»Unerwartet« heißt das Bild von Ilja Repin, das der Frisör in Moskau gerade noch bewundert hat, und unerwartet ist auch der Besuch eines Mannes, der kurz darauf in seinem Münchner Salon auftaucht: Jakob Zimmermann, Mitte dreißig, mittelloser Kunstmaler, behauptet, sein Halbbruder zu sein. Wer ist Jakob ein Erbschleicher oder ein vertuschter dunkler Fleck in der Prinzschen Familiengeschichte?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2008KURZKRITIK
Alkalisches Grün
Christian Schünemanns zweiter Frisör-Krimi: „Der Bruder”
Unser Lieblingsfriseur durchkämmt wieder einmal die Welt des Verbrechens. In seinem zweiten Fall verschlägt es Tomas Prinz, Münchner Szenefriseur und Detektiv wider Willen, in den Kunstbetrieb. Eines Tages taucht in seinem Salon ein ominöser Maler auf, der behauptet, sein Bruder Jakob zu sein. Der Friseur ist erst begeistert, dann kommen ihm Zweifel an der Geschichte, und er beginnt, Nachforschungen anzustellen.
Wie schon in Christian Schünemanns erstem Tomas-Prinz-Krimi („Der Frisör”) steckt in „Der Bruder” alle Liebe im Detail. Egal, wie aufwendig der Krimi-Plot ist – Schünemann nimmt sich die Zeit, selbst die unbedeutendsten Nebenfiguren plastisch auszuarbeiten, und dazwischen gibt es immer diese Sorte von Informationen, die man zwar nicht braucht, aber gierig aufsaugt wie den Tratsch aus den Zeitschriften beim Friseur. Dass Haarspitzen von alkalischem Shampoo grünlich werden etwa. Oder dass das Schönheitsideal, so auszusehen, als sei man gerade aufgestanden, nicht nur in Berlin heimisch ist, sondern auch vom Münchner Szenefriseur geschätzt wird. „Out-of-bed-Look” heißt es hier.
Das Beste aber ist, dass Christian Schünemann auf alle billigen Pointen verzichtet, die sein moshammereskes Setting zweifellos hergeben würde. Nicht einmal die affigste Schicki-Micki-Kundin wird zur Karikatur verzerrt und schon gar nicht die Hauptfigur. Der Friseur entspricht zwar dem einen oder anderen Klischee (er ist schwul), andererseits hat er eine absolut friseuruntypische Art zu reden, und auf seinem Nachttisch liegen „Die Brüder Karamasow”. In Tomas Prinz hat Schünemann einen Charakter geschaffen, an dem alles interessant, aber noch nichts festgelegt ist – die beste Voraussetzung für viele Fortsetzungen.VERENA MAYER
CHRISTIAN SCHÜNEMANN: Der Bruder. Ein Fall für den Frisör. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 275 Seiten, 8, 90 Euro.
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Alkalisches Grün
Christian Schünemanns zweiter Frisör-Krimi: „Der Bruder”
Unser Lieblingsfriseur durchkämmt wieder einmal die Welt des Verbrechens. In seinem zweiten Fall verschlägt es Tomas Prinz, Münchner Szenefriseur und Detektiv wider Willen, in den Kunstbetrieb. Eines Tages taucht in seinem Salon ein ominöser Maler auf, der behauptet, sein Bruder Jakob zu sein. Der Friseur ist erst begeistert, dann kommen ihm Zweifel an der Geschichte, und er beginnt, Nachforschungen anzustellen.
Wie schon in Christian Schünemanns erstem Tomas-Prinz-Krimi („Der Frisör”) steckt in „Der Bruder” alle Liebe im Detail. Egal, wie aufwendig der Krimi-Plot ist – Schünemann nimmt sich die Zeit, selbst die unbedeutendsten Nebenfiguren plastisch auszuarbeiten, und dazwischen gibt es immer diese Sorte von Informationen, die man zwar nicht braucht, aber gierig aufsaugt wie den Tratsch aus den Zeitschriften beim Friseur. Dass Haarspitzen von alkalischem Shampoo grünlich werden etwa. Oder dass das Schönheitsideal, so auszusehen, als sei man gerade aufgestanden, nicht nur in Berlin heimisch ist, sondern auch vom Münchner Szenefriseur geschätzt wird. „Out-of-bed-Look” heißt es hier.
Das Beste aber ist, dass Christian Schünemann auf alle billigen Pointen verzichtet, die sein moshammereskes Setting zweifellos hergeben würde. Nicht einmal die affigste Schicki-Micki-Kundin wird zur Karikatur verzerrt und schon gar nicht die Hauptfigur. Der Friseur entspricht zwar dem einen oder anderen Klischee (er ist schwul), andererseits hat er eine absolut friseuruntypische Art zu reden, und auf seinem Nachttisch liegen „Die Brüder Karamasow”. In Tomas Prinz hat Schünemann einen Charakter geschaffen, an dem alles interessant, aber noch nichts festgelegt ist – die beste Voraussetzung für viele Fortsetzungen.VERENA MAYER
CHRISTIAN SCHÜNEMANN: Der Bruder. Ein Fall für den Frisör. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 275 Seiten, 8, 90 Euro.
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