24,80 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
  • Broschiertes Buch

Der neunundzwanzigjährige Student Han Myeong-Jae, an Tuberkulose erkrankt, wird überraschend von großer Unruhe ergriffen: Dass er seinen Vater nie gekannt hat, verstört ihn jetzt und stört seine idyllische Genesungsruhe. Er macht sich auf die Suche, reist in die Grenzzone seines geteilten Landes; dort hofft er, den verschollenen Vater zu finden. Der Blick zur Mittagszeit ist eine Reise in die Seele eines jungen Mannes, der sich plötzlich in einem Alptraum aus Fragen wiederfindet. Doch am Ende, wenn das Licht am hellsten ist, ist die Einsicht unausweichlich. Mit großem Einfühlungsvermögen…mehr

Produktbeschreibung
Der neunundzwanzigjährige Student Han Myeong-Jae, an Tuberkulose erkrankt, wird überraschend von großer Unruhe ergriffen: Dass er seinen Vater nie gekannt hat, verstört ihn jetzt und stört seine idyllische Genesungsruhe. Er macht sich auf die Suche, reist in die Grenzzone seines geteilten Landes; dort hofft er, den verschollenen Vater zu finden. Der Blick zur Mittagszeit ist eine Reise in die Seele eines jungen Mannes, der sich plötzlich in einem Alptraum aus Fragen wiederfindet. Doch am Ende, wenn das Licht am hellsten ist, ist die Einsicht unausweichlich. Mit großem Einfühlungsvermögen erkundet der Autor Lee Seung-U das Innenleben seines Protagonisten, erwägt dessen Fragen nach dem Sinn des Lebens und webt inseine Erzählung Fäden ein, die zu Kafka, Rilke und Vargas Llosa führen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2024

Prekäres Patriarchat
Seung-U Lee geht auf Vatersuche

Existenzielle Ängste sind Leitmotive im autobiographisch gefärbten Werk des 1959 geborenen koreanischen Autors Seung-U Lee. In seinem in Korea bereits 2009 erschienenen, erst jetzt ins Deutsche übersetzten Roman "Der Blick zur Mittagszeit" verknüpft er Vater- und Gottessuche mit dem Status quo des geteilten Landes - und betreibt ein vergnügliches intertextuelles Spiel mit Rilke, Kafka und Vargas Llosa.

Um seine Tuberkulose auszukurieren, reist der neunundzwanzigjährige Han Myeong-Jae, ein Masterstudent und vaterlos aufgewachsenes Muttersöhnchen, zunächst von Seoul in einen naturnahen Vorort, wo die Mutter, eine Immobilienmaklerin, ihm ein Zimmer besorgt hat, dann aber ohne ihr Wissen in eine düstere 30.000-Seelen-Stadt nahe der demilitarisierten Zone. Seine Ankunft dort quittiert er mit dem Beginn von Rilkes "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge": "So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier."

Die Chronik einer Vatersuche ist zugleich das Psychogramm eines Scheidungskinds und einer geteilten Nation. Der Roman schildert den Abschied vom glücklichen "Zustand der Nichterkenntnis" im Schoß der fürsorglichen Mutter: "Für mich war sie wie eine Umzäunung, eine Einfriedung, und gleichzeitig wie der Garten innerhalb der Umzäunung." Der nur zögerlich flügge werdende Held leidet unter einer leitmotivischen ödipalen "Angst vor dem vertraut-fremden Blick, der hinter jeder Ecke lauerte". Das Für und Wider der Vatersuche symbolisieren ein Nachbar im Seouler Vorort, ein alter Psychologieprofessor und der verständnisvoll-gütige Onkel, der Myeong-Jae zuletzt den Namen seines Vaters und dessen Adresse im Grenzland verrät.

Im Niemandsland und Zwischenreich der kleinen Stadt findet der Held Unterkunft im schäbigen "Gasthaus zum einsamen Wandersmann". Der raue Grenzort ist von Militär, Männlichkeit und patriarchalischen Strukturen geprägt. Die Angst, dem Vater zu begegnen, ist in Motive geronnen wie eine unpassierbare Brücke, den unaussprechlichen väterlichen Namen und das ähnlich Kafkas Schloss unerreichbare Anwesen des Vaters. An Kafka-Texte erinnernde Traumsequenzen strukturieren den Roman.

Im Lokalblatt entdeckt Myeong-Jae den Vater als Kandidaten für die Bürgermeisterwahl. Ein erstes Treffen bei einer Wahlkampfveranstaltung mit "Kandidat Nummer zwei" - nach der ritualisierten Begegnung samt Handschlag verspürt der Held ein Brennen auf der Hand - verläuft beiläufig. Bei Lee wandelt sich das Gleichnis vom verlorenen zum verleugneten Sohn: Myeong-Jae erlebt "einen Mann, der mich ablehnt, aussortiert und wegwirft".

Die Erzählung steigert sich zu einem Politkrimi, bei dem die Gegenpartei Myeong-Jaes Anwesenheit zu Hetzkampagnen gegen den Kandidaten, der seine Familie im Stich ließ, nutzt. Myeong-Jae, der in der heißen Phase des Wahlkampfs also den väterlichen Wahlerfolg gefährdet, wird von Handlangern des Vaters - hier verwischen sich die Machtbereiche von Vater und Vater Staat - entführt und bis zum Wahltag festgehalten.

Der Roman beschwört Episoden vom Grenzalltag, Trennungsnarrative und Illusionen der Wiedervereinigung. Die zwischen strengem und privilegierendem Paternalismus changierende Beziehung zwischen einem Unteroffizier und einem Obergefreiten spiegelt die Vater-Sohn-Bindung: "Schlimmer als die Schikanen war die plötzliche Abwesenheit des tyrannischen Beschützers. Furchtbarer als das furchtbarste 'Sein' war schließlich das überhaupt nicht furchtbare 'Nichtsein'." Da wäre ferner der in der gleichen Pension wie der Sohn wohnende Sergeant Kim, der dort die demente Mutter seiner Ex-Freundin pflegt, die ihn einst verließ, und dessen Sehnsucht die Wiedervereinigung ist.

Zuletzt nimmt der Roman im abermaligen Dialog mit Rilkes "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" eine religiöse Wendung. Die erratische zwischenmenschliche Liebe findet Sublimierung in der Suche nach der absoluten Licht spendenden Liebe Gottes: Erst durch Überwindung des unväterlichen irdischen Vaters kann der Held den überirdischen erreichen. STEFFEN GNAM

Seung-U Lee: "Der Blick zur Mittagszeit".

Aus dem Koreanischen von Yuri Ko und Dominik Feise. Thelem Universitätsverlag, Dresden 2024.

178 S., geb., 24,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieser Roman des Koreaners Seung-U Lee tritt in einen Dialog mit Rilkes "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", erklärt Rezensent Steffen Gnam, es geht um Väter und das Verhältnis zu ihnen: Der Student Han Myeong-Jae wird in die Nähe der demilitarisierten Zone entsandt, um seine Tuberkulose zu kurieren und trifft dabei auf seinen Vater, der sich anschickt, Bürgermeister zu werden. Die Ablehnung seines Vaters trifft Myeong-Jae, er versucht, dessen Wahlkampf zu sabotieren, erfahren wir. So ergibt sich für den überzeugten Kritiker eine Geschichte über Grenzen und ihre Überschreitungen auch im metaphorischen Sinn.

© Perlentaucher Medien GmbH