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Produktdetails
  • Verlag: WBG Academic
  • 1995.
  • Seitenzahl: 250
  • Deutsch
  • Abmessung: 18mm x 134mm x 215mm
  • Gewicht: 342g
  • ISBN-13: 9783534127634
  • ISBN-10: 3534127633
  • Artikelnr.: 06057983
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.1996

Blaue Stühle sind nicht grün
Jost Hindersmann erforscht den britischen Spionageroman

Nach Auskunft von Bertrand Russell besteht das Dilemma des logischen Positivismus im wesentlichen darin, daß er Sätze nur dann als wahr anerkennen kann, wenn sie folgender Form genügen: "Grüne Gartenstühle sind immer grün." Was über die Tautologie hinausreiche, sei von seinem Standpunkt aus schon nicht mehr faßbar. Es müsse ihm als ungesichert gelten, als Spekulation oder Mystizismus.

Der Wille zur Tautologie beherrscht auch Jost Hindersmanns Abhandlung über die Geschichte des britischen Spionageromans. Als logischer Positivist erweist der Autor sich gleich zu Anfang seiner Studie: "Ein Spionageroman", definiert er dort, "ist ein Roman, der von Spionage handelt." Danach will Hindersmann die zeitgeschichtliche Bezogenheit des Genres aufzeigen und kommt dabei zu folgendem Ergebnis: Der Spionageroman zur Zeit des Ersten Weltkrieges handelte vom Ersten Weltkrieg. Der Spionageroman zur Zeit des Nationalsozialismus handelte vom Nationalsozialismus. Der Spionageroman zur Zeit des Kalten Krieges handelte vom Kalten Krieg.

Ferner erfahren wir: Linksradikale Autoren, die zeitweise mit dem Stalinismus liebäugelten (Eric Ambler), vertraten linksradikale Positionen, die dem Stalinismus gefährlich nahe kamen. Konservative Autoren hingegen (John Buchan) entfalteten in ihren Spionageromanen eine Weltsicht, die als konservativ bezeichnet werden muß.

Die stilistische Entsprechung der Tautologie ist die Redundanz. So schreibt Jost Hindersmann über Ian Flemings Romanhelden James Bond, er besitze die Lizenz nicht nur zum Töten, sondern auch zum Konsumieren; dies werde "besser verständlich", wenn man "den Übergang von der austerity zur affluence" berücksichtigt. Das kann man freilich auch anders sagen: James Bond sei "im Hinblick auf den Konsum ein typischer Repräsentant der affluent society", der Wohlstandsgesellschaft. Mit anderen Worten: Flemings Protagonist, der ein ungehemmtes Konsumverhalten an den Tag legt, ist "ein Repräsentant der . . . affluent society". Wechseln wir das Thema! Margaret Thatcher, so informiert uns Jost Hindersmann, "ist eine begeisterte Leserin von Forsyths Romanen". Dessen konservative Einstellung wiederum dokumentiere sich "in Lobeshymnen auf Margaret Thatcher (einer begeisterten Forsyth-Leserin)". Blaue Gartenstühle sind eben niemals grün.

Sobald Hindersmann das weite Feld der Tautologien hinter sich gelassen hat, stolpert er auf den wüsten Acker der Widersprüche. So fragt sich der Autor, warum britische Spionageromane sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch mit dem Kampf gegen die Nazis beschäftigen. Er glaubt, dies liege vor allem daran, "daß die Niederwerfung des Deutschen Reiches der letzte große Sieg für Großbritannien war". Angesichts der "schmachvollen Gegenwart" werde "die Erinnerung an die heroische Vergangenheit" gern wachgehalten.

Diesem Befund widerspricht jedoch, daß viele der Romane, die Hindersmann nun aufführt, kein sonderlich freundliches Bild von den Briten zeichnen. Seine These zeigt im Grunde nur eines: Offenbar empfinden manche Deutsche es nach wie vor als demütigend, daß jenes Land, das 1940 ganz allein gegen Hitler aushielt, sich in bezug auf den Nationalsozialismus ein relativ ruhiges Gewissen leistet.

Allerdings kann Jost Hindersmann bei den Spionagethrillern der siebziger Jahre einen gewissen Fortschritt ausmachen. Diese seien "komplexer und psychologisch feinfühliger" geworden, meint er; sie kämen ohne antideutsche Stereotypen aus. Ein Beleg dafür seien die Romane von Brian Freemantle. Und wie beweist der Autor, daß Freemantles Bücher frei sind von Ressentiments? "Die Israelis verhalten sich ebenso skrupellos wie die Nazis früher." In einem anderen Roman vollziehe sich eine "Umkehrung der Stereotypen", wenn ein Überlebender des Holocaust foltert und mordet, während ein großer, blonder, blauäugiger Deutscher "liberal und humanistisch eingestellt ist". Als es um die Romane der rechtskonservativen Autoren John Buchan und Sapper ging, hielt Hindersmann solche Darstellungsweisen noch für antisemitisch.

Inmitten des wüsten Ackers der Widersprüchlichkeiten findet man aber nach einigem Suchen doch noch eine nahrhafte Kartoffel. Die Romane von Ian Fleming, schreibt Jost Hindersmann, seien die Märchen des Kalten Krieges. Letztlich seien sie nichts weiter als Variationen auf die Geschichte vom heiligen St. Georg, der den Drachen schlug. Daß Fleming einer manichäischen Weltsicht huldige und die Rolle des Schurken gern mit Ausländern besetze, habe nichts mit Politik zu tun. Es ergebe sich zwangsläufig aus seinem Metier: "Fleming ist reaktionär wie im Grunde das Märchen, jedes Märchen reaktionär ist . . ." Daraus könnte ja, denkt der Leser verdutzt, beinahe so etwas wie ein Gedanke werden. Nur stammt er nicht von Jost Hindersmann, sondern aus einem Essay von Umberto Eco, den Hindersmann zitiert.

Seine Studie endet mit der Prognose: "Spionageromane werden sich auch in Zukunft mit den Krisen und Konflikten in der internationalen Politik beschäftigen." Und grüne Gartenstühle werden immer dadurch gekennzeichnet sein, daß sie grün angestrichen sind. HANNES STEIN

Jost Hindersmann: "Der britische Spionageroman. Vom Imperialismus bis zum Ende des kalten Krieges". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995. 250 S., br., 45,- DM.

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