Nicht jeder Blick in den Spiegel ist schmeichelhaft.
Der Spiegel, der Deutschland durch den Afghanistaneinsatz vorgehalten wird, zeigt ein problembeladenes Bild. Die blinden Flecken auf diesem Spiegel verdecken Realitäten und verwischen Konturen. Die Beteiligung Deutschlands an der langwierigen und umstrittenen Mission in Afghanistan hat nicht nur die deutsche Sicherheitspolitik grundlegend verändert. In diesem Einsatz zeigen sich auch die Dissonanzen und Funktionsschwächen sowie die Unzulänglichkeiten und Dilemmata der gegenwärtig praktizierten Politik der globalen Sicherheitsvorsorge. Und der Afghanistaneinsatz hat Deutschland verändert. Die Bürger wollen wissen, warum es gut sein soll, sich in dieser oder jener Weltregion zu engagieren, dafür Menschenleben zu riskieren und Geld auszugeben.
Zumindest bietet dieser Einsatz der deutschen Sicherheitspolitik die einmalige Chance, zu analysieren, wie die Staats- und Militärmaschinerie unter Belastungsbedingungen funktioniert, um daraus abzuleiten, welche Instrumente, Normen und Verfahren einzuführen oder zu verändern sind. - Diese Chance sollte genutzt werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Spiegel, der Deutschland durch den Afghanistaneinsatz vorgehalten wird, zeigt ein problembeladenes Bild. Die blinden Flecken auf diesem Spiegel verdecken Realitäten und verwischen Konturen. Die Beteiligung Deutschlands an der langwierigen und umstrittenen Mission in Afghanistan hat nicht nur die deutsche Sicherheitspolitik grundlegend verändert. In diesem Einsatz zeigen sich auch die Dissonanzen und Funktionsschwächen sowie die Unzulänglichkeiten und Dilemmata der gegenwärtig praktizierten Politik der globalen Sicherheitsvorsorge. Und der Afghanistaneinsatz hat Deutschland verändert. Die Bürger wollen wissen, warum es gut sein soll, sich in dieser oder jener Weltregion zu engagieren, dafür Menschenleben zu riskieren und Geld auszugeben.
Zumindest bietet dieser Einsatz der deutschen Sicherheitspolitik die einmalige Chance, zu analysieren, wie die Staats- und Militärmaschinerie unter Belastungsbedingungen funktioniert, um daraus abzuleiten, welche Instrumente, Normen und Verfahren einzuführen oder zu verändern sind. - Diese Chance sollte genutzt werden.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als traditionelle Gegner der Briten und Russen seien die Deutschen in Afghanistan früher richtig beliebt gewesen, stellt Rudolph Chimelli in seiner absurden Besprechung dieses Buchs von Klaus Naumann fest, aber leider hätten sie durch den Einsatz am Hindukusch diesen Vorteil verwirkt. Und zwar weil sie die afghanischen Grundwahrheiten nicht verstanden, wie Chimelli meint: Der afghanische Stammesälteste an und für sich kämpft gern, lässt sich nicht unterwerfen und niemals kaufen, nur mieten. Unklar bleibt, ob Afghanen sich ändern können oder nicht, mitunter weiß Chimelli nicht genau, wohin mit seinem Argument. Leider erfährt man auch nicht, was nun in Naumanns Bilanz des deutschen Afghanistaneinsatzes steht, Chimelli stellt nur recht allgemein in den Raum, dass sich dessen Analyse mit seiner eigenen decke.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2014Hat Berlin auf ganzer Linie versagt?
Klaus Naumanns herausfordernder Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte
Das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan neigt sich im Jahre 2014 dem Ende entgegen. Das Engagement der Bundeswehr? Klaus Naumann vom Hamburger Institut für Sozialforschung fragt im Kern danach, wer sich eigentlich in Afghanistan engagiert habe: Wie haben die deutsche Politik und Öffentlichkeit verinnerlicht, dass es sich um ein gesamtstaatliches Engagement der Bundesrepublik handelt, und wenn ja, wie hat diese Einsicht die deutsche Politik verändert?
Der Historiker und Sozialwissenschaftler Naumann ist ein unabhängiger Geist, der bereits früher mit unorthodoxen Gedanken in die sicherheitspolitische Debatte eingegriffen hat. So fragte er nach dem Ende der Wehrpflicht, welche Obligationen der Bürger gegenüber dem Staat denn nun noch habe und ob der deutsche Bundesbürger wohl davon ausgehe, jetzt die Sorge um die eigene Sicherheit vollständig und endgültig an den Staat abgetreten zu haben. Diese Fragen liegen auch Naumanns neuem Buch zugrunde; er entwickelt sie hier konsequent weiter. Ursprünglich war der Auftrag der nach Afghanistan entsandten Soldaten in Deutschland lediglich dargestellt worden als "Stabilisierung" des Umfeldes, so dass dann andere (zivile!) Handelnde eine politische Lösung erarbeiten konnten. Dem entsprachen die restriktiven Regelungen für den Einsatz militärischer Machtmittel. Für die Anwendung militärischer Gewalt schien die deutsche Öffentlichkeit noch nicht bereit.
Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) prägte damals den Begriff, die Sicherheit Deutschlands werde "am Hindukusch verteidigt". Naumann greift das auf, indem er hinterfragt, wie der Zusammenhang zwischen dem, was in Afghanistan geschah, und der Sicherheit der Deutschen ebendiesen Menschen in der Bundesrepublik vermittelt wurde. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Wechsel von der Verteidigungspolitik der Jahre vor 1990 hin zu einer komplexeren Sicherheitspolitik der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges im deutschen öffentlichen Bewusstsein noch nicht angekommen ist. Damit gehören auch Begriffe wie der von der "vernetzten Sicherheit" (also ein Sicherheitsbegriff, der alle Politikfelder einschließt) hierzulande zum Sonder-Sprachgebrauch der wenigen Fachleute, die sich dieses Feldes annehmen. Politiker, die - etwa angesichts der Särge von in Afghanistan getöteten Soldaten - den Einsatz und die dabei zu beklagenden Opfer begründen sollen, verfallen dann schnell einer auffallenden Sprachlosigkeit, für die Naumann scharf beobachtete Beispiele zitiert.
An drei Fallbeispielen - Doktrinen der Aufstandsbekämpfung, Provincial Reconstruction Teams, Polizeiausbildung - dekliniert Naumann in seinem zweiten Teil durch, welche Folgen diese Verweigerung einer klaren Wahrnehmung konkret "vor Ort" hat. Die Institutionen, die den Afghanistan-Einsatz in Deutschland politisch steuern, sind nämlich im Kern seit den 1950er Jahren weitgehend unverändert, und das heißt, dass sie auf klassische Verteidigungspolitik ausgerichtet sind. Eine flexible Reaktion auf sich häufig schnell ändernde Lagen im Einsatzgebiet überfordert sie. Besonders hart geht Naumann mit dem Bundesministerium der Verteidigung ins Gericht. Gerade der Dresdener Erlass habe ministerielle Verfahren zu Lasten einer zügigen Entscheidungskompetenz betont und so die Führungsfähigkeit des Ministeriums weiter reduziert. Es ist ja keineswegs das Militär, das versucht, sich politischen Vorgaben zu entziehen, sondern vielmehr die Politik, die der berechtigten Forderung des Militärs nach politischen Vorgaben nicht oder nur zu spät entspricht.
Am Beispiel der Polizeiausbildung legt Naumann auch dar, wie die föderale Struktur der Bundesrepublik eine kohärente Sicherheitspolitik behindert: Deutschland hatte sich angeboten, lead nation der Polizeiausbildung zu sein und damit seinen Teil zum zivilen Wiederaufbau beizutragen. Da aber die Bundesländer nur sehr unvollkommene Beiträge leisteten, lag die Hauptlast der Polizeiausbildung am Ende bei den Feldjägern der Bundeswehr, so dass letztlich die Gesamtaufgabe von anderen Alliierten übernommen werden musste.
Der dritte Teil des schmalen Bandes widmet sich der Frage nach aus den Auslandseinsätzen resultierenden Veränderungen im Polit-Apparat der Bundesrepublik. Naumann kommt hier zu einem vernichtenden Urteil. Das Ressortprinzip der Bundesregierung, die Rolle der Länder, die detailversessene Kontrollwut des Parlaments, sie alle haben sich jeder Anpassung an die Bedingungen einer neuen Sicherheitspolitik verweigert. Eine neue, stärker koordinierende Rolle des Bundessicherheitsrates? Fehlanzeige. Klare, ressortübergreifend abgestimmte Weisungen an die Soldaten, Diplomaten und Entwicklungshelfer im Einsatzgebiet? Desgleichen. Das Kanzleramt könnte sich aufgefordert sehen, mehr als nur einen Interessenausgleich zwischen den beteiligten Ressorts herbeizuführen, aber selbst dafür sieht Naumann keine Anzeichen. "Eine Politik, die beanspruchte, Staatlichkeit zu exportieren, war kaum in der Lage, die eigene Staatlichkeit auf eine Weise zu gestalten, die den eigenen Ansprüchen genügen konnte."
Naumann geht es nicht um Erfolg oder Misserfolg des deutschen Militärs. Ihm geht es darum, ob das deutsche politische System den Anforderungen der immer wieder geforderten "vernetzten" Sicherheitspolitik gerecht wird. Man wird das eine oder andere Urteil überpointiert finden können, aber man kann sich der Stringenz seiner Argumentation nicht entziehen. Wer sich auf Naumanns gestochene, nie einfach zu lesende Diktion einlässt, den erwartet in diesem Buch ein herausfordernder Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte.
WINFRIED HEINEMANN
Klaus Naumann: Der blinde Spiegel. Deutschland im afghanischen Transformationskrieg. Hamburger Edition, Hamburg 2013. 204 S., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klaus Naumanns herausfordernder Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte
Das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan neigt sich im Jahre 2014 dem Ende entgegen. Das Engagement der Bundeswehr? Klaus Naumann vom Hamburger Institut für Sozialforschung fragt im Kern danach, wer sich eigentlich in Afghanistan engagiert habe: Wie haben die deutsche Politik und Öffentlichkeit verinnerlicht, dass es sich um ein gesamtstaatliches Engagement der Bundesrepublik handelt, und wenn ja, wie hat diese Einsicht die deutsche Politik verändert?
Der Historiker und Sozialwissenschaftler Naumann ist ein unabhängiger Geist, der bereits früher mit unorthodoxen Gedanken in die sicherheitspolitische Debatte eingegriffen hat. So fragte er nach dem Ende der Wehrpflicht, welche Obligationen der Bürger gegenüber dem Staat denn nun noch habe und ob der deutsche Bundesbürger wohl davon ausgehe, jetzt die Sorge um die eigene Sicherheit vollständig und endgültig an den Staat abgetreten zu haben. Diese Fragen liegen auch Naumanns neuem Buch zugrunde; er entwickelt sie hier konsequent weiter. Ursprünglich war der Auftrag der nach Afghanistan entsandten Soldaten in Deutschland lediglich dargestellt worden als "Stabilisierung" des Umfeldes, so dass dann andere (zivile!) Handelnde eine politische Lösung erarbeiten konnten. Dem entsprachen die restriktiven Regelungen für den Einsatz militärischer Machtmittel. Für die Anwendung militärischer Gewalt schien die deutsche Öffentlichkeit noch nicht bereit.
Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) prägte damals den Begriff, die Sicherheit Deutschlands werde "am Hindukusch verteidigt". Naumann greift das auf, indem er hinterfragt, wie der Zusammenhang zwischen dem, was in Afghanistan geschah, und der Sicherheit der Deutschen ebendiesen Menschen in der Bundesrepublik vermittelt wurde. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Wechsel von der Verteidigungspolitik der Jahre vor 1990 hin zu einer komplexeren Sicherheitspolitik der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges im deutschen öffentlichen Bewusstsein noch nicht angekommen ist. Damit gehören auch Begriffe wie der von der "vernetzten Sicherheit" (also ein Sicherheitsbegriff, der alle Politikfelder einschließt) hierzulande zum Sonder-Sprachgebrauch der wenigen Fachleute, die sich dieses Feldes annehmen. Politiker, die - etwa angesichts der Särge von in Afghanistan getöteten Soldaten - den Einsatz und die dabei zu beklagenden Opfer begründen sollen, verfallen dann schnell einer auffallenden Sprachlosigkeit, für die Naumann scharf beobachtete Beispiele zitiert.
An drei Fallbeispielen - Doktrinen der Aufstandsbekämpfung, Provincial Reconstruction Teams, Polizeiausbildung - dekliniert Naumann in seinem zweiten Teil durch, welche Folgen diese Verweigerung einer klaren Wahrnehmung konkret "vor Ort" hat. Die Institutionen, die den Afghanistan-Einsatz in Deutschland politisch steuern, sind nämlich im Kern seit den 1950er Jahren weitgehend unverändert, und das heißt, dass sie auf klassische Verteidigungspolitik ausgerichtet sind. Eine flexible Reaktion auf sich häufig schnell ändernde Lagen im Einsatzgebiet überfordert sie. Besonders hart geht Naumann mit dem Bundesministerium der Verteidigung ins Gericht. Gerade der Dresdener Erlass habe ministerielle Verfahren zu Lasten einer zügigen Entscheidungskompetenz betont und so die Führungsfähigkeit des Ministeriums weiter reduziert. Es ist ja keineswegs das Militär, das versucht, sich politischen Vorgaben zu entziehen, sondern vielmehr die Politik, die der berechtigten Forderung des Militärs nach politischen Vorgaben nicht oder nur zu spät entspricht.
Am Beispiel der Polizeiausbildung legt Naumann auch dar, wie die föderale Struktur der Bundesrepublik eine kohärente Sicherheitspolitik behindert: Deutschland hatte sich angeboten, lead nation der Polizeiausbildung zu sein und damit seinen Teil zum zivilen Wiederaufbau beizutragen. Da aber die Bundesländer nur sehr unvollkommene Beiträge leisteten, lag die Hauptlast der Polizeiausbildung am Ende bei den Feldjägern der Bundeswehr, so dass letztlich die Gesamtaufgabe von anderen Alliierten übernommen werden musste.
Der dritte Teil des schmalen Bandes widmet sich der Frage nach aus den Auslandseinsätzen resultierenden Veränderungen im Polit-Apparat der Bundesrepublik. Naumann kommt hier zu einem vernichtenden Urteil. Das Ressortprinzip der Bundesregierung, die Rolle der Länder, die detailversessene Kontrollwut des Parlaments, sie alle haben sich jeder Anpassung an die Bedingungen einer neuen Sicherheitspolitik verweigert. Eine neue, stärker koordinierende Rolle des Bundessicherheitsrates? Fehlanzeige. Klare, ressortübergreifend abgestimmte Weisungen an die Soldaten, Diplomaten und Entwicklungshelfer im Einsatzgebiet? Desgleichen. Das Kanzleramt könnte sich aufgefordert sehen, mehr als nur einen Interessenausgleich zwischen den beteiligten Ressorts herbeizuführen, aber selbst dafür sieht Naumann keine Anzeichen. "Eine Politik, die beanspruchte, Staatlichkeit zu exportieren, war kaum in der Lage, die eigene Staatlichkeit auf eine Weise zu gestalten, die den eigenen Ansprüchen genügen konnte."
Naumann geht es nicht um Erfolg oder Misserfolg des deutschen Militärs. Ihm geht es darum, ob das deutsche politische System den Anforderungen der immer wieder geforderten "vernetzten" Sicherheitspolitik gerecht wird. Man wird das eine oder andere Urteil überpointiert finden können, aber man kann sich der Stringenz seiner Argumentation nicht entziehen. Wer sich auf Naumanns gestochene, nie einfach zu lesende Diktion einlässt, den erwartet in diesem Buch ein herausfordernder Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte.
WINFRIED HEINEMANN
Klaus Naumann: Der blinde Spiegel. Deutschland im afghanischen Transformationskrieg. Hamburger Edition, Hamburg 2013. 204 S., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main