Verlagsgeschichte als Teil der Literaturgeschichte: Seit nunmehr 75 Jahren besteht der von Carl Hanser gegründete Verlag mit seinen Bereichen Fachbuch und Literatur. In dieser Zeit hat er die kulturelle Landschaft Deutschlands maßgeblich mitgeprägt, ist beachtlich gewachsen und hat viele Wandlungen erfahren.
Dieses Buch beleuchtet die interessante Geschichte eines Unternehmens, in dem sich alles um gedruckte Wörter dreht.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2006Tut mehr für meine Bücher!
Reinhard Wittmann über die Geschichte des Hanser Verlags
Der Eintrag im Münchner Handelsregister nennt den 6. Juli 1928 als Beginn der Geschäftstätigkeit des Hanser-Verlags. Am 3. November teilte der junge Verleger per Anzeige im Börsenblatt mit, dass sein Verlag dem „Gesamtbuchhandel angeschlossen” worden sei. Das erste Buch wurde am 23. November ausgeliefert. Es war der Briefroman „Die Liebe des Nikolai Pereslegin” von Fedor Stepun, einem russischen Emigranten, den Carl Hanser während des Studiums im philosophischen Seminar in Freiburg kennengelernt hatte. Für knapp zwei Jahre blieb Stepun sein einziger Autor.
So zaghaft begann die Verlagsgeschichte, doch sie blieb nicht lange so übersichtlich. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, auf ein paar hundert Buchseiten zusammenzufassen, was seither geschah. Reinhard Wittmann, der an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität Geschichte des Buchwesens lehrt, schlägt mit seiner Chronik tapfer eine Schneise durch den Publikationsdschungel der folgenden 75 Jahre.
Angesichts der Fülle des vorhandenen Materials war Wittmann eine systematische Darstellung unmöglich. Allein der Literaturverlag hat eine Korrespondenz archiviert, die 1700 Ordner füllt. Wittmann wollte mehr als die bloße Aufzählung von Publikationen. Er durfte aber auch nicht der Versuchung nachgeben, eine Literaturgeschichte zu schreiben, sondern musste sich aus Platzgründen mit Kurzcharakteristiken von Büchern und Autoren begnügen. Wittmann hat das Schwergewicht der Darstellung auf die Beziehung des Verlages zu den Autoren gelegt. Tatsächlich wird die Geschichte immer dann sprechend, wenn er aus den Korrespondenzen zitiert.
Absagebriefe von Lektoren in ihrer schönen Gewundenheit bilden ein eigenes Genre, ebenso wie die mal verzweifelten, mal belehrenden Schreiben der Autoren, die grundsätzlich immer der Ansicht sind, dass der Verlag zu wenig für sie tut: keine Werbung, keine Unterstützung, läppische Honorare. Helmut Eisendle schimpfte, sein Roman „Walder” sei „das Hässlichste der bisherigen Hanser-Produktion”. „Wenn Ihr überhaupt ein Buch davon verkauft, dann nur deshalb, weil es einen Inhalt hat, sicher nicht wegen der Ausführung. (. . .) Ich ärgere mich deshalb so, weil es mein ERSTES Buch ist und ich nicht erwartet habe, dass mein ERSTES BUCH so ein SCHEISSBUCH wird.” Botho Strauß verwahrte sich nachdrücklich gegen eine Taschenbuch- und billigere Sonderausgabe von „Rumor”. Das könne er „nur für eine kümmerlich verschleierte Form des Ramschs” halten. Er werde „niemals zustimmen, dass so etwas mit einem meiner Bücher geschieht.” Zweiflerisch dagegen der Ton von Elias Canetti, als Lektor Herbert G. Göpfert andeutete, mit seinen „Befristeten” nicht zurechtzukommen: „Da besteht nun für mich die moralische Frage, dass ich Ihnen zumute, etwas vor der Öffentlichkeit zu vertreten, was Sie nicht mögen.”
Eugen Roth als Stammautor
Wittmann konturiert die Geschichte des Hanser Verlags als ein Spiegelbild der deutschen Geschichte – mit durchaus kritischen Tönen. Vor 1933 politisch indifferent, blieb der Verlag während der NS-Zeit vorsichtig distanziert bis vaterländisch. Die Fachbücher über Metallverarbeitung und Werkstoffprüfung, die zur ökonomischen Basis gehörten, waren politisch unverdächtig genug, um damit Geld verdienen zu dürfen. Die fünfziger Jahre zeigen einen gediegen konservativen Verlag, der sich mit Klassiker-Editionen und mit Eugen Roth als Stammautor neben Emil Strauß und Friedrich Georg Jünger profilierte. Walter Höllerer und der bei Hanser erscheinenden Zeitschrift Akzente war es zu verdanken, dass der Verlag sich allmählich auch der Gegenwart zuwandte und von der „Dichtung” zur „Literatur” überging.
Die Titel des Fachbuchverlags zur Industriebetriebslehre und Unternehmensplanung begleiteten das Wirtschaftswunder. Die Themen reichten von „Lohnanreizsystemen” (1956) über „Automatisierung” (1958) bis zu „Ermüdung und Erholung” (1968). 1968 rückte politische Theorie in den Vordergrund. Die „Reihe Hanser” bediente den linksradikalen Zeitgeist. Der Verleger erhob nur gelegentlich Einspruch gegen den kulturrevolutionären Furor, war aber liberal und geschäftssinnig genug, auch Überzeugungen zu dulden, die er nicht teilte. Das waren vor allem diejenigen des jungen Lektors Michael Krüger, dessen Arbeit den Verlag nachhaltig veränderte. Seinen Einstand gab Krüger mit klassischer Trivialliteratur und – zum Entsetzen Carl Hansers – mit einer „Dracula”-Ausgabe.
Seither hat der Verlag sich zum großen Publikumsverlag entwickelt. Zum Instinkt für Literaturnobelpreisträger kam der Bestseller-Instinkt: „Sofies Welt” oder die Romane Henning Mankells im dazugekauften Zsolnay-Verlag stehen dafür. „Die Suche nach der Nische, die Suhrkamp lässt”, wie Horst Bienek 1968 in einem Strategiepapier formulierte, hat sich längst erledigt. „Vom Ehrgeiz einer zentripetalen Hanser-Kultur war man weit entfernt”, schreibt Wittmann mit Blick auf die Frankfurter Konkurrenz. Dabei ist es bis heute geblieben: „Man sah sich als Individualverlag für deutsche und ausländische Autoren, die keine Ideologie, sondern nur ästhetischer Anspruch verband.” JÖRG MAGENAU
REINHARD WITTMANN: Der Carl Hanser Verlag 1928 – 2003. Eine Verlagsgeschichte. Hanser Verlag, München 2005. 392 Seiten, 42 Euro.
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Reinhard Wittmann über die Geschichte des Hanser Verlags
Der Eintrag im Münchner Handelsregister nennt den 6. Juli 1928 als Beginn der Geschäftstätigkeit des Hanser-Verlags. Am 3. November teilte der junge Verleger per Anzeige im Börsenblatt mit, dass sein Verlag dem „Gesamtbuchhandel angeschlossen” worden sei. Das erste Buch wurde am 23. November ausgeliefert. Es war der Briefroman „Die Liebe des Nikolai Pereslegin” von Fedor Stepun, einem russischen Emigranten, den Carl Hanser während des Studiums im philosophischen Seminar in Freiburg kennengelernt hatte. Für knapp zwei Jahre blieb Stepun sein einziger Autor.
So zaghaft begann die Verlagsgeschichte, doch sie blieb nicht lange so übersichtlich. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, auf ein paar hundert Buchseiten zusammenzufassen, was seither geschah. Reinhard Wittmann, der an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität Geschichte des Buchwesens lehrt, schlägt mit seiner Chronik tapfer eine Schneise durch den Publikationsdschungel der folgenden 75 Jahre.
Angesichts der Fülle des vorhandenen Materials war Wittmann eine systematische Darstellung unmöglich. Allein der Literaturverlag hat eine Korrespondenz archiviert, die 1700 Ordner füllt. Wittmann wollte mehr als die bloße Aufzählung von Publikationen. Er durfte aber auch nicht der Versuchung nachgeben, eine Literaturgeschichte zu schreiben, sondern musste sich aus Platzgründen mit Kurzcharakteristiken von Büchern und Autoren begnügen. Wittmann hat das Schwergewicht der Darstellung auf die Beziehung des Verlages zu den Autoren gelegt. Tatsächlich wird die Geschichte immer dann sprechend, wenn er aus den Korrespondenzen zitiert.
Absagebriefe von Lektoren in ihrer schönen Gewundenheit bilden ein eigenes Genre, ebenso wie die mal verzweifelten, mal belehrenden Schreiben der Autoren, die grundsätzlich immer der Ansicht sind, dass der Verlag zu wenig für sie tut: keine Werbung, keine Unterstützung, läppische Honorare. Helmut Eisendle schimpfte, sein Roman „Walder” sei „das Hässlichste der bisherigen Hanser-Produktion”. „Wenn Ihr überhaupt ein Buch davon verkauft, dann nur deshalb, weil es einen Inhalt hat, sicher nicht wegen der Ausführung. (. . .) Ich ärgere mich deshalb so, weil es mein ERSTES Buch ist und ich nicht erwartet habe, dass mein ERSTES BUCH so ein SCHEISSBUCH wird.” Botho Strauß verwahrte sich nachdrücklich gegen eine Taschenbuch- und billigere Sonderausgabe von „Rumor”. Das könne er „nur für eine kümmerlich verschleierte Form des Ramschs” halten. Er werde „niemals zustimmen, dass so etwas mit einem meiner Bücher geschieht.” Zweiflerisch dagegen der Ton von Elias Canetti, als Lektor Herbert G. Göpfert andeutete, mit seinen „Befristeten” nicht zurechtzukommen: „Da besteht nun für mich die moralische Frage, dass ich Ihnen zumute, etwas vor der Öffentlichkeit zu vertreten, was Sie nicht mögen.”
Eugen Roth als Stammautor
Wittmann konturiert die Geschichte des Hanser Verlags als ein Spiegelbild der deutschen Geschichte – mit durchaus kritischen Tönen. Vor 1933 politisch indifferent, blieb der Verlag während der NS-Zeit vorsichtig distanziert bis vaterländisch. Die Fachbücher über Metallverarbeitung und Werkstoffprüfung, die zur ökonomischen Basis gehörten, waren politisch unverdächtig genug, um damit Geld verdienen zu dürfen. Die fünfziger Jahre zeigen einen gediegen konservativen Verlag, der sich mit Klassiker-Editionen und mit Eugen Roth als Stammautor neben Emil Strauß und Friedrich Georg Jünger profilierte. Walter Höllerer und der bei Hanser erscheinenden Zeitschrift Akzente war es zu verdanken, dass der Verlag sich allmählich auch der Gegenwart zuwandte und von der „Dichtung” zur „Literatur” überging.
Die Titel des Fachbuchverlags zur Industriebetriebslehre und Unternehmensplanung begleiteten das Wirtschaftswunder. Die Themen reichten von „Lohnanreizsystemen” (1956) über „Automatisierung” (1958) bis zu „Ermüdung und Erholung” (1968). 1968 rückte politische Theorie in den Vordergrund. Die „Reihe Hanser” bediente den linksradikalen Zeitgeist. Der Verleger erhob nur gelegentlich Einspruch gegen den kulturrevolutionären Furor, war aber liberal und geschäftssinnig genug, auch Überzeugungen zu dulden, die er nicht teilte. Das waren vor allem diejenigen des jungen Lektors Michael Krüger, dessen Arbeit den Verlag nachhaltig veränderte. Seinen Einstand gab Krüger mit klassischer Trivialliteratur und – zum Entsetzen Carl Hansers – mit einer „Dracula”-Ausgabe.
Seither hat der Verlag sich zum großen Publikumsverlag entwickelt. Zum Instinkt für Literaturnobelpreisträger kam der Bestseller-Instinkt: „Sofies Welt” oder die Romane Henning Mankells im dazugekauften Zsolnay-Verlag stehen dafür. „Die Suche nach der Nische, die Suhrkamp lässt”, wie Horst Bienek 1968 in einem Strategiepapier formulierte, hat sich längst erledigt. „Vom Ehrgeiz einer zentripetalen Hanser-Kultur war man weit entfernt”, schreibt Wittmann mit Blick auf die Frankfurter Konkurrenz. Dabei ist es bis heute geblieben: „Man sah sich als Individualverlag für deutsche und ausländische Autoren, die keine Ideologie, sondern nur ästhetischer Anspruch verband.” JÖRG MAGENAU
REINHARD WITTMANN: Der Carl Hanser Verlag 1928 – 2003. Eine Verlagsgeschichte. Hanser Verlag, München 2005. 392 Seiten, 42 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2006Allgegenwärtiger Schatten
Von der Zahnmedizin zu Canetti: Die Hanser-Verlagsgeschichte
Carl Hanser glaubte nicht an eine "Krise des Buches". "Der Kreis der Menschen, für die das schöngeistige, wissenschaftliche oder fachliche Buch etwas bedeutet, ist kaum kleiner geworden. Was kleiner geworden ist, ist der Geldbeutel." Der Verleger reagierte nicht auf die Prophezeiung vom Ende des Gutenberg-Zeitalters im Zeichen der neuen Medien, sondern auf die Währungsreform von 1948, die den im Wiederaufbau befindlichen Buchmarkt vor neue ökonomische Herausforderungen stellte. Der Grundoptimismus dieser Worte ist zugleich typisch für die Verlegerpersönlichkeit Hanser, der seinen Verlag unprätentios, aber energisch zu jenem Gütesiegel führte, für das der Name Hanser bis heute steht.
Hansers Strategie war doppelgleisig: "Von Anfang an war es meine Absicht, neben die belletristische Produktion einen Fachverlag zu stellen, um auf dem schöngeistigen Gebiet wirtschaftlich einigermaßen abgesichert und nicht der Gefahr des Produktionszwangs ausgeliefert zu sein." Was hier so planmäßig klingt, war aber, wie man in Reinhard Wittmanns Verlagsgeschichte erfährt, zahlreichen Gefährdungen und Widrigkeiten ausgesetzt, und so sind die Anfänge des Belletristikverlages mehr als bescheiden. Konnte sich der 1928 gegründete Verlag im Bereich der Maschinentechnik und Metallbearbeitung rasch etablieren, so daß er im Zweiten Weltkrieg als rüstungsrelevanter Betrieb ohne größere Einschränkungen fortbestehen konnte, so kam die Belletristiksparte über ein eher wahllos erscheinendes Minimalprogramm nicht hinaus. Dies änderte sich erst, als nach dem Krieg kompetente Mitarbeiter und Berater von außen dazustießen, etwa der langjährige Lektor Herbert G. Göpfert oder Walter Höllerer.
Nun wurde aus dem kleinen, zunächst konservativ ausgerichteten Verlag eine Heimstätte für qualitätsvolle Klassikerausgaben und neue Literatur, der mit der Zeitschrift "Akzente" ein Forum eingerichtet wurde. Einen weiteren Innovationsschub bewirkten der Eintritt Christoph Schlotterers und Michael Krügers in den Verlag gegen Ende der sechziger Jahre, die das Verlagsprogramm modernisierten und für neue Themen und Formen öffneten. Allerdings steht das Aufzeigen historischer Entwicklungen nicht im Vordergrund von Wittmanns Verlagsgeschichte, der nur die Frühzeit des Verlags chronologisch abhandelt, ansonsten aber mit thematischen Längsschnitten aufwartet. So gibt es Kapitel zur Klassikerpflege, zu den deutschen Autoren im Verlag, zur Sparte Sachbuch oder zum Fachbuchverlag, die das umfassende Material zwar angemessen verteilen, aber teilweise auch die Gesamtentwicklung des Verlags aus den Augen verlieren lassen.
Die Autor-Verleger-Beziehung ist eine hochsensible Gratwanderung. Selten kann es der Verlag seinen Autoren recht machen. So klagt Horst Bienek, von Haus aus selbst Lektor, über die Zurückhaltung angesichts seines neuesten Buches: "Ich will einen Verlag, der mich schätzt und hinter meinen Büchern steht, auch wenn ich kein Bestseller-Autor bin." Moniert Bienek die geringe Werbung, so beschwert sich Erich Fried seinerseits, daß für Bienek viel mehr getan werde "als je für mich". Und dann gibt es noch Autoren wie Botho Strauß, der die unorthodoxe Ansicht vertritt: "Wir sollten, auch bei anderen Werbeunternehmen, bitte den Mund nicht zu voll nehmen; das paßt irgendwie nicht zu der Art, wie ich schreibe. Auch dreißigtausend Exemplare (was, wie ich hoffe, eine Scheinziffer ist) werden und brauchen von dem Buch nicht verkauft werden - entschuldigen Sie, da werden Sie anderer Ansicht sein. Aber ich bin nicht der Meinung, daß das Buch so viele Leute etwas anzugehen hat."
Neben der erhellenden Dokumentation der Verlagsbeziehung herausragender Hanser-Autoren läßt Wittmann die wichtigsten Erfolge, aber auch Mißgriffe des Verlags Revue passieren. Die einzelnen Reihen, von der "Edition Akzente" über die "Reihe Hanser" bis zu "Literatur als Kunst", finden ebenso Berücksichtigung wie die Anwerbung nachmals berühmter Autoren wie Elias Canetti oder sensationelle Verkaufserfolge wie Umberto Ecos "Der Name der Rose". Eine stärkere Konzentration auf Einzelautoren und -projekte hätte der Darstellung allerdings gutgetan, die gerade in der Dokumentation der bislang jüngsten Verlagsperiode zu einer Art Namedropping ohne größeren Erkenntniswert wird.
Carl Hanser ist in Wittmanns Verlagsgeschichte eher wie ein Schatten omnipräsent, als daß er eine entscheidende Rolle spielte. Dies liegt maßgeblich an seiner zurückhaltenden Persönlichkeit. So prägte Hanser seinen Verlag weniger durch ingeniöse Einfälle und spektakuläres Auftreten denn durch die zielsichere Auswahl fähiger Mitarbeiter und einen hohen Vertrauensvorschuß an das jeweilige Lektorat. Trotzdem hätte man gern etwas mehr über den promovierten Philosophen erfahren, der so unterschiedliche Bereiche wie Metallbearbeitung, Zahnmedizin und schöngeistige Literatur in seinem Verlag zusammenführte und sich vom Verleger konservativer Schriftsteller und gediegener Klassikerausgaben zu einem der modernsten, angesehensten Belletristikverleger wandelte, ohne eine ähnlich markante biographische Wende vollzogen zu haben. Nur selten scheint er sich als Unternehmer und Finanzier gegen sein Lektorat gestellt zu haben, am entschiedensten wohl, als sich der Verlag in den siebziger Jahren für seinen Geschmack allzu "links" positionierte. Entsprechend mußte sich der damalige Lektor Michael Krüger für die Empfehlung eines Manuskripts von Helmut Eisendle rügen lassen: "Ich frage mich allen Ernstes, lieber Herr Krüger, was denn noch geschehen muß, damit Arbeiten dieser Art nicht ,sehr für eine Veröffentlichung' empfohlen werden. Sie ruinieren nicht nur wirtschaftlich den Verlag, sondern sind auch, wie uns in der letzten Zeit wiederholt bestätigt worden ist, dem Ansehen des Verlages abträglich."
Aus Hansers Worten spricht nicht zuletzt die Sorge des Fachbuchverlegers um das Ansehen bei der Industrie, die als Abnehmer wie Annoncenkunde wirtschaftlich von entscheidender Bedeutung war. Über die Entwicklung dieses Verlagssegments informieren drei ausführliche Kapitel, denen eine kompaktere Darstellungsform zu wünschen gewesen wäre, wie sie Wittmann laut Vorwort selbst vorgesehen hatte, ohne damit beim Verlag durchzudringen. Wenngleich er, anders als er meint, nicht durchgehend der Gefahr entgangen ist, "in einen weihevollen Festschriftenton zu geraten", bietet seine reichillustrierte Verlagsgeschichte doch hinreichend Gelegenheit, die wechselvollen Geschicke des Hanser-Verlags mitzuverfolgen.
THOMAS MEISSNER
Reinhard Wittmann: "Der Carl Hanser Verlag 1928-2003". Eine Verlagsgeschichte. Hanser Verlag, München 2005. 391 S., geb., 42,- [Euro].
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Von der Zahnmedizin zu Canetti: Die Hanser-Verlagsgeschichte
Carl Hanser glaubte nicht an eine "Krise des Buches". "Der Kreis der Menschen, für die das schöngeistige, wissenschaftliche oder fachliche Buch etwas bedeutet, ist kaum kleiner geworden. Was kleiner geworden ist, ist der Geldbeutel." Der Verleger reagierte nicht auf die Prophezeiung vom Ende des Gutenberg-Zeitalters im Zeichen der neuen Medien, sondern auf die Währungsreform von 1948, die den im Wiederaufbau befindlichen Buchmarkt vor neue ökonomische Herausforderungen stellte. Der Grundoptimismus dieser Worte ist zugleich typisch für die Verlegerpersönlichkeit Hanser, der seinen Verlag unprätentios, aber energisch zu jenem Gütesiegel führte, für das der Name Hanser bis heute steht.
Hansers Strategie war doppelgleisig: "Von Anfang an war es meine Absicht, neben die belletristische Produktion einen Fachverlag zu stellen, um auf dem schöngeistigen Gebiet wirtschaftlich einigermaßen abgesichert und nicht der Gefahr des Produktionszwangs ausgeliefert zu sein." Was hier so planmäßig klingt, war aber, wie man in Reinhard Wittmanns Verlagsgeschichte erfährt, zahlreichen Gefährdungen und Widrigkeiten ausgesetzt, und so sind die Anfänge des Belletristikverlages mehr als bescheiden. Konnte sich der 1928 gegründete Verlag im Bereich der Maschinentechnik und Metallbearbeitung rasch etablieren, so daß er im Zweiten Weltkrieg als rüstungsrelevanter Betrieb ohne größere Einschränkungen fortbestehen konnte, so kam die Belletristiksparte über ein eher wahllos erscheinendes Minimalprogramm nicht hinaus. Dies änderte sich erst, als nach dem Krieg kompetente Mitarbeiter und Berater von außen dazustießen, etwa der langjährige Lektor Herbert G. Göpfert oder Walter Höllerer.
Nun wurde aus dem kleinen, zunächst konservativ ausgerichteten Verlag eine Heimstätte für qualitätsvolle Klassikerausgaben und neue Literatur, der mit der Zeitschrift "Akzente" ein Forum eingerichtet wurde. Einen weiteren Innovationsschub bewirkten der Eintritt Christoph Schlotterers und Michael Krügers in den Verlag gegen Ende der sechziger Jahre, die das Verlagsprogramm modernisierten und für neue Themen und Formen öffneten. Allerdings steht das Aufzeigen historischer Entwicklungen nicht im Vordergrund von Wittmanns Verlagsgeschichte, der nur die Frühzeit des Verlags chronologisch abhandelt, ansonsten aber mit thematischen Längsschnitten aufwartet. So gibt es Kapitel zur Klassikerpflege, zu den deutschen Autoren im Verlag, zur Sparte Sachbuch oder zum Fachbuchverlag, die das umfassende Material zwar angemessen verteilen, aber teilweise auch die Gesamtentwicklung des Verlags aus den Augen verlieren lassen.
Die Autor-Verleger-Beziehung ist eine hochsensible Gratwanderung. Selten kann es der Verlag seinen Autoren recht machen. So klagt Horst Bienek, von Haus aus selbst Lektor, über die Zurückhaltung angesichts seines neuesten Buches: "Ich will einen Verlag, der mich schätzt und hinter meinen Büchern steht, auch wenn ich kein Bestseller-Autor bin." Moniert Bienek die geringe Werbung, so beschwert sich Erich Fried seinerseits, daß für Bienek viel mehr getan werde "als je für mich". Und dann gibt es noch Autoren wie Botho Strauß, der die unorthodoxe Ansicht vertritt: "Wir sollten, auch bei anderen Werbeunternehmen, bitte den Mund nicht zu voll nehmen; das paßt irgendwie nicht zu der Art, wie ich schreibe. Auch dreißigtausend Exemplare (was, wie ich hoffe, eine Scheinziffer ist) werden und brauchen von dem Buch nicht verkauft werden - entschuldigen Sie, da werden Sie anderer Ansicht sein. Aber ich bin nicht der Meinung, daß das Buch so viele Leute etwas anzugehen hat."
Neben der erhellenden Dokumentation der Verlagsbeziehung herausragender Hanser-Autoren läßt Wittmann die wichtigsten Erfolge, aber auch Mißgriffe des Verlags Revue passieren. Die einzelnen Reihen, von der "Edition Akzente" über die "Reihe Hanser" bis zu "Literatur als Kunst", finden ebenso Berücksichtigung wie die Anwerbung nachmals berühmter Autoren wie Elias Canetti oder sensationelle Verkaufserfolge wie Umberto Ecos "Der Name der Rose". Eine stärkere Konzentration auf Einzelautoren und -projekte hätte der Darstellung allerdings gutgetan, die gerade in der Dokumentation der bislang jüngsten Verlagsperiode zu einer Art Namedropping ohne größeren Erkenntniswert wird.
Carl Hanser ist in Wittmanns Verlagsgeschichte eher wie ein Schatten omnipräsent, als daß er eine entscheidende Rolle spielte. Dies liegt maßgeblich an seiner zurückhaltenden Persönlichkeit. So prägte Hanser seinen Verlag weniger durch ingeniöse Einfälle und spektakuläres Auftreten denn durch die zielsichere Auswahl fähiger Mitarbeiter und einen hohen Vertrauensvorschuß an das jeweilige Lektorat. Trotzdem hätte man gern etwas mehr über den promovierten Philosophen erfahren, der so unterschiedliche Bereiche wie Metallbearbeitung, Zahnmedizin und schöngeistige Literatur in seinem Verlag zusammenführte und sich vom Verleger konservativer Schriftsteller und gediegener Klassikerausgaben zu einem der modernsten, angesehensten Belletristikverleger wandelte, ohne eine ähnlich markante biographische Wende vollzogen zu haben. Nur selten scheint er sich als Unternehmer und Finanzier gegen sein Lektorat gestellt zu haben, am entschiedensten wohl, als sich der Verlag in den siebziger Jahren für seinen Geschmack allzu "links" positionierte. Entsprechend mußte sich der damalige Lektor Michael Krüger für die Empfehlung eines Manuskripts von Helmut Eisendle rügen lassen: "Ich frage mich allen Ernstes, lieber Herr Krüger, was denn noch geschehen muß, damit Arbeiten dieser Art nicht ,sehr für eine Veröffentlichung' empfohlen werden. Sie ruinieren nicht nur wirtschaftlich den Verlag, sondern sind auch, wie uns in der letzten Zeit wiederholt bestätigt worden ist, dem Ansehen des Verlages abträglich."
Aus Hansers Worten spricht nicht zuletzt die Sorge des Fachbuchverlegers um das Ansehen bei der Industrie, die als Abnehmer wie Annoncenkunde wirtschaftlich von entscheidender Bedeutung war. Über die Entwicklung dieses Verlagssegments informieren drei ausführliche Kapitel, denen eine kompaktere Darstellungsform zu wünschen gewesen wäre, wie sie Wittmann laut Vorwort selbst vorgesehen hatte, ohne damit beim Verlag durchzudringen. Wenngleich er, anders als er meint, nicht durchgehend der Gefahr entgangen ist, "in einen weihevollen Festschriftenton zu geraten", bietet seine reichillustrierte Verlagsgeschichte doch hinreichend Gelegenheit, die wechselvollen Geschicke des Hanser-Verlags mitzuverfolgen.
THOMAS MEISSNER
Reinhard Wittmann: "Der Carl Hanser Verlag 1928-2003". Eine Verlagsgeschichte. Hanser Verlag, München 2005. 391 S., geb., 42,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Durchaus aufschlussreich erscheint Thomas Meissner diese Verlagsgeschichte des Carl Hanser Verlags von Reinhard Wittmann, auch wenn er hier und da kleinere Kritikpunkte anzubringen weiß. Prinzipiell hat er nichts dagegen einzuwenden, dass nicht historische Entwicklungen des Verlags im Vordergrund stehen, sondern thematische Längsschnitte, in denen der Autor sich etwa mit der Klassikerpflege, den deutschen Autoren im Verlag oder der Sparte Sachbuch befasst. Allerdings hält Meissner dem Autor in diesem Zusammenhang vor, bisweilen die Gesamtentwicklung des Verlags nicht hinreichend zu erfassen. Generell lobend äußert er sich über Wittmanns Dokumentation der Verlagsbeziehung herausragender Hanser-Autoren wie Erich Fried oder Botho Strauss, wobei er sich noch eine "stärkere Konzentration" auf Einzelautoren und -projekte gewünscht hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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