In der ersten Reihe zweitklassiger Autoren?
Dieser 1925 erschienene Roman des britischen Schriftstellers folgte zehn Jahre nach seinem oft als sein bestes Werk bezeichneten Buch «Der Menschen Hörigkeit». Mit vielen Millionen verkauften Büchern war der auch als Theaterautor bekannte William
Somerset Maugham einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit, seinem ja auch nicht gerade…mehrIn der ersten Reihe zweitklassiger Autoren?
Dieser 1925 erschienene Roman des britischen Schriftstellers folgte zehn Jahre nach seinem oft als sein bestes Werk bezeichneten Buch «Der Menschen Hörigkeit». Mit vielen Millionen verkauften Büchern war der auch als Theaterautor bekannte William Somerset Maugham einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit, seinem ja auch nicht gerade erfolglosen Zeitgenossen Thomas Mann einiges voraus damit. Dass er sich selbst als zweitklassig sah, «in the very first row of second class writers», wie er das ziemlich sarkastisch, very british eben, selbst ausdrückte, steht nicht im Widerspruch zum Erfolg, denn hohe Auflagen sind und waren noch nie ein echtes Qualitätsmerkmal der Literatur. Dieser Selbsteinschätzung des Autors kann ich für «Der bunte Schleier» nur zustimmen, der Roman gehört wirklich nicht in die Kategorie literarisch hochstehender Werke. Was mich doch einigermaßen überrascht hat, denn die Lektüre des dem Alterswerk zuzurechnenden Romans «Auf Messers Schneide» habe ich als recht erfreulich in Erinnerung. Das als Titel für meine Rezension herangezogene generalisierende Zitat des Autors über seinen literarischen Rang habe ich deshalb vorsorglich mal mit einem Fragezeichen versehen.
Doch nun zu «Der bunte Schleier», eine Erzählung, die, wen wundert’s bei einem so weitgereisten Autor, nicht nur im Mutterland, sondern auch im kolonialen Außenbereich des britischen Empire spielt, in China. Erzählt wird die Geschichte einer schönen jungen Frau, die abweisend und hochmütig beinahe den richtigen Zeitpunkt zum Heiraten verpasst und dann in Panik kurz entschlossen dem Nächstbesten ihr Jawort gibt. Dabei gerät Kitty ausgerechnet an einen sterbenslangweiligen, merkwürdig gehemmten Bakteriologen, der sie vergöttert, für den sie aber rein gar nichts empfindet. Und es kommt, wie es kommen muss, sie hat eine leidenschaftliche Affäre, die nicht unentdeckt bleibt. Ihr Mann zwingt sie zur Entscheidung, der Liebhaber jedoch erweist sich als Feigling, und so folgt sie todunglücklich ihrem Mann, der in der chinesischen Provinz bei der Bekämpfung einer Cholera-Epidemie helfen will. In dieser fremden Welt reift die oberflächliche Frau, und ihre Wandelung bringt sie erstmals auch ihrem Mann näher. Ein klassischer Entwicklungsroman mithin, in dem Maugham als studierter Arzt seine medizinischen Kenntnisse ebenso einbringt wie seine Erfahrungen als viel gereister Geheimagent des britischen MI6 im Ersten Weltkrieg.
Es geht um die Liebe, den Sinn des Lebens und den Tod, um emotionale Konflikte und essentielle Lebenskrisen in diesem Roman, der, wie viele andere dieses Autors auch, schon mehrfach verfilmt wurde. Man kann ihn als interessante Charakterstudie sehen, in der die Heldin zusehends reift und als Mensch an innerer Stärke gewinnt, Profil bekommt. Sprachlich gehört der Roman zu den sehr flüssig zu lesenden Büchern, ohne deshalb seicht zu sein, leider wird er allerdings auch nicht gerade amüsant und leichtfüßig erzählt. Die Dialoge sind stimmig und oft überraschend prägnant, was ich als eine sehr erfreuliche Facette dieses Romans empfunden habe, und auch der Plot ist immer nachvollziehbar, mit seinen unerwarteten Wendungen zuweilen sogar spannend.
Die klug konstruierte Geschichte erweist sich im Rückblick aber nicht gerade als anregend, wird sie doch so umfassend und in allen ihren Aspekten abgehandelt, dass der Fantasie des Lesers kaum noch Spielraum bleibt zum Sinnieren und Weiterdenken. Und so wirkt die Lektüre auch nicht nach, wenn man das Buch ausgelesen hat, man kann sofort ein neues beginnen. Was ja eigentlich schade ist! Denn wie beim Wein den sogenannten Abgang, die Gaumenfreude am Nachgeschmack also, wenn die Flüssigkeit bereits die Kehle passiert hat, so schätze ich bei der Lektüre die Gedanken, die sich einem unwillkürlich aufdrängen und das Hirn noch lange beschäftigen, wenn man ein Buch längst weggelegt hat.