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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2014

Brand, kalte Sprache

Was bedeutet der August 1944, dieser Monat vor siebzig Jahren? Auf Deutschland fielen 1940 zehntausend Tonnen Bomben, im Jahr darauf waren es dreißigtausend, dann vierzig- und dann 120 000 Tonnen. Die Steigerung scheint enorm, mehr als verzehnfacht hatte sich die Menge. 1944 aber wurde zu einer neuen Zäsur, nun fielen 650 000 Tonnen auf Deutschland. 1945 trat dahinter zurück mit 500 000 Tonnen, aber es ging ja auch nur bis Mai. 1944 also war der Moment, wo der Bombenkrieg in ein neues Stadium eintrat, für das die Zahl der abgeworfenen Bombenmenge stellvertretend stehen mag. Jörg Friedrich hat die Geschichte, die sich hinter den Zahlen verbirgt, zum Sprechen gebracht, in seinem Buch mit dem lakonischen Titel "Der Brand".

"Beherrschen die eigenen Flugzeuge unangefochten die Luft", so Friedrich, "braucht man am Boden nicht länger nach der Schlüsselindustrie zu forschen. Man kann alles bombardieren zum Steinerweichen. Der Gegner, dessen Abwehr bricht, wird Züchtigungsobjekt. Ein Ziel bringt man zur Strecke, ein Objekt ist ein Zustand. Den Zustand des Ausgeliefertseins erreichen die Deutschen vom Spätsommer 1944 an. Von da an fällt die dichteste Bombenmunition." Und die Zäsur, die wir nicht exakt, aber doch so ungefähr auf den August 1944 datieren können, betrifft nicht nur die Tonnage, sondern auch die Tödlichkeit der Waffe. Hören wir noch einmal Friedrich: "Vom Beginn der Ruhrschlacht bis Jahresende 1943 tötete sie im Monatsdurchschnitt 8100 Zivilisten, vom Juli 1944 an 13 500." Dies aber führt auf einen Sachverhalt des ersten Halbjahres 1944 zurück. Eine Arbeitsteilung von Briten und Amerikanern hatte sich eingespielt, nach der, wie es in "Der Brand" heißt, "die Briten nicht aufhörten, Städte abzubrennen, während die Amerikaner sich zum Ziel nahmen, was dem am meisten entgegenstand, die deutsche Jägerflotte".

Jörg Friedrich behauptet nichts anderes als eine gegenüber den ersten Kriegsjahren neue, nicht nur quantitativ, sondern qualitativ neue Dimension der Vernichtung von oben, einsetzend im Spätsommer 1944, die in der kompletten Wehrlosmachung des Gegners nicht ihr natürliches Ende fand, sondern dies als Voraussetzung für weitere, gesteigerte Schläge nutzte.

Friedrichs Gesamtwerk lässt sich um diese Daten herum gruppieren, es gibt eine Vor- und eine Nachgeschichte. Was führte zu diesem Sommer 1944, und wie setzte sich die Praxis von damals später fort? Begonnen hatte Friedrich mit Büchern, in denen er die Entmenschlichung der Kriegsführung auf deutscher Seite erforschte: "Freispruch für die Nazi-Justiz - Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948" (1983, zuletzt 1998), sodann "Die kalte Amnestie - NS-Täter in der Bundesrepublik" (1984, zuletzt 2007) und schließlich "Das Gesetz des Krieges - Das deutsche Heer in Russland 1941 bis 1945. Der Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht" (1993). Friedrich wusste, was Kriegsverbrechen sind. Dann also folgten "Der Brand" und "Brandstätten - Der Anblick des Bombenkriegs" (2003).

Aber die Geschichte endete nicht hier. Der Korea-Krieg Anfang der fünfziger Jahre war der erste "heiße" innerhalb der Ära des Kalten Kriegs, und was die Bomben anging, die auf das asiatische Land fielen, so handelte es sich um den Versuch, eine Nation in die Steinzeit zurückzuzwingen. Nur vor dem Einsatz der Atombombe schreckte der Präsident der Vereinigten Staaten dann doch zurück und entließ Douglas MacArthur, den Oberkommandierenden der UN-Streitkräfte in Korea, der vehement für die Atomwaffe plädiert hatte. Diese ganze Geschichte entfaltete Friedrich in dem Buch "Yalu - An den Ufern des dritten Weltkriegs" (2007).

"14/18 - Der Weg nach Versailles" heißt das aktuelle Buch von Jörg Friedrich. Es stellt unbequeme Fragen, auch in der gegenwärtig scheinbar so offenen, europäisierten Gedenkkultur. Nicht allerdings die nach der "Schuld" - die hält er für unangemessen. Dafür aber jene nach der Lage im Osten 1914, als Russen marodierend in Ostpreußen hausten, oder jene nach der Verletzung der Neutralität Griechenlands durch Großbritannien. Und die Sprache? Man hat ihr Expressionismus vorgeworfen, aber eher ist ihr Ton das Gegenteil, es ist ein zum Lakonischen und Sentenziösen ausgekühltes Pathos, das sie ausmacht. Man kann es als ein Wunder betrachten, dass diese Bücher geschrieben werden konnten, ohne dass ihr Autor versteinerte. Je schauerlicher die Sache wird, umso schlichter und damit stärker die Sprache.

Sicher, die militärische Literatur war immer knapp, sachlich, ohne Übertreibungen. Legendär sind in dieser Hinsicht die frühen Heeresberichte des Ersten Weltkrieges: "Die vorgeschriebene Linie wurde erreicht." Aber bei Friedrich ist es doch noch etwas anderes. Indem er sprachlich in die äußerste Unterkühlung geht, hält er dem Brand stand. Der Stadt Pforzheim, lesen wir einmal, kam ein Drittel ihrer Bevölkerung "abhanden".

1944, im Jahr der großen Zäsur für Deutschland, wurde Jörg Friedrich am 17. August geboren.

LORENZ JÄGER

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