Der Bundesstaat ist ein Traditionsgut der deutschen Verfassungsgeschichte. Wie heute die Bundesrepublik waren auch schon Bismarcks Kaiserreich und die Weimarer Republik bundesstaatlich verfasst. An einer Gesamtdarstellung des deutschen Bundesstaates von seiner Gründung 1867/71 bis zu seinem vorläufigen Ende 1933 hat es bisher gefehlt. Diese Lücke in der verfassungsgeschichtlichen Literatur ist nun geschlossen.
Die beiden föderalen Vorläufer der Bundesrepublik Deutschland hatten zwar ein Organisationsprinzip der Staatlichkeit gemein, sie unterschieden sich im Übrigen aber grundlegend: erst preußisch dominierte Monarchie mit Zügen einer Klassenherrschaft, dann demokratische Republik, die unter dem Ansturm autoritärer Gegner zusammenbrach. Der Autor untersucht vor dem Hintergrund dieser Veränderungen die bundesstaatliche Ordnung von Kaiserreich und Weimarer Republik.
Nach einer Darstellung der föderalen Elemente im deutschen Staatsleben vor Gründung des Nationalstaateswerden Bismarck-Reich und Weimarer Republik in einem Dreischritt erschlossen: Die Untersuchung der Gründungsvorgänge zeigt auf, warum der Bundesstaat gerade so und nicht anders entstand. Es folgt eine detaillierte Darstellung des föderalen Verfassungsrechts, die jedoch nicht auf die normativen Strukturen beschränkt bleibt, sondern auch die Verfassungswirklichkeit beleuchtet und deutlich macht, welche Veränderungen sich im Laufe der Zeit ergaben. Abschließend wird die staatsrechtliche Deutung des Bundesstaates untersucht.
Heiko Holste macht Kontinuitäten und Wandlungen im Verhältnis von Reich und Ländern deutlich und das Zusammenwachsen des deutschen Nationalstaates anschaulich. Es zeigt sich, dass der Bundesstaat in der deutschen Verfassungsgeschichte fast ausschließlich im Zusammenhang mit nationalstaatlicher Einheit verstanden wurde. Eine Verschwisterung von Föderalismus und Freiheit hat es - anders als in den USA - in Deutschland lange Zeit nicht gegeben. Weil es letztlich an einer überzeugenden Legitimation des Bundesstaates fehlte, ließ er sich vom Nationalsozialismus mühelos in einen Einheitsstaat umschalten.
Insgesamt zeichnet der Verfasser ein anschauliches Gesamtbild des deutschen Bundesstaates von der Reichsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik. Dabei wird durch zahlreiche Verweise auch dokumentiert, welchen Niederschlag die historische Entwicklung im Grundgesetz gefunden hat. So entsteht ein wichtiger Beitrag zur Vorgeschichte und zum historischen Verständnis des deutschen Bundesstaates der Gegenwart.
Die beiden föderalen Vorläufer der Bundesrepublik Deutschland hatten zwar ein Organisationsprinzip der Staatlichkeit gemein, sie unterschieden sich im Übrigen aber grundlegend: erst preußisch dominierte Monarchie mit Zügen einer Klassenherrschaft, dann demokratische Republik, die unter dem Ansturm autoritärer Gegner zusammenbrach. Der Autor untersucht vor dem Hintergrund dieser Veränderungen die bundesstaatliche Ordnung von Kaiserreich und Weimarer Republik.
Nach einer Darstellung der föderalen Elemente im deutschen Staatsleben vor Gründung des Nationalstaateswerden Bismarck-Reich und Weimarer Republik in einem Dreischritt erschlossen: Die Untersuchung der Gründungsvorgänge zeigt auf, warum der Bundesstaat gerade so und nicht anders entstand. Es folgt eine detaillierte Darstellung des föderalen Verfassungsrechts, die jedoch nicht auf die normativen Strukturen beschränkt bleibt, sondern auch die Verfassungswirklichkeit beleuchtet und deutlich macht, welche Veränderungen sich im Laufe der Zeit ergaben. Abschließend wird die staatsrechtliche Deutung des Bundesstaates untersucht.
Heiko Holste macht Kontinuitäten und Wandlungen im Verhältnis von Reich und Ländern deutlich und das Zusammenwachsen des deutschen Nationalstaates anschaulich. Es zeigt sich, dass der Bundesstaat in der deutschen Verfassungsgeschichte fast ausschließlich im Zusammenhang mit nationalstaatlicher Einheit verstanden wurde. Eine Verschwisterung von Föderalismus und Freiheit hat es - anders als in den USA - in Deutschland lange Zeit nicht gegeben. Weil es letztlich an einer überzeugenden Legitimation des Bundesstaates fehlte, ließ er sich vom Nationalsozialismus mühelos in einen Einheitsstaat umschalten.
Insgesamt zeichnet der Verfasser ein anschauliches Gesamtbild des deutschen Bundesstaates von der Reichsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik. Dabei wird durch zahlreiche Verweise auch dokumentiert, welchen Niederschlag die historische Entwicklung im Grundgesetz gefunden hat. So entsteht ein wichtiger Beitrag zur Vorgeschichte und zum historischen Verständnis des deutschen Bundesstaates der Gegenwart.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2003Haupt und Glieder
Bundesstaatliche Praxis im Kaiserreich und in Weimar
Heiko Holste: Der deutsche Bundesstaat im Wandel (1867-1933). Schriften zur Verfassungsgeschichte. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2002. 580 Seiten, 68,- [Euro].
Der 1867 gegründete Norddeutsche Bund hatte mit Blick auf den dereinstigen Beitritt der Südstaaten einen ausgeprägt föderalen Charakter, und bei der Erweiterung zum Deutschen Reich wurde das 1870/71 noch etwas stärker unterstrichen. Schon zwischen 1867 und 1870 setzte indessen ein Unitarisierungsprozeß ein, der kontinuierlich anhielt. Er wurde 1918/19 beim Sturz der Monarchie kräftig vorangetrieben, ebenso nach 1930. Diesen Wandlungen geht Heiko Holste sorgsam nach.
Das Reich dehnte seine Legislativtätigkeit schon unter der Monarchie fortlaufend aus, aber die Landesgesetzgebung hatte weiterhin großes Gewicht. Im Finanzwesen war die föderative Rücksichtnahme sehr ausgeprägt. Erst spät und zögernd begann das Reich mit dem Zugriff auf direkte Steuern. Die reichseigene Verwaltung wurde über das in der Verfassung vorgesehene Maß hinaus ausgebaut, und auch in der Rechtspflege kam es zu einer gewissen Mediatisierung der Gliedstaaten. Der Bundesrat, als Zentralorgan des Reiches gedacht, verlor schnell an Gewicht zugunsten der sich ausbildenden Reichsregierung, und im Reichstag hatte er bei der Gesetzgebung ein starkes Gegenüber. Für seine Arbeit war ein hoher Konsensgrad kennzeichnend.
Die Koordination zwischen dem Reich und den größeren Mittelstaaten erfolgte gemeinhin im Vorfeld der Sitzungen. Verfassungsrechtliche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reich und seinen Gliedern kamen nur selten vor und wurden durch gütliche Einigung beigelegt. Das Präsidium, das dem König von Preußen mit dem Amtstitel "Deutscher Kaiser" zustand, wurde von Wilhelm I. zurückhaltend ausgeübt. Wilhelm II. dagegen sah sich als Inhaber eines national-unitarischen Kaisertums, entwickelte also einen ganz anderen Stil und eckte damit mehrfach an. Das Reich war unter der Monarchie, so Holstes Befund, ein gut und geräuschlos funktionierender Bundesstaat, in dem der zunächst stark betonte Föderalismus zwar allmählich an Gewicht verlor, aber doch keineswegs ausgehöhlt wurde.
In der Revolutionszeit machten die Volksbeauftragten 1918 keine Anstalten zur Beseitigung der Bundesstaatlichkeit. Aus dem Entwurf I für die neue Reichsverfassung strichen sie die Vorschriften, die auf einen dezentralisierten Einheitsstaat zielten. In der Nationalversammlung gab es zwar starke unitarische Tendenzen, aber auch sie rührte den Föderalismus nicht an. Eine territoriale Neugliederung überließ sie der künftigen Reichsgesetzgebung unter Bindung an die Vorschriften über Verfassungsänderungen. Die Reichskompetenz stärkte sie erheblich. An vielen Stellen war das allerdings die Positivierung der bisherigen Entwicklung. Mit Recht sagte Gerhard Anschütz deshalb 1924, die Weimarer bundesstaatliche Ordnung sei nicht die Antithese der alten Struktur, sondern deren gradlinige Fortsetzung. Freilich war der Verein-heitlichungsprozeß jetzt sehr viel entschiedener als zuvor.
Der tiefste Einschnitt war die Schwerpunktverlagerung von den nun zumeist Länder genannten Gliedstaaten zum Reich im Finanzwesen. Vielfach vollzog sich die Kompetenzausweitung des Reiches wie schon unter der Monarchie durch verfassungsdurchbrechende Gesetze. Die herrschende Lehre hielt das für zulässig. Aber die Unitarisierung weckte sehr viel mehr Widerspruch als vor 1914. Vor allem Bayern klagte über die fortgesetzte Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder und ließ es deshalb 1922/23 an der gebotenen Reichstreue fehlen. Auch das Verhältnis des Reichs zu Preußen war nun spannungsreicher als früher. Daraus erwuchsen wichtige Impulse für das Bemühen um eine Reichsreform. Konkreten Ertrag hatte das nicht. Ab 1930 machte die Unitarisierung weitere Fortschritte - zumal, als mit Notverordnungen regiert wurde. Dabei erfuhr der Reichsrat, der nach Holstes Befund real sehr viel stärker als in der Verfassung vorgesehen war, 1930/31 eine beachtliche Aufwertung, weil Brüning seine Wirtschafts- und Finanzprogramme hier beraten ließ.
Holste charakterisiert die Weimarer Republik als ungewollten, unitarischen und unfertigen Bundesstaat. Sein Urteil begründet er damit, daß die Nationalversammlung sich weder für einen gleichgewichtigen Föderalismus noch für ein System von Provinzen mit starker Selbstverwaltung entschied - beides hätte die Zerschlagung Preußens bedingt -, sondern es beim föderalen Status quo beließ und gleichzeitig die Möglichkeit für die Entwicklung zum Einheitsstaat eröffnete. Die föderale Kontinuität über 1918 hinweg hält er jedenfalls für ein Provisorium und sieht einen beachtlichen Reformbedarf. Die Meinung, der Weimarer Bundesstaat sei ungewollt gewesen, kann sich nur auf die Mehrheitsmeinung in der Nationalversammlung stützen. Die Stimmung in der Bevölkerung beachtet der Autor sehr viel weniger, und für das Gewicht landsmannschaftlicher Verbundenheit hat er wenig Sinn. Insgesamt handelt es sich um ein sehr instruktives und lesenswertes Buch.
HANS FENSKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bundesstaatliche Praxis im Kaiserreich und in Weimar
Heiko Holste: Der deutsche Bundesstaat im Wandel (1867-1933). Schriften zur Verfassungsgeschichte. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2002. 580 Seiten, 68,- [Euro].
Der 1867 gegründete Norddeutsche Bund hatte mit Blick auf den dereinstigen Beitritt der Südstaaten einen ausgeprägt föderalen Charakter, und bei der Erweiterung zum Deutschen Reich wurde das 1870/71 noch etwas stärker unterstrichen. Schon zwischen 1867 und 1870 setzte indessen ein Unitarisierungsprozeß ein, der kontinuierlich anhielt. Er wurde 1918/19 beim Sturz der Monarchie kräftig vorangetrieben, ebenso nach 1930. Diesen Wandlungen geht Heiko Holste sorgsam nach.
Das Reich dehnte seine Legislativtätigkeit schon unter der Monarchie fortlaufend aus, aber die Landesgesetzgebung hatte weiterhin großes Gewicht. Im Finanzwesen war die föderative Rücksichtnahme sehr ausgeprägt. Erst spät und zögernd begann das Reich mit dem Zugriff auf direkte Steuern. Die reichseigene Verwaltung wurde über das in der Verfassung vorgesehene Maß hinaus ausgebaut, und auch in der Rechtspflege kam es zu einer gewissen Mediatisierung der Gliedstaaten. Der Bundesrat, als Zentralorgan des Reiches gedacht, verlor schnell an Gewicht zugunsten der sich ausbildenden Reichsregierung, und im Reichstag hatte er bei der Gesetzgebung ein starkes Gegenüber. Für seine Arbeit war ein hoher Konsensgrad kennzeichnend.
Die Koordination zwischen dem Reich und den größeren Mittelstaaten erfolgte gemeinhin im Vorfeld der Sitzungen. Verfassungsrechtliche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reich und seinen Gliedern kamen nur selten vor und wurden durch gütliche Einigung beigelegt. Das Präsidium, das dem König von Preußen mit dem Amtstitel "Deutscher Kaiser" zustand, wurde von Wilhelm I. zurückhaltend ausgeübt. Wilhelm II. dagegen sah sich als Inhaber eines national-unitarischen Kaisertums, entwickelte also einen ganz anderen Stil und eckte damit mehrfach an. Das Reich war unter der Monarchie, so Holstes Befund, ein gut und geräuschlos funktionierender Bundesstaat, in dem der zunächst stark betonte Föderalismus zwar allmählich an Gewicht verlor, aber doch keineswegs ausgehöhlt wurde.
In der Revolutionszeit machten die Volksbeauftragten 1918 keine Anstalten zur Beseitigung der Bundesstaatlichkeit. Aus dem Entwurf I für die neue Reichsverfassung strichen sie die Vorschriften, die auf einen dezentralisierten Einheitsstaat zielten. In der Nationalversammlung gab es zwar starke unitarische Tendenzen, aber auch sie rührte den Föderalismus nicht an. Eine territoriale Neugliederung überließ sie der künftigen Reichsgesetzgebung unter Bindung an die Vorschriften über Verfassungsänderungen. Die Reichskompetenz stärkte sie erheblich. An vielen Stellen war das allerdings die Positivierung der bisherigen Entwicklung. Mit Recht sagte Gerhard Anschütz deshalb 1924, die Weimarer bundesstaatliche Ordnung sei nicht die Antithese der alten Struktur, sondern deren gradlinige Fortsetzung. Freilich war der Verein-heitlichungsprozeß jetzt sehr viel entschiedener als zuvor.
Der tiefste Einschnitt war die Schwerpunktverlagerung von den nun zumeist Länder genannten Gliedstaaten zum Reich im Finanzwesen. Vielfach vollzog sich die Kompetenzausweitung des Reiches wie schon unter der Monarchie durch verfassungsdurchbrechende Gesetze. Die herrschende Lehre hielt das für zulässig. Aber die Unitarisierung weckte sehr viel mehr Widerspruch als vor 1914. Vor allem Bayern klagte über die fortgesetzte Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder und ließ es deshalb 1922/23 an der gebotenen Reichstreue fehlen. Auch das Verhältnis des Reichs zu Preußen war nun spannungsreicher als früher. Daraus erwuchsen wichtige Impulse für das Bemühen um eine Reichsreform. Konkreten Ertrag hatte das nicht. Ab 1930 machte die Unitarisierung weitere Fortschritte - zumal, als mit Notverordnungen regiert wurde. Dabei erfuhr der Reichsrat, der nach Holstes Befund real sehr viel stärker als in der Verfassung vorgesehen war, 1930/31 eine beachtliche Aufwertung, weil Brüning seine Wirtschafts- und Finanzprogramme hier beraten ließ.
Holste charakterisiert die Weimarer Republik als ungewollten, unitarischen und unfertigen Bundesstaat. Sein Urteil begründet er damit, daß die Nationalversammlung sich weder für einen gleichgewichtigen Föderalismus noch für ein System von Provinzen mit starker Selbstverwaltung entschied - beides hätte die Zerschlagung Preußens bedingt -, sondern es beim föderalen Status quo beließ und gleichzeitig die Möglichkeit für die Entwicklung zum Einheitsstaat eröffnete. Die föderale Kontinuität über 1918 hinweg hält er jedenfalls für ein Provisorium und sieht einen beachtlichen Reformbedarf. Die Meinung, der Weimarer Bundesstaat sei ungewollt gewesen, kann sich nur auf die Mehrheitsmeinung in der Nationalversammlung stützen. Die Stimmung in der Bevölkerung beachtet der Autor sehr viel weniger, und für das Gewicht landsmannschaftlicher Verbundenheit hat er wenig Sinn. Insgesamt handelt es sich um ein sehr instruktives und lesenswertes Buch.
HANS FENSKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Über den ganzen Zeitraum dieser historischen Abhandlung, die 1867 einsetzt und 1933 endet, sei Deutschland ein Bundesstaat geblieben, der starke föderalistische Rücksicht auf die Untergliederungen, die Bundesländer, nahm. Zugleich aber, so geht aus Hans Fenskes wohlwollender und stark referierenden Rezension hervor, gab es immer stärker wirkende Tendenzen zur Vereinheitlichung und zu einem größeren Gewicht des Zentralstaats. Etwa im Finanzwesen gingen immer mehr Kompetenzen auf ihn über. Am Ende, so Fenske, offenbarte sich auch wegen des starken preußischen Gewichts in der Konstruktion des Reichs ein Reformbedarf, der dann durch den Machtantritt der Nazis ad acta gelegt wurde. Fenske lobt das Buch am Ende seiner Kritik als "sehr instruktiv und lesenswert".
© Perlentaucher Medien GmbH
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