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Barbara Beßlich untersucht das Napoleon-Bild und den Napoleon-Mythos in Deutschland von 1800 bis 1945 in einer interdisziplinären Studie. Die einen sahen in ihm den Befreier und Schöpfer des modernen Europa, anderen erschien er als Tyrann, dessen gigantomanische Feldzüge Hunderttausenden das Leben kosteten. Im Spiegel dieses Mannes erscheinen die unterschiedlichen politischen Einstellungen von Dichtern und Denkern von Hölderlin und Kleist über Nietzsche und George bis zu Thomas Mann.

Produktbeschreibung
Barbara Beßlich untersucht das Napoleon-Bild und den Napoleon-Mythos in Deutschland von 1800 bis 1945 in einer interdisziplinären Studie. Die einen sahen in ihm den Befreier und Schöpfer des modernen Europa, anderen erschien er als Tyrann, dessen gigantomanische Feldzüge Hunderttausenden das Leben kosteten. Im Spiegel dieses Mannes erscheinen die unterschiedlichen politischen Einstellungen von Dichtern und Denkern von Hölderlin und Kleist über Nietzsche und George bis zu Thomas Mann.
Autorenporträt
Barbara Beßlich, geb. 1970, studierte Geschichte und Germanistik und habilitierte sich mit der vorliegenden Studie. 2000 erschien von ihr in der WBG: »Wege in den ›Kulturkrieg‹. Zivilisationskritik in Deutschland 1890 – 1914«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2007

Der Einsturz und die Wachsfigur
War er an allem schuld? Barbara Beßlich über die Deutschen und ihren Napoleon
Auch Mythen haben ihre Zeit. Eine sinnfällige Illustration dafür liefert Napoleon, der den Deutschen 150 Jahre lang ein Spiegel ihrer Ängste und Hoffnungen, des Hasses und der Bewunderung war. Das Verhältnis der Deutschen zu Napoleon ist ein Prozess mit vielen Revisionen und oft überraschenden Urteilen, der unmittelbar vor der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert angestrengt und der erst 1945 eingestellt wurde. Seither ist der Mann aus dem deutschen Panoptikum ausgemustert worden und dem Bewusstsein der Zeitgenossen allenfalls nur noch anekdotisch präsent, wie nicht zuletzt die bemühten Feierlichkeiten zeigten, mit denen jüngst an die 200. Wiederkehr seines Erscheinens auf der deutschen Szene erinnert werden sollte.
Wie anders das einmal war, das lässt sich heute nur noch gleichsam archäologisch rekonstruieren. Dieser umfangreichen und lohnenden Aufgabe, der sich die geistesgeschichtliche Forschung von einigen verstreuten Aufsätzen abgesehen bislang verweigerte, hat sich die Germanistin Barbara Beßlich mit ihrer Habilitationsschrift zugewandt.
Dass es die Germanistik ist, die diesen bislang brach liegenden Acker bestellt und nicht die Historiographie, erklärt sich aus einer methodischen Pointe: Die deutsche Geschichtsschreibung, die durch Napoleon erst ihr Thema – die nationale Geschichte – entdeckte, hat ihm dies durch Undank gelohnt. Traditionell hat sie dem großen Einfluss, den Napoleon auf die deutschen Geschicke nahm, nur eine zeitlich ziemlich genau eingrenzbare Episode zugestanden.
Exemplarisch steht dafür der oft zitierte Satz in Thomas Nipperdeys „Deutscher Geschichte”: „Am Anfang war Napoleon”. Dieser Anklang an das Johannes-Evangelium wird von Nipperdey aber schon im folgenden Satz dementiert, in dem er Napoleon einen „überwältigenden Einfluss” auf die Geschichte der Deutschen lediglich für die „ersten eineinhalb Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts” zuerkennt. Die Schlacht von Waterloo im Juni 1815 markierte den Schlusspunkt. Der spätere Revisionsversuch, den der Neffe, Napoleon III., im Geist des Onkels unternahm und mit dem er 1870 bei Sedan katastrophal scheiterte, verbannte den ersten Napoleon endgültig als erratische Erscheinung ins Wachsfigurenkabinett.
Diese Relegation in die Bedeutungslosigkeit durch die deutsche Geschichtsschreibung stand jedoch in eklatantem Widerspruch zu der ungeheuren Faszination, die Napoleon ungeachtet dessen auf die Gemüter der Deutschen ausübte. Davon künden Gedichte, Romane und Theaterstücke ebenso wie essayistische und philosophische Versuche, sein Wesen und seine Wirkung zu ergründen. Von deutschen Schriftstellern wurde Napoleon Bonaparte erstmals gelegentlich seines siegreichen Italienfeldzugs 1796/97 wahrgenommen. Hölderlin, August Wilhelm Schlegel, Wieland und Hegel, der ihn mit dem bekannten Wort der „Weltseele” apostrophierte, stehen ein für eine frühe Napoleon-Bewunderung, der Goethe auch und gerade nach dessen Sturz, Verbannung und Tod die Treue hielt.
Aber diese anfängliche Begeisterung schlug um, sobald insbesondere die Preußen nach der Niederlage von 1806 Napoleon als Eroberer und Unterdrücker erlebten. Vor allem in der wahrhaft blutrünstigen Prosa und Lyrik, die seit etwa 1809 den „Befreiungskriegen” von 1813/14 vorausging und diese begleitete, wurde Napoleon von Heinrich von Kleist etwa zur Inkarnation des Bösen schlechthin zugerichtet. In seinem „Katechismus der Deutschen” (1809) dämonisiert Kleist ihn als „verabscheuungswürdigen Menschen”, zu einem „der Hölle entstiegenen Vatermördergeist”. Damit wurde ein Ton angeschlagen, den die Lyrik der Befreiungskriege, die den Kampf gegen Napoleon zu einem Erweckungserlebnis stilisierte, ins Apokalyptische steigerte.
Nach diesen Eruptionen eines geifernden Hasses, der für Generationen auch durch Schulbücher vermittelt wurde, wurde Napoleon, möchte man meinen, in Deutschland endgültig zum Anathema. Tatsächlich aber avancierte er bereits in den 1820er Jahren zur Lichtgestalt der Romantiker und vor allem der Liberalen des Vormärz, die ihn als Kronzeugen ihrer Kritik an der monarchischen Restauration benutzten. Dabei beriefen sie sich aber nicht auf die historische Person, sondern auf die propagandistische Verklärung seines Wollens.
Parallel zu dieser politischen Indienstnahme entwickelte sich die romantische Heldenverehrung, die Napoleon als Ausnahmemenschen verklärte und als solchen, wie Barbara Beßlich überzeugend nachweist, dem kulturellen Gedächtnis der Deutschen einverleibte. Dafür steht die Napoleon-Lyrik ein, die in der Nachfolge Heinrich Heines die Platen, Immermann, Zedlitz oder Gaudy schufen, die den im fernen Exil gestorbenen Kaiser als Märtyrer des seither herrschenden Mittelmaßes verehrten und sein Schicksal mit Empathie und bisweilen penetranter Sentimentalität bedauerten.
Dieses positive Napoleon-Bild, verbreitet auch von einer Fülle historischer Kolportage-Romane, überdauerte selbst die Epochenzäsur der Revolution von 1848, um dann durch Friedrich Nietzsche eine nicht zu überbietende Steigerung zu erfahren: Er stellte Napoleon erstmals in „Also sprach Zarathustra” (1883) als Vorbereiter des „Übermenschen” vor und charakterisierte ihn in der „Genealogie der Moral” mit den Worten: „Napoleon, diese Synthesis von Unmensch und Übermensch”. Vor allem aber vermachte der späte Nietzsche in seinen nachgelassenen Fragmenten dem 20. Jahrhundert das Erbe der Sehnsucht nach dem Erscheinen eines neuen „höheren Menschen”, für den kein Opfer zu groß ist: „Die Revolution ermöglichte Napoleon: das ist ihre Rechtfertigung. Um einen ähnlichen Preis würde man den anarchistischen Einsturz unserer ganzen Civilisation wünschen müssen”.
So entstand, wie Beßlich vorführt, das Paradox eines „deutschen Napoleon”, das um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert in zahlreichen Schriften figuriert, die gleichzeitig „deutsch-national, frankreichfeindlich und napoleonbegeistert” sind. Auslöser war die grassierende Englandfeindschaft, die Napoleons Konflikt mit dem perfiden Albion zum historischen Vorbild nahm.
Dieses Napoleonbild überdauerte unbeschädigt den Ersten Weltkrieg und erlebte in der Weimarer Republik seine grellste Ausmalung. Napoleon wurde jetzt zu einer geradezu omnipräsenten Symbolfigur, den die Expressionisten dämonisierten und der Kreis um Stefan George, in Sonderheit Berthold Vallentin, heroisierte. Emil Ludwig dagegen erklärte ihn zum ersten Demokraten Paneuropas, während die „konservative Revolution” ihn mit dem Ideal des „starken Mannes” identifizierte, dem Retter aus der Krise der Demokratie. Je eindringlicher Napoleon beschworen wurde – in seinem exaltierten Napoleon-Buch von 1923 wie der Essay-Sammlung „Napoleon und die Deutschen” behauptete Vallentin geradezu: „Napoleon gehört den Deutschen” und sprach von einer „Wesensgleiche zwischen Napoleon und den Deutschen” –, desto augenfälliger, so Beßlich, wurde die erlebte Leerstelle: „Napoleon wurde nicht mehr wie im 19. Jahrhundert als historische Größe in kleinen Zeiten wehmütig und kontemplativ erinnert, sondern wurde zur Beschwörungsformel für die politische Zukunft”.
Damit war die Bühne bereit für das letzte und perverseste deutsche Napoleonbild: das nationalsozialistische, das seinen Höhepunkt in der populären Biographie „Napoleon. Kometenbahn eines Genies” hatte, die der Reichsleiter der NSDAP Philipp Bouhler 1941 veröffentlichte. Die fragwürdig völkerpsychologische „Wesensgleiche” wird dort ganz im Sinne der Nazi-Ideologie biologisiert, Napoleon wird von ihm kurzerhand zum Germanen qua „rassischer” Abstammung erklärt. Adolf Hitler wurde so als Napoleons erfolgreicherer und konsequenterer Wiedergänger aufgefasst.
Diese Sichtweise versetzte dem deutschen Napoleonmythos nach 1945 den Todesstoß. Dieses jähe Ende hat Curt Goetz mit dem Titel seiner Komödie „Napoleon ist an allem schuld” epigrammatisch auf den Begriff gebracht – in der Publizistik der Nachkriegszeit gab es eine ganze Reihe von auf Entlastung schielenden Vergleichen zwischen Napoleon und Hitler. In dem Theaterstück „Napoleon muss nach Nürnberg” forderte Roland Marwitz die Konsequenz ein: Napoleon müsse sich vor dem alliierten Kriegsverbrechertribunal verantworten, weil er mitschuldig sei am Nationalsozialismus.
Barbara Beßlich ist es mit ihrer Darstellung gelungen, einen fast vergessenen Aspekt der deutschen Ideologiegeschichte zu erhellen. Das ist nicht das geringste Verdienst, das man an einer akademischen Arbeit rühmen kann. JOHANNES WILLMS
BARBARA BESSLICH: Der deutsche Napoleon-Mythos. Literatur und Erinnerung 1800 bis 1945. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007. 504 Seiten, 79,90 Euro.
Mal war er unsere Weltseele, mal unser Höllendämon
Als deutscher Landsmann sollte er uns vor der Demokratie retten
„Die Radikalkur”: Napoleon muss die annektierten Gebiete wieder ausspucken. Radierung von 1814 Foto: bpk
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Verdienstvoll findet Johannes Willms die Habilitationsschrift der Germanistin Barabara Beßlich aus zwei Gründen: Als Germanistin füllt die Autorin eine Forschungslücke, die eigentlich auf das Konto der Geschichtsschreibung geht, indem sie Napoleon dem Anekdotischen entreißt und "archäologisch rekonstruiert". Und sie beleuchtet einen beinahe vergessenen "Aspekt der deutschen Ideologiegeschichte". Beßlichs Darstellung verfolgt Willms aufmerksam. Von der politischen Indienstnahme im Vormärz und der "Heldenverehrung" durch die Romantiker bis zum "perversesten deutschen Napoleonbild" im Nationalsozialismus. Und er dankt der Autorin für die Befreiung des kleinen und mächtigen Mannes aus dem Wachsfigurenkabinett der Geschichte.

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