30 Jahre alt, ohne Resonanz auf seine bis dahin veröffentlichten drei Gedichtbände, vom eigenen überragenden schriftstellerischen Können allerdings überzeugt, schreibt Thomas Bernhard im Oktober 1961 an Siegfried Unseld: "Vor ein paar Tagen habe ich an Ihren Verlag ein Prosamanuskript geschickt. Ich kenne Sie nicht, nur ein paar Leute, die Sie kennen. Aber ich gehe den Alleingang." Obwohl der Suhrkamp Verlag das Manuskript ablehnte, gingen der Alleingänger und der Verleger seit dem Erscheinen von Bernhards erstem Roman "Frost" 1963 gemeinsam den Weg, der den Autor in die Weltliteratur führte.In den etwa 500 Briefen zwischen beiden entwickelt sich ein einzigartiges Zwei-Personen-Schauspiel: Mal ist es eine Tragödie, wenn etwa Bernhard die aus seinen Werken bekannten Schimpftiraden auf den Verleger losläßt, der seinerseits auf die Überzeugungskraft des Arguments setzt. Dann gibt Bernhard ein Kammerspiel mit Unseld als Held - 1973 schreibt er ihm: "mit grösster Aufmerksamkeit, mit allen Möglichkeiten, gehe ich gern mit Ihnen." 1984 agieren beide, bei der Beschlagnahme von "Holzfällen", als Kämpfer für die Literatur in einem von Dritten inszenierten Schurkenstück. Es dominiert das Beziehungsdrama: Der Autor stellt die für sein Werk und seine Person unabdingbaren Forderungen. Der Verleger seinerseits weiß, daß gerade bei Bernhard rücksichtslose Selbstbezogenheit notwendige Voraussetzung der Produktivität ist. Solch einen dramatischen Briefwechsel zwischen Autor und Verleger, in dem bei jeder Zeile alles auf dem Spiel steht, kennt das Publikum bislang nicht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2010Einfach kompliziert
Erpressung, als schöne Kunst betrachtet: Der Briefwechsel von Thomas Bernhard und Siegfried Unseld zeigt den Schriftsteller und seinen Verleger in nie endendem Streit einträchtig vereint.
Von Hubert Spiegel
Zwei Dinge lassen sich aus diesem Briefwechsel lernen: wie schwierig ein schwieriger Schriftsteller und wie genial ein genialer Verleger sein können. Gegenseitig spornen sie sich zu Höchstleistungen an, in einer permanenten, sich über Jahrzehnte erstreckenden Auseinandersetzung, die ganz von der Lebens- und Arbeitsmethode des Schriftstellers geprägt ist. Jede Entscheidung, jeder noch so kleine Schritt wird als Gegenbewegung, als Reaktion, ja mehr noch: als ein Akt des Widerstands definiert und auf diese Weise erst möglich. So, im unablässigen Gegeneinander untergehakt, schreiten Thomas Bernhard und Siegfried Unseld gemeinsam voran, in nimmer endendem Streit einträchtig vereint.
Fast nie geht es um künstlerische oder genuin literarische Fragen, fast immer geht es um Geld. Aber schon bei einer der ersten Gelegenheiten, im Dezember 1965, gibt Bernhard seinem Verleger zu verstehen, dass es zwischen ihnen immer auch um anderes gehen würde: "Die Zeit, da ich Sie mit finanziellen Kopfsprüngen nicht mehr belästigen werde, ist mit großer Sicherheit bald gekommen, dann entbehrt unser beider Verhältnis vielleicht gar die so wunderbare Spannung, die mir, ich erstaune darüber nicht, so recht ist."
Die Hoffnung, die Bernhard hier weckte, hat sich natürlich nie erfüllt - auf die "wunderbare Spannung" zwischen ihm und Unseld konnte und wollte der Schriftsteller nicht verzichten. Er hat diese Spannung seinem Verleger zugemutet und abverlangt, oft über das Maß des Erträglichen und ein-, zweimal sogar über das Maß des Menschenmöglichen hinaus. Ausgerechnet von Siegfried Unseld, diesem temperamentvollen, ungeduldigen Tat- und Machtmenschen lässt sich in diesen Briefen lernen, was Geduld heißt, was Nachsicht, Verständnis und Großzügigkeit.
Nicht zu vergessen: Raffinement und Gerissenheit, Taktik, Schläue und Geschäftssinn. Völlig unbeirrbar tut Unseld alles, was in seiner Macht steht, um zum Vorteil seines Verlages zu wirken. Und wenn er zu diesem Zweck seinem Autor einen Wunsch abschlagen oder auf einer Forderung ihm gegenüber bestehen muss, dann tut er dies in dem Bewusstsein, dass der Verlag im geistigen Sinn nichts anderes ist und sein kann als die Summe seiner Autoren. Was dieser Verlag auf materieller Ebene ist und braucht, der Apparat, die Mitarbeiter, Verwaltung, Verträge, Arbeitsabläufe, all das wird von Bernhard zutiefst verachtet, von Unseld aber geradezu geliebt: als vertrautes, zuverlässiges Mittel zu einem höheren Zweck. Unselds Demut gegenüber seinen Autoren war groß, hier jedoch gelangte sie an ihre Grenzen. Mitunter hat es den Anschein, als habe der Verleger die Attacken gegen seine Person weitaus leichter verschmerzen können als die Herabsetzung seines Verlags.
Immer wieder beklagt sich Bernhard über die schlechte Behandlung, die ihm der Suhrkamp Verlag zumute. Da ergeht es dem Haus und seinem Verleger kaum besser als dem Rest der Welt. Zeitungen, Rundfunkanstalten, der Literaturbetrieb, das Theater: Überall sieht Bernhard den Stumpfsinn am Werk, herrschten Bösartigkeit, Infamie und Inkompetenz. Dass von seinem Roman "Verstörung" innerhalb von drei Jahren nur 1800 Exemplare verkauft wurden, kreidet er allein dem Verlag an: "Denn selbst wenn ich ganz alleine mit meinem Rucksack durchs Land ginge, verkaufte ich in vier Wochen sicher mehr." Unseld kontert mit den Verkaufszahlen von Beckett, dessen "Malone" sich innerhalb eines ganzen Jahrzehnts gerade einmal 1632 Mal verkauft habe. Und dann, als sei der Beckett-Vergleich nicht schmeichelhaft genug, legt er noch einmal kräftig nach: "Denken Sie doch an einen Fall, mit dem Sie sich wirklich vergleichen dürfen, an Kafka. Von ihm sind von einem Buch im ersten Jahr des Erscheinens nie mehr als 300 Exemplare verkauft worden".
So wirkungsvoll Sätze wie diese gewesen sein dürften, so zeigt dieser Brief vom 15. Juli 1968 doch auch, dass der Verleger seinen Autor damals noch nicht richtig einzuschätzen wusste. Denn nun, da er Bernhard beschwichtigt glaubt, stellt Unseld seinerseits Forderungen. Nicht nur verlangt er Geduld von dem Ungeduldigen, sondern er schreibt: "Wir müssen uns nach den Realitäten richten." Wohl keinen anderen Satz hätte Bernhard mit größerem Ingrimm zurückgewiesen als diesen.
Aber er tut es im Stillen, und so wird es noch eine Weile dauern, bis Unseld begreift, welchem Muster diesem Autor folgt: "In die Poesie gehört die Ökonomie, in die Phantasie die Realität, in das Schöne das Grausame, Hässliche, Fürchterliche hineingemischt", so hatte Bernhard im bereits zitierten Brief vom 14. Dezember 1965 geschrieben. Erst zehn Jahre später wird Unseld ganz erfasst haben, dass dieser Autor in seinem Geschäftsgebaren denselben Gesetzen folgt wie in seiner Literatur, also in seinem Leben: "Es ist ja immer dasselbe: Er ist rücksichtslos, erpresserisch und erhebt das auch zu seiner künstlerischen Ideologie. Und dies wird jedes Mal schlimmer werden." Unseld notiert diese für ihn bittere Erkenntnis am 1. März 1975 nach einem Treffen am Frankfurter Flughafen. Bernhard war auf dem Weg nach Lissabon, musste in Frankfurt umsteigen und hatte seinen Verleger geradezu einbestellt: an einem Samstagmorgen, um 8.05 Uhr in der Frühe.
Mehr als fünfhundert Briefe, Postkarten und Telegramme haben die Herausgeber dieses außerordentlichen Bandes zusammengestellt, kommentiert und ergänzt um Unselds Aufzeichnungen, den "Reiseberichten", in denen der Verleger den Verlauf seiner Gespräche, geschmiedete Pläne und getroffene Vereinbarungen festhielt und sich gelegentlich auch persönliche Kommentare gestattete. Auch diese Notizen wurden ebenso wie die Briefe selbst in dem Bewusstsein geschrieben, dass Dritte sie lesen würden: Die Reiseberichte dienten der Information von Verlagsmitarbeitern und waren zugleich Material einer "von ihm selbst zu verfassenden Verlags- und Verlegergeschichte", wie es im Nachwort heißt. Für das Verständnis der Korrespondenz sind sie unentbehrlich, was sich nicht von allen der zahllosen Fussnoten sagen lässt. Aber auch, wenn die Anmerkungen den Lesefluss oft empfindlich stören und manche Detailinformation überflüsssig ist, kann man den Herausgebern die Bewunderung nicht versagen: Raimund Fellinger, langjähriger Wegbegleiter Unselds im Verlag, seine Lektorenkollegin Julia Ketterer sowie Martin Huber als Leiter des Thomas-Bernhard-Archivs in Gmunden haben einen dramatischen, monumentalen, berührenden und in vielfacher Hinsicht ungeheuer aufschlussreichen Briefwechsel mustergültig ediert. Er ist Teil des Bernhardschen Werks und führt zugleich Werk, Wesen und Arbeitsweise Siegfried Unselds auf eindrucksvolle Weise vor Augen.
Wann immer es Ärger gibt, ob nun der Österreichische Staatspreis oder der Büchnerpreis, der Salzburger Skandal bei der Uraufführung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" oder die Auseinandersetzungen um "Holzfällen" und "Heldenplatz" den Anlass geben, stets ist der Verleger an der Seite seines Autors, als loyaler Berater und Vermittler. Wann immer die Geldstreitigkeiten ausweglos zu werden drohen, wird ein Treffen arrangiert. Dass Unseld auf den Reisen nach Ohlsdorf, Salzburg oder Wien zuweilen unterwegs in München haltmacht, um Wolfgang Koeppen oder Ilse Aichinger zu treffen, muss er dem eifersüchtigen Bernhard verschweigen. Nach den Begegnungen, nach Wein und langen Spaziergängen, folgen brieflich gegenseitige Sympathie- und Freundschaftsbekundungen, aufrichtig, aber von begrenzter Dauer. Der nächste Krach lässt nie lange auf sich warten.
Nichts in all diesen Jahren hat Unseld so tief verletzt wie das üble Spiel, das Bernhard um seine biographischen Schriften inszenierte, die er Suhrkamp versprach, aber Band für Band im Residenz Verlag erscheinen ließ. Am 24. November 1988 schickt Unseld, der sich und den Verlag zutiefst "desavouiert" sieht, ein letztes Telegramm: "ich kann nicht mehr". Am folgenden Tag schlägt Bernhard gnadenlos zurück: "Wenn Sie, wie Ihr Telegramm lautet, ,nicht mehr können', dann streichen Sie mich aus Ihrem Verlag und aus Ihrem Gedächtnis. Ich war sicher einer der unkompliziertesten Autoren, die sie jemals gehabt haben." Einen Monat später kommt es bei einem letzten Treffen zur Versöhnung. Vierzehn Tage darauf, am 12. Februar 1989, stirbt Thomas Bernhard. Die Beisetzung erfolgt gemäß seinen Anweisungen: "Ich gehe, wie ich gekommen bin, unbemerkt." Auch Siegfried Unseld, so hatte es Bernhard verfügt, wird erst eine Woche später benachrichtigt.
Thomas Bernhard, Siegfried Unseld: "Der Briefwechsel". Herausgegeben von Raimund Fellinger, Martin Huber und Julia Ketterer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2009. 869 S., geb., Abb., 39,80 [Euro].
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Erpressung, als schöne Kunst betrachtet: Der Briefwechsel von Thomas Bernhard und Siegfried Unseld zeigt den Schriftsteller und seinen Verleger in nie endendem Streit einträchtig vereint.
Von Hubert Spiegel
Zwei Dinge lassen sich aus diesem Briefwechsel lernen: wie schwierig ein schwieriger Schriftsteller und wie genial ein genialer Verleger sein können. Gegenseitig spornen sie sich zu Höchstleistungen an, in einer permanenten, sich über Jahrzehnte erstreckenden Auseinandersetzung, die ganz von der Lebens- und Arbeitsmethode des Schriftstellers geprägt ist. Jede Entscheidung, jeder noch so kleine Schritt wird als Gegenbewegung, als Reaktion, ja mehr noch: als ein Akt des Widerstands definiert und auf diese Weise erst möglich. So, im unablässigen Gegeneinander untergehakt, schreiten Thomas Bernhard und Siegfried Unseld gemeinsam voran, in nimmer endendem Streit einträchtig vereint.
Fast nie geht es um künstlerische oder genuin literarische Fragen, fast immer geht es um Geld. Aber schon bei einer der ersten Gelegenheiten, im Dezember 1965, gibt Bernhard seinem Verleger zu verstehen, dass es zwischen ihnen immer auch um anderes gehen würde: "Die Zeit, da ich Sie mit finanziellen Kopfsprüngen nicht mehr belästigen werde, ist mit großer Sicherheit bald gekommen, dann entbehrt unser beider Verhältnis vielleicht gar die so wunderbare Spannung, die mir, ich erstaune darüber nicht, so recht ist."
Die Hoffnung, die Bernhard hier weckte, hat sich natürlich nie erfüllt - auf die "wunderbare Spannung" zwischen ihm und Unseld konnte und wollte der Schriftsteller nicht verzichten. Er hat diese Spannung seinem Verleger zugemutet und abverlangt, oft über das Maß des Erträglichen und ein-, zweimal sogar über das Maß des Menschenmöglichen hinaus. Ausgerechnet von Siegfried Unseld, diesem temperamentvollen, ungeduldigen Tat- und Machtmenschen lässt sich in diesen Briefen lernen, was Geduld heißt, was Nachsicht, Verständnis und Großzügigkeit.
Nicht zu vergessen: Raffinement und Gerissenheit, Taktik, Schläue und Geschäftssinn. Völlig unbeirrbar tut Unseld alles, was in seiner Macht steht, um zum Vorteil seines Verlages zu wirken. Und wenn er zu diesem Zweck seinem Autor einen Wunsch abschlagen oder auf einer Forderung ihm gegenüber bestehen muss, dann tut er dies in dem Bewusstsein, dass der Verlag im geistigen Sinn nichts anderes ist und sein kann als die Summe seiner Autoren. Was dieser Verlag auf materieller Ebene ist und braucht, der Apparat, die Mitarbeiter, Verwaltung, Verträge, Arbeitsabläufe, all das wird von Bernhard zutiefst verachtet, von Unseld aber geradezu geliebt: als vertrautes, zuverlässiges Mittel zu einem höheren Zweck. Unselds Demut gegenüber seinen Autoren war groß, hier jedoch gelangte sie an ihre Grenzen. Mitunter hat es den Anschein, als habe der Verleger die Attacken gegen seine Person weitaus leichter verschmerzen können als die Herabsetzung seines Verlags.
Immer wieder beklagt sich Bernhard über die schlechte Behandlung, die ihm der Suhrkamp Verlag zumute. Da ergeht es dem Haus und seinem Verleger kaum besser als dem Rest der Welt. Zeitungen, Rundfunkanstalten, der Literaturbetrieb, das Theater: Überall sieht Bernhard den Stumpfsinn am Werk, herrschten Bösartigkeit, Infamie und Inkompetenz. Dass von seinem Roman "Verstörung" innerhalb von drei Jahren nur 1800 Exemplare verkauft wurden, kreidet er allein dem Verlag an: "Denn selbst wenn ich ganz alleine mit meinem Rucksack durchs Land ginge, verkaufte ich in vier Wochen sicher mehr." Unseld kontert mit den Verkaufszahlen von Beckett, dessen "Malone" sich innerhalb eines ganzen Jahrzehnts gerade einmal 1632 Mal verkauft habe. Und dann, als sei der Beckett-Vergleich nicht schmeichelhaft genug, legt er noch einmal kräftig nach: "Denken Sie doch an einen Fall, mit dem Sie sich wirklich vergleichen dürfen, an Kafka. Von ihm sind von einem Buch im ersten Jahr des Erscheinens nie mehr als 300 Exemplare verkauft worden".
So wirkungsvoll Sätze wie diese gewesen sein dürften, so zeigt dieser Brief vom 15. Juli 1968 doch auch, dass der Verleger seinen Autor damals noch nicht richtig einzuschätzen wusste. Denn nun, da er Bernhard beschwichtigt glaubt, stellt Unseld seinerseits Forderungen. Nicht nur verlangt er Geduld von dem Ungeduldigen, sondern er schreibt: "Wir müssen uns nach den Realitäten richten." Wohl keinen anderen Satz hätte Bernhard mit größerem Ingrimm zurückgewiesen als diesen.
Aber er tut es im Stillen, und so wird es noch eine Weile dauern, bis Unseld begreift, welchem Muster diesem Autor folgt: "In die Poesie gehört die Ökonomie, in die Phantasie die Realität, in das Schöne das Grausame, Hässliche, Fürchterliche hineingemischt", so hatte Bernhard im bereits zitierten Brief vom 14. Dezember 1965 geschrieben. Erst zehn Jahre später wird Unseld ganz erfasst haben, dass dieser Autor in seinem Geschäftsgebaren denselben Gesetzen folgt wie in seiner Literatur, also in seinem Leben: "Es ist ja immer dasselbe: Er ist rücksichtslos, erpresserisch und erhebt das auch zu seiner künstlerischen Ideologie. Und dies wird jedes Mal schlimmer werden." Unseld notiert diese für ihn bittere Erkenntnis am 1. März 1975 nach einem Treffen am Frankfurter Flughafen. Bernhard war auf dem Weg nach Lissabon, musste in Frankfurt umsteigen und hatte seinen Verleger geradezu einbestellt: an einem Samstagmorgen, um 8.05 Uhr in der Frühe.
Mehr als fünfhundert Briefe, Postkarten und Telegramme haben die Herausgeber dieses außerordentlichen Bandes zusammengestellt, kommentiert und ergänzt um Unselds Aufzeichnungen, den "Reiseberichten", in denen der Verleger den Verlauf seiner Gespräche, geschmiedete Pläne und getroffene Vereinbarungen festhielt und sich gelegentlich auch persönliche Kommentare gestattete. Auch diese Notizen wurden ebenso wie die Briefe selbst in dem Bewusstsein geschrieben, dass Dritte sie lesen würden: Die Reiseberichte dienten der Information von Verlagsmitarbeitern und waren zugleich Material einer "von ihm selbst zu verfassenden Verlags- und Verlegergeschichte", wie es im Nachwort heißt. Für das Verständnis der Korrespondenz sind sie unentbehrlich, was sich nicht von allen der zahllosen Fussnoten sagen lässt. Aber auch, wenn die Anmerkungen den Lesefluss oft empfindlich stören und manche Detailinformation überflüsssig ist, kann man den Herausgebern die Bewunderung nicht versagen: Raimund Fellinger, langjähriger Wegbegleiter Unselds im Verlag, seine Lektorenkollegin Julia Ketterer sowie Martin Huber als Leiter des Thomas-Bernhard-Archivs in Gmunden haben einen dramatischen, monumentalen, berührenden und in vielfacher Hinsicht ungeheuer aufschlussreichen Briefwechsel mustergültig ediert. Er ist Teil des Bernhardschen Werks und führt zugleich Werk, Wesen und Arbeitsweise Siegfried Unselds auf eindrucksvolle Weise vor Augen.
Wann immer es Ärger gibt, ob nun der Österreichische Staatspreis oder der Büchnerpreis, der Salzburger Skandal bei der Uraufführung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" oder die Auseinandersetzungen um "Holzfällen" und "Heldenplatz" den Anlass geben, stets ist der Verleger an der Seite seines Autors, als loyaler Berater und Vermittler. Wann immer die Geldstreitigkeiten ausweglos zu werden drohen, wird ein Treffen arrangiert. Dass Unseld auf den Reisen nach Ohlsdorf, Salzburg oder Wien zuweilen unterwegs in München haltmacht, um Wolfgang Koeppen oder Ilse Aichinger zu treffen, muss er dem eifersüchtigen Bernhard verschweigen. Nach den Begegnungen, nach Wein und langen Spaziergängen, folgen brieflich gegenseitige Sympathie- und Freundschaftsbekundungen, aufrichtig, aber von begrenzter Dauer. Der nächste Krach lässt nie lange auf sich warten.
Nichts in all diesen Jahren hat Unseld so tief verletzt wie das üble Spiel, das Bernhard um seine biographischen Schriften inszenierte, die er Suhrkamp versprach, aber Band für Band im Residenz Verlag erscheinen ließ. Am 24. November 1988 schickt Unseld, der sich und den Verlag zutiefst "desavouiert" sieht, ein letztes Telegramm: "ich kann nicht mehr". Am folgenden Tag schlägt Bernhard gnadenlos zurück: "Wenn Sie, wie Ihr Telegramm lautet, ,nicht mehr können', dann streichen Sie mich aus Ihrem Verlag und aus Ihrem Gedächtnis. Ich war sicher einer der unkompliziertesten Autoren, die sie jemals gehabt haben." Einen Monat später kommt es bei einem letzten Treffen zur Versöhnung. Vierzehn Tage darauf, am 12. Februar 1989, stirbt Thomas Bernhard. Die Beisetzung erfolgt gemäß seinen Anweisungen: "Ich gehe, wie ich gekommen bin, unbemerkt." Auch Siegfried Unseld, so hatte es Bernhard verfügt, wird erst eine Woche später benachrichtigt.
Thomas Bernhard, Siegfried Unseld: "Der Briefwechsel". Herausgegeben von Raimund Fellinger, Martin Huber und Julia Ketterer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2009. 869 S., geb., Abb., 39,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ergriffen, bewegt und begeistert annonciert Martin Lüdke den Briefwechsel zwischen Thomas Bernhard und Siegfried Unseld. Feierlich und offenbar mit einem Seitenhieb gegen die Alpenländler proklamiert er, dass dieses "Monument der deutschen Kulturgeschichte" noch stehen wird, wenn sich die österreichischen Gletscher längst in der Nordsee aufgelöst haben. Was ein "menschliches Desaster" war, ist hierin für Lüdke zu einem literaturgeschichtlichen Glücksfall geworden. Die Korrespondenz ist für ihn Drama, Tragödie und Psycho-Duell in einem, wobei Bernhard die Rolle der "armen Sau" übernimmt, "die sich immer wieder wie ein Schwein verhält". Ständig piesackt er seinen Verleger, will einen Vorschuss und mehr Geld, was er auch bekommt. Im Gegenzug hält er sich nicht an Verabredungen und bricht Versprechen. An der Grenze der Selbstverleugnung sieht Lüdke den ansonsten nicht eben bescheidenen Unseld agieren, ächzend unter dem erpresserischen und rücksichtslosen Verhalten Bernhards.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Lange haben wir auf dieses Buch warten müssen. Das Warten hat sich gelohnt. In hundert Jahren, wenn die österreichischen Gletscher längst in der Nordsee verschwommen sind, werden unsere Kindeskinder noch immer staunend vor diesem Monument deutscher Kulturgeschichte stehen. Der Briefwechsel mit Thomas Bernhard, 869 Seiten umfassend, ein wahres Gottesgeschenk, überbietet alles bisher Bekannte.«
Martin Lüdke, Frankfurter Rundschau 04.12.2009
Martin Lüdke, Frankfurter Rundschau 04.12.2009