Der Deutsche Bundestag hat über die Jahrzehnte in seinem Grundgefüge und seiner Funktionslogik eine erstaunliche Konstanz und Effizienz bewahrt. Gegenwärtig steht das Parlament aber auch vor neuen Herausforderungen: Veränderte Bedingungen der Medienpräsenz, die Wiedervereinigung, die Dynamik des europäischen Integrationsprozesses und die Entwicklung einer partizipationsfreudigen civil society stellen erweiterte Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Bundestags. In diesem Buch werden die Ergebnisse zu allen wichtigen Bereichen der neueren Parlamentarismusforschung vorgelegt und zu einer gehaltvollen Bilanz des gegenwärtigen Forschungsstandes verdichtet. Dabei zeigt sich, daß der Bundestag entgegen aller Kritik eine leistungsfähige und auch bürgernahe Repräsentationskörperschaft ist.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2001Wort haben und Wort halten
Der Wandel der Institution Bundestag im Spiegel der Wissenschaft
Heinrich Oberreuter/Uwe Kranenpohl/Martin Sebaldt (Herausgeber): Der Deutsche Bundestag im Wandel. Ergebnisse neuerer Parlamentarismusforschung. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2001. 307 Seiten, 58,- Mark.
Der Deutsche Bundestag zählt heute zu den "am besten untersuchten Parlamenten". Noch bis Mitte der sechziger Jahre war die Institution für die politikwissenschaftliche Forschung weitgehend Terra incognita. Pionierarbeit leistete ein "Outsider", der amerikanische Politologe Gerhard Loewenberg. Drei Jahre nach der Erstveröffentlichung erschien 1969 sein grundlegendes Werk in deutscher Übersetzung: "Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland". Die im gleichen Jahr gegründete "Zeitschrift für Parlamentsfragen" widmet sich vorwiegend dieser Thematik. Der empirische Befund der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland füllt inzwischen ein dreibändiges "Datenhandbuch".
Der vorliegende Band zeigt den Wandel der Institution im Spiegel der Wissenschaft. Strukturmuster der Parlamentspraxis, Entscheidungsprozesse im Bundesstaat, Öffentlichkeit und Gesellschaft, diesen vier thematischen Schwerpunkten sind die Aufsätze zugeordnet. Die Einleitung vermittelt die "Quintessenzen" des Bandes. Politikverdrossenheit "der Bevölkerung" hat danach nicht in der Politik ihre Wurzel. Sie sei "ein Kardinalproblem politischer Bildung". Das mag so sein. Parlamentarismusforschung kann jedenfalls dazu beitragen, gängige Vorurteile über das "Repräsentationsgewerbe" abzubauen, "fundamentalistischer Polemik" die Spitze zu nehmen. So dokumentiert Martin Sebaldt das nicht geringe Einflußpotential der Bundestagsopposition, die im Bundesverfassungsgericht überwiegend einen interaktiven "Vetospieler" (Klaus Stüwe) fand. Damit hatte auch Konrad Adenauer nicht gerechnet.
Die Beiträge wollen nicht nur deutlich machen, wie das Parlament arbeitet, sich "im Gefüge organisierter Interessen" (Martin Sebaldt) behauptet. Sie bestätigen eine über die Jahrzehnte im wesentlichen unveränderte "arbeitsparlamentarische Funktion" des Bundestages, der sich auch "die grünen und sattroten Neuparteien" nicht entziehen konnten. Die sachbezogenen parlamentarischen Handlungen sind weder durch Bürgerferne "noch durch unverantwortlichen Populismus" gekennzeichnet und stehen weitgehend "im Einklang mit der öffentlichen Meinung zu dem jeweiligen Thema" (Frank Brettschneider). Öffentlichkeitsarbeit und mediale Präsenz des Bundestages sind zentrale Themen der Bilanzanalyse (Gregor Mayntz: "Der unbekannte Star"). Sie attestiert der Parlamentsberichterstattung des Fernsehens in Großbritannien und Deutschland "ein ausgemachtes Proporzdenken", ungeachtet aller Unterschiede der parlamentarischen Kultur, geprägt durch die Fokussierung auf "wenige prominente Köpfe" (Dietmar Schiller).
Die "Fernsehdemokratie" (Heinrich Oberreuter) bietet nicht nur den Partei-Granden vielfältige "Chancen zur Eigenvermarktung". Auch einzelnen Abgeordneten gelingt es, bei Beachtung gewisser Spielregeln - "berechnende Tabubrüche beispielsweise" (Uwe Kranenpohl) - immer wieder Schlagzeilen zu produzieren. Medientalente sind für die Fraktionen unverzichtbar, wenn auch die Gesetzesarbeit vielfach von anderen gemacht wird.
Das neue "architektonische Design" kommt der "veränderten Inszenierung" von Politik zugute. Die Glaskuppel des Reichstagsgebäudes, Sir Norman Foster abgerungen, wurde zum Wahrzeichen der Berliner Republik. Die "Symbolräume" der neuen Hauptstadt unterscheiden sich in ihrem "Montagecharakter" von den "homogenen oder doch zumindest stimmig zusammengewachsenen Symbolräumen" (Andreas Dörner) anderer Hauptstädte. Berlin, kein Provisorium, ist noch zu unfertig, um als "Normalität" wahrgenommen zu werden.
Die Bonner "Erfolgsstory" des Bundestages harrt weiter einer umfassenden historischen Darstellung. Das hier für fünfzig Jahre vorgelegte Testat - leistungsfähig und bürgernah - ist solide begründet. Der Forschungsbefund, den die Beiträge reflektieren, ist naturgemäß differenzierter. Die Forschungen können den Blick für das "Leistungsprofil" der Volksvertretung schärfen, das "in den Köpfen" der Repräsentierten "nachhaltig zu verankern" sei. Eine Handlungsanweisung enthält der Band dazu glücklicherweise nicht. Politische Bildung darf und muß einäugige Kritik am Parlamentarismus, dem politischen System, seinen Institutionen und Repräsentanten beim Namen nennen. Vor allem aber wird sie - wie auch die Parlamentarismusforschung - auf diese Herausforderung zeitgemäße Antworten finden müssen. Der Forschungsfaden dürfte daher nicht abreißen.
MARTIN SCHUMACHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Wandel der Institution Bundestag im Spiegel der Wissenschaft
Heinrich Oberreuter/Uwe Kranenpohl/Martin Sebaldt (Herausgeber): Der Deutsche Bundestag im Wandel. Ergebnisse neuerer Parlamentarismusforschung. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2001. 307 Seiten, 58,- Mark.
Der Deutsche Bundestag zählt heute zu den "am besten untersuchten Parlamenten". Noch bis Mitte der sechziger Jahre war die Institution für die politikwissenschaftliche Forschung weitgehend Terra incognita. Pionierarbeit leistete ein "Outsider", der amerikanische Politologe Gerhard Loewenberg. Drei Jahre nach der Erstveröffentlichung erschien 1969 sein grundlegendes Werk in deutscher Übersetzung: "Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland". Die im gleichen Jahr gegründete "Zeitschrift für Parlamentsfragen" widmet sich vorwiegend dieser Thematik. Der empirische Befund der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland füllt inzwischen ein dreibändiges "Datenhandbuch".
Der vorliegende Band zeigt den Wandel der Institution im Spiegel der Wissenschaft. Strukturmuster der Parlamentspraxis, Entscheidungsprozesse im Bundesstaat, Öffentlichkeit und Gesellschaft, diesen vier thematischen Schwerpunkten sind die Aufsätze zugeordnet. Die Einleitung vermittelt die "Quintessenzen" des Bandes. Politikverdrossenheit "der Bevölkerung" hat danach nicht in der Politik ihre Wurzel. Sie sei "ein Kardinalproblem politischer Bildung". Das mag so sein. Parlamentarismusforschung kann jedenfalls dazu beitragen, gängige Vorurteile über das "Repräsentationsgewerbe" abzubauen, "fundamentalistischer Polemik" die Spitze zu nehmen. So dokumentiert Martin Sebaldt das nicht geringe Einflußpotential der Bundestagsopposition, die im Bundesverfassungsgericht überwiegend einen interaktiven "Vetospieler" (Klaus Stüwe) fand. Damit hatte auch Konrad Adenauer nicht gerechnet.
Die Beiträge wollen nicht nur deutlich machen, wie das Parlament arbeitet, sich "im Gefüge organisierter Interessen" (Martin Sebaldt) behauptet. Sie bestätigen eine über die Jahrzehnte im wesentlichen unveränderte "arbeitsparlamentarische Funktion" des Bundestages, der sich auch "die grünen und sattroten Neuparteien" nicht entziehen konnten. Die sachbezogenen parlamentarischen Handlungen sind weder durch Bürgerferne "noch durch unverantwortlichen Populismus" gekennzeichnet und stehen weitgehend "im Einklang mit der öffentlichen Meinung zu dem jeweiligen Thema" (Frank Brettschneider). Öffentlichkeitsarbeit und mediale Präsenz des Bundestages sind zentrale Themen der Bilanzanalyse (Gregor Mayntz: "Der unbekannte Star"). Sie attestiert der Parlamentsberichterstattung des Fernsehens in Großbritannien und Deutschland "ein ausgemachtes Proporzdenken", ungeachtet aller Unterschiede der parlamentarischen Kultur, geprägt durch die Fokussierung auf "wenige prominente Köpfe" (Dietmar Schiller).
Die "Fernsehdemokratie" (Heinrich Oberreuter) bietet nicht nur den Partei-Granden vielfältige "Chancen zur Eigenvermarktung". Auch einzelnen Abgeordneten gelingt es, bei Beachtung gewisser Spielregeln - "berechnende Tabubrüche beispielsweise" (Uwe Kranenpohl) - immer wieder Schlagzeilen zu produzieren. Medientalente sind für die Fraktionen unverzichtbar, wenn auch die Gesetzesarbeit vielfach von anderen gemacht wird.
Das neue "architektonische Design" kommt der "veränderten Inszenierung" von Politik zugute. Die Glaskuppel des Reichstagsgebäudes, Sir Norman Foster abgerungen, wurde zum Wahrzeichen der Berliner Republik. Die "Symbolräume" der neuen Hauptstadt unterscheiden sich in ihrem "Montagecharakter" von den "homogenen oder doch zumindest stimmig zusammengewachsenen Symbolräumen" (Andreas Dörner) anderer Hauptstädte. Berlin, kein Provisorium, ist noch zu unfertig, um als "Normalität" wahrgenommen zu werden.
Die Bonner "Erfolgsstory" des Bundestages harrt weiter einer umfassenden historischen Darstellung. Das hier für fünfzig Jahre vorgelegte Testat - leistungsfähig und bürgernah - ist solide begründet. Der Forschungsbefund, den die Beiträge reflektieren, ist naturgemäß differenzierter. Die Forschungen können den Blick für das "Leistungsprofil" der Volksvertretung schärfen, das "in den Köpfen" der Repräsentierten "nachhaltig zu verankern" sei. Eine Handlungsanweisung enthält der Band dazu glücklicherweise nicht. Politische Bildung darf und muß einäugige Kritik am Parlamentarismus, dem politischen System, seinen Institutionen und Repräsentanten beim Namen nennen. Vor allem aber wird sie - wie auch die Parlamentarismusforschung - auf diese Herausforderung zeitgemäße Antworten finden müssen. Der Forschungsfaden dürfte daher nicht abreißen.
MARTIN SCHUMACHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main