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Produktdetails
  • Verlag: Echter
  • Seitenzahl: 382
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 750g
  • ISBN-13: 9783429018870
  • Artikelnr.: 06823466
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.1998

Auch alle Exegese führt nach Rom
Erik Petersons Bonner Vorlesung zum Römerbrief

Sommersemester 1925 an der Universität Bonn. Der evangelische Theologe Erik Peterson liest vierstündig Römerbrief. Der Dozent folgt dem Wortlaut auf den in kleiner altdeutscher Schrift von oben bis unten beschriebenen Blättern seines Manuskripts. Er setzt bei seinen zwölf Höre rinnen und Hörern gute Kenntnisse des Altgriechischen voraus. Unter den Katholiken, die die Hälfte der Hörerschar ausmachen, ist Otto Kuss aus Breslau, der hier sein Freisemester wahrnimmt, unter den Protestanten als Studienanfänger der an diesem Dienstag verstorbene Ernst Käsemann. Beide werden später bekannte Kommentare wiederum zum Römerbrief schreiben und auf diese Vorlesung Bezug nehmen. Fünfundachtzig Jahre zuvor hatte am selben Ort Bruno Bauer Kollegs zum Neuen Testament gehalten, unter seinen Hörern Karl Marx und Friedrich Engels, die zu Römer 8 feststellen sollten, Religion sei "Opium des Volkes". Wiederum in Bonn wirkte in den dreißiger Jahren Karl Barth, der 1919 (und 1922) seinen epochemachenden "Römerbrief" publiziert hatte, und 1972 veröffentlichte der Bonner Neutestamentler Heinrich Schlier seinen vielgelesenen Kommentar. Bonn und der Römerbrief, das ist also offenbar ein Dauerthema. Heinrich Schlier teilte noch eine weitere Besonderheit mit Erik Peterson: Beide wurden in Bonn katholisch, Peterson 1930, Schlier 1953 - Peterson war sein Taufpate dabei. Doch ihre Römerkommentare könnten unterschiedlicher nicht sein.

Irrtum, Dr. Luther!

Nun sind nach mehr als siebzig Jahren Petersons Bonner Vorlesungen der Jahre 1925 und 1927/28 von Barbara Nichtweiß herausgegeben worden. Frau Nichtweiß ist vor allem durch ihre exzellente Arbeit zu Petersons Leben und Werk von 1992 bekannt (F.A.Z. vom 14. April 1993). Sie hat die Manuskripte der Vorlesungen im Peterson-Archiv in Turin gefunden und unter dem Beistand von Ferdinand Hahn ediert. Die Faszination, von der die damaligen Hörer erfaßt waren, kann man dank dieser Edition gut nachvollziehen. Es geht direkt um Theologie, um Paulus und Peterson. Nur auf den Römer-Kommentar des Freundes Barth geht Peterson nicht ein - er fand ihn so unmöglich, daß er ihn nicht bei sich stehen haben wollte, und Barth mußte ihn aus Petersons Wohnung wieder abholen lassen.

Die Sprache ist kräftig und doch differenzierend. Vor allem dank dieser Vorlesungen kann Peterson als großer theologischer Denker gelten. Erfrischend ist die scharfe Polemik gerade im Kontrast zum ermüdenden Gleichmaß üblicher Kommentare. Öfters beginnen Abschnitte mit Feststellungen wie "Es war ein Irrtum Luthers", "Es ist ganz unmöglich, mit Luther zu sagen". Und mit Recht hebt Peterson hervor: "Luthers Problemstellung ist immer vom Beichtstuhl bestimmt. Im Beichtstuhl aber konzentriert sich alles Interesse auf die aktuelle Sünde. Deshalb hat Luther eigentlich auch die protestantische Kirche nur unter diesem Gesichtswinkel gesehen, daß sie auf die private Fragestellung Antwort zu geben hätte, auf das, was dem Einzelnen in der Stunde der Anfechtung hilft. Das aber ist so unpaulinisch wie nur möglich, und zwar darum, weil das eschatologische Zentrum außer acht gelassen ist." Dabei sei die Anfechtung, von der Luther spreche, "heute real nicht mehr im Protestantismus vorhanden, da ja der Protestantismus den Beichtstuhl und die guten Werke abgeschafft hat und sich gar nicht mehr bemüht, einen gnädigen Gott zu finden, weil er von vornherein überzeugt ist, daß Gott ein gnädiger Gott ist".

Scharf setzt sich Peterson auch mit Luthers berühmter Einfügung des "allein" in "allein durch den Glauben" nach Römer 3,28 auseinander. Denn Paulus formuliere hier keine prinzipielle, nur eine polemische Aussage. Luther beseitige so die eigentümlich christliche Spannung zwischen Glauben und Werken. So werde Rechtfertigung zu einer Prinzipienfrage: "Nun wird die Unruhe durch ein Prinzip gebannt und der Mechanismus eines geschlossenen Rechtfertigungsbetriebes in Gang gebracht, der nur ab und zu unterbrochen wird von jenen pietistischen Konvulsionen, die das notwendig Mechanische des Rechtfertigungsvorgangs durch begleitende innere Vorgänge zu beleben versuchen."

Worin besteht die Bedeutung dieser Vorlesungen heute? - Man kann sagen: Der Protestant Peterson hat den katholischsten Römer-Kommentar in deutscher Sprache geschrieben. Die katholischen Exegeten, auch und gerade Kuss und Schlier, waren und sind häufig eher eingeschüchtert durch die Dominanz der angehimmelten reformatorischen Exegese. Gewiß - Peterson vertritt nicht einfach katholische Dogmatik älteren oder gar rahnerischen Stils. Vielleicht darf man so sagen: Auf der Suche nach einem Ankerplatz für seine Theologie bot sich die katholische Kirche am ehesten an. Denn in der evangelischen Theologie seiner Zeit war der aus großbürgerlicher Hamburger Familie stammende Peterson nie heimisch gewesen. Die liberale Exegese fand er langweilig, der dialektischen Theologie konnte er nichts abgewinnen. Dennoch sind Grundideen der Römer-Vorlesung in der Zeit vorhanden, sie wurden aber nirgends so temperamentvoll bedacht wie hier, und die Grundentscheidungen für die spätere Konversion werden hier gut greifbar. War nicht einst die Auslegung des Galater- und des Römerbriefes das Tor zu reformatorischer Dogmatik gewesen? Nein, sagt Peterson, Luther hat geirrt, es ist genau umgekehrt richtig, eine konsequente Paulus-Exegese führt geradewegs nach Rom.

Der evangelischen Theologie seiner Zeit wirft Peterson vor, sie verstehe nichts von Kirche. Das war nicht nur eine aus hanseatischer distanzierter Unberührbarkeit mitgebrachte Sehnsucht, dieser Vorwurf hatte auch seine politischen Seiten. Immer wieder argumentiert Peterson in diesen Vorlesungen staatsrechtlich - ein Widerschein der Freundschaft mit dem Katholiken Carl Schmitt. Sätze wie "es herrscht im Neuen Testament keine Demokratie der Gnade" könnten auch Schmitt erfreut haben. Selbst der Tod ist eine öffentliche Erscheinung, und das Bild vom apokalyptischen Reiter fließt hier Peterson direkt in die Feder. Immer geht es darum, die bloßen Privatphänomene zu bestreiten, und das ist gewiß katholisch. Der Satz von der "Thronbesteigung Jesu Christi" durchzieht die Vorlesungen wie ein Leitmotiv. Daß Paulus davon höchstens in Römer 8,34 spricht, stört Peterson nicht. Es ist ein Motiv der Zeit - just im Jahre 1925 führte Pius XI. das Fest "Christus des Königs" ein. Peterson verknüpft diesen Gedanken mit dem damals allgegenwärtigen Thema des Eschatologischen. Jesus Christus hat ein neues Weltregiment angetreten. Man darf wohl fragen, ob nicht - ähnlich wie in der dialektisch-theologischen Variante des "Eschatologischen" - die Dimension der Geschichte darüber zu kurz kommt. Denn eben nicht die Geschichte, sondern die "Halle des Königs" ist bei Peterson der Raum der Kirche. Direkt steht sie ihrem König gegenüber. Das ist im Sinne der Offenbarung des Johannes und im Sinne orthodoxer und katholischer Liturgie. Der Preis, der dafür zu zahlen ist: Geschichtliches Werden hat nicht viel Raum.

Wir wissen, was Taufe ist

Sehr stark und fast penetrant betont Peterson die Rolle des Tauf-Sakraments. Anregungen in diese Richtung hatten die Göttinger Liberalen um die Jahrhundertwende gegeben. Peterson versteht die Taufe ganz im Sinne des katholischen Sakramentsbegriffs und stark juristisch. Man darf fragen, ob jedenfalls das erstere nicht anachronistisch ist. Peterson verbindet Sakrament und Kirche. Beispielhaft deutlich wird das an Römer 7: "Hier redet kein Ich von seinen Erlebnissen, hier spricht sich ein Wir aus, das Wir derer, die getauft sind, die wissen, was ihnen in der Taufe geschenkt ist. Es ist ein gerade aus dem Objektiven, ein aus der sakramentalen Sphäre stammendes Pathos."

Die besondere Verpackung, in der Ferdinand Hahn, Vertreter dialektischer Theologie, im Vorwort und in begleitenden Publikationen Petersons Vorlesungen anbietet, scheint diskussionsbedürftig. Ist der Gegensatz "ontisches Denken" versus "hebräisches Denken" nicht eher ein Forschungsklischee der sechziger Jahre? Darf man den Gegensatz von Wort und Sakrament wirklich an Peterson herantragen, um ihn als einseitig zu kennzeichnen? Und wenn Hahn erklärt, Peterson hätte heute nicht mehr konvertieren müssen, weil die Evangelischen Sakrament und Kirche jetzt besser verstünden, darf man antworten, daß man sich dafür nur auf wechselnde Minderheiten im Großmarkt kirchlicher Möglichkeiten beziehen könnte. Eine störende Kleinigkeit darf hier vermerkt werden: Die diversen Fehler im Griechischen gehen nicht auf Petersons Konto.

Unter allen Umständen aber gilt: Daß Petersons anregende Vorlesungen jetzt zugänglich sind, verdankt sich einer theologischen "Tat". Wir freuen uns auf die weiteren Bände der Reihe, besonders auf Petersons Vorlesungen zur Offenbarung des Johannes. KLAUS BERGER

Erik Peterson: "Der Brief an die Römer". Ausgewählte Schriften, Band 6. Herausgegeben von Barbara Nichtweiß unter Mitarbeit von Ferdinand Hahn. Echter Verlag, Würzburg 1997. 384 S., geb., 98,- DM.

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