Während eines Vierteljahrhunderts, zwischen1959 und 1984, pflegten Uwe Johnson und Siegfried Unseld, zusätzlich zu den persönlichen Begegnungen, einen intensiven brieflichen Kontakt. Die annähernd 770 Briefe erlauben authentische Einblicke in Arbeit und Leben von Autor und Verleger. Sie zeigen in ungewöhnlicher Weise, wie sie sich und ihre Zeitgenossen verstehen, dokumentieren detailliert entscheidende Stationen im Werk des Autors und im Schaffen des Verlegers sowie der politischen und kulturellen Entwicklung der Bundesrepublik. Dabei wird deutlich: Die Basis dieses Briefwechsels besteht in einer Konflikten standhaltenden engen Freundschaft.
Als Uwe Johnson, mit Beginn der Drucklegung seines Romans Mutmassungen über Jakob im Jahre 1959 nach Westberlin umzog, erwartete ihn ein Begrüßungstelegramm Siegfried Unselds. Damit setzt ein reger Austausch ein, in dem alles thematisiert wird, was für beide privat wie beruflich von Belang ist. Schon nach kurzer Zeit tritt an die Stelle des distanzierten Sie das Du als Anredeform - ein Ausdruck dafür, daß sich beide einander anvertrauen. So lassen sich anhand dieser teils ironisch, teils geschäftlich, teils traurig gestimmten Mitteilungen die beiden Protagonisten ohne Indiskretion bei ihrem täglichen Tun verfolgen. Da keiner einen Brief des anderen unbeantwortet läßt, entfaltet sich eine spannende Erzählung vom Schreiben und Verlegen, von Literatur und Politik, von Büchern und Lesern. Und diese Erzählung hat, da deren Verfasser wie nur wenige heute das Briefschreiben als eigene Gattung verstehen, literarische Qualitäten.
Der Briefwechsel endet mit einem Telegramm, das dem toten Uwe Johnson nicht mehr zugestellt werden kann.
Als Uwe Johnson, mit Beginn der Drucklegung seines Romans Mutmassungen über Jakob im Jahre 1959 nach Westberlin umzog, erwartete ihn ein Begrüßungstelegramm Siegfried Unselds. Damit setzt ein reger Austausch ein, in dem alles thematisiert wird, was für beide privat wie beruflich von Belang ist. Schon nach kurzer Zeit tritt an die Stelle des distanzierten Sie das Du als Anredeform - ein Ausdruck dafür, daß sich beide einander anvertrauen. So lassen sich anhand dieser teils ironisch, teils geschäftlich, teils traurig gestimmten Mitteilungen die beiden Protagonisten ohne Indiskretion bei ihrem täglichen Tun verfolgen. Da keiner einen Brief des anderen unbeantwortet läßt, entfaltet sich eine spannende Erzählung vom Schreiben und Verlegen, von Literatur und Politik, von Büchern und Lesern. Und diese Erzählung hat, da deren Verfasser wie nur wenige heute das Briefschreiben als eigene Gattung verstehen, literarische Qualitäten.
Der Briefwechsel endet mit einem Telegramm, das dem toten Uwe Johnson nicht mehr zugestellt werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Ein Brief, ein guter Brief
Das ist das Schönste, was es gibt: Uwe Johnson und Siegfried Unseld schreiben Verlagsgeschichte / Von Lothar Müller
Dieser Briefwechsel ist das Doppelporträt seiner Verfasser und ein Kapitel aus der inneren Geschichte des Suhrkamp Verlages zwischen 1959 und 1984. Wie Uwe Johnsons Roman "Jahrestage" wird es vom Kalender gegliedert, und auch in diesem Buch gibt es hinter dem alltäglichen Geflecht von Ereignissen einen Ursprung, dessen Strahlkraft jedes Detail durchdringt.
Fassbar wird dieser Ursprung an den Stellen des Eingedenkens. So in einem Brief Unselds vom April 1979: "Ich erinnere mich ja allzu genau, daß ich an jenem Morgen des 31. März ein Manuskript aus dem Sterbezimmer nahm und daß meine Verantwortung an der Lektüre gerade dieses Manuskriptes gewachsen ist." Peter Suhrkamp hatte Uwe Johnsons Manuskript "Mutmaßungen über Jakob" vor seinem Tod am 31. März 1959 nicht mehr gelesen. Als Unseld am 1. April 1959 die Verlagsleitung übernahm, gehörte die Entscheidung für die Drucklegung des Romans zu seinen ersten Amtshandlungen. Man muss nur ein wenig in den folgenden Seiten blättern, um zu erkennen, dass Uwe Johnson für den neuen Verlagschef von Beginn an strategische Bedeutung besaß. Alles wollte er tun, um diesem reich begabten Debütanten zu herausragender, womöglich gesamtdeutscher Bedeutung zu verhelfen. Es sollte die Gegengeschichte zur Vorgeschichte werden, bei der Siegfried Unseld im Jahre 1957 entscheidend dazu beigetragen hatte, dass Johnsons eigentlicher Erstling "Ingrid Babendererde" vom Suhrkamp Verlag nicht angenommen wurde.
In die Gleichursprünglichkeit von Verlagsübernahme und Entscheidung für die "Mutmaßungen über Jakob" ist eine doppelte Genealogie eingelassen. Unseld trat das Erbe Peter Suhrkamps an, Johnson rückte in die Schlüsselposition, die für Suhrkamp selbst Hermann Hesse eingenommen hatte. Als Autor und Herausgeber widmete Unseld Hesse zahlreiche Schriften und Editionen. Uwe Johnson aber sollte sein erstes Meisterstück als Verleger werden, in dem die Traditionen sowohl Hesses wie Brechts eigenwillig aufgenommen wurden. Voller Stolz konnte Unseld im Frühjahr 1960 nach einem Besuch bei Hesse in Montagnola den Ausspruch des alten Meisters vermelden: "Dieser Johnson ist ein wirklicher Dichter." Und seinen Wunsch, diesen Dichter kennen zu lernen. Johnson folgte der Einladung, als er sich im März 1962 auf den Weg nach Rom, in die Villa Massimo machte. Er fachsimpelte mit Hesse über Genealogien bei William Faulkner.
Zum zehnten Todestag Peter Suhrkamps ließ Unseld ein Exemplar des Briefwechsels zwischen Hesse und Suhrkamp, den er selbst herausgegeben hatte, an Johnson gehen. Der revanchierte sich mit einer kleinen persönlichen Würdigung zum zehnjährigen Verlagsjubiläum Unselds. Den Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Gottfried Bermann Fischer erhielt Johnson von Unseld als Geburtstagsgeschenk des Jahres 1973. Die beiden frönten damit nicht lediglich ihrem Interesse an Druck- und Verlagsgeschichte. Sie vergewisserten sich der literarischen Tradition, auf die hin sie schrieben.
Wie der im Frühjahr erschienene Briefwechsel zwischen Johnson und Max Frisch (F.A.Z. vom 12. Juni 1999) ist auch dieser Band, der lückenlos etwa 770 Briefe, Karten und Telegramme versammelt, ein Zeichen für die beginnende Selbsthistorisierung des Suhrkamp Verlages. Die großzügige Ausstattung, minutiöse Kommentierung und philologische Sorgfalt sind kein Selbstzweck. Die Verlagsgeschichte des Hauses Suhrkamp und die Literaturgeschichte der Bundesrepublik sind in diesem Buch unauflöslich miteinander verschränkt. Dafür gibt es zwei Voraussetzungen: die Schlüsselstellung Uwe Johnsons innerhalb des Verlages und die Schlüsselstellung des Hauses Suhrkamp im literarischen Leben der Bundesrepublik zwischen 1959 und 1984.
Die Schlüsselstellung Johnsons ergibt sich nicht schon aus den äußeren Daten seiner Laufbahn: vom Fontane-Preis für die "Mutmaßungen" über den Erfolg des Romans "Das dritte Buch über Achim" (1961) bis zum Büchner-Preis des Jahres 1971. All das, dazu die Tagungen der "Gruppe 47", die "Poetik-Dozentur" an der Frankfurter Universität, spielt seine Rolle. Ins Zentrum dieser Korrespondenz führt aber erst das Hereinwachsen Johnsons ins Innere der Suhrkamp-Welt. Als Lektor, als "Scout", der selbst Bücher und Autoren zur Vertragnahme vorschlägt, als Übersetzer, Herausgeber und Verfasser von Nachworten ist Johnson in diesem Briefwechsel ebenso präsent wie als Anwalt in eigener Sache. Für 1968 fasst er gar eine Gesamtübersetzung William Faulkners ins Auge.
Der Verlag als Kollektivwesen tritt in diesem Buch als dritte Figur neben die beiden Briefschreiber. Er spielt eine ähnlich tragende Rolle wie die "New York Times" in den "Jahrestagen". Nicht nur der Verleger Siegfried Unseld und seine Lektoren, etwa Günter Busch oder Walter Boehlich, geben diesem Kollektivwesen sein Gesicht, sondern zugleich und vor allem die Autoren. Allen voran Max Frisch, Martin Walser und Uwe Johnson, auch Hans Magnus Enzensberger oder Peter Weiss. Dieser Briefwechsel wäre nicht so umfangreich, müsste er nicht die Regungen dieses Kollektivwesens in sich aufnehmen: die wechselseitige Lektüre von Manuskripten, die Sorgen Unselds mit den ungeschriebenen Romanen Wolfgang Koeppens, das scheiternde Projekt der internationalen Zeitschrift "Gulliver", für deren deutsche Herausgebergruppe Johnson im Jahre 1963 federführend hätte tätig werden sollen.
Als Herausgeber stellte Johnson für das Kollektivwesen aus Frischs Werk die "Stich-Worte" (1975) zusammen. Über Martin Walsers Manuskript "Der Grund zur Freude. 99 Sprüche zur Erbauung des Bewußtseins", das er als eine heillose Mischung aus Salonmarxismus und Sonntagspredigt empfand, verfasste er im Sommer 1972 ein vernichtendes Gutachten. Noch sechs Jahre später kommt es darüber zu einem Ausbruch Walsers. Hier sind die Grenzen dieser Edition erreicht: Johnsons scharfe Anmerkungen zu Walsers Büchlein wie zum Eklat mag sie nicht drucken. Leider ist in den umfangreichen Anhang mit Dokumenten zum "Gulliver"-Projekt und zur Debatte um die Lektoratsverfassung das Konvolut mit Johnsons Notizen zu seiner Edition von Brechts "Me-Ti" nicht aufgenommen.
Von den literarischen Gutachten führen Verbindungen ins Innere der Romane Johnsons. Man lese nur die empörte Warnung vor einem Manuskript von George Steiner aus dem Jahre 1979. Darin wird die Fiktion aufgebaut, Hitler habe ein Double umbringen lassen, lebe im brasilianischen Urwald und solle nach Israel entführt werden. Es kommt zu einem Tribunal, bei dem Hitler als Apologet seiner selbst auftritt. Johnson begnügt sich nicht mit der politischen Kritik dieser Apologie. Er fügt eine medizinische Expertise zum Gesundheitszustand Hitlers Ende April 1945 bei, die Steiners Fiktion an ihrem Ausgangspunkt zerstört. Das Verfahren der "Jahrestage" trägt hier kritische Früchte.
Unüberhörbar durchzieht das Echo des Kalten Krieges, später der Studentenbewegung und des Prager Frühlings diese Briefe. Darüber aber liegt das Grundrauschen des Literaturbetriebs. Eher vorsichtig kommt Privates zur Sprache. Johnsons Ehekrise bleibt als Thema weitgehend den Gesprächen vorbehalten. In den Briefen dominiert die Abwehr von Indiskretionen Dritter. Gleichwohl ist dies ein eminent persönlicher Briefwechsel. Seit 1961 duzten sich der damals siebenunddreißigjährige Unseld und der zehn Jahre jüngere Johnson. Im Zentrum der Korrespondenz steht die Entbindung eines literarischen Werkes durch eine periodisch gefährdete Freundschaft. Sie entwickelte sich nicht von ungefähr, sondern als Verwirklichung einer im Verlagsprogramm vorgesehenen Möglichkeit. Als Siegfried Unseld in seinem Buch "Der Autor und sein Verleger" (1978) den Letzteren als "literarische Hebamme, Analytiker, Geschäftsmann und Mäzen" definierte, war das vor allem ein Selbstporträt. Ende 1982 befristete der Verleger seinem Freund die Vorauszahlungen. Wenige Monate später vollendete Johnson die "Jahrestage".
An vielen Stellen des Buches kann man die Risiken dieser persönlichen Fundierung der Geschäftsbeziehung studieren. Auch und gerade dort, wo es um Vorabdrucke oder Buchumschläge geht. Johnson an Unseld im Sommer 1970: "Insgesamt werde ich durch solche Vorgänge nicht an den Verlag erinnert, in den ich einmal als einzigen wollte, sondern an die, von denen du nichts hältst." Dieser scharfe, bisweilen bittere Ton stellt sich überall dort ein, wo Unseld sich zum Drucker reduziert oder der stets misstrauische Johnson seine Autorenrechte berührt sieht. Dessen gelegentliche rhetorischen Entflechtungsversuche - "freundschaftlich in der Freundschaft, sachlich im Verlag" - blieben hilflos. Das konnte nichts fruchten. Denn der Verlag und er selbst als Person waren für Unseld so sehr eins, "daß ich mit Haut und Haar, mit meinem gesamten Blutkreislauf, mit all meinen Nerven, oder was du sonst noch willst, mit dieser Aufgabe verbunden bin".
Der Abgrund, an dem solche Passagen vorbeiführen, ist das Trauma des Verrats. Als virtuelle Katastrophe ist er das negative Gegenüber zum Ursprung des Jahres 1959. Denn in dem idealen Verlag, dessen Norm sich beide Briefpartner unterstellen, regelt letztinstanzlich nicht eine ökonomische Kategorie die Beziehungen zwischen Autor und Verleger, sondern eine persönlich-moralische: die Treue. In diesem Buch, in dem das letzte Telegramm Unselds vom 12. März den toten Uwe Johnson in seinem Haus in Sheerness nicht mehr erreichen kann, hat sie sich durchgesetzt.
Uwe Johnson - Siegfried Unseld: "Der Briefwechsel". Herausgegeben von Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 1219 S., geb., 68, - DM.
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Das ist das Schönste, was es gibt: Uwe Johnson und Siegfried Unseld schreiben Verlagsgeschichte / Von Lothar Müller
Dieser Briefwechsel ist das Doppelporträt seiner Verfasser und ein Kapitel aus der inneren Geschichte des Suhrkamp Verlages zwischen 1959 und 1984. Wie Uwe Johnsons Roman "Jahrestage" wird es vom Kalender gegliedert, und auch in diesem Buch gibt es hinter dem alltäglichen Geflecht von Ereignissen einen Ursprung, dessen Strahlkraft jedes Detail durchdringt.
Fassbar wird dieser Ursprung an den Stellen des Eingedenkens. So in einem Brief Unselds vom April 1979: "Ich erinnere mich ja allzu genau, daß ich an jenem Morgen des 31. März ein Manuskript aus dem Sterbezimmer nahm und daß meine Verantwortung an der Lektüre gerade dieses Manuskriptes gewachsen ist." Peter Suhrkamp hatte Uwe Johnsons Manuskript "Mutmaßungen über Jakob" vor seinem Tod am 31. März 1959 nicht mehr gelesen. Als Unseld am 1. April 1959 die Verlagsleitung übernahm, gehörte die Entscheidung für die Drucklegung des Romans zu seinen ersten Amtshandlungen. Man muss nur ein wenig in den folgenden Seiten blättern, um zu erkennen, dass Uwe Johnson für den neuen Verlagschef von Beginn an strategische Bedeutung besaß. Alles wollte er tun, um diesem reich begabten Debütanten zu herausragender, womöglich gesamtdeutscher Bedeutung zu verhelfen. Es sollte die Gegengeschichte zur Vorgeschichte werden, bei der Siegfried Unseld im Jahre 1957 entscheidend dazu beigetragen hatte, dass Johnsons eigentlicher Erstling "Ingrid Babendererde" vom Suhrkamp Verlag nicht angenommen wurde.
In die Gleichursprünglichkeit von Verlagsübernahme und Entscheidung für die "Mutmaßungen über Jakob" ist eine doppelte Genealogie eingelassen. Unseld trat das Erbe Peter Suhrkamps an, Johnson rückte in die Schlüsselposition, die für Suhrkamp selbst Hermann Hesse eingenommen hatte. Als Autor und Herausgeber widmete Unseld Hesse zahlreiche Schriften und Editionen. Uwe Johnson aber sollte sein erstes Meisterstück als Verleger werden, in dem die Traditionen sowohl Hesses wie Brechts eigenwillig aufgenommen wurden. Voller Stolz konnte Unseld im Frühjahr 1960 nach einem Besuch bei Hesse in Montagnola den Ausspruch des alten Meisters vermelden: "Dieser Johnson ist ein wirklicher Dichter." Und seinen Wunsch, diesen Dichter kennen zu lernen. Johnson folgte der Einladung, als er sich im März 1962 auf den Weg nach Rom, in die Villa Massimo machte. Er fachsimpelte mit Hesse über Genealogien bei William Faulkner.
Zum zehnten Todestag Peter Suhrkamps ließ Unseld ein Exemplar des Briefwechsels zwischen Hesse und Suhrkamp, den er selbst herausgegeben hatte, an Johnson gehen. Der revanchierte sich mit einer kleinen persönlichen Würdigung zum zehnjährigen Verlagsjubiläum Unselds. Den Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Gottfried Bermann Fischer erhielt Johnson von Unseld als Geburtstagsgeschenk des Jahres 1973. Die beiden frönten damit nicht lediglich ihrem Interesse an Druck- und Verlagsgeschichte. Sie vergewisserten sich der literarischen Tradition, auf die hin sie schrieben.
Wie der im Frühjahr erschienene Briefwechsel zwischen Johnson und Max Frisch (F.A.Z. vom 12. Juni 1999) ist auch dieser Band, der lückenlos etwa 770 Briefe, Karten und Telegramme versammelt, ein Zeichen für die beginnende Selbsthistorisierung des Suhrkamp Verlages. Die großzügige Ausstattung, minutiöse Kommentierung und philologische Sorgfalt sind kein Selbstzweck. Die Verlagsgeschichte des Hauses Suhrkamp und die Literaturgeschichte der Bundesrepublik sind in diesem Buch unauflöslich miteinander verschränkt. Dafür gibt es zwei Voraussetzungen: die Schlüsselstellung Uwe Johnsons innerhalb des Verlages und die Schlüsselstellung des Hauses Suhrkamp im literarischen Leben der Bundesrepublik zwischen 1959 und 1984.
Die Schlüsselstellung Johnsons ergibt sich nicht schon aus den äußeren Daten seiner Laufbahn: vom Fontane-Preis für die "Mutmaßungen" über den Erfolg des Romans "Das dritte Buch über Achim" (1961) bis zum Büchner-Preis des Jahres 1971. All das, dazu die Tagungen der "Gruppe 47", die "Poetik-Dozentur" an der Frankfurter Universität, spielt seine Rolle. Ins Zentrum dieser Korrespondenz führt aber erst das Hereinwachsen Johnsons ins Innere der Suhrkamp-Welt. Als Lektor, als "Scout", der selbst Bücher und Autoren zur Vertragnahme vorschlägt, als Übersetzer, Herausgeber und Verfasser von Nachworten ist Johnson in diesem Briefwechsel ebenso präsent wie als Anwalt in eigener Sache. Für 1968 fasst er gar eine Gesamtübersetzung William Faulkners ins Auge.
Der Verlag als Kollektivwesen tritt in diesem Buch als dritte Figur neben die beiden Briefschreiber. Er spielt eine ähnlich tragende Rolle wie die "New York Times" in den "Jahrestagen". Nicht nur der Verleger Siegfried Unseld und seine Lektoren, etwa Günter Busch oder Walter Boehlich, geben diesem Kollektivwesen sein Gesicht, sondern zugleich und vor allem die Autoren. Allen voran Max Frisch, Martin Walser und Uwe Johnson, auch Hans Magnus Enzensberger oder Peter Weiss. Dieser Briefwechsel wäre nicht so umfangreich, müsste er nicht die Regungen dieses Kollektivwesens in sich aufnehmen: die wechselseitige Lektüre von Manuskripten, die Sorgen Unselds mit den ungeschriebenen Romanen Wolfgang Koeppens, das scheiternde Projekt der internationalen Zeitschrift "Gulliver", für deren deutsche Herausgebergruppe Johnson im Jahre 1963 federführend hätte tätig werden sollen.
Als Herausgeber stellte Johnson für das Kollektivwesen aus Frischs Werk die "Stich-Worte" (1975) zusammen. Über Martin Walsers Manuskript "Der Grund zur Freude. 99 Sprüche zur Erbauung des Bewußtseins", das er als eine heillose Mischung aus Salonmarxismus und Sonntagspredigt empfand, verfasste er im Sommer 1972 ein vernichtendes Gutachten. Noch sechs Jahre später kommt es darüber zu einem Ausbruch Walsers. Hier sind die Grenzen dieser Edition erreicht: Johnsons scharfe Anmerkungen zu Walsers Büchlein wie zum Eklat mag sie nicht drucken. Leider ist in den umfangreichen Anhang mit Dokumenten zum "Gulliver"-Projekt und zur Debatte um die Lektoratsverfassung das Konvolut mit Johnsons Notizen zu seiner Edition von Brechts "Me-Ti" nicht aufgenommen.
Von den literarischen Gutachten führen Verbindungen ins Innere der Romane Johnsons. Man lese nur die empörte Warnung vor einem Manuskript von George Steiner aus dem Jahre 1979. Darin wird die Fiktion aufgebaut, Hitler habe ein Double umbringen lassen, lebe im brasilianischen Urwald und solle nach Israel entführt werden. Es kommt zu einem Tribunal, bei dem Hitler als Apologet seiner selbst auftritt. Johnson begnügt sich nicht mit der politischen Kritik dieser Apologie. Er fügt eine medizinische Expertise zum Gesundheitszustand Hitlers Ende April 1945 bei, die Steiners Fiktion an ihrem Ausgangspunkt zerstört. Das Verfahren der "Jahrestage" trägt hier kritische Früchte.
Unüberhörbar durchzieht das Echo des Kalten Krieges, später der Studentenbewegung und des Prager Frühlings diese Briefe. Darüber aber liegt das Grundrauschen des Literaturbetriebs. Eher vorsichtig kommt Privates zur Sprache. Johnsons Ehekrise bleibt als Thema weitgehend den Gesprächen vorbehalten. In den Briefen dominiert die Abwehr von Indiskretionen Dritter. Gleichwohl ist dies ein eminent persönlicher Briefwechsel. Seit 1961 duzten sich der damals siebenunddreißigjährige Unseld und der zehn Jahre jüngere Johnson. Im Zentrum der Korrespondenz steht die Entbindung eines literarischen Werkes durch eine periodisch gefährdete Freundschaft. Sie entwickelte sich nicht von ungefähr, sondern als Verwirklichung einer im Verlagsprogramm vorgesehenen Möglichkeit. Als Siegfried Unseld in seinem Buch "Der Autor und sein Verleger" (1978) den Letzteren als "literarische Hebamme, Analytiker, Geschäftsmann und Mäzen" definierte, war das vor allem ein Selbstporträt. Ende 1982 befristete der Verleger seinem Freund die Vorauszahlungen. Wenige Monate später vollendete Johnson die "Jahrestage".
An vielen Stellen des Buches kann man die Risiken dieser persönlichen Fundierung der Geschäftsbeziehung studieren. Auch und gerade dort, wo es um Vorabdrucke oder Buchumschläge geht. Johnson an Unseld im Sommer 1970: "Insgesamt werde ich durch solche Vorgänge nicht an den Verlag erinnert, in den ich einmal als einzigen wollte, sondern an die, von denen du nichts hältst." Dieser scharfe, bisweilen bittere Ton stellt sich überall dort ein, wo Unseld sich zum Drucker reduziert oder der stets misstrauische Johnson seine Autorenrechte berührt sieht. Dessen gelegentliche rhetorischen Entflechtungsversuche - "freundschaftlich in der Freundschaft, sachlich im Verlag" - blieben hilflos. Das konnte nichts fruchten. Denn der Verlag und er selbst als Person waren für Unseld so sehr eins, "daß ich mit Haut und Haar, mit meinem gesamten Blutkreislauf, mit all meinen Nerven, oder was du sonst noch willst, mit dieser Aufgabe verbunden bin".
Der Abgrund, an dem solche Passagen vorbeiführen, ist das Trauma des Verrats. Als virtuelle Katastrophe ist er das negative Gegenüber zum Ursprung des Jahres 1959. Denn in dem idealen Verlag, dessen Norm sich beide Briefpartner unterstellen, regelt letztinstanzlich nicht eine ökonomische Kategorie die Beziehungen zwischen Autor und Verleger, sondern eine persönlich-moralische: die Treue. In diesem Buch, in dem das letzte Telegramm Unselds vom 12. März den toten Uwe Johnson in seinem Haus in Sheerness nicht mehr erreichen kann, hat sie sich durchgesetzt.
Uwe Johnson - Siegfried Unseld: "Der Briefwechsel". Herausgegeben von Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 1219 S., geb., 68, - DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass Unseld und Johnson in den letzten Jahren ihrer Freundschaft mehr und mehr zum Telefonieren übergegangen sind, findet Roland H. Wiegenstein bedauerlich. Denn trotz der 1220 Seiten dieses Bandes hätte er "gern noch mehr gelesen". In seiner sehr ausführlichen Rezension zeigt sich Wiegenstein äusserst fasziniert davon, Zeuge dieser Männerfreundschaft zu sein, die er für einen "Glücksfall" hält. Ihn erstaunt die Fähigkeit, besonders Unselds, Querelen immer wieder ad acta legen zu können und die Gratwanderung zwischen Autoren- und Verlagsinteressen zu meistern. Johnson selbst zeige sich in diesen Briefen facettenreich: mal buchhalterisch, mal ironisch, schmeichelnd oder böse, bisweilen auch für Johnson-Leser überraschend. Den Anmerkungsapparat findet Wiegenstein ausführlicher als nötig. Der Nutzen dieses Buchs erschliesse sich dem Leser "von selbst, buchstäblich".
© Perlentaucher Medien GmbH
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