Cécilie ist eine hinreißend unkonventionelle Dame, die in ihrer Bücherhöhle, liebevoll Ali Baba genannt, ihre Tage größtenteils mit dem Schreiben von Artikeln, Reise berichten und Drehbüchern verbringt. Sie ist verheiratet mit Gustave, einem Bankier, der seine Karriere stetig vor antreibt.Als Cécilie die Geliebte ihres Bruders Alexandre zum Bahnhof begleitet, rutscht ihr im Taxi unglücklicherweise ein geheimnisvoller Brief aus der Tasche. Und die Ge schichte nimmt ihren Lauf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2017Wenn nichts mehr hilft, einfach kurz in Ohnmacht fallen
Diese Frau kannte sich aus mit den Schwächen der Männer, und sie machte daraus Unterhaltungsliteratur vom Feinsten: Louise de Vilmorins Roman "Der Brief im Taxi" ist neu zu entdecken.
Wenn überhaupt eine Biographie reichlich Stoff für Liebesromane hergibt, dann zweifelsohne die von Louise de Vilmorin. Mit Antoine de Saint-Exupéry war die dem französischen Adel entstammende Schriftstellerin kurzzeitig verlobt, liiert war sie mit Jean Cocteau und André Malraux. Letzterer soll sie zum eigenen Schreiben animiert haben. Ehen führte Louise de Vilmorin derweil nicht mit Künstlern, sondern zunächst mit einem amerikanischen Immobilienmakler und anschließend, allerdings nur für wenige Monate, mit einem ungarisch-österreichischen Playboy. Diese Frau kannte sich aus mit den Schwächen der vermeintlich großen Männer. Und sie besaß den Witz und die Ironie, um daraus Unterhaltungsliteratur vom Feinsten zu machen. Mit "Der Brief im Taxi", im französischen Original erstmals im Jahr 1958 erschienen, setzt der Dörlemann-Verlag seine kleine, schön aufgemachte Wiederentdeckungsreihe der 1902 geborenen und 1969 gestorbenen Autorin fort, in der zuvor schon "Madame de", "Liebesgeschichte" und "Julietta" erschienen sind.
Die Geschichte von "Der Brief im Taxi", Louise de Vilmorins letztem Roman, ist denkbar einfach und mit allen Zutaten, sowie Zufällen und Unwahrscheinlichkeiten einer veritablen Tür-auf-Tür-zu-Komödie versetzt. Cécilie Dalfort, die Protagonistin, weiß das wohlsituierte Leben an der Seite ihres Gatten Gustave durchaus zu schätzen. Was sie allerdings mit Missfallen zur Kenntnis nimmt, ist dessen Biederkeit. Und schlimmer noch erscheint ihr seine ängstliche Biegsamkeit in beruflichen Angelegenheiten. Immer dort, wo es seiner Karriere förderlich sein könnte, umgarnt Gustave Vorgesetzte oder Geschäftspartner. Während er sich hinter verschlossenen Türen etwa durchaus heftig über Monsieur Doublard-Despaumes auslässt, gibt Gustave sich beim gesellschaftlichen Umgang mit diesem äußerst possierlich.
Eben hierüber mokiert Cécilie sich ausführlich und detailliert in einem Brief an ihren Bruder, einen erfolgreichen Theaterautor, dessen Weg unzählige unglücklich verliebte Frauen pflastern. Der Titel des Romans deutet es bereits an: Cécilie verliert das delikate Schriftstück in einem Taxi. Und während sie, vorerst eher verzagt als wie üblich keck, darauf hofft, dass ein ehrlicher Finder den bereits adressierten Brief an seinen Empfänger leiten wird, weiß der Leser das kompromittierende Papier bereits in der Hand von Paul Landriyeux. Der wiederum frohlockt, nicht aber etwa, weil er Gustave ein Bein stellen könnte, jedenfalls nicht in geschäftlicher Hinsicht. Vielmehr kennt Paul Fotos der mondänen Cécilie aus diversen Illustrierten und möchte diese attraktive Dame kennenlernen. Mit dem Brief als Pfand: ein Leichtes.
Wenn Cécilie geglaubt hat, sie könnte Paul mit Geld abspeisen, hat sie sich also gründlich getäuscht. Der - wenngleich nicht unattraktive - Mann fordert zunächst einmal eine Einladung zum Abendessen am darauffolgenden Freitag. Dass just an diesem Abend nicht nur Gustave, sondern auch die Doublard-Despaumes zum Essen geladen sind, stürzt Cécilie in größte Nöte, uns Lesern dagegen schenkt dies naturgemäß herrliche Verwicklungen, die umso mehr Komik entfalten, je himmelschreiender Cécilies Ausflüchte werden. Der fremde Mann, den Gustave nach dessen erstem Vorsprechen aus dem Haus gehen sah? Ein Arzt natürlich. Warum sie den gerufen habe? Ein Unwohlsein, das wie von Zauberhand noch vor dessen Eintreffen verschwand. Warum nicht der Hausarzt informiert wurde? Warum dieser neue Arzt nun auch noch zum Essen geladen sei? Woher der Blumenstrauß stamme? Auf jede Frage zaubert Cécilie eine Erklärung aus dem Ärmel. Und wenn gar nichts mehr hilft, wirft sie rasch ein Glas um, das sorgt immerhin für kurzfristige Ablenkung. Andernfalls muss es eine Ohnmacht richten.
Und während wir Leser noch darüber kichern, wie begriffsstutzig und treudoof so ein Ehemann sein kann, wird es auf der zweiten Tonspur ernst: Längst ist der Brief, den Paul noch immer nicht zurückgegeben hat, nur noch ein Vorwand für die Treffen zwischen ihm und Cécilie. Nachdem es zum Äußersten gekommen ist, beschließen die beiden in Liebe Entbrannten, gemeinsam in ein neues Leben aufzubrechen. Als Cécilie nun aber Gustave endlich ihre doppelte Schuld - den verleumderischen Brief und den Betrug - gestehen will und mit einem am Boden zerstörten Gatten rechnet, entpuppt sich dessen Gutmütigkeit unvermutet als eine Stärke, der nicht beizukommen ist. Ob unabsichtlich oder gezielt, bleibt offen. Genauso wie, um des Lesevergnügens willen, hier offen bleiben soll, welchen weiteren Verlauf die ins Straucheln geratene Ehe der Dalforts nimmt.
Mit "Der Brief im Taxi" hat Louise de Vilmorin eine hochamüsante, rasante Komödie über die bürgerlichen Spielarten und Konventionen der Liebe geschrieben. Der doppelte Boden besteht darin, dass sie alle erdenklichen Klischees mit feiner Ironie vorführt, während diese Ironie durch den liebevollen Blick, den sie auf all ihre Figuren wirft, wieder gebrochen wird. Und im Grunde ist ohnehin alles ganz einfach. "Herz bedeutet Drama", lautet der erste Satz des Romans. Wer wollte dem widersprechen? Oder war das jetzt Ironie?
WIEBKE POROMBKA
Louise de Vilmorin: "Der Brief im Taxi". Roman.
Aus dem Französischen von Partricia Klobusiczky. Dörlemann Verlag, Zürich 2016. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diese Frau kannte sich aus mit den Schwächen der Männer, und sie machte daraus Unterhaltungsliteratur vom Feinsten: Louise de Vilmorins Roman "Der Brief im Taxi" ist neu zu entdecken.
Wenn überhaupt eine Biographie reichlich Stoff für Liebesromane hergibt, dann zweifelsohne die von Louise de Vilmorin. Mit Antoine de Saint-Exupéry war die dem französischen Adel entstammende Schriftstellerin kurzzeitig verlobt, liiert war sie mit Jean Cocteau und André Malraux. Letzterer soll sie zum eigenen Schreiben animiert haben. Ehen führte Louise de Vilmorin derweil nicht mit Künstlern, sondern zunächst mit einem amerikanischen Immobilienmakler und anschließend, allerdings nur für wenige Monate, mit einem ungarisch-österreichischen Playboy. Diese Frau kannte sich aus mit den Schwächen der vermeintlich großen Männer. Und sie besaß den Witz und die Ironie, um daraus Unterhaltungsliteratur vom Feinsten zu machen. Mit "Der Brief im Taxi", im französischen Original erstmals im Jahr 1958 erschienen, setzt der Dörlemann-Verlag seine kleine, schön aufgemachte Wiederentdeckungsreihe der 1902 geborenen und 1969 gestorbenen Autorin fort, in der zuvor schon "Madame de", "Liebesgeschichte" und "Julietta" erschienen sind.
Die Geschichte von "Der Brief im Taxi", Louise de Vilmorins letztem Roman, ist denkbar einfach und mit allen Zutaten, sowie Zufällen und Unwahrscheinlichkeiten einer veritablen Tür-auf-Tür-zu-Komödie versetzt. Cécilie Dalfort, die Protagonistin, weiß das wohlsituierte Leben an der Seite ihres Gatten Gustave durchaus zu schätzen. Was sie allerdings mit Missfallen zur Kenntnis nimmt, ist dessen Biederkeit. Und schlimmer noch erscheint ihr seine ängstliche Biegsamkeit in beruflichen Angelegenheiten. Immer dort, wo es seiner Karriere förderlich sein könnte, umgarnt Gustave Vorgesetzte oder Geschäftspartner. Während er sich hinter verschlossenen Türen etwa durchaus heftig über Monsieur Doublard-Despaumes auslässt, gibt Gustave sich beim gesellschaftlichen Umgang mit diesem äußerst possierlich.
Eben hierüber mokiert Cécilie sich ausführlich und detailliert in einem Brief an ihren Bruder, einen erfolgreichen Theaterautor, dessen Weg unzählige unglücklich verliebte Frauen pflastern. Der Titel des Romans deutet es bereits an: Cécilie verliert das delikate Schriftstück in einem Taxi. Und während sie, vorerst eher verzagt als wie üblich keck, darauf hofft, dass ein ehrlicher Finder den bereits adressierten Brief an seinen Empfänger leiten wird, weiß der Leser das kompromittierende Papier bereits in der Hand von Paul Landriyeux. Der wiederum frohlockt, nicht aber etwa, weil er Gustave ein Bein stellen könnte, jedenfalls nicht in geschäftlicher Hinsicht. Vielmehr kennt Paul Fotos der mondänen Cécilie aus diversen Illustrierten und möchte diese attraktive Dame kennenlernen. Mit dem Brief als Pfand: ein Leichtes.
Wenn Cécilie geglaubt hat, sie könnte Paul mit Geld abspeisen, hat sie sich also gründlich getäuscht. Der - wenngleich nicht unattraktive - Mann fordert zunächst einmal eine Einladung zum Abendessen am darauffolgenden Freitag. Dass just an diesem Abend nicht nur Gustave, sondern auch die Doublard-Despaumes zum Essen geladen sind, stürzt Cécilie in größte Nöte, uns Lesern dagegen schenkt dies naturgemäß herrliche Verwicklungen, die umso mehr Komik entfalten, je himmelschreiender Cécilies Ausflüchte werden. Der fremde Mann, den Gustave nach dessen erstem Vorsprechen aus dem Haus gehen sah? Ein Arzt natürlich. Warum sie den gerufen habe? Ein Unwohlsein, das wie von Zauberhand noch vor dessen Eintreffen verschwand. Warum nicht der Hausarzt informiert wurde? Warum dieser neue Arzt nun auch noch zum Essen geladen sei? Woher der Blumenstrauß stamme? Auf jede Frage zaubert Cécilie eine Erklärung aus dem Ärmel. Und wenn gar nichts mehr hilft, wirft sie rasch ein Glas um, das sorgt immerhin für kurzfristige Ablenkung. Andernfalls muss es eine Ohnmacht richten.
Und während wir Leser noch darüber kichern, wie begriffsstutzig und treudoof so ein Ehemann sein kann, wird es auf der zweiten Tonspur ernst: Längst ist der Brief, den Paul noch immer nicht zurückgegeben hat, nur noch ein Vorwand für die Treffen zwischen ihm und Cécilie. Nachdem es zum Äußersten gekommen ist, beschließen die beiden in Liebe Entbrannten, gemeinsam in ein neues Leben aufzubrechen. Als Cécilie nun aber Gustave endlich ihre doppelte Schuld - den verleumderischen Brief und den Betrug - gestehen will und mit einem am Boden zerstörten Gatten rechnet, entpuppt sich dessen Gutmütigkeit unvermutet als eine Stärke, der nicht beizukommen ist. Ob unabsichtlich oder gezielt, bleibt offen. Genauso wie, um des Lesevergnügens willen, hier offen bleiben soll, welchen weiteren Verlauf die ins Straucheln geratene Ehe der Dalforts nimmt.
Mit "Der Brief im Taxi" hat Louise de Vilmorin eine hochamüsante, rasante Komödie über die bürgerlichen Spielarten und Konventionen der Liebe geschrieben. Der doppelte Boden besteht darin, dass sie alle erdenklichen Klischees mit feiner Ironie vorführt, während diese Ironie durch den liebevollen Blick, den sie auf all ihre Figuren wirft, wieder gebrochen wird. Und im Grunde ist ohnehin alles ganz einfach. "Herz bedeutet Drama", lautet der erste Satz des Romans. Wer wollte dem widersprechen? Oder war das jetzt Ironie?
WIEBKE POROMBKA
Louise de Vilmorin: "Der Brief im Taxi". Roman.
Aus dem Französischen von Partricia Klobusiczky. Dörlemann Verlag, Zürich 2016. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Mit Der Brief im Taxi hat Louise de Vilmorin eine hochamüsante, rasante Komödie über die bürgerlichen Spielarten und Konventionen der Liebe geschrieben.« Wiebke Porombka / Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Louise de Vilmorins Romane sind herrlich altmodisch und immer auch aktuell. ... Hochwertiges Leinen, Lesebändchen, schönes Vorsatzblatt, ein 'Gedicht'.« Gudrun Winkler / Buchhandlung Winkler
»Und vor allem ist es der Ausgang für ganz wunderbare Reflexionen über die Liebe und diese bürgerliche Fassade, hinter der wir sie gerne verstecken. Sehr witzig, sehr frech und ganz schön übersetzt. Fluffig und schnell von Patricia Klobusiczky.« Wiebke Porombka / SWR
»Mit dem Charme ihrer munteren und zugleich eleganten Sprache, von Patricia Klobusiczky flüssig ins Deutsche übertragen, gelingt Louise de Vilmorin ein unterhaltsamer Diskurs über den Zweifel an einem nur zum Schein aufrechterhaltenen Begriff der Liebe ...« Martin Grzimek / SWR2
»Durch einen Brief, den eine schöne unkonventionelle Dame im Taxi verliert, kommt eine rasante Verwicklungsgeschichte in Gang, in der alle Gewissheiten über den Haufen geworfen werden und Treue und Lebensplanung zur Disposition stehen.« Manuela Reichart / rbb Kultur Radio
»Louise de Vilmorins Romane sind herrlich altmodisch und immer auch aktuell. ... Hochwertiges Leinen, Lesebändchen, schönes Vorsatzblatt, ein 'Gedicht'.« Gudrun Winkler / Buchhandlung Winkler
»Und vor allem ist es der Ausgang für ganz wunderbare Reflexionen über die Liebe und diese bürgerliche Fassade, hinter der wir sie gerne verstecken. Sehr witzig, sehr frech und ganz schön übersetzt. Fluffig und schnell von Patricia Klobusiczky.« Wiebke Porombka / SWR
»Mit dem Charme ihrer munteren und zugleich eleganten Sprache, von Patricia Klobusiczky flüssig ins Deutsche übertragen, gelingt Louise de Vilmorin ein unterhaltsamer Diskurs über den Zweifel an einem nur zum Schein aufrechterhaltenen Begriff der Liebe ...« Martin Grzimek / SWR2
»Durch einen Brief, den eine schöne unkonventionelle Dame im Taxi verliert, kommt eine rasante Verwicklungsgeschichte in Gang, in der alle Gewissheiten über den Haufen geworfen werden und Treue und Lebensplanung zur Disposition stehen.« Manuela Reichart / rbb Kultur Radio