Gefangener 5995 schafft es, aus einem chinesischen Straflager auszubrechen, wo er als dissidenter Intellektueller fast zwanzig Jahre weggesperrt war. Auf seiner Flucht versucht er, seine alten Kontakte zum britischen MI6 wiederzubeleben. Aber die Welt und vor allem China haben sich verändert. Jeder beobachtet jeden, die Überwachung wichtiger Personen ist flächendeckend. Deswegen rekrutieren die Briten den Journalisten Philip Mangan, der sich einigermaßen frei bewegen kann. Der soll Nr. 5995, Deckname »Night Heron«, wieder aktivieren.
Was Mangan nicht weiß: Sowohl der chinesische Verräter als auch der britische Geheimdienst haben ganz eigene Pläne und Ziele. Und als der MI6 auch noch eine private amerikanische Sicherheitsfirma an Bord holt, beginnt ein faszinierendes und rasend spannendes Katz-und-Maus-Spiel unter den Augen der allgegenwärtigen Überwachungstechnologie.
Was Mangan nicht weiß: Sowohl der chinesische Verräter als auch der britische Geheimdienst haben ganz eigene Pläne und Ziele. Und als der MI6 auch noch eine private amerikanische Sicherheitsfirma an Bord holt, beginnt ein faszinierendes und rasend spannendes Katz-und-Maus-Spiel unter den Augen der allgegenwärtigen Überwachungstechnologie.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2019Willkommen in der neuen Zeit
Bezahlen und sich bezahlen lassen: Adam Brookes war jahrelang BBC-Korrespondent in China. Jetzt hat er einen
konsequent zeitgemäßen Agententhriller über die globalen Machtverhältnisse geschrieben
VON FELIX STEPHAN
Eine der wichtigsten Lehren der Gegenwart lautet, dass die Wirklichkeit genau so ist, wie sie sich die Genreromane immer vorgestellt haben. Das versteht sich keinesfalls von selbst. Lange hatte es die Hoffnung gegeben, dass die politische Wirklichkeit weitaus komplizierter, gebrochener, ambivalenter ist, als sie sich in Agententhrillern darstellt, wo es einen Guten und einen Bösen gibt, wo verschlüsselte Botschaften in schattigen Gassen übergeben werden, wo es hinter der allgemein bekannten Gesellschaft immer noch eine zweite, verborgene gibt und man die wirklich Mächtigen nie zu Gesicht bekommt. Das hatte man bei Graham Greene und Ian Fleming so oft gelesen, dass es längst zum Klischee geronnen war. Eigentlich lag es auf der Hand, dass es in Hinterzimmern und situation rooms doch irgendwie interessanter zugehen müsse. Die Leute dort müssten sich des Bildes bewusst sein, das die populäre Literatur von ihnen zeichnet, und würden es in ihrem alltäglichen Gebaren zu unterlaufen versuchen, schon allein, um sich selbst nicht zu langweilen und nicht nur eine Karikatur ihrer selbst zu sein.
Die Einblicke von Julian Assange, Edward Snowden und all der namenlosen Whistleblower in den vergangen Jahren haben allerdings gezeigt, dass in den Zentren der Macht offenkundig niemand das geringste Interesse daran hat, seinem eigenen Klischee auszuweichen. In den Leaks und in den investigativen Sachbüchern von Michael Lewis, Seymour Hersh und Michael Wolff tritt der militärisch-industrielle Komplex genau so plump kriminell, breitkrawattig und oligarchisch auf, wie es in den Agententhrillern zu lesen war.
In diesem Sinne ist „Der chinesische Verräter“, der Debütroman des ehemaligen China-Korrespondenten der BBC, Adam Brookes, ein zeitgemäßes Buch. Einerseits ist der Roman erkennbar Genreliteratur, er verfügt über alle geläufigen Merkmale eines gut gemachten Thrillers. Andererseits kommt es der Wirklichkeit wahrscheinlich gerade deshalb sehr nah.
Im Zentrum steht der chinesische Dissident Li Huasheng. Dessen Eltern gehörten der chinesischen Intelligenz an, weshalb sein Vater von der maoistischen Inquisition verhaftet, gefoltert und zu öffentlicher Selbstkritik gezwungen wurde. Huashengs Rache bestand darin, chinesische Staatsgeheimnisse an den britischen Geheimdienst zu verraten, bis er nach dem Massaker vom Tiananmen-Platz in anderer Angelegenheit zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Der Roman setzt ein mit Huashengs Ausbruch aus dem Gefängnis. Gegen alle Wahrscheinlichkeit kämpft er sich durch die Wüste des Qaidam-Beckens in der inneren Mongolei, taucht in Beijing unter und nimmt dort den alten Kampf wieder auf: den Kampf der chinesischen, von westlichen Freiheitsidealen träumenden Intelligenz gegen die maoistische Gewaltherrschaft der Kommunistischen Partei.
Die Ausgangsbeobachtung der Romanhandlung lautet allerdings, dass sich die Konfliktlinien seit 1989 gründlich neu sortiert haben und Li Huasheng keinen einzigen Kontrahenten mehr dort vorfindet, wo er ihn vor zwanzig Jahren zurückgelassen hat. Die Kommunistische Partei verfolgt die Wissenschaftler nicht mehr, sondern bezahlt sie gut. Die Wissenschaftler bekämpfen die Partei nicht mehr, sondern lassen sich gut bezahlen. Und der ehemals mächtige britische Geheimdienst hat die kompliziertesten Operationen längst an global agierende, private Dienstleister ausgelagert, die sich im Zweifel ebenfalls von der Kommunistischen Partei Chinas gut bezahlen lassen wollen.
Das ist natürlich alles eher Kunstgriff als Begriffskunst, darin aber wirklich schön. Keine Figur hat Eigenschaften, die für den Fortgang der Geschichte nicht unbedingt benötigt werden, niemand hat ein erkennbares Innenleben, alle denken immer nur über den unmittelbar nächsten Schritt nach. Auf der formalen Ebene ist das alles sehr konsequent unoriginell, und gerade deshalb glaubt man jede Silbe.
Über den „Mueller Report“, den Bericht des FBI-Sonderermittlers Robert Mueller über die Rolle der Russen im amerikanischen Wahlkampf, hieß es oft, er lese sich wie ein Thriller. Im Falle von Adam Brookes’ Roman müsste man den Vergleich nun umdrehen: Der Thriller liest sich wie ein FBI-Bericht. Bis vor Kurzem wäre das noch kein Kompliment gewesen, aber die Zeiten sind eben andere.
Adam Brookes: Der chinesische Verräter. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Heckmann. Suhrkamp, Berlin 2019. 402 Seiten, 15,95 Euro.
Heute wissen wir: Kein Genre
ist der Wahrheit so nah
wie der Agententhriller
Der Thriller liest sich wie
ein FBI-Bericht. Neuerdings ist
das ein Kompliment
Foto: picture-alliance/Leemage
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bezahlen und sich bezahlen lassen: Adam Brookes war jahrelang BBC-Korrespondent in China. Jetzt hat er einen
konsequent zeitgemäßen Agententhriller über die globalen Machtverhältnisse geschrieben
VON FELIX STEPHAN
Eine der wichtigsten Lehren der Gegenwart lautet, dass die Wirklichkeit genau so ist, wie sie sich die Genreromane immer vorgestellt haben. Das versteht sich keinesfalls von selbst. Lange hatte es die Hoffnung gegeben, dass die politische Wirklichkeit weitaus komplizierter, gebrochener, ambivalenter ist, als sie sich in Agententhrillern darstellt, wo es einen Guten und einen Bösen gibt, wo verschlüsselte Botschaften in schattigen Gassen übergeben werden, wo es hinter der allgemein bekannten Gesellschaft immer noch eine zweite, verborgene gibt und man die wirklich Mächtigen nie zu Gesicht bekommt. Das hatte man bei Graham Greene und Ian Fleming so oft gelesen, dass es längst zum Klischee geronnen war. Eigentlich lag es auf der Hand, dass es in Hinterzimmern und situation rooms doch irgendwie interessanter zugehen müsse. Die Leute dort müssten sich des Bildes bewusst sein, das die populäre Literatur von ihnen zeichnet, und würden es in ihrem alltäglichen Gebaren zu unterlaufen versuchen, schon allein, um sich selbst nicht zu langweilen und nicht nur eine Karikatur ihrer selbst zu sein.
Die Einblicke von Julian Assange, Edward Snowden und all der namenlosen Whistleblower in den vergangen Jahren haben allerdings gezeigt, dass in den Zentren der Macht offenkundig niemand das geringste Interesse daran hat, seinem eigenen Klischee auszuweichen. In den Leaks und in den investigativen Sachbüchern von Michael Lewis, Seymour Hersh und Michael Wolff tritt der militärisch-industrielle Komplex genau so plump kriminell, breitkrawattig und oligarchisch auf, wie es in den Agententhrillern zu lesen war.
In diesem Sinne ist „Der chinesische Verräter“, der Debütroman des ehemaligen China-Korrespondenten der BBC, Adam Brookes, ein zeitgemäßes Buch. Einerseits ist der Roman erkennbar Genreliteratur, er verfügt über alle geläufigen Merkmale eines gut gemachten Thrillers. Andererseits kommt es der Wirklichkeit wahrscheinlich gerade deshalb sehr nah.
Im Zentrum steht der chinesische Dissident Li Huasheng. Dessen Eltern gehörten der chinesischen Intelligenz an, weshalb sein Vater von der maoistischen Inquisition verhaftet, gefoltert und zu öffentlicher Selbstkritik gezwungen wurde. Huashengs Rache bestand darin, chinesische Staatsgeheimnisse an den britischen Geheimdienst zu verraten, bis er nach dem Massaker vom Tiananmen-Platz in anderer Angelegenheit zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Der Roman setzt ein mit Huashengs Ausbruch aus dem Gefängnis. Gegen alle Wahrscheinlichkeit kämpft er sich durch die Wüste des Qaidam-Beckens in der inneren Mongolei, taucht in Beijing unter und nimmt dort den alten Kampf wieder auf: den Kampf der chinesischen, von westlichen Freiheitsidealen träumenden Intelligenz gegen die maoistische Gewaltherrschaft der Kommunistischen Partei.
Die Ausgangsbeobachtung der Romanhandlung lautet allerdings, dass sich die Konfliktlinien seit 1989 gründlich neu sortiert haben und Li Huasheng keinen einzigen Kontrahenten mehr dort vorfindet, wo er ihn vor zwanzig Jahren zurückgelassen hat. Die Kommunistische Partei verfolgt die Wissenschaftler nicht mehr, sondern bezahlt sie gut. Die Wissenschaftler bekämpfen die Partei nicht mehr, sondern lassen sich gut bezahlen. Und der ehemals mächtige britische Geheimdienst hat die kompliziertesten Operationen längst an global agierende, private Dienstleister ausgelagert, die sich im Zweifel ebenfalls von der Kommunistischen Partei Chinas gut bezahlen lassen wollen.
Das ist natürlich alles eher Kunstgriff als Begriffskunst, darin aber wirklich schön. Keine Figur hat Eigenschaften, die für den Fortgang der Geschichte nicht unbedingt benötigt werden, niemand hat ein erkennbares Innenleben, alle denken immer nur über den unmittelbar nächsten Schritt nach. Auf der formalen Ebene ist das alles sehr konsequent unoriginell, und gerade deshalb glaubt man jede Silbe.
Über den „Mueller Report“, den Bericht des FBI-Sonderermittlers Robert Mueller über die Rolle der Russen im amerikanischen Wahlkampf, hieß es oft, er lese sich wie ein Thriller. Im Falle von Adam Brookes’ Roman müsste man den Vergleich nun umdrehen: Der Thriller liest sich wie ein FBI-Bericht. Bis vor Kurzem wäre das noch kein Kompliment gewesen, aber die Zeiten sind eben andere.
Adam Brookes: Der chinesische Verräter. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Heckmann. Suhrkamp, Berlin 2019. 402 Seiten, 15,95 Euro.
Heute wissen wir: Kein Genre
ist der Wahrheit so nah
wie der Agententhriller
Der Thriller liest sich wie
ein FBI-Bericht. Neuerdings ist
das ein Kompliment
Foto: picture-alliance/Leemage
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2019Austeilen, einstecken
Krimis in Kürze: Klaus Oppitz, Adam Brookes und Franz Dobler
Martin Pietsch ist ein Mann ohne nennenswerte Eigenschaften. In jeder Hinsicht Durchschnitt: Aussehen, Gewicht, Meinungen, Interessen. Ein arbeitsloser Softwareentwickler, Single, der bei Facebook ist und gelegentlich postet. Nicht verhaltensauffällig. Bis das eine Posting kommt, das alles ändert. Er rutscht da eher hinein, ein paar Gläser Rotwein zu viel, aber kein ideologischer Wahn. "Redet ruhig weiter. Ich helfe euch. Ich mache das inzwischen für euch. Gebt mir sein Messer, und ich schlachte ihn genauso ab wie er das kleine Mädchen", so führt er die hasserfüllten Posts zum Mord an einem kleinen tschetschenischen Mädchen fort. Die Resonanz ist überwältigend.
Pietsch ist der Protagonist in "Die Hinrichtung des Martin P." (Kremayr & Scheriau, 192 S., geb., 22,- [Euro]) von Klaus Oppitz. Dem österreichischen Autor, Regisseur und Kabarettisten ist Satire zweite Natur. Sein Heimatland liefert das Material frei Haus. Inspiriert hat Oppitz diesmal eine Äußerung der Staatssekretärin Karoline Edtstadler aus dem Jahr 2018, die erkannt zu haben glaubte, dass die Justiz am besten funktioniere, "wenn die Urteile auf große Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen".
Oppitz zeigt in seinem Buch, was passieren könnte, wenn man Pietschs Posting beim Wort nähme: Das Innenministerium bietet ihm an, seine Worte in die Tat umzusetzen. Belohnung: eine Festanstellung im Ministerium. Zu konstruiert wirkt dieses Szenario nicht, was an der ruhigen, nüchternen Art liegt, mit der Oppitz das Innenleben und Handeln seines Protagonisten beschreibt. Immerhin quält Pietsch dann, als seine Idee zur realen Gewalt werden soll, die Frage, "ob wir doch mehr sind als unsere Tweets". So sieht Satire aus, die oft kaum noch von unserer Gegenwart zu unterscheiden ist.
Was zu unserer Zeit gehört, das lässt sich auch ein paar tausend Kilometer weiter östlich erfahren. High-Tech-Überwachung und digitale Kriegsführung spielen bei Adam Brookes eine wichtige Rolle. Aber "Der chinesische Verräter" (Suhrkamp, 402 S., br., 15,95 [Euro]) ist keine Satire, sondern ein kompakter Spionageroman, der von Brookes' Arbeit als BBC-Korrespondent in China profitiert. Es überrascht daher nicht, dass ein britischer Korrespondent in Peking eine zentrale Figur ist. Neben einem chinesischen Raketenwissenschaftler, Spitzname "Peanut", der schon für den MI6 aktiv war, bevor er nach dem Massaker von Tiananmen für zwanzig Jahre im Arbeitslager verschwand.
Aus dem Lager geflohen, sucht er den Kontakt zum Journalisten. Das Material, das er noch zu bieten hat, soll ihm die Ausreise sichern. Der Journalist lässt sich widerwillig vom Geheimdienst rekrutieren. Doch Regie bei dem, was auf der Pekinger Bühne geschieht, führen andere Kräfte. Und zwar nicht nur die zuständige MI6-Abteilung in London, sondern private Sicherheitsfirmen, mit denen der Dienst sich eingelassen hat und die nicht unbedingt der gleichen Agenda folgen. Brookes' Roman ist spannend, voller Atmosphäre und Action, nur die Figuren bleiben ein bisschen zu skizzenhaft.
Und dann ist da noch ein alter Bekannter, der ehemalige Polizist Fallner, der noch immer am liebsten in der Security-Firma seines Bruders kündigen würde. Franz Dobler schenkt ihm in "Ein Schuss ins Blaue" (Tropen, 288 S., geb., 20,-[Euro]) den dritten Auftritt, und man stellt fest, dass man Fallners noch nicht müde ist. Er teilt aus, er steckt ein, er muss all die Fragen einer Vierzehnjährigen aus kaputter Familie, um die sich seine Frau kümmert, beantworten; Fragen nach Gott, Theodizee und Ähnlichem, was dem Fallner als großem Grübler nur halb so schwerfällt, wie er tut. Denn in seinem unablässigen inneren Monolog, der sein Markenzeichen ist, hat er immer schon viel mehr Fragen verhandelt, als ihm je gestellt werden könnten.
Er hat, dank Doblers drastischer, kraftvoller und hartgesottener Prosa, auch immer noch die besten Sprüche, wenn er zum Beispiel beim Blick auf "zwei kichernde Vollbusen-Blondinen" zu dem Schluss kommt: "der Traum jeder Gartengrillparty, bei der man nicht über die Essays von Slavoj Zizek diskutierte". Einen Fall gibt es auch, wenngleich der in Fallner-Romanen nie das wichtigste Ingredienz ist: Mit seinem jüdischen Kollegen Landmann soll Fallner einen islamistischen Attentäter in München aufspüren. Man würde todsicher nicht lesen wollen, was neunundneunzig Prozent der deutschen Krimiautoren dazu einfiele. Bei Dobler weiß man: Es wird schon werden.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Klaus Oppitz, Adam Brookes und Franz Dobler
Martin Pietsch ist ein Mann ohne nennenswerte Eigenschaften. In jeder Hinsicht Durchschnitt: Aussehen, Gewicht, Meinungen, Interessen. Ein arbeitsloser Softwareentwickler, Single, der bei Facebook ist und gelegentlich postet. Nicht verhaltensauffällig. Bis das eine Posting kommt, das alles ändert. Er rutscht da eher hinein, ein paar Gläser Rotwein zu viel, aber kein ideologischer Wahn. "Redet ruhig weiter. Ich helfe euch. Ich mache das inzwischen für euch. Gebt mir sein Messer, und ich schlachte ihn genauso ab wie er das kleine Mädchen", so führt er die hasserfüllten Posts zum Mord an einem kleinen tschetschenischen Mädchen fort. Die Resonanz ist überwältigend.
Pietsch ist der Protagonist in "Die Hinrichtung des Martin P." (Kremayr & Scheriau, 192 S., geb., 22,- [Euro]) von Klaus Oppitz. Dem österreichischen Autor, Regisseur und Kabarettisten ist Satire zweite Natur. Sein Heimatland liefert das Material frei Haus. Inspiriert hat Oppitz diesmal eine Äußerung der Staatssekretärin Karoline Edtstadler aus dem Jahr 2018, die erkannt zu haben glaubte, dass die Justiz am besten funktioniere, "wenn die Urteile auf große Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen".
Oppitz zeigt in seinem Buch, was passieren könnte, wenn man Pietschs Posting beim Wort nähme: Das Innenministerium bietet ihm an, seine Worte in die Tat umzusetzen. Belohnung: eine Festanstellung im Ministerium. Zu konstruiert wirkt dieses Szenario nicht, was an der ruhigen, nüchternen Art liegt, mit der Oppitz das Innenleben und Handeln seines Protagonisten beschreibt. Immerhin quält Pietsch dann, als seine Idee zur realen Gewalt werden soll, die Frage, "ob wir doch mehr sind als unsere Tweets". So sieht Satire aus, die oft kaum noch von unserer Gegenwart zu unterscheiden ist.
Was zu unserer Zeit gehört, das lässt sich auch ein paar tausend Kilometer weiter östlich erfahren. High-Tech-Überwachung und digitale Kriegsführung spielen bei Adam Brookes eine wichtige Rolle. Aber "Der chinesische Verräter" (Suhrkamp, 402 S., br., 15,95 [Euro]) ist keine Satire, sondern ein kompakter Spionageroman, der von Brookes' Arbeit als BBC-Korrespondent in China profitiert. Es überrascht daher nicht, dass ein britischer Korrespondent in Peking eine zentrale Figur ist. Neben einem chinesischen Raketenwissenschaftler, Spitzname "Peanut", der schon für den MI6 aktiv war, bevor er nach dem Massaker von Tiananmen für zwanzig Jahre im Arbeitslager verschwand.
Aus dem Lager geflohen, sucht er den Kontakt zum Journalisten. Das Material, das er noch zu bieten hat, soll ihm die Ausreise sichern. Der Journalist lässt sich widerwillig vom Geheimdienst rekrutieren. Doch Regie bei dem, was auf der Pekinger Bühne geschieht, führen andere Kräfte. Und zwar nicht nur die zuständige MI6-Abteilung in London, sondern private Sicherheitsfirmen, mit denen der Dienst sich eingelassen hat und die nicht unbedingt der gleichen Agenda folgen. Brookes' Roman ist spannend, voller Atmosphäre und Action, nur die Figuren bleiben ein bisschen zu skizzenhaft.
Und dann ist da noch ein alter Bekannter, der ehemalige Polizist Fallner, der noch immer am liebsten in der Security-Firma seines Bruders kündigen würde. Franz Dobler schenkt ihm in "Ein Schuss ins Blaue" (Tropen, 288 S., geb., 20,-[Euro]) den dritten Auftritt, und man stellt fest, dass man Fallners noch nicht müde ist. Er teilt aus, er steckt ein, er muss all die Fragen einer Vierzehnjährigen aus kaputter Familie, um die sich seine Frau kümmert, beantworten; Fragen nach Gott, Theodizee und Ähnlichem, was dem Fallner als großem Grübler nur halb so schwerfällt, wie er tut. Denn in seinem unablässigen inneren Monolog, der sein Markenzeichen ist, hat er immer schon viel mehr Fragen verhandelt, als ihm je gestellt werden könnten.
Er hat, dank Doblers drastischer, kraftvoller und hartgesottener Prosa, auch immer noch die besten Sprüche, wenn er zum Beispiel beim Blick auf "zwei kichernde Vollbusen-Blondinen" zu dem Schluss kommt: "der Traum jeder Gartengrillparty, bei der man nicht über die Essays von Slavoj Zizek diskutierte". Einen Fall gibt es auch, wenngleich der in Fallner-Romanen nie das wichtigste Ingredienz ist: Mit seinem jüdischen Kollegen Landmann soll Fallner einen islamistischen Attentäter in München aufspüren. Man würde todsicher nicht lesen wollen, was neunundneunzig Prozent der deutschen Krimiautoren dazu einfiele. Bei Dobler weiß man: Es wird schon werden.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
» ... ein kompakter Spionageroman, der von Brookes' Arbeit als BBC-Korrespondent in China profitiert.« Peter Körte Frankfurter Allgemeine Zeitung 20191104