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Stefan Breuers hochgelehrtes Buch beschäftigt sich mit der Urfrage, wie Staaten entstanden sind, aus welchen Frühformen sich staatliche Herrschaft herausgebildet hat. Der 'charismatische Staat', den Breuer beschreibt, ist der Staat im frühesten Zustand seiner Entstehung. Von den ersten Stammesgesellschaften unterscheidet er sich dadurch, dass der König nicht mehr - wie der Häuptling - als Vertreter der Gemeinde gegenüber den Göttern handelt, sondern umgekehrt als Vertreter der Götter gegenüber der Gemeinde. Für seine große Synthese hat er Erkenntnisse der Ethnologie, Archäologie, Geschichte…mehr

Produktbeschreibung
Stefan Breuers hochgelehrtes Buch beschäftigt sich mit der Urfrage, wie Staaten entstanden sind, aus welchen Frühformen sich staatliche Herrschaft herausgebildet hat. Der 'charismatische Staat', den Breuer beschreibt, ist der Staat im frühesten Zustand seiner Entstehung. Von den ersten Stammesgesellschaften unterscheidet er sich dadurch, dass der König nicht mehr - wie der Häuptling - als Vertreter der Gemeinde gegenüber den Göttern handelt, sondern umgekehrt als Vertreter der Götter gegenüber der Gemeinde. Für seine große Synthese hat er Erkenntnisse der Ethnologie, Archäologie, Geschichte und Soziologie ausgewertet und zusammengetragen und exemplifiziert sein Stufenmodell an frühen Staaten Ozeaniens, Südamerikas, Chinas, Mesopotamiens, Ägyptens und der Ägäis. Die Wurzeln staatlicher Organisation, der charismatische Staat, die sich evolutionär aus den Stammesgesellschaften entwickelten und durch religiöse Komponenten aufgeladen wurden, werden hier zu einem klaren Bild zusammengefügt.
Autorenporträt
Breuer, Stefan
Stefan Breuer, geb. 1948, ist Professor für Soziologie in Hamburg. Bei der WBG erschien von ihm u.a.: Anatomie der Konservativen Revolution (2. Aufl. 1995); Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus (1995); Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 - 1945 (2001).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Urs Hafner wünscht sich mehr Systematik in Stefan Breuers Versuch, den Staat als uralte Menschheitserfindung darzustellen. Von der Jungsteinzeit über Griechenland bis zu Beispielen aus Ägypten und den Anden zeigt ihm der Autor unter Einbezug einer beeindruckenden Menge an Forschungsliteratur und für den Laien verständlich gefasst verschiedene staatliche Organisationsformen. Dass der Autor sich dabei als Weberianer präsentiert und mit Begriffen Webers arbeitet, scheint für Hafner in Ordnung, solange Breuer mit Weber das charismatische Moment in staatlichen Frühformen identifiziert. Wenn  Breuer hingegen egalitär organisierte Gemeinwesen nicht als staatlich anerkennt, vermutet der Rezensent ein Durchschlagen der Weberschen die Demokratie eher gering schätzenden Sicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2014

Opfer müssen gebracht werden
Denn das Sakrale ist nie fern: Stefan Breuer untersucht die Entstehung von charismatischer Herrschaft

Max Weber unterschied zwischen charismatischer, traditionaler und legaler Herrschaft. Den Begriff des Charismatischen überträgt der emeritierte Hamburger Soziologe Stefan Breuer in seinem neuen Buch auf den frühen Staat und führt den Idealtypus des "charismatischen Staats" ein. Nach Breuer sind Staaten "charismatisch" in dem Maße, wie sie ihre Legitimität, Attraktions- und Kohäsionskraft aus der Verbindung zur transzendenten Sphäre von Ahnengeistern oder Göttern beziehen.

Das gilt typischerweise für frühe, aus Häuptlingstümern vom Typ des "konischen Klans" hervorgegangene Staaten, das sind Klans, die sich von einem Ahnengeist oder einer Gottheit herleiten, nach Maßgabe der verwandtschaftlichen Nähe beziehungsweise Ferne zu diesem transzendenten Ursprung vertikal strukturieren und auf eine Spitze, den Häuptling oder König, zulaufen, der die Verbindung zur transzendenten Sphäre verkörpert.

Diese Verbindung kultisch zu organisieren und aufrechtzuerhalten, durch monumentale architektonische Gestaltung, personelle Ausstattung und ständige Opfer, bildet die zentrale Aufgabe der Spitze. So tritt zu den klassischen Monopolen, die einem politischen Verband den Charakter der Staatlichkeit geben - Gewalt (in Form eines "Erzwingungsstabs"), Besteuerung, Gebiet und Grenzen sowie Gesetzgebung - als fünftes und wichtigstes die Verfügung über die "Heilsgüter" hinzu wie Fruchtbarkeit, Wohlstand und militärischer Erfolg, die aus der kultischen Kommunikation mit der Götter- oder Geistersphäre erwachsen.

Dieses Modell wird von Breuer mit der "epigenetischen Zivilisationstheorie" verbunden, wodurch die Idealtypen nicht nur nebeneinandergestellt, sondern als Stufen evolutiver und vor allem auch devolutiver Prozesse dynamisiert werden. Was im Raum die Grenzen sind, durch die sich ein politischer Verband in Richtung Staatlichkeit ausprägt, ist in der Zeitdimension die Fähigkeit, sich über längere Zeiträume hinweg zu erhalten und zu reproduzieren.

Was Breuer dann nach einer einführenden Darstellung seiner Thesen und Begriffe anhand von sieben Fallbeispielen untersucht, sind Prozesse der Staatenbildung, die im ersten Fall, Ozeanien, noch nicht zum Ziel kommen, sondern auf der Stufe von Häuptlingstümern stehenbleiben, in den anderen sechs (Südamerika, Mesoamerika, China, Mesopotamien, Ägypten und Ägäis) jedoch zu verschiedenen Ausprägungen des charismatischen Staats führen.

Dieser erhält seine beeindruckende Variationsbreite unter anderem durch die Verbindung mit dem "Prestigegüter-System", das in das vertikale Kohäsionsprinzip des "konischen Klanstaats" die horizontale Ebene von Wettbewerb und Rivalität einführt und durch das Nebeneinander von "magischem" (besser: kultischem) und militärischem Charisma.

Der problematische, weil nichtquellensprachliche, von Max Weber geprägte Begriff des "Charisma" lässt sich am ehesten mit dem Begriff des Sakralen in Verbindung bringen, der ja gerade Orten und ihrer künstlichen Ausgestaltung anhaftet. Dass solche heiligen Orte Symbol und Zentrum politischer Verbände bilden, die sich - immer in koevolutiver Verbindung mit ihnen - zu Häuptlingstümern und Staaten entwickeln, sei als ein besonders eindrucksvoller und typischer Zug des "charismatischen Staates" festgehalten.

Kult und Kultstätten, die der Verbindung zur Götter- und Geisterwelt dienen, gibt es zwar schon lange vor der Entstehung von Staaten, aber es leuchtet ein, dass in ihrer immer monumentaleren architektonischen Gestaltung und reicheren Ausstattung mit Priestern und Opfergaben ein wichtiges Motiv zur Entstehung immer größerer und straffer organisierter politischer Verbände liegen kann.

Breuers neues Buch hat das Verdienst, dem Sakralen neben den politischen und ökonomischen Motiven der Machtsteigerung und Bereicherung gebührende Geltung verschafft zu haben. Ist aber die Dimension des Sakralen beziehungsweise des Charismas mit dem Ende des "charismatischen Staats" verschwunden? So wie die griechische Polis ihr Heroengrab hatte jede bedeutendere christliche Stadt ihr Märtyrergrab oder ihren Reliquienschrein in der Hauptkirche als charismatisches Zentrum.

Als mit der Französischen Revolution und dem modernen Nationsbegriff auch die neuen Begriffe von Nation und Vaterland charismatisch aufgeladen wurden - ein Prozess, der im Ersten Weltkrieg kulminierte ("heilig Vaterland ...") -, kehrte wieder das Heroengrab in Gestalt unzähliger Kriegerdenkmäler ins Zentrum der Länder, Städte und Dörfer zurück. Zwar findet der "charismatische Staat" als Frühform der Staatlichkeit sein Ende in den reifen Formen des patrimonialen und legalen Staats oder Imperiums, aber ein Element des Sakralen scheint in den Begriffen und Institutionen von Staat und Nation latent vorhanden und immer wieder reaktivierbar. Das gilt vor allem für Krisenzeiten wie Krieg und Revolution.

Stefan Breuers Buch ist ein Lehrbuch, als solches ausgezeichnet und auf dem neuesten Stand der Forschung. Es räumt mit vielen Klischees und Missverständnissen auf und bringt mit seiner theoretischen und terminologischen Prägnanz Klarheit und Systematik in die vielbehandelte und umstrittene Frage der Staatsentstehung. Diese seine Stärke ist aber zugleich seine Schwäche.

Das Buch gibt einen bewundernswert reich dokumentierten Überblick über die Forschung, aber keinen tieferen Einblick in das Erforschte, die behandelten Kulturen mit ihren Monumenten, Kultplätzen, Ikonographien, Symbolen, Ritualen und was sonst dem Thema Anschaulichkeit verliehen hätte. Überdies ist es kompromisslos in fachterminologischer Diktion abgefasst. Meist vertritt der Verweis auf die Sekundärliteratur die Erklärung eines Begriffs. Wie hat man den Gegensatz von "Animismus" und "Analogismus" oder den von "lineages" und "ramages" zu verstehen? Was bedeutet der mit "Prestigesystemen" einhergehende "Dualismus"?

Manches füllt sich dem Uneingeweihten im Lauf der Lektüre mit Inhalt; zugleich aber werden ihm die Befunde, um die es geht, nur immer interessanter und die fehlende Anschaulichkeit immer schmerzlicher. Ein zweiter Band mit einem Glossar, einem Sachindex und vor allem einem reichen Abbildungsteil wäre hochwillkommen.

JAN ASSMANN

Stefan Breuer: "Der charismatische Staat". Ursprünge und Frühformen staatlicher Herrschaft.

WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014. 319 S., br., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Das Buch gibt einen bewundernswert reich dokumentierten Überblick über die Forschung..." Frankfurter Allgemeine Zeitung