Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 55,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

1 Kundenbewertung

Die berühmte Bilderhandschrift der Azteken - erstmals komplett übersetzt
Er ist ein faszinierendes Zeugnis und ermöglicht uns tiefe Einblicke in die Geschichte, Kultur und Religion der Azteken: der Codex Mendoza, die wohl bekannteste Bilderhandschrift der frühen Kolonialzeit. Angefertigt wurde er um das Jahr 1541 für Karl V., König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Heute befindet sich die wertvolle Handschrift, die in aztekischer Glyphenschrift verfasst und in Nahuatl, der traditionellen von spanischen Missionaren verschriftlichten Sprache, und in Spanisch kommentiert…mehr

Produktbeschreibung
Die berühmte Bilderhandschrift der Azteken - erstmals komplett übersetzt

Er ist ein faszinierendes Zeugnis und ermöglicht uns tiefe Einblicke in die Geschichte, Kultur und Religion der Azteken: der Codex Mendoza, die wohl bekannteste Bilderhandschrift der frühen Kolonialzeit. Angefertigt wurde er um das Jahr 1541 für Karl V., König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Heute befindet sich die wertvolle Handschrift, die in aztekischer Glyphenschrift verfasst und in Nahuatl, der traditionellen von spanischen Missionaren verschriftlichten Sprache, und in Spanisch kommentiert wurde, in der Bodleian Library in Oxford.

Jetzt legt ein internationales Expertenteam erstmals eine vollständig ins Deutsche übersetzte und kommentierte Ausgabe vor:
Die erste wissenschaftliche Edition des Codex Mendoza in deutscher SpracheAlle Bilder in Originalgröße: Hochwertiger Bildband mit 180 AbbildungenÜbersetzung der aztekischen Hieroglyphen und aller spanischen KommentareHintergrundinfos zum historischen Kontext, der Überlieferung und der RezeptionEin Geschenk für Bücherliebhaber: Bibliophile Ausgabe mit Leineneinband und Schmuckschuber
Die Geschichte einer Hochkultur und des Alltagslebens im Aztekenreich

Der Codex Mendoza präsentiert nicht nur die Geschichte der aztekischen Herrscherdynastie von 1325, dem Jahr der Gründung der Hauptstadt Tenochtitlán, bis zur vernichtenden Niederlage gegen Hernán Cortés 1521. Auch das Arbeits- und Alltagsleben des aztekischen Volkes, religiöse Zeremonien und sogar die Kindererziehung werden detailliert geschildert.

Damit bietet die Faksimile-Ausgabe des Codex Mendoza mit ihren ausführlichen wissenschaftlichen Kommentaren eine einmalige Möglichkeit, die Hochkultur der Azteken und den Beginn der spanischen Kolonialherrschaft kennenzulernen!
Autorenporträt
Stefan Rinke, geb. 1965, lehrt seit 2005 als Professor für Geschichte Lateinamerikas am Lateinamerika-Institut und am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Er gilt als ausgewiesener Kenner der Geschichte des amerikanischen Kontinents. Federico Navarrete Professor am Instituto de Investigaciones Históricas, Universidad Nacional Autónoma de México. Er erforscht die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner und ihre Beziehungen zu Europäern und Afrikanern. Er ist international anerkannt als wegweisender Forscher der visuellen Geschichte Mesoamerikas und ihrer Beziehung zu mündlichen und rituellen Traditionen. Nino Vallen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Geschichte am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. In seiner Forschung hat er sich ausführlich mit Mexiko im 16. Jahrhundert und der Wissenskultur der kolonialen Herrschaft beschäftigt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2021

Der Stolz der Mexica

Zwei Jahrzehnte nach dem Untergang ihres Reiches im Jahr 1521 fertigten Azteken für den spanischen König ein prächtiges Buch über ihr Staatswesen an. Was sieht und was liest man da?

Von Ulf von Rauchhaupt

Im Jahr 1502 (...) trat Motecuhzoma die Nachfolge der Herrschaft von Mexiko an. Zu der Zeit, als er die Nachfolge antrat, war Mexiko zu großer Majestät und Autorität aufgestiegen, und nachdem er die Nachfolge angetreten hatte, brachte er durch seine große Ernsthaftigkeit und Bedeutsamkeit den Staat und die Herrschaft von Mexiko extrem weiter voran als seine Vorgänger." So beginnt ein Text in etwas altertümlichem Spanisch, der den Inhalt der Hieroglyphen auf der ersten oben abgebildeten Buchseite wiedergibt - fast als handele es sich um eine zweisprachige Ausgabe.

In gewisser Weise trifft das sogar zu. Es ist eine Seite des Codex Mendoza, einer thematisch in drei Teile gegliederten Handschrift auf 71 Blättern, die in den 1540-er Jahren wahrscheinlich in Tlatelolco entstand, das im Norden an die heute von Mexico City überwucherte einstige Aztekenhauptstadt Tenochtitlan angrenzte. Viele der Bilder aus dem Codex Mendoza sind berühmt, etwa das erste, das die Gründung Tenochtitlans im Jahr 1324 zum Thema hat: Ein Adler auf einem über einem Stein wachsenden Feigenkaktus zeigt einer Gruppe aztekischer Würdenträger den Ort ihrer neuen Heimat. Gerne reproduziert werden auch Bilder aus dem dritten Teil des Codex, der Einblicke in das Alltagsleben der Azteken vor der Eroberung durch die Spanier gewährt. Das oben rechts abgebildete Blatt zum Beispiel erläutert einige Details der aztekischen Pädagogik: Dort werden Kinder gezüchtigt, etwa indem man sie in den beißenden Rauch brennender Chilischoten hält. Darunter geht es um die Integration dreizehn- und vierzehnjähriger Jungen und Mädchen in die Arbeitswelt, natürlich strikt geschlechterrollenspezifisch.

Weniger bekannt sind dagegen die spanischen Texte zu diesen Bildern, die fast nur die vorspanische Welt der Azteken zum Gegenstand haben. Seit dieser Woche kann sich jeder in dieses eigentümliche Gegenüber vertiefen, denn nun erschien eine prachtvolle Ausgabe des Codex Mendoza, für die der Berliner Historiker Stefan Rinke sämtliche spanischen Texte und Anmerkungen übersetzt und mit Fachkollegen eingehend die Hintergründe des Codex erläutert hat.

Tatsächlich sind viele Bilder des Codex Mendoza für sich allein genommen nicht verständlich, denn sie tragen nicht die gesamte Information über das Dargestellte. Zwar benutzten die Azteken Ansätze eines hieroglyphischen Schriftsystems, bei denen Bildelemente auch für Laute stehen können. Doch anders als Maya oder Ägypter verwendeten sie es nicht zur kompletten Codierung gesprochener Sprache, sondern nur für Orts- und Personennamen. Anderes wurde durch Bilder und Symbole ausgedrückt oder angedeutet, die aber oft standardisiert waren. So bedeutet beispielsweise ein schneckenförmiges Zeichen vor dem Mund eines Menschen, dass dieser spricht. Dem Übersetzer aus dem Nahuatl, der Sprache der Azteken, der die spanischen Texte des Codex Mendoza vermutlich einem Sekretär diktierte, konnte daher nicht einfach die Hieroglyphen lesen. Vielmehr lauschte er einem mündlichen Vortrag aztekischer Gelehrter, die den Inhalt einst selbst mündlich mitgeteilt bekommen hatten und daher die Hieroglyphen interpretierten konnten

So zeigt obige Seite einen Mann mit türkisem Diadem, das ihn als "Tlatoani" (Sprecher), also als Fürst eines aztekischen Stadtstaates ausweist. In diesem Fall ist er sogar "Huey Tlatoani" (großer Sprecher) des mächtigen Tenochtitlan und damit Oberherrscher der Azteken oder Mexica, wie sie sich selbst nannten. Sein Name, oder besser ein Bestandteil desselben, wird durch die Glyphe eines herrschaftlichen Kopfputzes wiedergegeben, denn "Herr" heißt auf Nahuatl "Teuc" oder "Tecuh". Mit vollem Namen hieß der Mann Motecuhzoma ("er zürnt wie ein Herr"), und es handelt sich um niemand anderen als um Motecuhzoma Xocoyotzin ("der Jüngere"), dessen Name in europäischen Sprachen oft mit "Montezuma" wiedergegeben wird. Einen anderen Motecuhzoma, der gut 60 Jahre zuvor regierte und der in spanischen Texten oft Huehue ("der Alte") Motecuhzoma genannt wird, schrieb man dagegen mit seinem Beinamen Ilhuicamina: Ilhuica bedeutet "Himmel" und Mina "Pfeil" (siehe Abbildung rechts unten).

Zusammen mit dem jüngeren Motecuhzoma ist im Codex Mendoza ein Schild mit Pfeilen und einer Pfeilschleuder dargestellt - das Zeichen für "Krieg" sowie eine Reihe brennender Gebäude. Sie stehen für Orte, die Motecuhzoma unterworfen hat, und neben jedem steht sein Name in aztekischen Hieroglyphen sowie lateinischer Schrift. Die sechzehn türkisfarbenen quadratischen Abschnitte am linken Rand schließlich stellen sechzehn Regierungsjahre des Herrschers dar, jedes mit seiner aztekischen Jahreszahl. Diese bestand aus einer Zahl von Eins bis Dreizehn, wiedergegeben durch eine entsprechende Anzahl kleiner Kreise, sowie jeweils einem der vier Symbole "Schilfrohr", "Feuerstein", "Haus" und "Kaninchen". Demnach bestieg Motecuhzoma Xocoyotzin den Thron in einem Jahr "Elf Schilfrohr". Nach 13 mal 4 gleich 52 Jahren wiederholten sich die Jahresbezeichnungen: Mit dem Jahr "Eins Kaninchen" endete ein Zyklus, und mit "Zwei Schilfrohr" begann ein neuer, was bis zur Eroberung durch die Spanier mit besonderen Riten begangen wurde, vor allem dem Löschen sämtlicher Feuerstellen, die dann von einer in einem bestimmten Heiligtum neu entzündeten Flamme wieder entfacht wurden. Ein solches "Fest des neuen Feuers" fiel in die Regierungszeit des jüngeren Motecuhzoma und ist daher hier mit einer eigenen Glyphe gekennzeichnet.

Außer Motecuhzoma Xocoyotzin sind im Codex Mendoza auch seine acht Vorgänger in ähnlicher Ausführlichkeit gewürdigt, ein neunter, der eher sagenhafte "Tenoch", ist unter den Figuren auf dem Eingangsbild mit dem Adler auf dem Kaktus zu finden. Jedes Mal listen die aztekischen Bildseiten die Eroberungen auf und geben gelegentlich Zusatzinformationen, abstrakte Würdigungen aber finden sich nur in den spanischen Texten. Etwa wenn es über den Huehue Motecuhzoma heißt, er sei ein "sehr ernster, strenger und tugendhafter Herr" gewesen, der "Gesetze für die Lebensführung" erlassen und mit drakonischen Strafen belegt habe, namentlich solche gegen Alkoholkonsum. Die Betonung der Tüchtigkeit der Aztekenherrscher und der Zucht und Ordnung, die unter ihnen geherrscht habe - wie beschrieben auch ein Motiv des ethnographischen Teils des Codex -, mutet eigentümlich an in einem Werk, das zwar in seinem Bildteil ganz aus der reichen vorspanischen aztekischen Tradition der Amoxtli (Faltbücher aus Rindenpapier) schöpft, von der leider kaum etwas erhalten ist - das aber mindestens zwanzig Jahre nach der Eroberung Tenochtitlans entstand.

Diese gelang dem Conquistador Hernán Cortés übrigens nur mit der Hilfe etlicher einheimischer Völker, die den Mexica feindlich gesinnt waren. Denn wie auch der erste Teil des Codex Mendoza eindrücklich macht, war das Imperium des Huey Tlatoani von Tenochtitlan und seiner Verbündeten alles andere als ein Friedensreich gewesen. Auch der zweite und nach der Anzahl der Seiten umfangreichste Teil des Werkes kündet stolz vom Imperialismus der Mexica: Auf 39 Seiten sind fein säuberlich und mit Mengenangaben versehen die Tribute aufgelistet, welche die von ihnen unterworfenen Völker nach Tenochtitlan und zu seinen Bundesgenossen zu schicken hatten. Das waren Grundnahrungsmittel wie Mais, Bohnen oder Salz genauso wie Schilde und ganze Kriegerkostüme, Baumwolle oder fertige Textilien verschiedener Art und genau vorgeschriebener Musterung. Auch Kalk oder Holz findet sich auf den Tributlisten, Honig, Agavensirup oder der für Räucherwerk in großen Mengen benötigte Copal, also subfossiles Baumharz. Provinzen an tropischen Küsten oder im Regenwald hatten auch Spondylus-Muscheln, Jade, Kakaobohnen und nicht zuletzt die überaus begehrten bunten Federn zu liefern. Gold, nach dem die Spanier "suchten wie die Schweine", wie ein franziskanischer Chronist notierte, findet sich hier zwar auch - auf der oben in der Mitte gezeigten Seite etwa in Form von Halsketten und eines Diadems -, es spielte aber nur eine untergeordnete Rolle.

Die Eroberungen Motecuhzomas und seiner Vorgänger ebenso wie diese Tributlisten künden im Codex Mendoza offen von der Herrlichkeit des untergegangenen Reiches der Mexica. Zwei Jahrzehnte nach der Machtübernahme durch die Spanier entstand also dieses Buch voller aztekischer imperialer Propaganda - und das auch noch auf spanischem Papier und mit Erläuterungen in spanischen Sprache, welche die Glorifizierung Tenochtitlans, seiner Herrscher und seiner Gesellschaft stellenweise noch auf sie Spitze treiben. Wie kam es dazu?

Nun ist der Codex Mendoza nicht das einzige Werk aus früher Kolonialzeit, das über vorkoloniale aztekische Geschichte berichtet. Insgesamt gibt es mehrere Hundert solcher Dokumente, die in aztekischer Buchtradition stehen und bezeugen, dass die Kultur der Mexica durch die spanische Eroberung keineswegs verschwand. Zwar gingen im Zuge der Conquista ganze Bibliotheken mit Abertausenden Amoxtli in Flammen auf, doch gezielte Bücherverbrennungen richteten sich gegen die aztekische Religion - schließlich war die Bekehrung der Einwohner das Hauptargument gewesen, mit denen die Conquistadoren zu Hause ihre Feld- und Raubzüge rechtfertigten. Dass Leute wie Cortés - oft arme Adelige ohne standesgemäße Chancen im Mutterland - nebst Ruhm und schicken Titeln in erster Linie schnöden Mammon im Auge hatten, konnte so ein edler Ritter schlecht zugeben.

Manuskripte mit Berichten über aztekische Götter, Mythen und Rituale begann man daher in der Regel erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anzufertigen, als von denen, die im Polytheismus aufgewachsen waren, kaum noch jemand lebte und die ersten Generationen christlicher Nahuatl-Sprecher herangewachsen waren. Nun konnten die alten Götter Gegenstand ethnographischen Interesses werden. In der Entstehungszeit des Codex Mendoza war es noch nicht so weit. Und so fehlt hier fast jeder Hinweis auf Religion oder Ritus. Ist es beispielsweise in anderen Quellen der Sonnengott Huitzilopochtli, der den Mexica mittels des Adlers auf dem Kaktus zeigte, wo sie ihre Stadt Tenochtitlan gründen sollten, diktierten die aztekischen Rezitatoren dem Übersetzer des Codex Mendoza prosaisch die verkehrs-, versorgungs- und verteidigungstechnischen Vorzüge des Standorts. Und das Bild, eine stilisierte Karte der Stadt auf einer Insel, übergeht ausgerechnet das wichtigste Gebäude des Aztekentums, den gewaltigen Doppeltempel des Huitzilopochtli und des Regengottes Tlaloc. Sein sakraler Standort ist für die aztekischen Insider allerdings angedeutet: durch ein stilisiertes Tzompantli, ein Gestell für die Schädel geopferter Menschen - denn das konnten die Spanier auch als Hinrichtungsstätte interpretieren und damit ganz profan als Symbol für Herrschermacht, die im Sinne einer guten Regierung Gesetze durchsetzt.

Das Beispiel deutet hinter dem prachtvollen Buch ein doppeltes Motiv an. Einerseits wurde das Werk sicherlich von der spanischen Kolonialverwaltung in Auftrag gegeben - ob wirklich von seinem Namensgeber Antonio de Mendoza, der 1535 bis 155o erster Vizekönig von Neuspanien war, ist allerdings unbekannt. Dabei ging es wohl darum, Karl V. in seiner Eigenschaft als König von Spanien ein prachtvolles Geschenk zu machen, das ihm zeigt, was für ein blühendes und nicht zuletzt ertragreiches Land man ihm da erobert hatte - daher die üppigen Tributlisten. Allerdings hat der König das Buch wohl nie zu Gesicht bekommen. Vermutlich fiel es auf dem Weg nach Spanien französischen Piraten in die Hände, denn zuerst tauchte es 1571 in Frankreich auf. Später gelangte es in die Bodleian Library in Oxford, wo es heute noch aufbewahrt wird.

Doch dass es für den König bestimmt war, das wussten die aztekischen Autoren und betrieben ihre eigene Agenda. Denn auch die alte aztekische Gesellschaft hatte die Conquista nicht zum Verschwinden gebracht. Diese aber war mindestens so hierarchisch wie die spanische. Es gab einen Geburtsadel, dem daran gelegen war, seine Privilegien auch unter den neuen Oberherren gegen Emporkömmlinge zu sichern - die Erinnerung an die Konkurrenz durch den zeitweise existierenden Verdienstadel, den Motecuhzoma Xocoyotzin abgeschafft hatte, waren möglicherweise noch frisch. Um ihre angestammten Rechte führten aztekische Eliten nicht selten Prozesse vor Gericht, wo vorkoloniale Geschichte dann der Beweisführung diente. Umgekehrt war die Kolonialverwaltung daran interessiert, die vorgefundenen Gesellschaftsstrukturen zu nutzen, um das Land stabil zu regieren und wirtschaftliche Erträge für die Krone zu generieren. Die Spanier und die aztekische Oberschicht waren aufeinander angewiesen und Letzterer war daran gelegen, Ersteren ihre Unentbehrlichkeit für eine gute Verwaltung des Landes auch mittels ihrer glorreichen Vergangenheit unter Beweis zu stellen. Man war natürlich auch einfach stolz auf die imperialen Leistungen von einst - aber man hatte zudem ein handfestes Interesse daran, diesen Stolz den neuen Herren im Land auch zu zeigen.

Ohne Konflikte untereinander ging es dabei offenbar nicht ab, wie eine Bemerkung auf der allerletzten Seite des Codex Mendoza andeutet, wo sich der spanische Schreiber beim Leser für den "plumpen Stil" seiner Texte entschuldigt. "Der Übersetzer erhielt diese Geschichte zehn Tage vor der Abfahrt der Flotte", heißt es da. "Die Nachlässigkeit ist den Indigenen ('los yndios') zuzuschreiben, die sich spät geeinigt haben."

Wir wissen nicht, worüber da gestritten wurde. Vielleicht über ein eher gespanntes Verhältnis des Vorfahren eines altadligen Mitautors der Bildtexte zu den früheren Machthabern in Tenochtitlan? Oder um religionspolitisch eventuell doch noch zu riskante Einzelheiten über die Aktivität von Priestern der alten Götter im ethnographischen Teil? Möglicherweise war es aber auch die Frage, wie man mit dem Ende des Imperiums umgehen sollte. Die türkisfarbene Jahresleiste auf dem Blatt zu Motecuhzoma Xocoyotzin endet mit dem Jahr "Dreizehn Kaninchen", das war 1518, sein 16. Regierungsjahr. Die Jahre "Eins Schilfrohr" (1519), als die Spanier auftauchten, und "Zwei Feuerstein" (1520), in dem Motecuhzoma den Tod fand, waren zunächst nicht erwähnt. Doch dann fügte ein aztekischer Autor hastig drei weitere Jahresglyphen hinzu, ohne sie noch zu kolorieren. An der letzten notierte der spanische Schreiber "Befriedung und Eroberung von Neuspanien". Es ist das Jahr 1521, "Drei Haus" nach aztekischer Zeitrechnung.

Literatur: "Der Codex Mendoza", herausgegeben, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Stefan Rinke, Frederico Navarrete Linares und Nino Vallen, wbg Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2021.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Die großartige Ausgabe [des Codex Mendoza], die die Wissenschaftliche Buchgesellschaft vorstellt, [bietet] eine Zusammenfassung der Forschungen, die das Werk zu entschlüsseln suchten. So trägt die Edition zur Kolonialismus-Debatte bei.« WELT am Sonntag »Der Codex hilft, unsere heutige Welt besser zu verstehen.« Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) »Die Tafeln werden detailliert - Bild für Bild, Figur für Figur - beschrieben, deren ikonografische Konvention erklärt.« Buchkultur