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Deutsche Kolonialgeschichte in elf Fundstücken
Koloniales Erbe als Familiengeschichte - Beutestücke in deutschen Wohnzimmrn Paravent, Teeservice, Speere, Schild und Papagei: Nicola Kuhn stellt Artefakte vor, die viel über die Kolonialzeit erzählen. Von Missionaren, Militärs, Siedlern oder Händlern als Trophäen und Erinnerungsstücke mitgebracht, verbirgt sich hinter jedem Objekt immer auch die Tragödie eines besetzen Landes und seiner Menschen. Die Fundstücke bezeugen die extreme Gewalt wie das vermeintlich friedliche Miteinander, radikale Ausbeutung, doch auch Versuche von Annäherung. Zu…mehr

Produktbeschreibung
Deutsche Kolonialgeschichte in elf Fundstücken

Koloniales Erbe als Familiengeschichte - Beutestücke in deutschen Wohnzimmrn
Paravent, Teeservice, Speere, Schild und Papagei: Nicola Kuhn stellt Artefakte vor, die viel über die Kolonialzeit erzählen. Von Missionaren, Militärs, Siedlern oder Händlern als Trophäen und Erinnerungsstücke mitgebracht, verbirgt sich hinter jedem Objekt immer auch die Tragödie eines besetzen Landes und seiner Menschen. Die Fundstücke bezeugen die extreme Gewalt wie das vermeintlich friedliche Miteinander, radikale Ausbeutung, doch auch Versuche von Annäherung. Zu Wort kommen auch die heutigen Besitzer, die einen Umgang mit diesem Erbe finden müssen.
Erzählerisch entwirft Nicola Kuhn so ein Panorama deutscher Kolonialherrschaft. Sie ist der Meinung: Nach einem Jahrhundert des Schweigens ist es Zeit, sich ein Bild zu machen.
Welt und Wohnzimmer sind fulminant erzählerisch miteinander verbundenNicola Kuhn ist Expertin für Raubkunst und renommierte Journalistin
Autorenporträt
Nicola Kuhn, geboren 1962, ist Kunstkritikerin und seit 1991 Redakteurin im Feuilleton des ¿Tagesspiegel¿. Sie studierte u.a. Kunstgeschichte und Neuere Geschichte, unterrichtete an der FU Berlin, erhielt den Kritikerpreis der hbs Kulturstiftung. Sie ist Autorin mehrerer Veröffentlichungen, darunter ¿Rudolf Zwirner. Ich wollte immer Gegenwart¿ und ¿Hitlers Kunsthändler¿, die Biografie von Hildebrand Gurlitt. Seit sie sich mit der Geschichte 'ihres' Paravents beschäftigt, lässt das Thema Raubkunst sie nicht mehr los.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

In ihrem Buch geht Nicola Kuhn einer alten Familienlegende rund um einen chinesischen Paravent nach, den ihr Urgroßvater vom chinesischen Kaiser erhalten haben soll, erklärt Rezensentin Ingeborg Ruthe. Nach einer genauen Recherche deckt Kuhn die Legende ihres Urgroßvaters als einen "Akt privater kolonialistischer Aneignung" auf und legt nach dieser Erkenntnis ihre eigene, tiefe Betroffenheit überzeugend dar, lobt die Kritikerin. Bei zehn weiteren Fällen und Familien geht Kuhn ähnlich vor, immer mit ein wenig "abenteuerlicher Fantasie" angereichert, freut sich die Kritikerin. Ruthe imponiert außerdem, dass Kuhn dabei nie die Moralkeule oder Restitutions-Forderungen auspackt, sondern sich auf die "Sensibilisierung" für die eigene Familiengeschichte fokussiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2024

Koloniales Erbe im Wohnzimmer
Über fragwürdige Mitbringsel unserer Ahnen

Ihr Urgroßvater hat der Familie unserer Autorin einen prächtigen Paravent vererbt. Nach Recherchen über die Herkunft wird ihr ganz flau im Magen," war am 18. Februar 2021 im Berliner "Tagesspiegel" zu lesen. Für die Feuilleton-Redakteurin Nicola Kuhn wurde ihr Beitrag über das vermeintliche Geschenk des chinesischen Kaisers an ihren Vorfahren der Auftakt einer Spurensuche zum Umgang mit Artefakten kolonialer Herkunft in der eigenen und anderen Familien. Das Bild vom chinesischen Wandschirm mit dem riesigen Drachen schmückt jetzt das Cover ihres Buches über ein Sammelsurium privater kolonialistischer Erbstücke, deren damalige Erwerber und ihre Nachkommen als heutige Besitzer der Relikte.

Drachen-Tapisserie, Silbergeschirr, Kriegerschild und Nilpferdpeitsche - das Spektrum von Kuhns kolonialen Fundstücken in privaten Haushalten ist breit. Sie sollten einst "exotisches Flair", Status und Weltläufigkeit von Rückkehrern ins biedere, heimatliche Dasein bringen. Heute irritieren sie zunehmend. Nicola Kuhns sorgfältig recherchierte Reise durch die Geschichte des deutschen Kolonialismus anhand von 11 Fundstücken stellt eine skurrile Mischung von Dingen vor, die Expatriates aus dem Kaiserreich als Souvenirs, Trophäen oder Geschenke von beruflichen Aufenthalten in China, Afrika und der Südsee nach Hause mitnahmen. Die Autorin ist überzeugt: "Hinter jedem Gegenstand verbirgt sich eine komplexe Historie."

Von den Objekten ausgehend wird die Lebensgeschichte der Vorfahren erzählt. Zu Wort kommen danach die heutigen Eigentümer der Mitbringsel. Sie sind in der Regel vier Generationen jünger. In der wachsenden Sensibilisierung für die koloniale Vergangenheit des Kaiserreichs müssen sie einen zeitgemäßen Umgang mit den überkommenen Erbstücken und der oft unbekannten bis verdrängten kolonialen Geschichte ihrer Altvorderen finden. Auch wenn der Kolonialismus Museumswelt und Politik schon länger beschäftigt - im Privaten wird er erst jetzt bewusst, wird "persönlich, was bisher abgehobener Gegenstand einer öffentlichen Debatte gewesen ist," so Kuhn.

Im ersten, vergleichsweise längsten Kapitel ihres Buches geht es um Kuhns eigenes Erbe, den titelgebenden chinesischen Paravent. Ihn brachte ihr Hamburger Urgroßvater Carl Bödiker (1868-1952) vor gut 100 Jahren aus Tsingtau mit, der damaligen "deutschen Musterstadt" an der Nordostküste Chinas. Der erfolgreiche Großkaufmann aus dem noblen Harvestehude rüstete deutsche "Schutztruppen" während des "Boxerkriegs" mit allem Lebensnotwendigen aus. In derselben Funktion wurde er kurz darauf beim Kampf gegen Herero und Nama in Südwestafrika tätig. Parallel dazu betrieb er eine bestens florierende Importfirma. Er brachte es zum preußischen Generalkonsul, einem Millionenvermögen sowie einer prachtvollen Villa an der Außenalster, gefüllt mit Truhen, Silber, Porzellanen und dem bewussten Wandschirm aus China.

Wann, wie und wo Bödiker an das dekorative Stück mit dem Drachentier gelangte, konnte seine Urenkelin nicht rekonstruieren. Vermutlich handelt es sich um Plünderungsgut, das bei der Niederschlagung des sogenannten Boxerkrieges zwischen 1900 und 1901 aus Tempeln, kaiserlichen Palästen, Geschäften und privaten Haushalten in Peking und Nordchina gestohlen wurde. Für die Herkunft aus einem Tempel als Raubgut sprechen auf Kuhns Paravent goldgestickte buddistische Glücksräder neben dem Drachen. In Bödikers Familie allerdings galt der Wandschirm generationenlang als ein direktes Geschenk des chinesischen Kaisers an ihren Ahnherrn. Die Urenkelin ist nun die Erste, die diesen Mythos hinterfragt. Für sie transportiert das Erbstück neben privaten Erinnerungen aus ihrer Kindheit heute vor allem "koloniale Geschichte und die eigene familiäre Involviertheit . . . Der Blick darauf hat sich geändert, angestoßen durch ein gewachsenes koloniales Bewusstsein." Die Autorin ist mit diesem Gefühl in der aktuellen Erbengeneration nicht allein.

Bei den meisten ihrer Gesprächspartner mit einem Erbstück aus der Kolonialzeit beobachtete Nicola Kuhn wie bei sich selbst, dass sich die bisher selten hinterfragte Haltung zu diesem Besitz bei den Urenkeln ändert. Manche empfinden das materielle Erbe sogar als Hypothek, die man gern loswerden möchte wie jene Nilpferdpeitsche unbekannter Herkunft, die der Historiker Dag Hinrichsen einst von seiner Mutter geschenkt bekam. Aber was tun mit solchen Erbstücken? Eine Rückgabe in die Ursprungsländer ist in den seltensten Fällen möglich. Die Verpflichtung dazu besteht für Privatleute sowieso nicht. Im Übrigen sind die vormaligen Ausstellungsstücke für das eigene Heim kaum als Raubkunst zu identifizieren. Familiäres Erbe sei zwar eine Privatangelegenheit, meint Kuhn. Doch durch den kolonialen Kontext habe es eine gesellschaftliche Dimension. Deshalb möchte ihr Buch zumindest "ein Bewusstsein dafür wecken, dass künftig auch im privaten Umfeld Mythen vom ,guten' Kolonialisten nicht mehr unkritisch weitergegeben werden." Für Recherchen über koloniale Erbstücke im eigenen Haushalt empfiehlt Kuhn Museen als Lotsen zur moralischen Selbstvergewisserung. Denn: "Über die Verstrickungen der eigenen Familie nachzudenken wäre ein Anfang." ULLA FÖLSING

Nicola Kuhn: Der chinesische Paravent. Wie der Kolonialismus in deutsche Wohnzimmer kam, dtv, München 2024, 368 Seiten, 25 Euro.

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Sorgfältig recherchiert, grandios erzählt. Gabi Czöppan Focus 20240503