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André Müller und Peter Hacks verband eine lebenslange Freundschaft. Seit den späten fünfziger Jahren führten sie einen nie unterbrochenen Briefwechsel und persönlichen Austausch. Der Schriftsteller, Publizist und Theatermann aus Köln und der 1955 in die DDR übergesiedelte Dramatiker und Essayist geben in den hier versammelten Briefen, nicht selten polemisch, Aufschluss über ihre ästhetische Position, analysieren und bewerten den deutsch-deutschen Literaturbetrieb, die Kulturpolitik der DDR, den Stand der dramatischen Kunst und die Bewusstseinslage in Deutschland vor und nach der…mehr

Produktbeschreibung
André Müller und Peter Hacks verband eine lebenslange Freundschaft. Seit den späten fünfziger Jahren führten sie einen nie unterbrochenen Briefwechsel und persönlichen Austausch. Der Schriftsteller, Publizist und Theatermann aus Köln und der 1955 in die DDR übergesiedelte Dramatiker und Essayist geben in den hier versammelten Briefen, nicht selten polemisch, Aufschluss über ihre ästhetische Position, analysieren und bewerten den deutsch-deutschen Literaturbetrieb, die Kulturpolitik der DDR, den Stand der dramatischen Kunst und die Bewusstseinslage in Deutschland vor und nach der Wiedervereinigung. Die Briefe gehören zu den bedeutendsten Zeugnissen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und markieren zugleich, auf welchem Niveau marxistische Kunst- und Gesellschaftsdiskussion stattfinden kann. Die Herausgeber edieren die Korrespondenz mit umfangreichem Kommentar sowie Registern.
Autorenporträt
André Müller sen. (1925¿2021), Theaterkritiker, Shakespeare-Spezialist und Autor, trat mit Stücken, Erzählungen, Satiren, Romanen, Kinderbüchern hervor. Lehrte an der Otto Falckenberg Schule Dramaturgie. Peter Hacks (1928¿2003), Dramatiker, Lyriker, Essayist und Kinderbuchautor. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter ist der Nationalpreis der DDR, der Heinrich-Mann-Preis und der deutsche Jugendliteraturpreis. Kai Köhler, geboren 1964, ist Literaturwissenschaftler und Publizist. Bis 2012 lehrte er an der Hankuk University of Foreign Studies, Seoul. Veröffentlichungen zur Literaturgeschichte (vor allem zur Literatur in der DDR), zu Musik und zum Film. Zahlreiche Publikation zu Peter Hacks. Seit 2016 gibt er das Hacks Jahrbuch heraus. Johannes Oehme, geboren 1984, studiert Geschichte und Philosophie in Berlin. Mitarbeit an verschiedenen Editionen zu Peter Hacks und Zeitgeschichte. 2017 gab er den Band »Hans Heinz Holz: Die Sinnlichkeit der Vernunft« heraus, 2020 die Sammlung »ENGELS to go«. Heinz Hamm, geboren 1944, ist Germanist. Er lehrte in Halle, Paris, Warschau und Jena. 2000 bis 2010 war er Mitarbeiter der Mommsen Foundation for the Advancement of Goethe Research. 2013 erschien »Der falsche Zeuge. Irrwege der Goethe-Forschung«, 2018 gab er unter dem Titel »Marxistische Hinsichten« die politischen Schriften von Peter Hacks heraus.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensent Marko Martin nennt den von Heinz Hamm und Kai Köhler herausgegebenen Briefwechsel zwischen dem Autor Peter Hacks und dem Publizisten Andre Müller aus der Zeit von 1957 bis 2003 ein Dokument der Niedertracht. Wer das lesen soll, ist Martin nicht ganz klar. Sahra Wagenknecht vielleicht? Oder Fans, die etwas über deren Karriereanfänge erfahren wollen? Allerdings ergehen sich Hacks und Müller nur in Altherrenmanier über die junge Wagenknecht, warnt er. Und auch sonst kann laut Martin der Band nicht beglücken, derart destruktiv und ressentimentgeladen erscheinen ihm der antikapitalistische Drall, die Russland-Faszination und die DDR-Apologetik der beiden Herren.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2023

Der Sozialismus baut gern Katapulte

Von Shakespeare bis China: Der weltweise Briefwechsel zwischen dem Dichter Peter Hacks und seinem Freund André Müller.

Von Dietmar Dath

Von Dietmar Dath

Dieses Buch hat einen sozialpsychiatrischen Wert. Bevor man nämlich komplett verrückt wird im Strom donnernder Belanglosigkeiten, der täglich aus den Schleusen netzbasierter Nachrichtenproduktion auf die Straße stürzt, kann man sich mit dem Band ein paar Stunden lang zurückziehen und zwei Menschen erleben, die wissen, wovon sie schreiben, wenn sie einander Briefe über Shakespeare, Staatskunst, Verslehre, linke Kritik an linker Schwärmerei, Goethe und Geschichte aufsetzen. Der Briefwechsel zwischen André Müller senior und Peter Hacks umfasst Weltschicksalsjahre: Er beginnt 1975 mit einem Brief Müllers an Hacks und endet 2003, im Todesjahr des Letzteren.

Peter Hacks war ein aus der BRD in die DDR emigrierter Bühnendichter, Essayist und Erzähler, der mit dem Welterfolg "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" (1976) eines der wenigen bedeutenden Monodramen deutscher Sprache verfasste (besser als Goethes eigene "Proserpina" und die einschlägigen Witze von Thomas Bernhard sogar). Flankiert von plausiblen Erläuterungen der Unmöglichkeit und Unnötigkeit von Gegenwartsdramen, mit denen Hacks sich klar positionierte, schrieb er dann einige Stücke für die Ewigkeit, in denen sich Gegenwartsdramen nicht nur über die DDR versteckten, und setzte sich in hohem Alter an eine umfassende Neufundierung und geschichtsbewusste Aufarbeitung des wissenschaftlichen Sozialismus unter dem bescheidenen Titel "Marxistische Hinsichten". Das blieb unvollendet.

Auch der BRD-Bürger André Müller senior (eigentlich: Willi Fetz) war kein Faulpelz. Seine Shakespearestudien verbinden politisch-historischen Sachverstand mit tätigem Respekt vor Kunstwerten, seine antilinksromantische Satire "Am Rubikon" (1987) bleibt geeignet, einen ganzen grünen Parteitag auszuräuchern, und sein ungewöhnlicher Zeitroman "Anne Willing - Die Wende vor der Wende" (2007) erzählt die Vorgeschichte des Zusammenbruchs der DDR anders, als die gesamte übrige deutsche Publizistik sie erzählt. Beide Briefpartner waren Kommunisten, beide haben schöne Kinderbücher geschrieben, beide mochten Schlamperei und Dummheit nicht. Sie teilten also eben genug, um einander verständlich zu sein.

Ein solches Duo kann über alles diskutieren, selbst über ferne Länder oder das Weltall - Müller an Hacks 1964: "Die Chinesen haben eine Rakete zum Mond geschickt. Sie ging 144 000 km daneben. Eine Konferenz der besten Wissenschaftler untersucht die Gründe und gibt bekannt: Wären 351 Millionen Chinesen eine Minute früher auf die Wippe gesprungen, hätte die Rakete ihr Ziel erreicht." Nicht alles Große, das auf der Welt geschieht, ist aber wirklich so groß, wie es aussieht - Hacks an Müller 1991: "Die Gesundheitsrevolution ist eine Scheinrevolution von der Art der Orthographierevolution. Seltsamerweise sind diese Scheinrevolutionen immer besonders terroristisch." Man kann von so weisen Einschätzungen her leicht auch Dinge begreifen, die den Korrespondenten nicht bekannt waren, mit dem eben ausgedrückten Gedanken zum Beispiel die "digitale Transformation".

Wenig hatten die Briefpartner am Hut mit dem, was das Wort "links" in der BRD seit etwa 1967 meist bedeutet. Müller etwa urteilte über die damals aufgekommene Protestbewegung in einem dem Briefwechsel lose angeschlossenen Zusammenhang, sie sei der "kleinbürgerlichste, lächerlichste" Revolutionsversuch, von dem er je erfahren habe, aber zugleich die prägende Erfahrung der seinerzeit mit Wirkung auf alle weiteren Generationen in der Bundesrepublik tätigen "Lektoren, Dramaturgen, Fernsehredakteure, Universitätslehrer, Filmemacher und Textverfasser". Wenn Sie weder von Hacks noch von Müller je gehört oder gelesen haben, mag dies damit zu tun haben.

Während "die Achtundsechziger" nicht selten in der Kulturwelt unterkamen, sah und sieht es für Parteigängerinnen und Unterstützer der politischen Sache, zu der Hacks und Müller hielten, nicht erst seit 1989 übel aus. Schnurrige Betrachtungen dieses Sachverhalts liest man nicht nur im vorliegenden Briefband, sondern schon in Müllers Großprotokoll "Gespräche mit Hacks 1963 bis 2003", erschienen 2008 im selben Verlag wie jetzt die Briefe.

Verzagt sind die Freunde am Schicksal ihrer Überzeugung nicht - Müller 1991 an Hacks: "Der Weltgeist hat in Wirklichkeit zu einer Radikalkur angesetzt; alle kommunistischen Kräfte werden auf die Kräfte zurückgeschnitten, die den Kapitalismus wirklich beseitigen wollen", womit sie sich aber vielleicht beeilen müssen, denn drei Jahre später weiß Müller auch: "Der Kapitalismus hat in der Krise seine Profite verzehnfacht - weil sie Leute rauswarfen, vergnügt folgere ich, was daraus folgt." Mehr gibt das im Grunde geistarme Thema nicht her; deshalb befasst sich ein Großteil des Briefwechsels denn auch mit Interessanterem, vor allem Shakespeare.

Der Band ist nicht nur dick, weil es dazu viel zu sagen gibt. Es liegt außerdem daran, dass die Zeitbezüge der Korrespondenz im Anmerkungsteil durch die Herausgeber Heinz Hamm und Kai Köhler vorbildlich aufgeklärt sind, wo immer das möglich war - neunhundert Seiten Briefe, dreihundert mit Anmerkungen, zwei Lesebändchen für das Parallelstudium. Wenig bleibt verhüllt, nur wer jener Autor war, der unter dem Namen Malte N. Castillo schrieb, können die Editoren nicht sagen; ich wette einen seltenen Goetheband darauf, dass Matthias Altenburg dahintersteckt.

Die Erläuterungen wälzen sich nicht im Privaten. Das ist vernünftig, denn selbst die mächtigsten, lebensverändernden Erfahrungen der Briefpartner, fast immer solche mit Kunst, sind für die Korrespondenten alles andere als privat. Sie wollen gelesen werden, wie Müller seinen Shakespeare las: vor dem Hintergrund eines elaborierten Begriffs von Geschichte und Kulturgeschichte.

Hierher gehört die faszinierende postrevolutionäre Klassentheorie von Hacks, der wusste, dass Marx zur Klassenfrage wenig Systematisches hinterlassen hat. Bei Hacks, in Briefen nicht nur an Müller sondern etwa auch an Kurt Gossweiler, werden Großphänomene wie Absolutismus und Sozialismus anspruchsvoll klassenanalytisch zergliedert; dies wäre wohl ein Hauptargumentationsstrang in "Marxistische Hinsichten" geworden, wovon eine Nachlassauswahl seit 2018 als Buch vorliegt.

Was also Bürger und Adel um Shakespeare für Klassen waren, finden Hacks und Müller bei ihm auch an Stellen, an denen Traditionslektüre nur emotionale Stürme und Erschütterungen sieht. Die reimen sich eben, wie in Müllers Roman "Anne Willing", dessen Entstehung Hacks hilfreich begleitete: Die Erzählung einer Liebesenttäuschung kann die richtige Form dafür sein, ästhetisch mit politischen Enttäuschungen der erzählten Epoche zurechtzukommen.

Denn große Literatur kriegt ihre Gegenstände, auch die bedeutendsten und allgemeinsten, oft als Herzensangelegenheiten gültig zu fassen. Dass das so ist, will aber nicht nur gefühlt sein, sondern auch begriffen und erklärt, weil es ja in den Künsten schließlich auch mit Verstand gemacht ist. Lebhafter, als dieses Rätsel die beiden leidenschaftlichen Verstandesmenschen Hacks und Müller nicht bloß in ihren Briefen durchdrungen haben, lässt es sich kaum denken, sagen oder schreiben.

Peter Hacks, André Müller senior: "Briefwechsel 1957-2003".

Hrsg. von Kai Köhler, Johannes Oehme und Heinz Hamm. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2023. 1120 S., geb., 58,- Euro.

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