Das fünf Jahre währende Bombardement deutscher Städte und Gemeinden im Zweiten Weltkrieg ist ohne Vergleich in der Geschichte. Neben der Vertreibung aus den Ostgebieten des Reiches war es die größte Katastrophe auf deutschem Boden seit dem Dreißigjährigen Krieg. Bombardiert wurden mehr als tausend Städte und Ortschaften. Auf 25 Millionen Zivilpersonen, überwiegend Frauen, Kinder und Alte, fielen über eine halbe Million Tonnen Spreng- und Brandbomben. 600 000 Todesopfer und der unwiederbringliche Verlust der seit dem Mittelalter gewachsenen Städtelandschaft waren zu beklagen. In der nationalen Erinnerung haften die Fanale von Dresden und Hamburg. Das Los von Pforzheim, Dortmund, Darmstadt, Krefeld, Kassel und zahlreicher weiterer Städte, die ebenso eingeäschert wurden, ist kaum bekannt. Bis heute existiert keine umfassende zeitgeschichtliche Darstellung, die die tatsächliche Dimension des Geschehens und das Schicksal der Betroffenen erfasst. Der Berliner Historiker und Publizist Jörg Friedrich, der sich durch Bücher über den NS-Vernichtungskrieg einen Namen gemacht hat, legt nun das längst überfällige Werk über diese von Briten und Amerikanern systematisch geplante und durchgeführte Terrorkampagne gegen Deutschlands Städte und ihre Bewohner vor. Auf breiter Quellenbasis schildert er die Entwicklung und Perfektionierung der Bombenwaffe, ihre verheerende Auswirkung am Boden, das traumatische Erleben der in Bunkern und Kellern ausharrenden Bevölkerung, den Tod durch Hitzschlag, Luftdruck und Brandgase und den Untergang eines unermesslich reichen Kulturerbes. Eine befremdliche Lücke in unserem nationalen Gedächtnis wird endlich geschlossen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2007Wer Wind sät, wird Sturm ernten
Großbritanniens Presse reagiert zwiespältig auf die englischsprachige Ausgabe von Jörg Friedrichs „Der Brand”
Auf ein Hakenkreuz hat der Verlag bei seiner Umschlaggestaltung verzichtet. Das mag daran liegen, dass „The Fire”, die englischsprachige Ausgabe von Jörg Friedrichs „Der Brand”, nicht in England, sondern bei der amerikanischen Columbia University Press erschienen ist; britische Verlage lassen in der Regel keine Gelegenheit aus, das verkaufsfördernde Nazisymbol auf jedes Buch zu drucken, das auch nur im Entferntesten mit dem „Dritten Reich” zu tun hat. Hier aber weisen nur die Frakturschrift des Titels und die apokalyptisch irisierende Trümmerlandschaft auf den epochalen Hintergrund des Infernos hin, das Friedrich in seiner Betrachtung der Bombardierung Deutschlands von 1940 bis 1945 darzustellen versucht.
Schon zur deutschen Erstveröffentlichung im November 2002 hatten die englischen Zeitungen wenig erfreut vermerkt, Winston Churchill werde in Friedrichs Buch als „Kriegsverbrecher” dargestellt. Der Kriegshistoriker Antony Beevor wurde damals vom Daily Telegraph mit der Einschätzung zitiert, das gehe doch „etwas zu weit”. In den Rezensionen der englischen Ausgabe wird nun von britischen Publikationen der Diskurs über die Verhältnismäßigkeit des alliierten Flächenbombardements neu aufgelegt. Einig sind sich alle Rezensenten, dass es sich um ein „kontroverses Buch” handle, zumindest aus alliierter Sicht.
Der Rezensent der Times bezeichnet Friedrichs Darstellung als „leidenschaftlich, lebhaft und absolut unausgewogen”. „Der Brand” zähle „bis zur Übersättigung” alle Kulturschätze auf, die in jeder einzelnen deutschen Kleinstadt von der Royal Airforce „mutwillig verbrannt und pulverisiert” worden seien. Die Besprechung vergleicht die Vorgehensweise des Autors mit der tu-quoque-Argumentation, derer sich Admiral Dönitz bei seiner Verteidigung in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen bediente. Mit Sätzen wie jenem, die Nazis hätten „ganz Deutschland und Europa als Geisel genommen” sei Friedrichs Buch Teil einer schleichenden Verlagerung von „überdemonstrativer Selbstgeißelung zur weinerlichen Opfermentalität” in Deutschland. Der Rezensent geht so weit, das Buch als Argumentationsliefeanten der Rechtfertigungsstrategie zu interpretieren, mit der Deutschland sich geweigert habe, „seine Nato-Partner in Afghanistan oder Irak zu unterstützen”. Friedrichs „selbstmitleidige Enzyklopädie der Leiden”, so der Times-Kritiker, habe ihn daher „völlig kalt gelassen”.
Der Economist kommt insgesamt zu einer etwas wohlwollenderen Einschätzung. Niemand, der Friedrichs Buch gelesen habe, könne noch bezweifeln, welche „kulturelle Zerstörung und welche menschlichen Leiden” die Bombardements der Alliierten verursacht hätten. Es fülle „eine Lücke im Verständnis des Luftkrieges in der englischsprachigen Welt. Dennoch sei „Der Brand” „fehlerhaft”, so das Magazin weiter. Friedrichs „sarkastische und melodramatische Prosa” erschwere das Verständnis für den Kontext, in dem Winston Churchill gehandelt habe. Der Autor scheine davon auszugehen, dass das alliierte Bomberkommando von vornherein gewusst habe, Deutschland werde den Krieg verlieren, das Flächenbombardement sei also unnötigerweise verstärkt worden, um die Sieg möglichst schnell herbeizuführen. Friedrich komme überdies dem Argument gefährlich nahe, die Deutschen hätten den Nationalsozialismus „zu Recht verteidigt und die Alliierten ihn zu Unrecht angegriffen”.
Der Guardian veröffentlichte bereits Ende Dezember ein Gespräch mit Jörg Friedrich. Die Zeitung konfrontiert den Autor darin mit einem Satz des britischen Luftmarschalls Arthur„Bomber” Harris, der nach einem deutschen Luftangriff auf London prophezeihte: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.” Friedrich erhält ausführlich Gelegenheit, seine Position zu verdeutlichen, die im Interview weniger revisionistisch erscheint, als es die britischen Besprechungen suggerieren. Der Guardian stellt zudem als bisher einzige britische Zeitung klar – wenn auch nur in einem nachträglich der Onlineversion hinzugefügten Absatz – dass Friedrich die Alliierten nicht ausdrücklich der Verübung von Kriegsverbrechen bezichtigt.
Die Tatsache, dass die englischsprachige Ausgabe eines Buches, das die britischen Gemüter derart erhitzt, gut vier Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nun bei einem amerikanischen Verlag erscheint, begründet ein Sprecher des Verlagshauses Penguin mit „Faulheit”: „Die Vorstellung, das Buch übersetzen zu müssen, war womöglich ein bisschen viel”, so Simon Wender, Chef der Geschichtsabteilung.
Britische Leser, die Jörg Friedrich mit ihrer Kritik persönlich konfrontieren möchten, werden dazu bald Gelegenheit haben: Am 1. Februar liest der Autor auf Einladung des Magazins London Review of Books in der britischen Hauptstadt. ALEXANDER MENDEN
Vier Jahre nach der Erstveröffentlichung ist Jörg Friedrichs Darstellung der alliierten Bombenangriffe in England angekommen. Foto: Columbia University Press
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Großbritanniens Presse reagiert zwiespältig auf die englischsprachige Ausgabe von Jörg Friedrichs „Der Brand”
Auf ein Hakenkreuz hat der Verlag bei seiner Umschlaggestaltung verzichtet. Das mag daran liegen, dass „The Fire”, die englischsprachige Ausgabe von Jörg Friedrichs „Der Brand”, nicht in England, sondern bei der amerikanischen Columbia University Press erschienen ist; britische Verlage lassen in der Regel keine Gelegenheit aus, das verkaufsfördernde Nazisymbol auf jedes Buch zu drucken, das auch nur im Entferntesten mit dem „Dritten Reich” zu tun hat. Hier aber weisen nur die Frakturschrift des Titels und die apokalyptisch irisierende Trümmerlandschaft auf den epochalen Hintergrund des Infernos hin, das Friedrich in seiner Betrachtung der Bombardierung Deutschlands von 1940 bis 1945 darzustellen versucht.
Schon zur deutschen Erstveröffentlichung im November 2002 hatten die englischen Zeitungen wenig erfreut vermerkt, Winston Churchill werde in Friedrichs Buch als „Kriegsverbrecher” dargestellt. Der Kriegshistoriker Antony Beevor wurde damals vom Daily Telegraph mit der Einschätzung zitiert, das gehe doch „etwas zu weit”. In den Rezensionen der englischen Ausgabe wird nun von britischen Publikationen der Diskurs über die Verhältnismäßigkeit des alliierten Flächenbombardements neu aufgelegt. Einig sind sich alle Rezensenten, dass es sich um ein „kontroverses Buch” handle, zumindest aus alliierter Sicht.
Der Rezensent der Times bezeichnet Friedrichs Darstellung als „leidenschaftlich, lebhaft und absolut unausgewogen”. „Der Brand” zähle „bis zur Übersättigung” alle Kulturschätze auf, die in jeder einzelnen deutschen Kleinstadt von der Royal Airforce „mutwillig verbrannt und pulverisiert” worden seien. Die Besprechung vergleicht die Vorgehensweise des Autors mit der tu-quoque-Argumentation, derer sich Admiral Dönitz bei seiner Verteidigung in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen bediente. Mit Sätzen wie jenem, die Nazis hätten „ganz Deutschland und Europa als Geisel genommen” sei Friedrichs Buch Teil einer schleichenden Verlagerung von „überdemonstrativer Selbstgeißelung zur weinerlichen Opfermentalität” in Deutschland. Der Rezensent geht so weit, das Buch als Argumentationsliefeanten der Rechtfertigungsstrategie zu interpretieren, mit der Deutschland sich geweigert habe, „seine Nato-Partner in Afghanistan oder Irak zu unterstützen”. Friedrichs „selbstmitleidige Enzyklopädie der Leiden”, so der Times-Kritiker, habe ihn daher „völlig kalt gelassen”.
Der Economist kommt insgesamt zu einer etwas wohlwollenderen Einschätzung. Niemand, der Friedrichs Buch gelesen habe, könne noch bezweifeln, welche „kulturelle Zerstörung und welche menschlichen Leiden” die Bombardements der Alliierten verursacht hätten. Es fülle „eine Lücke im Verständnis des Luftkrieges in der englischsprachigen Welt. Dennoch sei „Der Brand” „fehlerhaft”, so das Magazin weiter. Friedrichs „sarkastische und melodramatische Prosa” erschwere das Verständnis für den Kontext, in dem Winston Churchill gehandelt habe. Der Autor scheine davon auszugehen, dass das alliierte Bomberkommando von vornherein gewusst habe, Deutschland werde den Krieg verlieren, das Flächenbombardement sei also unnötigerweise verstärkt worden, um die Sieg möglichst schnell herbeizuführen. Friedrich komme überdies dem Argument gefährlich nahe, die Deutschen hätten den Nationalsozialismus „zu Recht verteidigt und die Alliierten ihn zu Unrecht angegriffen”.
Der Guardian veröffentlichte bereits Ende Dezember ein Gespräch mit Jörg Friedrich. Die Zeitung konfrontiert den Autor darin mit einem Satz des britischen Luftmarschalls Arthur„Bomber” Harris, der nach einem deutschen Luftangriff auf London prophezeihte: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.” Friedrich erhält ausführlich Gelegenheit, seine Position zu verdeutlichen, die im Interview weniger revisionistisch erscheint, als es die britischen Besprechungen suggerieren. Der Guardian stellt zudem als bisher einzige britische Zeitung klar – wenn auch nur in einem nachträglich der Onlineversion hinzugefügten Absatz – dass Friedrich die Alliierten nicht ausdrücklich der Verübung von Kriegsverbrechen bezichtigt.
Die Tatsache, dass die englischsprachige Ausgabe eines Buches, das die britischen Gemüter derart erhitzt, gut vier Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nun bei einem amerikanischen Verlag erscheint, begründet ein Sprecher des Verlagshauses Penguin mit „Faulheit”: „Die Vorstellung, das Buch übersetzen zu müssen, war womöglich ein bisschen viel”, so Simon Wender, Chef der Geschichtsabteilung.
Britische Leser, die Jörg Friedrich mit ihrer Kritik persönlich konfrontieren möchten, werden dazu bald Gelegenheit haben: Am 1. Februar liest der Autor auf Einladung des Magazins London Review of Books in der britischen Hauptstadt. ALEXANDER MENDEN
Vier Jahre nach der Erstveröffentlichung ist Jörg Friedrichs Darstellung der alliierten Bombenangriffe in England angekommen. Foto: Columbia University Press
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2014Brand, kalte Sprache
Was bedeutet der August 1944, dieser Monat vor siebzig Jahren? Auf Deutschland fielen 1940 zehntausend Tonnen Bomben, im Jahr darauf waren es dreißigtausend, dann vierzig- und dann 120 000 Tonnen. Die Steigerung scheint enorm, mehr als verzehnfacht hatte sich die Menge. 1944 aber wurde zu einer neuen Zäsur, nun fielen 650 000 Tonnen auf Deutschland. 1945 trat dahinter zurück mit 500 000 Tonnen, aber es ging ja auch nur bis Mai. 1944 also war der Moment, wo der Bombenkrieg in ein neues Stadium eintrat, für das die Zahl der abgeworfenen Bombenmenge stellvertretend stehen mag. Jörg Friedrich hat die Geschichte, die sich hinter den Zahlen verbirgt, zum Sprechen gebracht, in seinem Buch mit dem lakonischen Titel "Der Brand".
"Beherrschen die eigenen Flugzeuge unangefochten die Luft", so Friedrich, "braucht man am Boden nicht länger nach der Schlüsselindustrie zu forschen. Man kann alles bombardieren zum Steinerweichen. Der Gegner, dessen Abwehr bricht, wird Züchtigungsobjekt. Ein Ziel bringt man zur Strecke, ein Objekt ist ein Zustand. Den Zustand des Ausgeliefertseins erreichen die Deutschen vom Spätsommer 1944 an. Von da an fällt die dichteste Bombenmunition." Und die Zäsur, die wir nicht exakt, aber doch so ungefähr auf den August 1944 datieren können, betrifft nicht nur die Tonnage, sondern auch die Tödlichkeit der Waffe. Hören wir noch einmal Friedrich: "Vom Beginn der Ruhrschlacht bis Jahresende 1943 tötete sie im Monatsdurchschnitt 8100 Zivilisten, vom Juli 1944 an 13 500." Dies aber führt auf einen Sachverhalt des ersten Halbjahres 1944 zurück. Eine Arbeitsteilung von Briten und Amerikanern hatte sich eingespielt, nach der, wie es in "Der Brand" heißt, "die Briten nicht aufhörten, Städte abzubrennen, während die Amerikaner sich zum Ziel nahmen, was dem am meisten entgegenstand, die deutsche Jägerflotte".
Jörg Friedrich behauptet nichts anderes als eine gegenüber den ersten Kriegsjahren neue, nicht nur quantitativ, sondern qualitativ neue Dimension der Vernichtung von oben, einsetzend im Spätsommer 1944, die in der kompletten Wehrlosmachung des Gegners nicht ihr natürliches Ende fand, sondern dies als Voraussetzung für weitere, gesteigerte Schläge nutzte.
Friedrichs Gesamtwerk lässt sich um diese Daten herum gruppieren, es gibt eine Vor- und eine Nachgeschichte. Was führte zu diesem Sommer 1944, und wie setzte sich die Praxis von damals später fort? Begonnen hatte Friedrich mit Büchern, in denen er die Entmenschlichung der Kriegsführung auf deutscher Seite erforschte: "Freispruch für die Nazi-Justiz - Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948" (1983, zuletzt 1998), sodann "Die kalte Amnestie - NS-Täter in der Bundesrepublik" (1984, zuletzt 2007) und schließlich "Das Gesetz des Krieges - Das deutsche Heer in Russland 1941 bis 1945. Der Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht" (1993). Friedrich wusste, was Kriegsverbrechen sind. Dann also folgten "Der Brand" und "Brandstätten - Der Anblick des Bombenkriegs" (2003).
Aber die Geschichte endete nicht hier. Der Korea-Krieg Anfang der fünfziger Jahre war der erste "heiße" innerhalb der Ära des Kalten Kriegs, und was die Bomben anging, die auf das asiatische Land fielen, so handelte es sich um den Versuch, eine Nation in die Steinzeit zurückzuzwingen. Nur vor dem Einsatz der Atombombe schreckte der Präsident der Vereinigten Staaten dann doch zurück und entließ Douglas MacArthur, den Oberkommandierenden der UN-Streitkräfte in Korea, der vehement für die Atomwaffe plädiert hatte. Diese ganze Geschichte entfaltete Friedrich in dem Buch "Yalu - An den Ufern des dritten Weltkriegs" (2007).
"14/18 - Der Weg nach Versailles" heißt das aktuelle Buch von Jörg Friedrich. Es stellt unbequeme Fragen, auch in der gegenwärtig scheinbar so offenen, europäisierten Gedenkkultur. Nicht allerdings die nach der "Schuld" - die hält er für unangemessen. Dafür aber jene nach der Lage im Osten 1914, als Russen marodierend in Ostpreußen hausten, oder jene nach der Verletzung der Neutralität Griechenlands durch Großbritannien. Und die Sprache? Man hat ihr Expressionismus vorgeworfen, aber eher ist ihr Ton das Gegenteil, es ist ein zum Lakonischen und Sentenziösen ausgekühltes Pathos, das sie ausmacht. Man kann es als ein Wunder betrachten, dass diese Bücher geschrieben werden konnten, ohne dass ihr Autor versteinerte. Je schauerlicher die Sache wird, umso schlichter und damit stärker die Sprache.
Sicher, die militärische Literatur war immer knapp, sachlich, ohne Übertreibungen. Legendär sind in dieser Hinsicht die frühen Heeresberichte des Ersten Weltkrieges: "Die vorgeschriebene Linie wurde erreicht." Aber bei Friedrich ist es doch noch etwas anderes. Indem er sprachlich in die äußerste Unterkühlung geht, hält er dem Brand stand. Der Stadt Pforzheim, lesen wir einmal, kam ein Drittel ihrer Bevölkerung "abhanden".
1944, im Jahr der großen Zäsur für Deutschland, wurde Jörg Friedrich am 17. August geboren.
LORENZ JÄGER
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Was bedeutet der August 1944, dieser Monat vor siebzig Jahren? Auf Deutschland fielen 1940 zehntausend Tonnen Bomben, im Jahr darauf waren es dreißigtausend, dann vierzig- und dann 120 000 Tonnen. Die Steigerung scheint enorm, mehr als verzehnfacht hatte sich die Menge. 1944 aber wurde zu einer neuen Zäsur, nun fielen 650 000 Tonnen auf Deutschland. 1945 trat dahinter zurück mit 500 000 Tonnen, aber es ging ja auch nur bis Mai. 1944 also war der Moment, wo der Bombenkrieg in ein neues Stadium eintrat, für das die Zahl der abgeworfenen Bombenmenge stellvertretend stehen mag. Jörg Friedrich hat die Geschichte, die sich hinter den Zahlen verbirgt, zum Sprechen gebracht, in seinem Buch mit dem lakonischen Titel "Der Brand".
"Beherrschen die eigenen Flugzeuge unangefochten die Luft", so Friedrich, "braucht man am Boden nicht länger nach der Schlüsselindustrie zu forschen. Man kann alles bombardieren zum Steinerweichen. Der Gegner, dessen Abwehr bricht, wird Züchtigungsobjekt. Ein Ziel bringt man zur Strecke, ein Objekt ist ein Zustand. Den Zustand des Ausgeliefertseins erreichen die Deutschen vom Spätsommer 1944 an. Von da an fällt die dichteste Bombenmunition." Und die Zäsur, die wir nicht exakt, aber doch so ungefähr auf den August 1944 datieren können, betrifft nicht nur die Tonnage, sondern auch die Tödlichkeit der Waffe. Hören wir noch einmal Friedrich: "Vom Beginn der Ruhrschlacht bis Jahresende 1943 tötete sie im Monatsdurchschnitt 8100 Zivilisten, vom Juli 1944 an 13 500." Dies aber führt auf einen Sachverhalt des ersten Halbjahres 1944 zurück. Eine Arbeitsteilung von Briten und Amerikanern hatte sich eingespielt, nach der, wie es in "Der Brand" heißt, "die Briten nicht aufhörten, Städte abzubrennen, während die Amerikaner sich zum Ziel nahmen, was dem am meisten entgegenstand, die deutsche Jägerflotte".
Jörg Friedrich behauptet nichts anderes als eine gegenüber den ersten Kriegsjahren neue, nicht nur quantitativ, sondern qualitativ neue Dimension der Vernichtung von oben, einsetzend im Spätsommer 1944, die in der kompletten Wehrlosmachung des Gegners nicht ihr natürliches Ende fand, sondern dies als Voraussetzung für weitere, gesteigerte Schläge nutzte.
Friedrichs Gesamtwerk lässt sich um diese Daten herum gruppieren, es gibt eine Vor- und eine Nachgeschichte. Was führte zu diesem Sommer 1944, und wie setzte sich die Praxis von damals später fort? Begonnen hatte Friedrich mit Büchern, in denen er die Entmenschlichung der Kriegsführung auf deutscher Seite erforschte: "Freispruch für die Nazi-Justiz - Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948" (1983, zuletzt 1998), sodann "Die kalte Amnestie - NS-Täter in der Bundesrepublik" (1984, zuletzt 2007) und schließlich "Das Gesetz des Krieges - Das deutsche Heer in Russland 1941 bis 1945. Der Prozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht" (1993). Friedrich wusste, was Kriegsverbrechen sind. Dann also folgten "Der Brand" und "Brandstätten - Der Anblick des Bombenkriegs" (2003).
Aber die Geschichte endete nicht hier. Der Korea-Krieg Anfang der fünfziger Jahre war der erste "heiße" innerhalb der Ära des Kalten Kriegs, und was die Bomben anging, die auf das asiatische Land fielen, so handelte es sich um den Versuch, eine Nation in die Steinzeit zurückzuzwingen. Nur vor dem Einsatz der Atombombe schreckte der Präsident der Vereinigten Staaten dann doch zurück und entließ Douglas MacArthur, den Oberkommandierenden der UN-Streitkräfte in Korea, der vehement für die Atomwaffe plädiert hatte. Diese ganze Geschichte entfaltete Friedrich in dem Buch "Yalu - An den Ufern des dritten Weltkriegs" (2007).
"14/18 - Der Weg nach Versailles" heißt das aktuelle Buch von Jörg Friedrich. Es stellt unbequeme Fragen, auch in der gegenwärtig scheinbar so offenen, europäisierten Gedenkkultur. Nicht allerdings die nach der "Schuld" - die hält er für unangemessen. Dafür aber jene nach der Lage im Osten 1914, als Russen marodierend in Ostpreußen hausten, oder jene nach der Verletzung der Neutralität Griechenlands durch Großbritannien. Und die Sprache? Man hat ihr Expressionismus vorgeworfen, aber eher ist ihr Ton das Gegenteil, es ist ein zum Lakonischen und Sentenziösen ausgekühltes Pathos, das sie ausmacht. Man kann es als ein Wunder betrachten, dass diese Bücher geschrieben werden konnten, ohne dass ihr Autor versteinerte. Je schauerlicher die Sache wird, umso schlichter und damit stärker die Sprache.
Sicher, die militärische Literatur war immer knapp, sachlich, ohne Übertreibungen. Legendär sind in dieser Hinsicht die frühen Heeresberichte des Ersten Weltkrieges: "Die vorgeschriebene Linie wurde erreicht." Aber bei Friedrich ist es doch noch etwas anderes. Indem er sprachlich in die äußerste Unterkühlung geht, hält er dem Brand stand. Der Stadt Pforzheim, lesen wir einmal, kam ein Drittel ihrer Bevölkerung "abhanden".
1944, im Jahr der großen Zäsur für Deutschland, wurde Jörg Friedrich am 17. August geboren.
LORENZ JÄGER
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