Was befähigt uns, zu denken, zu fühlen, Entscheidungen zu treffen und zu handeln? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Kognitionswissenschaft.
Der Autor bietet eine gründliche und spannende Einführung in diese neue Wissenschaft, deren Ergebnisse unser Selbstverständnis und die Art, wie wir miteinander umgehen, nachhaltig beeinflussen könnten.
Der Autor bietet eine gründliche und spannende Einführung in diese neue Wissenschaft, deren Ergebnisse unser Selbstverständnis und die Art, wie wir miteinander umgehen, nachhaltig beeinflussen könnten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.1997Ein Computer dichtet nicht
Philip Johnson-Laird hält den Geist für modellierbar
Kognitive Prozesse sind wahrlich komplex. Womöglich sind sie so komplex, daß man sie auch experimentell nicht vollständig aufklären kann. Und anders als durch Experimente, in denen die Rahmenbedingungen gezielt und selektiv kontrolliert werden, scheinen sich ihre Gesetzmäßigkeiten nicht aufdecken zu lassen. Wer weiß denn schon, wie die Grammatik der Muttersprache "einverleibt" wurde? Und wer kann allein aufgrund der Selbstbeobachtung glaubwürdige Aussagen darüber treffen, wie Problemlösungsstrategien ausgewählt, angewandt und bewertet werden, ob es vier oder vierzehn Strategietypen gibt, und woher diese Strategien bezogen werden?
In Anbetracht der Undurchsichtigkeit kognitiver Prozesse hat man sich in der Forschung zur Modellierung geistiger Operationen entschlossen. Da kognitive Leistungen (wie das Wiedererkennen von Gesichtern, Melodien oder Verkehrsschildern, das Verstehen sprachlicher und gestischer Äußerungen oder das logische Schließen) im Hirn ablaufen, dort aber weder Striche oder Buchstaben noch Piktogramme oder Abbildungen in Kleinstformat und dergleichen zu finden sind, ist die Annahme nicht unbegründet, daß das Nervensystem an seinen Eingängen die Reizeinwirkungen kodiert, in Gestalt geordneter Impulse zum Zentrum leitet und dort in diversen Prozessoren umkodiert, verarbeitet, filtert und eventuell speichert. Neu ist diese Annahme allerdings beileibe nicht; in andere Ausdrücke gekleidet, zeichnet sie sich etwa in der im Jahr 1900 von Georgij Plechanov formulierten Hieroglyphentheorie der Erkenntnis oder in dem in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vieldiskutierten Sensualismus eines Etienne Bonnot de Condillac schon ab.
Neu dagegen ist die kognitionswissenschaftliche Durchführung des auf dieser Annahme beruhenden Forschungsprogramms beispielsweise in der Fassung Philip Johnson-Lairds, der mit weitreichenden Analogien zwischen klugen Maschinen (Computern und Robotern) und dem menschlichen Geist operiert. Das geschieht, sehr schematisch ausgedrückt, auf folgende Weise: Da der menschliche Geist "ein symbolisches System" sei, könne er die Bestandteile dieses Systems manipulieren. Die Nervenimpulse und andere bioelektrochemische Vorgänge bilden die Grundelemente, aus denen Symbole zusammengesetzt sind. Was im Nervensystem unter dem Blickwinkel der Operationen mit symbolischen Grundelementen geschieht, ist durch Rechenprozesse modellierbar, und die Verwirklichungen solcher Modellierungen sind Maschinen, die so programmiert sind, daß sie bestimmte Probleme lösen.
In seiner Monographie veranschaulicht Johnson-Laird gleich dutzendfach, wie man Prozesse, die man als "Sehen", "Lesen", "Denken" und "Erinnern" bezeichnet, so in Einzeloperationen zerlegen kann, daß diese operativen Schritte auch von unseren maschinellen Doppelgängern realisiert werden können, sofern letztere mit den richtigen Programmen (und mit zureichend großer Speicherkapazität) ausgestattet sind. Vorerst sind allerdings diese Doppelgänger noch psychische Mängelwesen. Sie haben weder Riechorgan noch Geschmack. Zu Ironie, Zynismus, Raffgier, Langeweile oder zum Erfinden von Lautgedichten sind sie nicht aufgelegt. Das tut aber anscheinend nichts zur Sache. Man kann sich ja vorab darauf verständigen, was echte und nützliche kognitive Leistungen (zum Beispiel das Beweisen mathematischer Theoreme) von geistlosen Zeitverschwendungen (etwa das wiederholte laute Lesen längst auswendig gelernter Rezepte) unterscheidet.
Johnson-Lairds Buch ist als Reiseführer durch die Veränderungen, die durch die Informatik und deren Schwesterdisziplinen seit 1945 in den spätindustriellen Gesellschaften ausgelöst wurden, sehr brauchbar. Ob es dagegen hält, was es immer wieder verspricht - nämlich die Operationen des menschlichen Geistes zu erklären -, ist zu bezweifeln. Anlaß dazu gibt der Autor selbst. Da, wie Johnson-Laird ausdrücklich hervorhebt, jede berechenbare Aufgabe durch unendlich viele verschiedene Programme lösbar ist, können die modellierbaren kognitiven Operationen von beliebigen Vertretern beliebig vieler Arten von Modellen, deren Bauplan solche Operationen zuläßt, ausgeführt werden.
Welche Programme jedoch für das Sehen oder das Denken der Tintenfische und welche für das der Menschen gelten, geht aus der Modellierung selbst nicht hervor. Aber wir möchten doch auch wissen, wie das Sehen des Tintenfisches sich von dem des Menschen unterscheidet, und dafür ist eine Theorie, die mit irgendeiner Wahrscheinlichkeit den Bauplan der Organismen trifft, doch etwas zu dürftig. ALEXANDRE MÉTRAUX
Philip Johnson-Laird: "Der Computer im Kopf". Formen und Verfahren der Erkenntnis. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1996. 494 S., br., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philip Johnson-Laird hält den Geist für modellierbar
Kognitive Prozesse sind wahrlich komplex. Womöglich sind sie so komplex, daß man sie auch experimentell nicht vollständig aufklären kann. Und anders als durch Experimente, in denen die Rahmenbedingungen gezielt und selektiv kontrolliert werden, scheinen sich ihre Gesetzmäßigkeiten nicht aufdecken zu lassen. Wer weiß denn schon, wie die Grammatik der Muttersprache "einverleibt" wurde? Und wer kann allein aufgrund der Selbstbeobachtung glaubwürdige Aussagen darüber treffen, wie Problemlösungsstrategien ausgewählt, angewandt und bewertet werden, ob es vier oder vierzehn Strategietypen gibt, und woher diese Strategien bezogen werden?
In Anbetracht der Undurchsichtigkeit kognitiver Prozesse hat man sich in der Forschung zur Modellierung geistiger Operationen entschlossen. Da kognitive Leistungen (wie das Wiedererkennen von Gesichtern, Melodien oder Verkehrsschildern, das Verstehen sprachlicher und gestischer Äußerungen oder das logische Schließen) im Hirn ablaufen, dort aber weder Striche oder Buchstaben noch Piktogramme oder Abbildungen in Kleinstformat und dergleichen zu finden sind, ist die Annahme nicht unbegründet, daß das Nervensystem an seinen Eingängen die Reizeinwirkungen kodiert, in Gestalt geordneter Impulse zum Zentrum leitet und dort in diversen Prozessoren umkodiert, verarbeitet, filtert und eventuell speichert. Neu ist diese Annahme allerdings beileibe nicht; in andere Ausdrücke gekleidet, zeichnet sie sich etwa in der im Jahr 1900 von Georgij Plechanov formulierten Hieroglyphentheorie der Erkenntnis oder in dem in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vieldiskutierten Sensualismus eines Etienne Bonnot de Condillac schon ab.
Neu dagegen ist die kognitionswissenschaftliche Durchführung des auf dieser Annahme beruhenden Forschungsprogramms beispielsweise in der Fassung Philip Johnson-Lairds, der mit weitreichenden Analogien zwischen klugen Maschinen (Computern und Robotern) und dem menschlichen Geist operiert. Das geschieht, sehr schematisch ausgedrückt, auf folgende Weise: Da der menschliche Geist "ein symbolisches System" sei, könne er die Bestandteile dieses Systems manipulieren. Die Nervenimpulse und andere bioelektrochemische Vorgänge bilden die Grundelemente, aus denen Symbole zusammengesetzt sind. Was im Nervensystem unter dem Blickwinkel der Operationen mit symbolischen Grundelementen geschieht, ist durch Rechenprozesse modellierbar, und die Verwirklichungen solcher Modellierungen sind Maschinen, die so programmiert sind, daß sie bestimmte Probleme lösen.
In seiner Monographie veranschaulicht Johnson-Laird gleich dutzendfach, wie man Prozesse, die man als "Sehen", "Lesen", "Denken" und "Erinnern" bezeichnet, so in Einzeloperationen zerlegen kann, daß diese operativen Schritte auch von unseren maschinellen Doppelgängern realisiert werden können, sofern letztere mit den richtigen Programmen (und mit zureichend großer Speicherkapazität) ausgestattet sind. Vorerst sind allerdings diese Doppelgänger noch psychische Mängelwesen. Sie haben weder Riechorgan noch Geschmack. Zu Ironie, Zynismus, Raffgier, Langeweile oder zum Erfinden von Lautgedichten sind sie nicht aufgelegt. Das tut aber anscheinend nichts zur Sache. Man kann sich ja vorab darauf verständigen, was echte und nützliche kognitive Leistungen (zum Beispiel das Beweisen mathematischer Theoreme) von geistlosen Zeitverschwendungen (etwa das wiederholte laute Lesen längst auswendig gelernter Rezepte) unterscheidet.
Johnson-Lairds Buch ist als Reiseführer durch die Veränderungen, die durch die Informatik und deren Schwesterdisziplinen seit 1945 in den spätindustriellen Gesellschaften ausgelöst wurden, sehr brauchbar. Ob es dagegen hält, was es immer wieder verspricht - nämlich die Operationen des menschlichen Geistes zu erklären -, ist zu bezweifeln. Anlaß dazu gibt der Autor selbst. Da, wie Johnson-Laird ausdrücklich hervorhebt, jede berechenbare Aufgabe durch unendlich viele verschiedene Programme lösbar ist, können die modellierbaren kognitiven Operationen von beliebigen Vertretern beliebig vieler Arten von Modellen, deren Bauplan solche Operationen zuläßt, ausgeführt werden.
Welche Programme jedoch für das Sehen oder das Denken der Tintenfische und welche für das der Menschen gelten, geht aus der Modellierung selbst nicht hervor. Aber wir möchten doch auch wissen, wie das Sehen des Tintenfisches sich von dem des Menschen unterscheidet, und dafür ist eine Theorie, die mit irgendeiner Wahrscheinlichkeit den Bauplan der Organismen trifft, doch etwas zu dürftig. ALEXANDRE MÉTRAUX
Philip Johnson-Laird: "Der Computer im Kopf". Formen und Verfahren der Erkenntnis. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1996. 494 S., br., 29,90 DM.
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