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Der Darmstädter Komponist Hermann Heiss (1897-1966) war in Carl Ehrig-Eggert den 20er Jahren einer der Pioniere der Zwölftonmusik und nach 1950 auch der elektronischen Musik. Die vorliegende Studie widmet sich Heiss‘ Zwölftonkompositionen und seinen theoretischen Positionen u.a. mit einer Edition der Briefe an seinen Lehrer Josef Matthias Hauer. Weitere Abschnitte gelten u. a. Heiss‘ Verhältnis zu A. Schönberg, Th. W. Adorno, anderen zeitgenössischen Komponisten und Interpreten und seiner Rolle bei den „Internationalen Ferienkursen für neue Musik“. Prägend war er als einer der Pioniere der…mehr

Produktbeschreibung
Der Darmstädter Komponist Hermann Heiss (1897-1966) war in Carl Ehrig-Eggert den 20er Jahren einer der Pioniere der Zwölftonmusik und nach 1950 auch der elektronischen Musik. Die vorliegende Studie widmet sich Heiss‘ Zwölftonkompositionen und seinen theoretischen Positionen u.a. mit einer Edition der Briefe an seinen Lehrer Josef Matthias Hauer. Weitere Abschnitte gelten u. a. Heiss‘ Verhältnis zu A. Schönberg, Th. W. Adorno, anderen zeitgenössischen Komponisten und Interpreten und seiner Rolle bei den „Internationalen Ferienkursen für neue Musik“. Prägend war er als einer der Pioniere der elektronischen Musik mit einem eigenen Studio in Darmstadt. Diese Periode in Heiss‘ Leben wird kurz nachgezeichnet, aber auch gezeigt, dass er an seinen grundsätzlichen ästhetischen Positionen immer festgehalten hat. Carl Ehrig-Eggert, der 1966 Heiss noch persönlich kennengelernt hat, ist gelernter evangelischer Pfarrer, promovierter Arabist und war an der Universität Frankfurt tätig. Sein kritisches Interesse gilt seit jeher auch dem „Neuen“ in der Musik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2021

Glaubenskriege um zwölf Töne
DARMSTADT Adornos Widerpart: Carl Ehrig-Eggert hat ein Porträt des Darmstädter Komponisten Hermann Heiss geschrieben

Das Urteil "Neue Musik klingt scheußlich" ist teilweise gerechtfertigt. Zum einen hat postromantische "ernste" Musik gute Gründe, sich der einfachen Konsumierbarkeit zu verweigern. Zum anderen aber hat die Zwölftonmethode zu viele Buchhalter-Naturen animiert, Noten zu schreiben, die keine Musik ergeben. In diesem Spannungsfeld bewegt sich das Buch "Der Darmstädter Komponist Hermann Heiss (1897-1966) und seine Beiträge zur Zwölftonmusik" von Carl Ehrig-Eggert. Der 1947 in Friedberg geborene Autor ist evangelischer Theologe und Arabist, kein Musiker, aber unter reger Anteilnahme an der Neuen Musik in Darmstadt aufgewachsen. Hermann Heiss selbst hatte ihm und einem Freund ausführlich sein Studio für elektronische Musik in Bessungen gezeigt. Das war 1966. Als Ehrig-Eggert 2011 ebendieses Studio im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) rekonstruiert wiederfand, keimte in ihm die Idee zu dem nun vorliegenden Band.

Ehrig-Eggert hat vor allem Schriften von Heiss zusammengetragen, wissenschaftlich korrekt, mit engen Bezügen zu den beiden älteren Publikationen über Heiss, dem 548 Seiten starken Buch von Herbert Henck und der Magisterarbeit von Yu-jen Sung, ohne Parteinahme, aber auch mit einem Vergnügen, das sich überträgt. "Heiss war ein humorvoller Mensch", erinnert sich Ehrig-Eggert im Gespräch.

Heiss studierte von 1921 bis 1924 in Frankfurt Klavier bei Hans Renner und Komposition bei Bernhard Sekles. Bei ihm lernte er Theodor W. Adorno kennen. Beide mochten einander nicht. In reifen Jahren aber machten sie dann, gemeinsam mit der Pianistin Else C. Kraus, das Klavierwerk von Arnold Schönberg zugänglich.

1924 hatte Heiss Josef Matthias Hauer (1883-1959) kennengelernt. Er war der Gegenpart von Schönberg im Streit darüber, wer zuerst die Zwölftonmusik gefunden habe. Während Schönberg zugab, er und Hauer hätten den "Edelstein" zu gleicher Zeit entdeckt, betrachteten ihn jedoch von verschiedenen Seiten, beharrte Heiss darauf, Schönberg habe Hauers Barocksuite analysiert, bevor er "3 Jahre nachher mit seiner ersten 12 Tonmusik heraus kam".

Fast dreißig Jahre lang blieb Heiss ein Parteigänger von Hauer. Am Nationalsozialismus, der Musik aus Klassik und Romantik für politische Zwecke missbraucht hatte, war er "wenig interessiert", vermutet Ehrig-Eggert. "Er ist aber auch keine Kompromisse eingegangen. So war das materielle Überleben für Heiss, der auch Familie hatte, nicht einfach".

Einen großen Anteil in Ehrig-Eggerts Buch bilden Heiss' Briefe an Hauer. Dessen Antworten sind in der Darmstädter Bombennacht vom 11. zum 12. September 1944 verbrannt, zusammen mit dem größten Teil der bis dahin entstandenen Kompositionen von Hermann Heiss. So kann man seine Äußerungen leider kaum an seinen Kompositionen messen. Eine Ausnahme bildet etwa das nur anderthalb Seiten umfassende Klavierstück "Musik nach dem Kerzenlöschen" von 1925, das in Ehrig-Eggerts Buch abgedruckt ist. Dessen Bausteintechnik und Resonanzbehandlung spiegeln Heiss' aufs Fassliche und Sinnliche zielende Herangehensweise: "das Zurückgreifen auf bereits verlassene Töne ist Nachklangbehandlung", schrieb Heiss im konzeptuellen Gegensatz zu Schönberg.

Nach dem Krieg unterrichtete auch Heiss bei den Darmstädter Ferienkursen und spottete über "Wiesengrund-Adonis", den "Sprachpfuscher" neben ihm. Heiss unterrichtete seine Schüler umsonst, während die "12tonbonzen" die Fördergelder für sich beanspruchten. "Das ist eine fest verfilzte Klike, die sich aus Schönbergs Kompositionen eine Lehre rausgezogen haben, nach der sie nun die Jugend verseuchen wollen. Verstehen selbst überhaupt nichts davon", wettert er in einem Brief an Else C. Kraus und Alice Schuster vom 16. Juli 1949.

Seine Polemik war insofern gerechtfertigt, als Schönberg selbst mit gutem Grund nur wenige in seine Zwölftontechnik eingeweiht hat: Von Alban Berg und Anton Webern wusste er, dass sie komponieren konnten, statt nur eine Bastelanleitung für den Umgang mit zwölf Tönen zu befolgen. Als John Cage ihn nach der Zwölftontechnik fragte, bekam er von Schönberg eine Abfuhr.

Nach etwa 1950 wandte Heiss sich der elektronischen Musik zu. Rückblickend schrieb er, er habe sich "des doch recht groben Halbtonhörens entwöhnen" müssen, um sich "die größeren Feinheiten der elektronischen Klangwelt dienstbar machen zu können". Jenseits des temperierten Tonsystems verloren die Zwölf-Ton-Glaubenskriege ihre Bedeutung. Doch während für Schönberg "der Zusammenhang in der Musik auf nichts anderem beruhen kann als auf Motiven, deren Verwandlungen und Entwicklungen", propagierte Heiss ein athematisches Klangband, einen zeitlichen Fluss, durch die Bewegungsmöglichkeit aller musikalischen Parameter. Seine elektronischen Kompositionen wurden im Karlsruher ZKM digital zugänglich gemacht. Bisher, scheint es, hat sich noch niemand damit beschäftigt. Außer Ehrig-Eggert. Was ihm an der Neuen Musik so wichtig ist? "Dass man vom Konsum wegkommt. Bei dieser Musik wächst der Genuss mit der Beschäftigung."

DORIS KÖSTERKE

Carl Ehrig-Eggert, "Der Darmstädter Komponist Hermann Heiss und seine Beiträge zur Zwölftonmusik". Justus von Liebig Verlag Darmstadt, 260 Seiten, 14,80 Euro.

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