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Die bewegende Biographie der letzten Lebensjahre Heinrich Heines in Paris. Mit 33 Jahren ging Heine 1831 als Korrespondent der 'Augsburger Allgemeinen Zeitung' in die französische Hauptstadt. Als er 1847 an einem rätselhaften Knochenmarksleiden erkrankt, ist dies der Beginn eines achtjährigen Martyriums. Bis zu seinem Tod 1856 bleibt er an seine "Matratzengruft" gefesselt, fast vollständig gelähmt, zeitweise blind und seine unerträglichen Schmerzen mit immer höheren Dosen Opium betäubend. Mit großer Sensibilität schildert Pawel die bewundernswerte Haltung, mit der Heine der unheilbaren…mehr

Produktbeschreibung
Die bewegende Biographie der letzten Lebensjahre Heinrich Heines in Paris. Mit 33 Jahren ging Heine 1831 als Korrespondent der 'Augsburger Allgemeinen Zeitung' in die französische Hauptstadt. Als er 1847 an einem rätselhaften Knochenmarksleiden erkrankt, ist dies der Beginn eines achtjährigen Martyriums. Bis zu seinem Tod 1856 bleibt er an seine "Matratzengruft" gefesselt, fast vollständig gelähmt, zeitweise blind und seine unerträglichen Schmerzen mit immer höheren Dosen Opium betäubend. Mit großer Sensibilität schildert Pawel die bewundernswerte Haltung, mit der Heine der unheilbaren Krankheit begegnet. Frei von Selbstmitleid bewahrt er bis zum Ende seinen oft bissigen Humor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.1997

Saboteur der eigenen Absichten
Ernst Pawel über Heines letzte Lebensjahre in Paris

Bereits in seiner Studentenzeit leidet Heine an oft schwer erträglichen Kopfschmerzen. Nicht sehr viel später, 1831 - er ist dreiunddreißig und Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung in Paris -, kommt es zu einer Lähmung der Augenlider und zweier Finger. Sie verschwindet wieder. Keine fünf Jahre später muß er fürchten, zu erblinden - vorübergehend. Doch mehr oder minder schwere Sehstörungen stellen sich nun immer häufiger ein. Anfang der vierziger Jahre ist plötzlich die linke Gesichtshälfte gelähmt und die übrige linke Körperhälfte taub. Ein Schlaganfall? 1844 stirbt der millionenschwere Onkel Salomon, der bis dahin für Stipendien gut war; für Harry Heine eine Art Übervater. Das Testament wird eröffnet. Heine geht leer aus: "Hätt' er was gelernt, so braucht er nicht zu schreiben Bücher." Gelernt hat er schon, aber fast nur das, was nützlich ist zum Bücherschreiben. Die Nichtachtung durch den Onkel streckt den Neffen zu Boden. Man könnte sich darüber wundern, wenn man alles, was Heine sagt, für bare Münze nimmt. Denn Heine hielt den reichen Mann für einen Schwachkopf, wohl nicht gänzlich zu Unrecht: "Das Beste, was an Ihnen ist, besteht darin, daß Sie meinen Namen tragen."

Dennoch, nach dem Tod Salomons gibt es für die Krankheit kein Halten mehr. 1845 soll ein Schwefelkurbad einen hartnäckigen Ausschlag kurieren; wenig später sind es die Stimmbänder. Abwechselnd attackiert die Lähmung nun Arme, Beine oder Kinnlade, läßt den gesamten Unterleib ertauben, gibt ihn teilweise wieder frei, wirft sich dann aber mit vermehrter Wut erneut auf den Unglücklichen. Er magert ab, ist bald nur noch Haut und Knochen. Paris trägt ihn auf Händen, spottet er, wenn die Krankenhelferin das Leichtgewicht umbettet. Immer schon wäre der zarte Mann mit dem geringen Zutrauen zu Freunden und Frauen gern ein großer Heide gewesen und ein Mann, wie er im Buche steht. So verbreitet er nun die Version einer Syphilis in fortgeschrittenem Stadium, Märtyrer der Lust in götterferner Zeit. Alles probieren die Ärzte aus, alles vergeblich; die übliche Palette von Blutegeln über Verätzungen der Wirbelsäule bis zu Kuren aller Art. Linderung für den Schmerzgeschüttelten schafft am Ende nur Opium in verschiedenen Varianten. Über Jahre halten die Ärzte eine künstliche Wunde im Nacken offen, um das graue Pulver dort einzureiben, wo es am schnellsten zu wirken scheint. Mohnfromm ist Heine schließlich geworden, wenn irgend etwas an seiner angeblichen spirituellen Einkehr in diesen Jahren einen wirklichen Gegenstand haben sollte.

Heute sind die Ärzte skeptisch hinsichtlich der Diagnose. Heine hat den Ausbruch des vermeintlich letzten Stadiums der Lustseuche rund zehn Jahre überlebt und ist bei voller geistiger Gesundheit gestorben; ein Befund, der andere Diagnosen als Syphilis nahelegt: angeborene neurologische Störungen, Porphyrie, amyotrophische Lateralsklerose . . . Ernst Pawel, der Biograph von Heines letzten Jahren, referiert diese Möglichkeiten und schenkt ihnen zu Recht nicht allzuviel Beachtung. Denn je fadenscheiniger und leichter die Körperhülle wird - am Ende wiegt der Dichter keine siebzig Pfund -, desto größeres Gewicht gewinnt sein Willen. Heine selbst war der erste, der das erstaunlich fand: "Die gräßlichste Hoffnungslosigkeit mit einem Geleite von moralischen Torturen, die ich jedoch ebenfalls wie die physischen mit einer Ruhe ertrage, die ich mir selber nie zugetraut hätte."

Todesverachtung ist als Begriff wohl auf die tapferen Schläger auf den Feldern militärischer Ehren geprägt worden. Heine gibt dem Wort einen durch und durch zivilen, einen literarischen Sinn. Sein letztes Aufgebot in diesem vorentschiedenen Duell ist inständige Arbeit: das Herauslocken der poetischen Einfälle aus ihren unscheinbaren Verstecken in schlaflosen Nächten, um die Schmerzen zu meistern. "Zu dieser Stunde", so sagt Pawel, "schrieb oder besser komponierte er seine Gedichte in einer Art Gebet. Ihr heilsamer Zauber offenbart die wahre Natur seines Glaubens. Er war vielen Menschen vieles, aber vor allem war er Dichter, zuallererst, zuallerletzt und zu jeder Zeit." Bei Tagesanbruch folgt darauf das alltägliche Meistern des Schreibens (die Lider wenigstens eines Auges zwischen Daumen und Zeigefinger so weit geöffnet, daß es die Riesenbuchstaben eben kontrollieren kann, die der Liegende auf das Papier mehr zeichnet als schreibt); folgt das Diktat der überarbeiteten Fassung an den Sekretär, der Mühe hat, zu verstehen, was sich aus den gelähmten Kiefern ringt.

Eine eigenwillige poetologische Doktrin Heines will, daß speziell der deutsche Vers mit dem Auge kontrolliert werden muß. So darf er sich mit dem Diktat nicht begnügen, sondern muß sehen, was da werden will, und sei es mit der halben Pupille. Der "Romanzero" ist unter diesen Umständen entstanden; aber auch Prosa, "Lutetia", die komplette Überarbeitung und überarbeitete Komplettierung der Frankreich-Artikel aus der Augsburger Allgemeinen Zeitung, hat er sich unter solchen Umständen abgetrotzt; ein Geist, der sich die Hürden der Selbstbewährung ein ums andere Mal höher setzt. Zwischendurch muß er den selbsterdachten Sorgen um Mathildes Versorgung genügen, der pausbäckigen, der mindestens dreibeinig (wer weiß, mit wem noch) im Leben stehenden, deren Lebensinhalt "shopping" heißt; zwingt ihn rätselhafte Demut, dem "allerliebsten Campe", dem bigotten Schurken, einen halbwegs akzeptablen Vertrag abzutrotzen, der ihn einmal mehr zu unsinniger und beim allerbesten Willen kaum mehr zu erbringender Arbeitsleistung zwingt; nötigt ihn ein dunkler Drang, auf das Rauschen des Bluts, die Familienbindungen zu hören. Was er hört, sind Albernheiten gravitätischer hommes nouveaux der Brüder Maximilian von Heine aus Petersburg und Gustav Baron von Heine-Geldern aus Wien. Sie haben es irgendwie geschafft, woran er ein Leben lang in listiger Sabotage der eigenen Absichten schreibt, ein anständiges bürgerliches Ich zustande zu bringen. Steifbeinige Nußknacker und Philister, die sie waren, haben sie sich viel darauf zugute gehalten.

Ernst Pawel, 1994 gestorbener Mitarbeiter der New York Times und angesehener Biograph von Theodor Herzl und Franz Kafka, ein deutsch-jüdischer Exilant, der sich in den Vereinigten Staaten in Sicherheit bringen konnte, hat Heines letzte Jahre in Paris mit Achtung und Diskretion nachgezeichnet. Dazu gehört, daß er keinen Versuch unternimmt, das endlose Palaver über den "Schauspieler" Heine, seine wirklichen oder vermeintlich bloß fingierten Ansichten oder Empfindungen zu entscheiden. Der Gewinn liegt im Ermessensspielraum, der dem Leser eingeräumt wird. War Heines Sterben ein nazarenisches Martyrium oder nicht doch eher die unbewußte Selbstinszenierung eines Menschen, dem seine Mitmenschen versagt haben, wonach er krank war ein Leben lang: Anerkennung als Vorbehalt? War Heines poetische Arbeit tapferer Widerstand gegen den Tod oder Darstellung von Tapferkeit? Philosemitisches Herangehen duldet solche Fragen selten. Daß Pawel sie aufwirft, hebt sein Buch über das fade Lob des Aufklärers Heine, in dessen Schleppnetz sich nur Trivialitäten finden, weit hinaus. Daß Pawel sich damit begnügt, sie lediglich sorgfältiger zu formulieren statt sie zu beantworten, läßt den Leser Vertrauen fassen.

Die deutsche Leserschaft ist fixiert auf Ansichten. Gerät Heine ins Kreuzverhör, dann heißt es: "Wie hältst du's mit der Religion, der Politik, mit Goethe? Wie ernst ist dir's mit dem Gott deiner Väter, wie mit dem von Mathilde?" - Heine hatte so viele Ansichten wie der Tag Stunden. "Er schrieb, um zu leben, und er lebte weiter, um zu schreiben", heißt es bei Pawel, der zu Recht den Autor Heine in den Mittelpunkt rückt; also nicht einen Ideologen oder Politiker an den mancherlei Kreuzwegen zeitgenössischer Konflikte, sondern einen Mann des Worts. Welche Kraft haben die Sätze, wenn es mit dem Leben zu Ende geht? Jenseits des Geschwätzes um Heinrich Heines Journalismus und seine Oberflächlichkeit - Karl Kraus hat es schmählicherweise mit seiner Autorität beglaubigt - liegt die einzigartige Würde dieses Autors in seiner selbstverdankten Nüchternheit und Heiterkeit, mit denen er dem Tod ein Wort nach dem anderen abtrotzt.

"Wenige Dichter seiner oder einer anderen Epoche haben so lange wie er mit dem Tod in nächster Nähe und auf so vertrautem Fuß gelebt", schreibt Pawel. Es ist trotz des zweideutigen Inhalts wohltuend, so etwas jenseits der marktgängigen Stereotypen zu lesen, die in diesem Jubiläumsjahr knüppeldick auf Heines OEuvre niedergehen werden: Heine zwischen Juden und Deutschen, zwischen diesen und den Franzosen, zwischen Geschichte und Gegenwart, Geist und Politik. Nicht daß das alles ganz verkehrt wäre. Es ist aber immer dazu angetan, aus dem Dichter einer condition humaine einen Spezialisten begrenzter Reichweite zu machen. Schluß damit. GERT MATTENKLOTT

Ernst Pawel: "Der Dichter stirbt. Heines letzte Lebensjahre in Paris". Aus dem Englischen übersetzt von Regina Schmidt-Ott. Berlin Verlag, Berlin 1997, 240 S., geb., 38,- DM.

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