedrückende Züge an: Nach der Geburt der Tochter Lina erkennt Sophie schließlich, daß sie dabei ist, das verhaßte Leben ihrer Mutter zu wiederholen.

Im Jahre 1903 beginnt Japan mit seiner fieberhaften Aufrüstung gegen das russische Reich. Albert, ein für seine innovativen Ideen gefragter Konstrukteur, wird im militärischen Auftrag des Zaren an die östlichste Spitze des Landes nach Port Arthur ans Gelbe Meer beordert. Sophie entschließt sich gegen den Widerstand der Eltern, ihm zu folgen. In ihrem Gepäck führt sie geheime Unterlagen ihres Mannes mit sich. Eine lange und abenteuerliche Reise mit der gerade fertiggestellten Transsibirischen Eisenbahn beginnt, eine Fahrt voller Ereignisse und folgenreicher Begegnungen, bei der es zu Verwicklungen, Verschwörung, ja sogar zu Mord kommt: bleibende Eindrücke, die Sophies Blick auf die Welt verändern.

Hat Sophie in früheren Jahren die Photographie nur in ihrer freien Zeit betrieben, wird diese Kunst, "den richtigen Augenblick zu erfassen", ihr immer wichtiger. Als nach ihrer Ankunft in Port Arthur der russisch-japanische Krieg ausbricht, nutzt sie die "Gunst der Stunde" und entdeckt die Reportagephotographie: Ungeachtet der Gefahren begibt sie sich mitten hinein ins Kriegsgeschehen; ihre Aufnahmen erscheinen in amerikanischen Zeitungen. Doch schließlich zwingt der Kriegsverlauf Sophie zur Rückreise.

In Riga findet sie sich nicht mehr in ihrem früheren bürgerlichen Leben zurecht. Die Photographie wird für sie Berufung und Beruf zugleich: Sophie entwickelt ihre eigene Art der Portraitphotographie und wird eine anerkannte Photographin. Lange Jahre führt Sophie ein erfolgreiches Atelier, bis zu dem Tag, an dem die Revolution mit ihren Schrecken über Riga hereinbricht, und sie beschließt, zueiner weiteren großen Reise aufzubrechen.
Autorenporträt
Christa Hein, geboren 1955 in Cuxhaven, veröffentlicht in deutscher und englischer Sprache. Sie lebt heute als freie Schriftstellerin und Dozentin in Berlin. ¿Ihr erfolgreiches Debüt »Der Blick durch den Spiegel« erschien 1998 in der Frankfurter Verlagsanstalt, es folgten die Romane »Scirocco« (FVA 2000) und »Vom Rand der Welt« (FVA 2003). Im Herbst 2015 erschien ihr lange erwarteter vierter Roman »Der Glasgarten«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.1998

Emanze in der Dunkelkammer
Sensibel bis es kracht: Selbstfindungsreisen mit Christa Hein

Sophie hat ein Problem, und das ist ihr Lebensthema zumindest von 1900 bis 1919: Draußen ist alles, drinnen ist nichts. Draußen, da ist 1900 das großbürgerliche Leben einer Frau Mitte Zwanzig im Haus ihres Vaters, des baltendeutschen Legationsrates Berkholz in Riga, mehrmonatige alljährliche Flucht aus der Stadt ans Meer à la Buddenbrooks eingeschlossen, da ist ein Lehrauftrag für Mathematik am Rigaer Polytechnikum, da sind auch Verehrer unterschiedlichen Kalibers. Drinnen, in ihr, wie gesagt, ist nichts. Und wie da was reinkommt, wenn überhaupt, darum geht es in Christa Heins Roman "Blick durch den Spiegel". "Als ihre Lippen sich berührten, schloß sie die Augen" lautet, nach fast 450 Seiten, der letzte Satz des Buches, da sitzt Sophie 1919 schließlich mit dem Reuters-Korrespondenten Charles Stanton in einem chinesischen Lokal in Manhattan, frisch in den Vereinigten Staaten gelandet.

Endlich scheint sie am Ziel zu sein. Ein mühsamer Weg. "Sophie verstand, daß es darauf ankam, den Dingen ihren eigenen Lauf zu lassen", hieß es noch auf Seite 100, 50 Seiten später dann "hatte sie das Gefühl, ihr Inneres sei das eigentlich Unbekannte. Die Seele als terra incognita der Person, Quelland unbekannter Ströme des Gefühls." Wiederum 230 Seiten weiter hat sie die Strategie gefunden, das unbekannte Land zu besiedeln oder zumindest zu kartographieren: "Durch die eigene Arbeit zu einem eigenen Leben kommen, das hatte sie sich vorgenommen." Und das, wo es nur sieben Seiten vorher noch geheißen hatte: "So vieles hatte sie noch vor im Leben. Auch wenn sie nicht genau wußte, um was es ihr eigentlich ging."

Fast zwanzig Jahre Weg zu einem wuschigen Ich, die wollen gefüllt sein, und da kommen die Zeitläufte und die Zufälle des Lebens Sophie sowie Christa Hein durchaus entgegen. So war offenbar kurz nach der Jahrhundertwende in baltischen Legationsratskreisen ein drohender russisch-japanischer Konflikt ein Top-Thema, und schon tritt der dänische Ingenieur Albert Utzon auf, Sophie erst zu freien und dann zu schwängern, um umgehend in russischem Dienst nach Port Arthur am Gelben Meer zu entfleuchen, also an den Ort, an dem wenig später der russisch-japanische Krieg beginnen wird. Dies allerdings erst kurz nachdem auch Sophie, unter Hinterlassung des gerade halbjährigen Töchterchens Lina bei Kinderfrau Marja, dort angekommen war, was sich für ihre weitere Ich-Findung langfristig als ausgesprochen segensreich erweisen sollte.

Vorher hatte sie eine dreiwöchige Zugreise zu überstehen, samt eines ihr geltenden Mordanschlages, dem aber eine Modistin aus Berlin zum Opfer fällt, weil der japanische Auftragskiller nach einer alleinreisenden Dame sucht, sie in der Mordnacht aber durchaus nicht allein ist, sondern sich im Abteil des besagten Stanton aufhält und er darob die falsche Frau metzelt. Gerechnet hatte Sophie mit Jack Campbell, einem anderen Journalisten, der sie in die Vereinigten Staaten gelockt hatte mit der Zusage, sie in einer Photoagentur unterzubringen.

Er war ihr zuerst in Port Arthur begegnet, als die passionierte Hobbyphotographin mit Kriegsbeginn in eine weibliche Kreuzung aus Peter Arnett und Edward Steichen mutierte und unter Lebensgefahr überall da, wo es krachte, sensible Bilder machte. "Dies, so spürte sie instinktiv, waren Bilder von historischem Wert." Er konnte sie später an amerikanische Zeitungen verkaufen und schuf so die Grundlage für ihre gemächliche Karriere: von da an ließ sie ihre Kamera nicht mehr los, eröffnete nach ihrer Rückkehr in Riga ein Atelier und fotografierte die russischen Massenstreiks 1905 und den Beginn des Ersten Weltkrieges und stellte auch das Töchterlein vor ihr Objektiv, mit erfreulichem Erfolg, denn "über ihre Arbeit gelang es ihr, endlich auch eine Beziehung zu Lina herzustellen". Obendrein gelang es ihr mit dieser, ihrer Hände Arbeit, die Beziehung zum Gatten zu beenden, denn von Albert Utzon implizit vor die Alternative Dunkelkammer oder Sewastopol gestellt, entschied sie sich für erstere.

Das Überraschende ist, daß man für diese Frau über die ganze Distanz nur höchstens so viel Interesse entwickeln kann wie für einen defekten Umluftherd, denn die Geschichte kommt daher in einem unverdaulichen Aspik von Sätzen, aus denen Thomas Mann von weiter Ferne grüßt, wie auch von solchen, die der Lektor der Lore-Romance unter Kitschverdacht gestellt hätte, mit Selbstverständigungstextgranulat als gallertiger Bindemasse.

Christa Hein lehrt "Creative Writing", und es gibt inzwischen genügend Beispiele dafür, daß solche Autorenprofession dem Produkt nicht schaden muß, und kreativ geht es ja bisweilen auch hier zu, wenn Sophie sich etwa an Gästezitate von Linas erstem Geburtstag erinnert, und das zu einem Zeitpunkt, an dem das kleine Mädchen sechs Monate alt ist, oder wenn der Gleisverlauf in der Mandschurei als "zickzackförmig" charakterisiert wird - die fälligen Entgleisungen sind dann aber nicht diesem, dem rollenden Verkehr recht feindlichen Schienennetz geschuldet, sondern explodierenden Lokomotivkesseln.

Man möchte melancholisch werden oder gar depressiv ob so viel vertaner Liebesmüh, nicht nur auf seiten der Autorin, sondern auch all derer, die daran beteiligt waren, einem grausligen Text ein buchästhetisch schönes Kleid zu schneidern. BURKHARD SCHERER

Christa Hein: "Der Blick durch den Spiegel". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 1998, 447 S., 44,- DM.

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